Archiv der Kategorie: Pop

Zur Pop-Problematik

Gibt es überhaupt ein Problem damit?

Statt unnütz zu grübeln, sollte man erstmal aufräumen und grundlegende Sachverhalte einordnen. Vielleicht mit Hilfe dieses ausgezeichneten Buches:

Inhalt

Perlentaucher Rezensionen hier

Jens Balzer * 1969 Wikipedia hier mit den neueren Büchern

Günstig für mich, dass dieses Buch genau den Teil der Popmusik-Geschichte beschreibt, den ich in meinem Leben bewusst miterlebt habe, nach dem Krieg, auch bewusst abgelehnt habe, – ohne mich allerdings der Wirkung entziehen zu können. Es gehörte untrennbar auch zu meinem musikalischen Umfeld, vor allem seit wir ein neues Radio hatten, Grundig Stereo 1953, mit unverzichtbaren Unterhaltungssendungen wie „Das ideale Brautpaar“ mit Jacques Königstein. (Siehe hier, für uns jedoch gab es in den 50ern ausschließlich Hörfunk.)

Die frühesten Schlagerproduktionen lernte ich dank der uneingeschränkten Begeisterung meines älteren Bruders kennen, der gerne sang, noch auf der Lohe bei unseren Großeltern: Michael Jary, vor allem suchte er den Sänger René Carol zu imitieren, an erster Stelle das Lied „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein„. Was wir verachteten: Heimatkitsch à la „O Heideröslein, nimm dich in acht“ (Gerhard Winkler). Andererseits nicht „Friedel Hensch und die Cyprys“ … Früh entdeckt: die herausragend lebendige Caterina Valente.

War es der imaginäre Süden? Wie Jens Balzer schreibt: „Der deutsche Pop nach 1945 war vom Fernweh geprägt. Er handelte davon, dass man nach Italien reisen wollte oder nach Frankreich.“ (Seite 12) Tante Ruth (Schwester meines Vaters) und Onkel Fritz (Oberregierungsrat) in Hannover zeigten es uns: als erste in der Verwandtschaft leisteten sie sich einen Wohnwagen und fuhren nach Italien und Frankreich.

Früher Wohlstand bei Tante Ruth und Onkel Fritz. Stolz auf Campingreisen. Er starb 1973 bei einem Autounfall.

Zitat Wikipedia

Ende 1946 gelang ihm [René Carol] die Rückkehr nach Deutschland und er ließ sich zunächst in Hamburg nieder. Als Karol mit den 30 Variationen trat er bald in ganz Deutschland auf. Bei einem seiner Auftritte im April 1949[2] wurde Kurt Feltz, Entdecker vieler deutscher Schlagerstars in den 1950er Jahren, auf ihn aufmerksam. Mit der Kurt-Feltz-Produktion Maria aus Bahia 1950 begann er eine lang anhaltende Sängerkarriere, deren Erfolg erst in den 1960er Jahren endete. 1953 verkaufte René Carol die Platte Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein über 500.000 Mal. Seinen letzten großen Hit verbuchte er im Frühjahr 1960 mit dem Titel Kein Land kann schöner sein, der es bis auf den dritten Platz der Hitlisten schaffte.

Von Jens Balzer kann man verschiedene lesenswerte ZEIT-Artikel abrufen, neuerdings im Magazin folker – song, folk & world – im Juni 2023 einen guten Beitrag über Kulturelle Aneignung: „Zwischen Verbot und Dialog“, aus dem ich ein paar Zeilen zitieren möchte:

70 Jahre später, – das Problem heute:

warum sich Angehörige einer politisch und ökonomisch dominanten Kultur immer wieder bei der Musik, bei Tänzen, Kostümen und Accessoires aus Kulturen bedienen, die sie als weniger entwickelt betrachten: weil sie dort nämlich eine Authentizität und Ursprünglichkeit suchen, die sie an ihrer eigenen Kultur vermissen. Im Jazz hörten weiße Musikerinnen und Musiker der 1920er-Jahre eine „Wildheit“, die ihnen in ihrer eigenen Kultur fehlte – sodass sich noch in der anerkennenden Aneignung ein rassistisches oder koloniales Stereotyp versteckte: und zwar das einer vitalen, authentischen Kultur, deren Schöpfungen freilich erst durch die Aneignung überlegener – weißer – Künstlerinnen und Künstler in den Rang großer, zeitüberdauernder Kunstwerke gehoben werden können.

(…)

Reggae ist ein komplexer Stil, der sich aus der Verschränkung afrikanischer, europäischer, nordamerikanischer und karibischer Einflüsse ergeben hat – und der in den verschiedensten Arten der kulturellen Aneignung bis heute weiterwirkt. So ist der Hip-Hop, die zweifellos mächtigste Popkultur der Gegenwart, in den Siebzigerjahren in New York entstanden, als jamaikanische Eingewanderte Elemente des Reggae – etwa die Technik der Soundsystems und den damals noch „Toasting“ genannten Sprechgesang – mit afroamerikanischen Stilen wie Rhythm and Blues und Soul verbanden. Die Vorstellung, dass nur Jamaikanerinnen und Jamaikaner Reggae spielen dürfen, enthält also ihrerseits ein rassistisches Stereotyp: Sie will eine hoch entwickelte, von Aneignungen getragene und zu Aneignungen einladende Musik wieder auf den künstlerisch schlichten Ausdruck einer „indigenen“ Identität reduzieren.

(Jens Balzer)

Gulda 1976

Ohne Cecil Taylor, leider mit Ursula Anders

Ich erinnere mich zwar an das Konzert, in dem wir in einer der vordersten Reihen saßen, nicht aber an diesen Handzettel, den ich von JMR erhielt: er interessierte sich damals wahrscheinlich noch mehr für Cecil Taylor als für Friedrich Gulda. Von diesem gab es später ähnliche Auftritte im Fernsehen zu sehen (er selbst angeblich nackt hinter dem Flügel stehend, ein Krummhorn blasend). Ursula Anders mit Schumann fand ich peinlich, für manche hohen Töne begab sie sich auf die Zehenspitzen. Gulda u.a. mit Gulda („für Paul“) durchaus beeindruckend. Nach der Pause (damit niemand das Konzert verließ?) begann er mit Mozart A-dur, unglaublich schön, – nachhaltig wirkend auch durch sein Performing: er begann zu spielen und zugleich das Publikum eindringlich ernst zu mustern, von einem zum anderen; ich dachte an Rilke: „da ist keine Stelle, die dich nicht sieht: du musst dein Leben ändern“, man fühlte sich persönlich gemeint und – einer schweren Prüfung unterzogen.

Der verantwortliche Redakteur Schubert berichtete in einer späteren Musiksitzung nicht ohne Erschütterung über Guldas „rein musikalische Seite“.

Ich lese durchaus mit gemischten Gefühlen den folgenden Augenzeugenbericht (?) 2016:

https://kultur-online.net/inhalt/der-friederich-der-friederich-und-dar%C3%BCber-hinaus HIER

Noch etwas habe ich in Erinnerung: die Schwester der Gulda-Sängerin, Sylvia Anders, beide Töchter des berühmten Tenors Peter Anders, war in jenen Jahren auf Tournee mit ihrem Lebensgefährten Justus Noll, und am Flügel saß nicht immer dieser, sondern auch im Wechsel mit ihm – mein Bruder. Ob in der folgenden Aufnahme, vermag ich nicht zu beurteilen. Ist es Klassik oder Jazz?

Es gab noch einen anderen Auftritt Friedrich Guldas im Kleinen Sendesaal des Funkhauses mit Paul & Limpe Fuchs, wobei er zwischendurch mit Vehemenz eine Bach-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier vortrug. Die anderen Mitwirkenden veranstalteten ein Happening mit einer Art Feuerwerk, was nicht ungefährlich wirkte. Paul Fuchs habe ich Jahrzehnte später in der Toskana (durch Vermittlung von Hans Mauritz) wiedergetroffen, in seinem „Garten der Klänge“. War es 2010 oder 2012? Es lebe die Kontinuität! Zwei Beweis-Fotos sollen folgen…

Jazz nach Songs

Eine Übung

Der Text des Liedes hier, und das Lied bei Wikipedia hier

Transcription

Das Lied Blackbird hier bei Wiki, weiter hier, mit Text hier

Wikipedia über das Stück: hier . – Wie oft sie daran gearbeitet haben, ohne zufrieden zu sein!  Warum? Bis es endlich so etwas wie eine linkische, altbackene Show zu sehen war, mit einer Melodie, über deren Zauber man lange nachdenken kann; soll sie so traurig, nostalgisch wirken? Oder ist sie versehentlich in den Proportionen verschoben, so dass man Warum-Fragen stellen muss?

(dieselbe Version, ohne gesprochene Einleitung)

*    *    *

Nachträge

Oscar Peterson about piano styles

Woher kam der Jazz?

Maximilian Hendlers Forschungsreisen

Zitat:

Die befremdlichen Züge, welche die Musik der Afroamerikaner für Weiße an sich hatte und immer noch hat, führten zu einem bis heute weiterwirkenden Irrtum. Die afroamerikanische Musik kommt von den Schwarzen – die Schwarzen kommen aus Afrika -, daher kommt die afroamerikanische Musik aus Afrika. Die Jazzforscher, die alles, was nicht in der Musikästhetik der westlichen Hochkultur enthalten ist, nach Afrika verlegen wollen, ziehen ein Faktum nicht in Betracht: Der größte Teil der traditionellen afrikanischen Musik wurde zu religiösen und sozialen Anlässen gemacht, an denen Afrika extrem reich war und selbst heute noch immer ist.

Für die Afrikaner, die in die amerikanische Sklaverei gerieten, fielen diese Anlässe weg. Ihnen blieb nichts anderers übrig, als sich jener musikalischen Formen zu bedienen, die sie zunächst bei ihren weißen Besitzern und später auch beim weißen Proletariat zu hören bekamen. Ihre Rezeption dieser Musikformen bildet die Basis, aus der in den Jahrzehnten um 1900 der Jazz erwuchs.

GRAZ 2008

WIEN 2023

Was mich das angeht?

Titel, die leicht aufzufinden sind:

S.40 My Gal is a highborn Lady hier oder hier

S.41 Crappy Dan hier

S.43 All coons look alike to me hier (Arthur Collins) hier und hier

S.47 Nobody / When life seems hier

S.77 A Georgia camp meeting hier

S.89/90  Jelly Roll Morton (gesamt) hier Tiger Rag hier different tempi hier

S.94 A happy little chappie hier ?

S.106 Scott Joplin Easy winners (mit Noten) hier

S.106 Frank P. Banta hier

S.120 Original Dixieland Jazz Band 1917 Tiger Rag hier Livery Stable Blues hier

S.126 Duke Ellington 1927 (?) Bugle Call Rag hier

(Fortsetzung folgt)

Als Gegenposition sei an dieser Stelle auf das Buch von Gerhard Kubik (1999) verwiesen, der ein ausgewiesener Afrikakenner ist. Was die Argumentation, dass der Blues aus Afrika kommt, nicht von vornherein glaubwürdiger macht, – als habe sich über Generationen von Sklaven eine solche Erinnerung halten können. Zu berücksichtigen wäre die schlichte Tatsache, dass mit ihrer Ankunft in Amerika das absolute kulturelle Prägerecht der afrikanischen Sklaven die Kirchen und Sekten  übernommen hatten. Da blieb nichts übrig.

Der Name Kubik kommt bei Hendler nicht vor, weil die neueren Forschungen am überlieferten Material und die Einbeziehung der frühen Schichten europäischer Volksmusik einen ganz anderen Weg wiesen.

Und vor allen Dingen: statt den schnellen Weg nach Afrika zu nehmen, lohnt es sich in die Tiefe der Geschichte einzutauchen, und nicht nur dort, wo sie für Menschen unserer Zeit (rückwirkend) interessant ist und Musikprojektionen befeuert. Man lese daraufhin den Wikipedia-Artikel „Great Awakening“ mit Blick auf die unterprivilegierten Schichten der amerikanischen Bevölkerung.

Edwards’ Predigten waren machtvoll und zogen von etwa 1731 an ein großes Publikum an. Der aus England eingereiste methodistische Prediger George Whitefield setzte die Erweckungsbewegung fort, bereiste die britischen Kolonien und predigte in einem dramatischen und emotionalen Stil, der in dieser Zeit neu war. Neu war auch, dass Whitefield im Publikum jedermann – auch Afroamerikaner und Sklaven – akzeptierte…

Durch das Great Revival gelangten erstmals auch viele Sklaven zum christlichen Glauben. In den südlichen Kolonien erlaubten die Baptisten seit den 1770er Jahren sowohl Sklaven als auch Sklavenhaltern das Predigen. Nachdem Frauen in den Kirchen bis dahin überrepräsentiert gewesen waren, stieg auch die Anzahl der männlichen Kirchenmitglieder…

Wie die amerikanische Theologin Kimberly Bracken Long 2002 dargestellt hat, führen Geisteswissenschaftler die Camp Meetings seit den 1980er Jahren auf die Tradition der Holy Fairs zurück, die im 17. und 18. Jahrhundert in Schottland verbreitet waren. Bis dahin hatte man ihre Wurzeln ausschließlich in der amerikanischen Grenzland-Erfahrung vermutet…

Die Bemühungen, christliche Lehren auf die Lösung sozialer Probleme anzuwenden, waren wichtige Vorläufer und Präzedenz-Fälle für die Social-Gospel-Bewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, auch wenn sie in ihrer eigenen Zeit nur sehr eingeschränkt auf bestimmte Themen wie Alkohol und Sklaverei zur Geltung kam und nicht auf die Gesamtwirtschaft bezogen wurden…

NEU (11.05.23) DIE ZEIT Seite 52 Buch-Empfehlung

Schlaue Schwärme(reien)

Zum Wiederholen vorgemerkt!

Fischschwärme aus Millionen von Individuen, Erdmännchen in Kolonien oder Menschenmengen bei großen Demonstrationen. Welche Kräfte oder Prozesse stecken hinter Kollektivverhalten? (ZDF?)

HIER bis 17.02.33

Beginnen ab 1:54 (übrigens: wieder mal ein guter Film mit ganz schlechter Musik). Drei fundamentale Regeln im Schwarm: 1 Bleibt zusammen! 2 Haltet ausreichend Abstand! 3 Bewegt euch in die gleiche Richtung wie eure Nachbarn! – Aber: Wie trifft ein Fischschwarm Entscheidungen? 4:05 Was löst in einem Fischschwarm die plötzlichen Richtungswechsel aus? Einführung eines Roboterfischs, der die erste Bewegung vorgibt… Kleinstmöglicher Schwarm von 2 Fischen. 6:03 Der größere Schwarm trifft eindeutig die bestimmende (und richtige) Entscheidung.

The Beatles LET IT BE

„…to make classical music a relevant and powerful force in society.“ ???

Etwa so: hier? (Carmen) oder weiter im Web hier? (Halleluja)

Let it be … oder nimm dies:

HIER Hemsing Festival Norwegische VM bei Sol Gabetta

Neues über Vogelstimmen

https://www.spektrum.de/news/ornithologie-wie-voegel-ihren-gesang-wahrnehmen/2118408

Ave Maria „auf dem Hügel“

Die frühen Schlager und ich (Stoffsammlung)

Mein Bruder, – Vater, Mutter, Großeltern, Tante

Tante Ruth (*1913) um 1990 (hatte wie mein Vater Klassik-Klavier studiert, spielte noch mit 92).

Sie sang mir heimlich das Lied „Großmütterchen“, schwer erkennbar aber doch so oft vor, dass ich es auf der Geige zum 80. Geburtstag der Oma (17.8.1951) in Misburg präsentieren konnte (diese summte es leider schon vorher im Garten mit). Auch eine kleine Eigenkomposition von mir war angekündigt, eine anderhalbzeilige Melodie, eine „unvollendete“, die ich beim Vorspiel irgendwie weiterphantasierte und durch Wiederholung aufpeppte, –  Onkel Hans ließ sich zu einem Lob hinreißen, das von meiner Mutter begierig aufgesogen wurde: „Das steckt eben so drin!“ Ach, mein damals nicht abbrechen wollendes Opus sucht mich bisweilen heute noch heim. Ein Lieblingswerk meiner Oma dagegen war und blieb damals „Die diebische Elster“ bzw. deren Ouvertüre, die mein Vater am Klavier vortrug. Keine ernste Musik! Mit diesem Titel! Wir grinsten, wenn es hieß, durch die Belgarder Oma sei die Musikalität in die Reichow-Familie gekommen. Mit der „diebischen Elster“!?

Musikalisches Erbe?

Die Idole meines (tonangebenden) Bruders im Verlauf der Bielefelder 50er Jahre:

Michael Jary René Carol Peter Alexander Wolfgang Sauer Gershwin, Puccini, Schumann, Wagner, Rachmaninow. Die Schlager lehnte ich ab, ohne direkt zu opponieren, die Begeisterung für die Romantik steckte mich an und ergänzte meine Klassik, die von Bach ausging.

Die folgende Schallplatte war eine der wenigen, die bei den Oeynhausener Großeltern um 1950 abgespielt werden konnten (auf einem aufziehbaren Plattenspieler, den unsere Mutter einst bei einem Preisausschreiben gewonnen hatte): wir kannten das Lied auswendig, und ich habe es oft und gern Mitschülern vorgesungen, die tatsächlich gebannt zuhörten: „der Wilddieb, er gibt keine Antwort, er kennt ja die sichere Hand, ein Schuss und gleich drauf ein Aufschrei, und der Förster lag sterbend im Sand.“

Eine spannende Geschichte im leiernden Tonfall – das schien uns attraktiv. Es gab solche Schlager, „Pferdehalfter an der Wand“ u.ä., man fand sie eher etwas lässig (das Western-Wort statt des heutigen „cool“). Später, mit schon wachsender Klassikerfahrung, schätzten wir bestimmte harmonische Höhepunkte. Ab wann wurde unser Hit unter Brüdern – das Lohengrin-Vorspiel? Und wann kam der folgende Schlager, der eigentlich nur mir gehörte, so dachte ich, mit der Klimax einer starken, ehrlichen phrygischen Kadenz, B-dur, A-dur, nebeneinandersetzt, schamlose Quintparallelen. Auch eine Combo in der Givtbude auf Langeoog spielte ihn jeden Abend zum Abschluss (um 23 Uhr). Wir warteten sehnsüchtig auf den Refrain, die Musiker reagierten leicht genervt. War es 1958? Ich wanderte zu einem Café am Langeooger Dorfrand, wo es einen „Plattenautomaten“ gab, und ließ das Lied alle Viertelstunde ablaufen, während ich Dostojewski „Der Idiot“ las. Einsamkeiserfahrung.

Ich hatte keine Ahnung, wo das Lied herkam, ob spanischen oder portugiesischen Ursprungs. Aus dem Süden jedenfalls, der Zauber des Mittelmeers war greifbar.

Givtbude „no morro“ auf der Düne, Langeoog, 200 m vom Landschulheim Gymnasium Bielefeld (1958?) JR Fensterplatz

Und wo kam das Lied wirklich her?

60er Jahre. Die japanische Freundin verriet mir, leicht widerwillig, was sie vom Text verstand: der Sänger schaue in den Himmel, damit man seine Tränen nicht über die Wangen laufen sehe. Das fand ich anrührend oder sogar für uns passend. Ich kannte das Lied nur aus dem Radio und hatte keine Ahnung, wie seltsam geziert sich der Interpret gebärdete. Natürlich studierten wir beide damals sehr „ernsthaft“ Geige. Sarasate stand schon an der Grenze… Marschner, dessen Schönberg-Platte mir imponierte, weckte (neckte) mich mit der „Havanaise“. Es gibt also eine spezifische Unterhaltungsqualität? Unnachahmbar einfach?

Wikipedia „Sukiyaki“ 1961 bzw.1963 hier / Ist dies ein Zugang zu den verkannten Alten Zeiten?

Was also ist überhaupt Unterhaltungsmusik? ZITAT:

Bei der Unterhaltungsmusik, deren Schwerpunkt (…) in der Beziehung zwischen Musik und Rezipient liegt, ist die Frage der Art der Rezeption von entscheidender Bedeutung. Durch die Art der Rezeption kann Kunstmusik zur Unterhaltungsmusik umfunktioniert werden. Diese Tatsache weist bereits auf die andersartige Voraussetzung hin, unter der Unterhaltungsmusik betrachtet werden muß. Unterhaltungsmusik ist im weitesten Sinn keine absolut zu umreißende Musikgattung, da sie durch ihre Abhängigkeit von der Rezeption die Grenzen einer bestimmten Gattung weit überschreitet.

Der Komponist, der … (siehe wie folgt)

[Anm. JR: in dem Buch u.a. „Großmütterchen“]

Quelle Irmgard Keldany-Mohr: „Unterhaltungsmusik“ als soziokulturelles Phänomen des 19. Jahrhundert / Untersuchung über den Einfluß der musikalischen Öffentlichkeit auf die Herausbildung eines neuen Musiktyps / Gustav Bosse Verlag Regensburg 1977

Eine anders differenzierte Stufe der Betrachtung findet man bei Simone Mahrenholz: Ihre

These lautet, dass ein gemeinsamer Nenner für alle eingesetzten bzw.
existierenden Musikformen in der Funktion einer (anvisierten) Transformation der
Wahrnehmung liegt. Diese impliziert eine Bewusstseinsveränderung. Alle im Text
bisher angesprochenen Musikformen haben diesen Effekt (oder dieses Ziel) – mit
unterschiedlicher Intensität und Stoßrichtung. Wie ist Wahrnehmungsveränderung
durch Musik konkret möglich? Worin ist sie situiert?
Als Material zu einer Antwort zwei Beispiele. Erster Fall: Jeder kennt Momente,
in denen man den Blick auf vorbeiziehende Landschaften, beim Autofahren (oder
Bahnfahren) absolut nicht ohne begleitendes Hören von Musik zu erleben bereit
ist. Es ist so, als ob die Realität vor dem Auto- oder Bahnfenster erst perzeptiv und
emotiv aufgeschlossen wird, erst ihre Stellung im Ganzen erhält durch die Kom-
bination mit Musik. (Einen ähnlichen Effekt macht sich Filmmusik zunutze.) Eine
plötzliche Abwesenheit der Musik demgegenüber (etwa die Aufforderung, das Au-
toradio abzustellen oder ein Stromausfall im Smartphone) kommt nahe heran an
Entzug, Krise, Schwund von Sinn und Verlust von Welt überhaupt. Was geschieht
hier? Welche zusätzliche Information zum Gesehenen liefert Musik?
Zweiter Fall: Wir alle kennen ebenfalls den (seltenen) Effekt einer Ekstase, ei-
nes extremen Glücksgefühls, oft eines Transzendierens von Raum und Zeit sowie
der Unterscheidung von Welt- und Selbst, ausgelöst durch eine ›passende‹ Musik
im ›richtigen‹ Kontext. Beide genannten Phänomene gehen oft einher mit dem
Gefühl, einer tieferen, ›realeren‹ Realität teilhaftig zu werden – ohne selbstver-
ständlich Gründe dafür angeben zu können. Es ist eine Art Anschauung, Intuition, Evidenz. Die naheliegende Frage lautet: Woher kommt dieser Eindruck des [Rezipienten,] in Begleitung von Musik anders und anderes wahrzunehmen: mehr an Realität als
sonst, eine Art Tiefendimension und Einbindung in eine Gesamtheit, verbunden
mit einer Erkenntnis, die sich verbal nicht mitteilen lässt? (Wohlgemerkt, dies ist
nicht Musik-Mystizismus, sondern die Beschreibung einer letztlich verbreiteten,
wenngleich individuell herausgehobenen Weise des Musikerfahrens.) Obwohl die
meisten Musikerfahrungen in ihrer Intensität viel weniger ausgeprägt sind und oft
ganz anders ausfallen, stellt sich die Frage: Woher rührt es? Wie ist das Beschrie-
bene möglich?
Eine Antwort hierauf liegt in der musikalischen Materialität.

Quelle Simone Mahrenholz: Musik und Begriff How to do things with music / in: Gibt es Musik? Herausgegeben von Daniel Martin Feige und Christian Grüny /Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Heft 66/2 2021 / Felix Meiner Verlag, Hamburg 2022

In meinem Zusammenhang soll der Hinweis auf die „Materialität“  und die „Wahrnehmungsveränderung“ eine erhellende Rolle spielen.

Im Gegensatz dazu ist für die „Kunstmusik“ festzuhalten, was Daniel Martin Feige mit Blick auf Adorno formuliert, und ich zitiere in aller Vorsicht: man kann daraus keine argumentative Waffe schmieden. Man muss doch den ganzen Essay lesen und vielleicht aufs neue oder immer wieder auch – den Musikphilosophen Theodor W. Adorno:

Inhalt in einem herkömmlichen Sinne haben Kunstwerke schlichtweg nicht. Das heißt nun keineswegs, dass im Fall von Romanen etwa egal wäre, was sie erzählen und im Fall von darstellenden Gemälden das, was sie zeigen. Aber es reicht für Adorno nicht zu sagen, dass repräsentationale Kunstwerke sich nicht in dem erschöpfen, was sie darstellen. Wer verstanden hat, was ein Gemälde darstellt, hat es als Gemälde noch nicht erschöpfend verstanden. Denn für Adorno ist der eigentliche Inhalt eines Kunstwerks die Spannung, die zwischen einer Form und der gesellschaftlichen Realität besteht. Just deshalb gerät das Kraftfeld des Werks durch gesellschaftliche Umbrüche in Bewegung; es kann sogar verblassen, sodass das Werk zu einem bloß noch historischen Gegenstand herabzusinken droht. Mit anderen Worten: Trotz seiner autonomen Konstitution dreht sich das Werk nicht um sich selbt; Adorno denkt Heteronomie und Autonomie des Werks zusammen. Der heteronome Zug, der nicht zuletzt darin besteht, dass ein Werk überhaupt nur ein Werk sein kann im Kontext einer gesellschaftlichen Praxis, die es ein Werk sein lässt, zeigt an, dass das Werk nicht außerhalb der Gesellschaft steht.

Und jetzt habe ich den Satz noch nicht zitiert, der ein vorschnelles, selbstzufriedenes  Kopfnicken verhindert, – da steht über das Werk und die Gesellschaft noch der Satz:

Es ist von ihrer Falschheit affiziert.

Quelle Daniel Martin Feige: Kunstmusik als Modell dialektischen Denkens / Anmerkungen zu einem Satz von Adorno / In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie / herausgegeben von Andreas Hetzel, Eva Schürmann und Harald Schwaetzer / Essay herausgegeben von Michael Hampe / Verlag frommann-holzboog AZP 47.2 (2002) [Zitat Seite 252]

Ich gebe mich damit einstweilen zufrieden und hüte mich, davon extensiv Gebrauch zu machen, ehe ich es nicht besser verstanden habe als heute. Anlässlich der Erwähnung „repräsentationale(r) Kunstwerke“ bin ich kurz zu Danto ausgewichen und fand die hier verlinkte optische Darstellung seiner Ästhetik sehr unterhaltsam. Und mit diesem Wort kehre ich später wohlgelaunt zurück zu den frühen Erlebnissen mit Schlagern oder Liedern, die der Unterhaltungsmusik zuzurechen sind. Wie gern würde ich die Liste fortführen, bis auch Namen wie Mercedes Sosa und Fernando Farinha darin Platz finden dürften…

Große Gefühle, türkisch

Wo war eigentlich der Orient? (Begegnungen)

Teheran im Lauf der Tournee April 1967

Der östlichste Punkt der „Orient-Tournee“ 1967

Istanbul 1967

Istanbul, unser Hotel & die Umgebung

Was schlimm war: fast einen Monat getrennt zu sein von der gerade erst entstandenen Familie (Marc *1.4.66). Und was malte er 5 Jahre später? Eine orientalische Stadt…

1971 1972

20 Jahre später:

Wir waren gewarnt worden: die massentaugliche Präsenz von Theodorakis würde den feinen Musiker Livaneli erdrücken. Und noch viel mehr, aus ganz anderen Gründen, wurden wir vor Ibrahim Tatlises gewarnt. Das entspreche einem deutschen Konzert in Istanbul, bei dem Fischer-Dieskau gemeinsam mit Heino auf der Bühne stehen müsste. Wir kannten das unten zitierte Verdikt von Fazil Say noch nicht. Und es hätte uns auch nicht irritiert. Ich persönlich war es gewöhnt, von Freunden, denen ich meine liebste arabische Musik vorspielte, ausgelacht zu werden. Ich wusste, dass solche Geschmackswelten nicht einfach durch gute Worte überbrückt werden können. Das „Gefühl“ spielt nicht mit. Bzw. der Schritt vom „ganz großen Gefühl“ zur Lächerlichkeit ist winzig. In der Show von Harald Schmidt wird all dies listigerweise zur Unkenntlichkeit vermengt. Man kann schlecht sagen, dass ein vor Begeisterung rasendes Publikum sich irrt. Jedenfalls nicht, wenn man Chef der Show ist. Man fühlt sich unbehaglich und weiß nicht warum…

55 Jahre später in Solingen: Konzert der Bergischen Symphoniker 7.6.22 (vorige Woche)

siehe hier

Istanbul Sinfonie beim hr mit Einführung des Komponisten Fazil Say:

Hilfe auf Youtube, wenn man Einzel-Sätze anklicken will (Helfer: Ath Samaras vor 8 Jahren)

For better accessibility: Fazil Say – Istanbul Symphony (1. Sinfonie) 00:00 Intro by Fazil Say
07:10 I. Nostalgie 17:20 II. Der Orden 21:25 III. Sultan-Ahmed-Moschee 28:55 IV. Hübsch gekleidete junge Mädchen auf dem Schiff zu den Princess-Inseln 33:10 V. Über die Reisenden auf dem Weg vom Bahnhof Haydarpaşa nach Anatolien 37:16 VI. Orientalische Nacht 44:18 VII. Finale 50:42 Applause
.
*    *    *
.

Fazil Say Wikipedia / Zitat:

Ebenfalls für heftige Diskussionen sorgte seine offen zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des in der Türkei bei bestimmten Gesellschaftsschichten populären Arabesk-Pops. Arabesk-Musik sei „eine Last für Intellektualität, Modernität, Führungskraft und Kunst“ und weiter: „ich schäme, schäme, schäme mich für das Arabesk-Proletentum beim türkischen Volk“.

Über Arabeske hier / Wikipedia über Ibrahim Tatlises hier Harald-Schmidt 1998

Wie lautet noch eine der größten menschenfreundlichen Lügen? „Ich liebe euch alle!“

Eine frühe Radio-Sendung über kulturelle Relativität; heute würde ich wohl anders herangehen:

usw. Was aber hätte ich als erstes lesen sollen?

Licht aus Indien? 1997 (Foto E.Reichow)

Wie einen seine Mutter tröstet

Werbung, Musik und Zweifel

„Die Werbung sucht zu manipulieren, sie arbeitet unaufrichtig, und sie setzt voraus, dass das vorausgesetzt wird.“ (Quelle: s.u. „Kommentar“ Video zur Penny-Werbung bei 19:20)

Süddeutsche Zeitung / Zeit der Zärtlichkeit  27./28.Nov. 2021 Seite 17 / Autor: Max Scharnigg

Alles wegtanzen!

Wunschbild Mutter

Kommentar

Trost

CORONA ?

Ja, was man

auch noch sagen sollte,

wurde von Bernd Schweinar gesagt,

bemerkenswerterweise aus dem Pop-Bereich,

heute verbreitet durch den Newsletter der NMZ (Martin Hufner):

Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten,

eine quietschfidele Selbstblockade erleben wir gerade in der Politik Deutschlands. Was die Corona-Pandemie angeht. Man möchte nicht mehr länger zuschauen. Es rappelt und ruppelt mal wieder zwischen Überbrückungsgeld, wildem Gefuchtel mit halbherzigen Entscheidungen.

Ich möchte Sie nicht zu sehr langweilen und greife deshalb auf ein Statement des hochgeschätzten Künstlerischen Leiters der Bayerische MusikAkademie Schloss Alteglofsheim und den Bayerischen Rockintendanten Bernd Schweinar zurück. Der antwortete auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur:

Kultur lebt seit jeher von der Polarisation! Ich bin groß geworden mit Themen wie Friedensbewegung und Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Bei beiden Themen haben zahlreiche Künstler:innen eindeutig und voluminös Position bezogen. Das vermisse ich in der heutigen Pandemieproblematik. Die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft beschwören vielfach nur jene herauf, die selbst die Spaltung betreiben. Kultur darf sich hier nicht einschüchtern lassen. Es geht um nichts weniger, als ein funktionierendes Kulturleben mit Publikum in der Zukunft. Und wer sich durch seine Impfverweigerung ausgrenzt bzw. Kultur damit schädigt oder unmöglich macht, den braucht die Kultur auch in Zukunft nicht mehr als Publikum! Diejenigen will ich persönlich auch gar nicht mehr in einem Konzert sehen. Zudem stelle ich die Fußballfrage auch in der Kultur. Ungeimpfte Künstler:innen brauchen unsere Bühnen nicht, weil sie diese Bühnen im Moment beschädigen! Wenn ungeimpfte Künstler:innen sich eigene Bühnen für ungeimpftes Publikum schaffen – mit eigenem finanziellen Risiko – dann sei ihnen das unbenommen.“

*     *     *     *

Und noch etwas zum Lesen, eine Kolumne von Christoph Schwennicke über den wahren Grund für das deutsche Corona-Desaster:

HIER

„Racist, Sexist“

Von der Wut

Ich habe sofort Partei ergriffen. Als alter Herr, der ich natürlich nicht sein will. Da wird gerade erzählt von einem unschönen Erlebnis: Mila, eine junge „Asian American“ bekam von einem Mitschüler zu hören, „sein Vater habe gesagt, er solle sich von Chinesen fernhalten. Sie sei Chinesin, entgegnete sie. Darauf wich er von ihr zurück. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Mila Rassismus erfuhr, und das Erlebnis beschäftigte sie so sehr, dass sie es in einem Song verarbeitete.“ (Sie war Mitglied einer Band.)

Es ist wohl klar, für wen ich Partei ergriffen habe, – aber das Gegenteil ist der Fall. Nämlich nicht für das süße kleine Mädchen, sondern für den bestimmt auch sehr süßen kleinen dummen Jungen. Wie gern hätte ich in der Umgebung der Kinder aufklärend gewirkt, wenn das nicht nach plumper Annäherung ausgesehen hätte, suspekt auf jeden Fall. Bedenken Sie: in der heutigen Zeit, wo kein Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ungestraft  Birnen verteilen dürfte!

Ein neunjähriger Junge macht die Erfahrung, dass ein gleichaltriges Mädchen nicht einfach ein nettes Mädchen ist, sondern mit einer gewissen Berechtigung (Vater!) als Chinesin bezeichnet werden könnte, – eine allerdings böse gemeinte Bezeichnung, und das Mädchen hatte noch nie davon gehört. Und nun wird die Wut des Mädchens gelobt und groß inszeniert, vermutlich halfen ihr Erwachsene dabei. Millionen haben die Lektion kapiert und geklickt. Große Emotionen kommen weltweit gut an. Darf ich nun, als alter, weißer Mann, von Toleranz und Intelligenz reden? Und dran erinnern, dass Kinder (9-Jährige sind Kinder, auch wenn man sie auf die Bühne stellt!) letztlich durch Beispiel, wachsende Denkfähigkeit und Wahrnehmungsschulung zu jungen Erwachsenen werden, die ihre Wut und Streitlust unter die eigene Kontrolle gebracht haben.

Z.B. wenn der eine das Wort „Rassist“ noch nicht kennt, aber es womöglich verdient, dann darf man auch noch „Sexist“ dazusetzen, damit die verständliche Wut noch deutlicher wird. Und vor allem die Musik in Richtung Lautstärke missbrauchen, damit man weitere Töne nicht zu entdecken braucht. Und dann vor allem eine Pressekonferenz geben, indem das eigene Seelenleben lustig als recht zerbrechlich zelebriert wird.

Man muss den Jungen weiterhin von seinem Vater lernen lassen, ihn bloßstellen, lächerlich machen, statt mit ihm zu reden, ihm etwas zum Lesen zu geben oder die Eltern miteinander reden zu lassen. Wie bürgerlich wäre das denn!!!

Man dürfte als alter weißer Mann daran festhalten, wie süß die Wut wirkt, wenn kleine Göhren sich aufregen und dies möglichst einfältig, um auf der Gegenseite Fremdscham und Beißhemmung auszulösen. Ja, das funktioniert doch!

Ich habe also die SZ relativ aufmerksam gelesen, mit einem Anflug von Wohlwollen. Aber unwiderstehlich stieg das Verlangen, ein millionenfach angeklicktes Musik-Video auch zu erleben. Bitteschön:  HIER. Oder auch eine Art Pressekonferenz: HIER.

Also gut gemacht, der Schaumschlag-Journalismus. Es wirkt. Jetzt klicken auch Sie und ich. (Die Schreiberin könnte exakt meine Tochter sein. Und ich, ich könnte exakt mein Vater sein, kombiniert mit meiner Mutter, die ständig von Vererbung sprach. Man kam nicht drauf, dass das auch etwas mit Rassismus zu tun haben kann. Oder man ergänzt es durch eine Milieu-Theorie.)

Quelle Süddeutsche Zeitung 19./20. Juni 2021 Seite 17 An alle Idioten Man kann ja nicht immer nur betroffen sein, manchmal braucht es einfach Wut, „The Linda-Lindas“ machen Kinnhaken als Musik. Von Johanna Adorján.

Guter Journalismus

Ich finde es gut, wenn ein Zeitungsartikel es fertig bringt, lesende Menschen zu bannen und zu aktivieren, und zwar so, dass sie sich nicht nachträglich schämen müssen („niedere Instinkte“!). Denn auch das gibt es, und ich muss dabei nicht auf andere zeigen. Ich glaube, dass auch die Schreiberin des Linda-Linda-Artikels dazugehört, dass sie sich nur hat überrumpeln lassen durch das bevorzugte Syndrom „mutige kleine Frau“ + „Kinder haben immer recht“ kombiniert mit den Klischees „es gibt keine primitive Musik“ + „Hauptsache Emotion“.

Möglich wäre allerdings: „keine Musik ist zu primitiv, analysiert zu werden“.

Heute 21.6.21 las ich einen Artikel in den mir täglich aufgedrängten t-online-Nachrichten über das Thema „Russland-Krieg“ vor 80 Jahren, über das ich schon genug gelesen zu haben glaubte. Ich dachte an den Bruder meiner Mutter, der an der Ostfront umgekommen ist, an die Mutter meines Vaters, die vor den Russen aus Pommern geflohen ist (wo übrigens die Nazis mehrheitlich gewählt worden waren) und vieles andere. Auch an die Russen, die ich als Kind erlebt habe, als sie in Greifswald einmarschierten („Sie sind lieb“).

Und nun der Artikel, – „Sie sind unter uns“ – , der mich veranlasste, nach weiteren Arbeiten desselben Autors Ausschau zu halten, bemerkenswert auch der zu Carolin Emcke und dem auf sie bezogenen Shitstorm. Alles HIER.

Aktuelles Oktober 2020

Notizblogzettel (Hier aufbewahren! Erinnern!)

LANZ 8.Oktober 2020 Sahra Wagenknecht / Middelhoff hier ab etwa 55′ Zur wirtschaftlichen Zukunft unserer Welt.

 ZDF Screenshot ZDF Screenshot

PRECHT & REZO

Gestern 10.10.20 nachts zwischen 23 und 24 h gehört. Würde ich auch noch mal ansehen (oder anderen empfehlen), man versteht die beiden akustisch ungleich gut. Interessante Prognosen („die Schallplatte bleibt“).

Immerhin, der im Urlaub etwas belächelte Bildband „Kunst in 30 Sekunden“ hat mich zum ersten Mal auf Artemisia Gentilleschi gebracht. (Danach kam erst der Artikel in der ZEIT). Und die Kurzbesprechung des Velasquez-Bildes „Las Meninas“ hat mich an den wunderbaren Essayband „Meisterwerke der Malerei“ herausgegeben von Reinhard Brandt erinnert, in dem genau jenes Bild von Seite 115 bis 140 tiefgehend behandelt ist (vgl. auch Wikipedia hier), und zugleich gibt es einen aktuellen oder vielmehr akuten Anlass, ein anderes Kapitel darin (über Roy Lichtenstein von Regina Prange) aufs neue zu studieren, weil es indirekt mich und andere Leuten täglich beim Einkaufen mit Kunst konfrontiert, ohne dass wir alle dieser Tatsache die fällige Beachtung schenken. Oder? Prüfen Sie sich selbst, und zwar ganz unten am Ende dieses Artikels!!! Nebenbei: Wie banal und wie brutal darf Kunst eigentlich sein? Im Alter scheint es schlimmer. Doch es ist alles eine Sache der Auslegung!

Die Bildquellen der Pop Art entstammen Zeitungen und Illustrierten mit ihren Cartoons, Werbeanzeigen und Schlagzeilen. Sie thematisieren den strahlenden Star und das Image der Jugend, die Welt des Stehimbisses und des Supermarkts, die unpersönliche Heraldik industrieller und patriotischer Insignien und nicht zuletzt der Modell-Wohnung des exemplarischen Konsumenten. Die Pop-Künstler konzentrierten sich also auf solche Motive, die das private Leben in standardisierten Formen, das Emotionale durch Konvention dirigiert, in der Warenform verdinglicht, zeigen. Die stereotype Artikulation des Gefühls oder des sinnlichen Genusses ist das Bindeglied der imitierten Trivialmythen. Lichtensteins Beitrag zur Massenkultur ist in dieser Hinsicht […] in seiner Kunst wie in seinen Selbstkommentaren, explizit. Anders als Warhol, der sich mit seinen Äußerungen in die Oberfläche der Popkultur einfühlte und sich selbst zur Kunstfigur schuf, behandelt er, der schon relativ bejahrt zur Pop Art kam, ein Magisterdiplom in der Tasche hatte und selbst lehrte, seine Arbeit fast wissenschaftlich. Die Gebrauchsgraphik und ihr schlechter Geschmack stehen ihm ein für die Gegenwart der industrialisierten Gesellschaft. Durch ihre schonungslose Bejahung in einer Art „brutaler“ und „antiseptischer“ Darstellung will er gegen die Kunst seit Cézanne opponieren, die „außerordentlich romantisch und unrealistisch geworden ist…“ Seine Sensibilität gegen das Antisensible stellt sich gegen eine „europäische Sensibilität“, welche sich „in dicken und dünnen Farbstrichen“ ausdrückt, also durch die Künstlerhand. Die Wahrheit des Cartoon liege darin, daß er „heftige Emotion und Leidenschaft in einer völlig mechanischen und distanzierten Weise ausdrückt.“ (folgende Quelle, Autorin Regina Prange Seite 249f)

Quelle Meisterwerke der Malerei / Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol / von Reinhard Brandt (Hg. und Einführung) / Reclam Leipzig 2001 (2013)

 Wikipedia hier

ZITAT (Hanno Rauterberg)

Artemisia war die Kunst, und die Kunst war sie – auch diese Botschaft spricht aus dem allegorischen Selbstporträt im grünen Seidenkleid, das sie vor leerer Leinwand zeigt. Es hatte natürlich auch praktische Gründe, das eigene Gesicht in die Gemälde hineinzumalen, damit ließen sich Kosten für teure Modelle sparen. Doch ebenso verlockend schien, das auf diese Weise die Bilder nicht nur für sich sprachen, sondern aus ihnen auch Artemisia zu sprechen schien und sich so der eigene Name gleich doppelt bewerben ließ. Erwarb ein Sammler eines ihrer Werke, konnte er glauben, so auch eines Teils der Künstlerin habhaft zu werden. Sie verkaufte, könnte man sagen, ihre Kunst und sich selbst.

Allerdings wäre das eine sehr verkürzte und sehr heutige Lesart. Denn nie gibt es bei Artemisia so etwas wie ein authentisches, ein wahres Selbst. Im 17. Jahrhundert war der Begriff des Projekts aufgekommen, die Vorstellung also, etwas entwerfen, in die Zukunft hineinplanen zu können. War man sich in den Jahrhunderten zuvor sicher, mit dem eigenen Leben nur Teil eines größeren, göttlichen Plans zu sein, war diese Idee einer göttlichen Ordnung im Barock nicht länger zu halten. In Artemisias Kunst ist das unübersehbar, sie brüskiert jedes innige Bedürfnis nach Demut. Sie verweltlich das Überweltliche und macht ihre Betrachter zu Komplizen einer Geschichte, die fast immer von einer körperlich einnehmenden, das Schicksal wendenden Tat handelt. Es sind Bilder, die von Veränderung erzählen, und sei es, dass diese Veränderung zum Tode führt.

Artemisia Gentilleschi  Wiki hier

Artikel in der ZEIT mit Rauterberg hier Britische Nationalgalerie hier

Unter dem zuletzt gegebenen Link kann man den folgenden Film finden & anschauen:

Ein Essay von Kai Köhler aus der Zeitung Junge Welt wurde mir freundlicherweise zugeschickt, enthält viele, soweit ich weiß, recht unbekannte Details zu Bartóks politischer Einstellung. Macht mich zugleich nachdrücklich aufmerksam auf die linke Tageszeitung, die mir ansonsten von Berthold Seligers lesenswerten Musikbeiträgen her bekannt war.

Bartók – Volkslied und Moderne – jw 2020 09 25

Enkel-Musik

Damit meine ich Pop-Musik, die in der Enkel-Generation im Schwang ist. Ich will wissen, was diese Jugendlichen daran fasziniert, und wenn ich mit ihnen rede, muss ich die Sachen gut kennen, um „sachgerechte“ Fragen zu stellen

Reine (extern hier ) von Dadju (über den Sänger siehe Wiki hier)

Oh oh ah, Seysey

Aujourd’hui je suis fatigué, je t’ai regardé dormir
Et si ma voix peut t’apaiser
Je chanterai pour toi toute la nuit
Je t’entends dire à tes pines-co
„Dadju, j’peux plus m’passer de lui“
Hey, tout va glisser sur ta peau
C’est comme si je te passais de l’huile
Et s’ils ne sont pas nous, c’est tant pis pour eux
Et s’ils sont jaloux, c’est tant pis pour eux
Fais-le moi savoir quand c’est douloureux
Je suis là s’il faut encaisser pour nous deux

Et je le sais, je te fais confiance
Quand tu me souris, tu fais pas semblant
J’ai pas besoin d’attendre plus longtemps
Je sais qu’il est temps d’partager mon sang
Et t’élever au rang de reine
Au rang de reine, au rang de reine
J’vais t’élever au rang de reine
Au rang de reine, au rang de reine
Oh oh ah

Je…

Oder zum Beispiel (jetzt gleich im externen Fenster) der Titel Django von Dadju

Oh, oh, ah (It’s E-Kelly)

Je veux que tu portes mon nom de famille
Mais ça prend du temps
J’ai même parlé de notre avenir à tes parents mais ils m’ont dit d’attendre
J’ai fait tout ce que ton père m’a dit mais
Il est jamais content
Et s’il décide d’être l’ennemi de notre amour il sera forcé d’entendre

Quand j’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django

Il veut nous éloigner
Donc il sort toutes sortes de foutaises
Et quand j’lui demande quel genre d’homme il te faut il me dit „comme toi mais pas toi“
Laisse-moi le calmer, il faut que son cœur s’apaise
Laisse-moi lui montrer qu’il a tort de…

Des weiteren wurde genannt:  Vossi Bop von Stormzy

Was soll ich davon halten? (Songtext Vossi Bop siehe hier)

(folgt)

Jahrelang habe ich immer wieder gern den Scherz gemacht: „Dein Geburtstag fällt dieses Jahr aus“ oder wahlweise „Heute steht es in der Zeitung: Weihnachten ist offiziell abgesagt!“  Aber dieses Jahr ja wirklich, ich habe es in der Hand, Corona-Schutz für alle verbindlich! Ich las es zwischen den Zeilen in der Zeitschrift FOLKER:

 Danke im voraus für alle guten Wünsche! Aber ich bin das nicht, ich kann das nicht sein, mein Geburtstag fällt aus! Wie das Oktoberfest, wie Halloween, – nein, kein Geburtstag und schon gar nicht dieser.

Ich (79) verbleibe erinnerungstechnisch das relativ junge Tragetaschengesamtkunstwerk im Eingangsbereich des Moarhofs in Völs Südtirol September 2020

Ausgang & Eingang (Fotos E.Reichow)