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Aus dem Alltag in Oberägypten

Dies ist kein alltäglicher Beitrag eines Reisenden im fremden Land. Man erfasst dergleichen nur, wenn man dort lebt und tieferen Einblick gewonnen hat. Manches bleibt uns ganz fremd, andere Phänomene wird man heute noch ganz ähnlich in ländlichen Gegenden Europas finden, wenn man sie zu entschlüsseln versteht. Von Dr. Hans Mauritz – wir kennen uns seit unserer gemeinsamen Schulzeit in Bielefeld – habe ich oft genug den verständnisvollen Umgang mit verschiedensten Sichtweisen erlebt. Er hat ihn beim jahrelang geübten Wechsel der liebgewordenen Umgebungen erworben: in Deutschland, Frankreich, in der Schweiz, in der Toskana und in Oberägypten. Und dieser Teil Ägyptens ist durchaus nicht zu verwechseln mit Kairo oder anderen Punkten der arabischen Welt.

Ich danke meinem alten Freund für die Überlassung dieses interessanten Textes und empfehle der Aufmerksamkeit auch seine anderen Essays, die in diesem Blog wie auch in dem letzten Link der Anmerkungen (s.u.) zu finden sind.

Der Böse Blick العين

Ein Essay von Hans Mauritz

Wer in Oberägypten (1) lebt und mit Einheimischen befreundet ist, wird recht bald feststellen, dass der „Böse Blick“ etwas ist, an das man glaubt und dessen Auswirkungen man fürchtet. Eine Umfrage, die in der Türkei gemacht wurde, ergab, dass 84% der Befragten den Bösen Blick fürchten. (2) In Syrien sind praktisch alle Menschen überzeugt, dass es dieses Phänomen gibt. (3) In Ägypten und speziell bei uns im Süden dürfte es nicht anders sein. Bekanntlich glaubt man oder hat in der Vergangenheit überall auf der Welt an den Bösen Blick geglaubt, von Mesopotamien und dem pharaonischen Ägypten über Indien, China, den Orient, Afrika und ganz Europa. Das Wort für diesen Zauber ist in allen Sprachen präsent: the Evil Eye, le Mauvais Oeil, il Malocchio. Freilich wird der Böse Blick bei uns im Westen heute selten erwähnt. Selbst wer daran glaubt, neigt dazu, sich „aufgeklärt“ zu geben und nicht zu seinem „Aberglauben“ zu stehen. Dass dies in Ägypten anders ist, hat damit zu tun, dass die Realität dieses Zaubers von der Religion bestätigt wird. Dass es den Bösen Blick wirklich gibt, bezeugt ein Ausspruch des Propheten: العين حقّ (al-‘ain haqq) , „Der Böse Blick ist eine Tatsache“. (4) Einer meiner Bekannten, von dem man weiss, dass er dem Alkohol zuspricht, verursacht einen Autounfall. Statt mit sich selbst zu hadern, sieht er den Grund in einer Ursache, die ihn selbst frei spricht: im Bösen Blick. Ein anderer erleidet gleich zwei Schicksalsschläge: seine Frau verlässt ihn und seine Lämmer sterben. Auch er identifiziert als Ursache seines Unglücks dasselbe Phänomen. Der weit verbreitete Glaube gibt ihm Recht: dem Blick missgünstiger Menschen traut man zu, Liebe und Freundschaft zu zerstören und Vieh krank werden und sterben zu lassen.

Der Böse Blick wird in Ägypten mit dem Wort عين „‘ain“ benannt, das „Auge“ heisst und zugleich das böse, neidische Auge meint. Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache übersetzt das Wort mit „the evil eye, the capacity for harming people by regarding them enviously“. (5) In der Tat wird der Neid الحسد (al-hasad) dafür verantwortlich gemacht, dass jemand einem anderen durch einen bösen Blick Leid zufügt. Deshalb wird dieser auch عين الحسد oder عين الحسودة (Blick des Neides) genannt. Wer ein kostbares Objekt, ein wohlgenährtes Tier oder ein schönes Kind mit Bewunderung und Neid anschaut, kann bewirken, dass die Vase zerspringt oder das Tier oder der Säugling erkrankt und stirbt. المحسودين „al-mahsûdîn), die „Beneideten“ und Opfer des Bösen Blickes, sind meistens Personen in ganz bestimmten Lebenssituationen. Schwangere und Wöchnerinnen sind gefährdet oder Brautleute im Moment ihrer Hochzeit. Sein Glück und seinen Erfolg, seinen Reichtum oder seinen sozialen Rang zu zeigen, kann riskant sein. Es empfiehlt sich, besonders Wertvolles zu verbergen. In Anwesenheit „verdächtiger“ Personen sollte man seine teuren Kleider und seinen Schmuck nicht tragen und nicht mit seinen Kindern und deren Schönheit prahlen.

Zu den Situationen, in denen Vorsicht geboten ist, gehört das Schreiten über eine Türschwelle (dort könnte ein böser Zauber versteckt sein) oder die Begrüssung und Verabschiedung von Gästen: unter sie könnte sich ein Unbekannter mischen, der von Neid und Missgunst angetrieben ist. (6) Auch unter den Neidern, الحاسدين “ (al-hâsidîn), den Verursachern des Bösen Blickes, gibt es besondere Kategorien. Man erkennt sie an ihrem Äusseren, weil sie blauäugig, einäugig sind oder schielen. Man verdächtigt Frauen, deren Körper behaart ist, oder Männer, die umgekehrt erstaunlich unbehaart sind. (6) Wenn eine Frau ein Jahr nach ihrer Hochzeit immer noch nicht schwanger ist, fürchtet man, dass sie Opfer des „al-‘ain“ ist. Sterilen und unverheirateten Frauen traut umgekehrt man zu, andere mit dem Blick des Neides zu schädigen oder eine Hexe oder einen Zauberer damit zu beauftragen. Eine junge Frau, die mehr als 20 Jahre alt ist, kann bereits als „alte Jungfer“ gelten und beargwöhnt werden (7).

Wer arm und benachteiligt, ein Versager ist, wessen Kinder keinen sozialen Aufstieg schaffen wie die Kinder seiner Nachbarn, wird gemieden, weil man seinen Neid und seine Rache fürchtet. Der neidische Blick kann absichtlich erfolgen, aber auch ungewollt und unbewusst. Wir Fremden in Ägypten sollten vorsichtig sein. In Europa ziemt es sich, fast überschwenglich zu loben und zu bewundern, was man im Hause seiner Gastgeber sieht. Im Umgang mit Ägyptern sollte man dabei eher zurückhaltend sein, die Schönheit der Kinder eher verhalten bewundern, ebenso die Kleider und die Ausstattung der Wohnung. Wenn man mag, kann man dabei, wie dies Ägypter tun, ein „al-hamdu lillah“ (Allah sei Dank) oder ein ما شاء الله „was Gott gewollt hat“ einfliessen lassen, Segenswünsche, welche die magische Wirkung ausser Kraft setzen. Der Prophet hat diejenigen getadelt, die ihre Bewunderung ausdrücken, ohne Allah zu preisen und ohne ihn zu bitten, den Angesprochenen zu segnen. Uns Fremden fällt auch auf, dass Ägypter auf die Frage, wie es ihnen geht, oft einfach mit „al-hamdu lillah“ antworten, ohne kundzutun, wie prächtig es ihnen gut geht. Der Böse Blick ist eine der Erscheinungsformen des bösen Zaubers, vor dem man sich zu hüten hat. Wer anderen Böses will, kann dies selbst bewirken oder eine „professionelle“ Hexe oder einen Zauberer beauftragen. Die Opfer sind dieselben wie beim Bösen Blick. Eine Braut macht ihre Hochzeitstoilette bei einer Nachbarin, weil sie das schlimme Geschick fürchtet, das ein Neider bei ihr zuhause vorbereitet hat. (8) Wer sich in eine Frau verliebt, die bereits verheiratet ist, kann durch Zauber einen Zwist heraufbeschwören, der zur Scheidung führt. Wer einen Mann beneidet, kann dafür sorgen, dass er impotent wird oder sein Geschlechtsteil zu einem weiblichen wird und er seiner Frau nicht mehr beiwohnen kann . Wenn Zauberer und Hexen Haare, Nägel oder einen Fetzen von deinem Kleidungsstück in ihren Besitz bringen, können sie damit Macht gewinnen über dich. Ihre Praktiken gehen soweit, dass sie einen frisch Beerdigten ausgraben, seine Haare oder seine Nägel, seine Leber oder bestimmte Knochen an sich nehmen, um sie für ihre schwarze Magie zu gebrauchen. In Siwa gab es noch in neuerer Zeit die Gewohnheit, an solchen Gräbern Wachen aufzustellen (9).

Dem Bösen Blick und der Hexerei begegnet man mit vielfältigen Massnahmen. Die Kinder kann man mit einem Namen rufen, der gar nicht ihr wirklicher Name ist. Wir alle kennen Ägypter, die eigentlich anders heissen als sie genannt werden. Diese Verbergung des wahren Namens erinnert uns an ein berühmtes Märchen, dessen Hauptfigur sich freut: „Ach, wie gut, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Nach dem Besuch einer verdächtigen Person kann man das Haus ausräuchern mit Weihrauch oder speziellen Gewürzmischungen. (10) Vor dem Hauseingang werden Zwiebeln aufgehängt, in der Kleidung von Kindern oder im Schleier der Frauen Fenchel versteckt. Beim Betreten der Toilette murmelt man eine Beschwörungsformel, weil man glaubt, dass Dschinnen oder der Satan selbst sich gerne dort aufhalten. Ähnlich beliebt sind bei ihnen unbewohnte Häuser und Wohnungen. (11) Wenn ich von Reisen zurückkam, habe ich selbst erlebt, dass man während meiner Abwesenheit das Radio laufen liess, welches das Koranprogramm ausstrahlte. Vor allem schützt man sich durch Amulette, die gegen den Zauber wirksam sind. Beliebt sind solche in Form eines Auges oder einer Hand, die nach Fatima, der jüngsten Tochter des Propheten benannt ist. Die „blauen Augen“, auch „Nazar“ genannt, heftet man vor allem Kindern an die Kleidung, aber sie hängen auch an Schlüsselanhängern oder am Rückspiegel von Taxis. In Touristengebieten sind diese Gegenstände zu beliebten Souvenirs geworden. Mit in Henna getauchten Handflächen bestreicht man Wände und Hauseingänge. Die Henna-Farbe wird gewöhnlich benutzt zum Schmuck der Braut und der Hochzeitsgäste, weil man ihr „baraka“ (Segenskraft) und Hilfe gegen Magie zuschreibt. Fromme Muslime lehnen oft solchen Gegenzauber ab, weil sie ihn für شرك „shirk“ (Götzendienst, Aberglauben) halten. Sie schützen sich mit den Mitteln, die ihnen die Religion zur Verfügung stellt: Nach der Geburt eines Kindes lässt man einen Scheich kommen, der dem Säugling den islamischen Gebetsruf ins Ohr flüstert. Man rezitiert die „Sure des Frühlichts“ auf, welche lautet: „Ich suche beim Herrn des Frühlichts Zuflucht vor dem Unheil, das ausgehen mag (…) von einem, der neidisch ist.“ (12) Man sagt islamische Segensformeln auf, betet und verharrt in stillem Gedenken an Allah, wie dies die Derwische tun (13). ————————————————————————-

Anmerkungen

Wikipedia : „Der Böse Blick“; „Le mauvais oeil“; „Hand der Fatima“; „Nazar-Amulett“

(1) Zum Geisterglauben in Oberägypten vgl. Elisabeth Hartung, „Die Geister sind überall“, Leben in Luxor.de Autorenforum

(2) Laura Hindelang, „Das Nazar-Auge und der Mythos um den Bösen Blick“ (stern.de)

(3) Gebhard Sebastian Fartacek, „Unheil durh Dämonen (..) Eine sozialanthropologische Spurensuche in Syrien“, 2010, Böhlau Verlag

(4) „Le mauvais oeil“, openedition.org

(5) Martin Hinds/ El-Said Badawi, A Dictionary of Egyptian Arabic“

(6) und (7) Gebhard Sebastian Fartacek, s.o.

(8) und (9) Fathi Malim, „L’Oasis de Siwa vue de l’intérieur. Traditions, coutumes et sorcellerie“, Al Katan, Le Caire 2003

(10) Fartacek, s.o. (11) Fathi Malim, s.o. (12) Fartacek, s.o.

(13) Zum „stillen Zikr des Herzens“ und dem lauten Zikr der Derwische vgl. Hans Mauritz, „Allahs Namen nennen. Zikr , Sufi-Rituale in Oberägypten“, Leben-in-Luxor.de Autorenforum.

Fatma Said aus Ägypten

Ein anderes Bild der Sängerin bilden

(Foto: Film NDR s.u.)

„Wie sie sich als künstlerische Vermittlerin zwischen Morgen- und Abendland versteht…“

Die bemerkenswerte NDR-Sendung DAS! über das Singen HIER , die CD hier

Dagegen die dümmliche Sendung bei BR-Klassik (in derselben Art auch mit anderen Gästen, die vielleicht weniger Schaden nehmen, wie z.B. Anne Sophie Mutter) hier – krasse Fehlversuche, der Klassik ein pfiffiges Publikum zu erschließen –  welches denn???

Ägyptisches Volkslied (inmitten eines Interviews mit Rolando Villazon) hier von 1:28 bis 2:10, separat hören!

Verlauf der Sendung DAS! :

Über das Einsingen 1:55 „reden ist schädlicher als singen“ /ab 3:26 querbeet Tango usw. deutsche Schule 4:40 Sprachen Musikunterricht klassisch (!), katholische Nonnen, Muslime + Christen, alle gemeinsam, selbstverständlich, Chor, Gottesdienste, Jugend musiziert, mit 13 Stimme entdeckt, Gesangsausbildung, dann Berlin 10’00 Faltin Meisterkurs / kannte also mit 18 schon die deutsche Kultur / Eltern (!) / 12:40 / 23:20 live „Widmung“ 15:28 / Was begeistert dich am Lied? / Musik mit Freunden / 18’45 Daniel Hope / Musikmachen ohne Konkurrenzdenken / 20:45 über Kopten in Deutschland Anba Damian „Älteste Kirche der Erde“ 22:35 in Kairo mit Fatma Said  „lieb gewonnen“ / 23:09 Umm Kulthum (!) Einspieler sehr kurz / „wir haben keine Probleme mit Menschen, sondern mit Ideologien“ 23:54 F.S.: „sehr kurze Zeit in Kairo zusammen“/ Wie betrachten dich die Ägypter? / auf der Bühne bei Eröffnung der Ausstellung in Gizeh 26:27 westl. Orchester, klass. Kadenz / wie „Brücken bauen“? FS „auch viel meine Musik, also die ägyptisch-arabische“ 28:00 sie verallgemeinern „die Musik“ als gemeinsame Sprache 29:30 Chorarbeit (extra Beitrag) Forts. Fatma 33:18 Tennis, Sport, Sprachen lernen / MODERATOR Hinnerk Baumgarten

F.S. singt bei Opus Klassik Gala 2021 ein arabisches Lied (melod.Sequenzen), jazzig-europäisch aufbereitet, jedoch mit „echter“ Nay-Flöte. HIER

ABER: gelingt es, ein arabisches Werk mit ihr zu finden, das arabische Intonation berücksichtigt (neutrale Terz), das also wirklich etwas nach Umm Kulthum klingt und eine andere Ästhetik andeutet? (Nein!) – Es sind nur Istrumente, die die „andere“Musik repräsentieren sollen (Ney-Flöte, Qanun). Mehr zu den Schwierigkeiten mit arabischer Musik siehe HIER.

https://www.youtube.com/watch?v=RmJxB6i20WU hier

unten: F.S. erwähnt (bei 3:05) kurz Abdul Wahab, um dann sofort überzugehen zu Frank Sinatra. (?)

Foto: Andrea Artz für DIE ZEIT

Wie kann das sein, dass meine Lektüre sofort lauter Vorurteile weckt. Man sieht es doch: sie ist zu schön, zu mädchenhaft fragil für „das deutsche Kunstlied“, und wie will die Rezensentin denn das entdeckt, erlebt haben: im ICE-Großraumwagen aus dem Handy eines jungen Soldaten, ausgerechnet in den ersten Takten des „Ständchens“ ???

Natürlich, der Name und das Wort Ägypterin lösen bei mir ganz andere Erwartungen und Zweifel aus, sie könnte auf diese Weise gar nichts erlebt haben, was nicht irgendwie lachhaft wäre, „Läuse flöhen moine Lüder“, spotteten wir früher. Albern, ich war durchaus bereit, das Vorurteil zu korrigieren, höre alsbald die Aufnahme auf Youtube, „getupfte Achtel im Klavier, lauter kleine Unruhegeister“, dann Gesang und sage zögernd „das ist zu tief, ja, alles zu tief, die Intonation stimmt nicht!“

Und dann beschließe ich doch, alles zu hören, was ich erreichen kann, und weiß nach weiteren Titeln zumindest: „Alles blitzsauber!“ Erstaunlich, manches auf der Espressivo-Grenze, ja, genau was die Rezensentin zu meinen scheint, wenn sie sagt (im Anschluss an die Goethe-Worte „Der Liebende schreibt“) : „Fatma und ihr Pianist Joseph Middleton machen daraus eine Briefszene, ein heimliches Über-die-Schulter-Gucken, ein In-fremden Tagebüchern-Wühlen. Fast erschrickt man übers eigene Zuhören, über so viel Intimität.“ Ich ertappe mich dabei, wie ich während Schuanns „Widmung“ das Mienenspiel des Begleiters beobachte, ob es nicht zu weit geht und dämpfe vorsorglich die eigene Empathie.

(Das Gedicht ist eigentlich nicht gut, es lebt nur durch Schumann, weil es so gesungen wird!)

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn’, o du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab.

Du bist die Ruh, du bist der Frieden,
Du bist vom Himmel mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich mir wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt,
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein beßres Ich!

Text: Friedrich Rückert

Wunderbare Ambivalenz:

Die drollige Aufmachung der Herren entspricht wahrscheinlich der gewagten Situation: sie kommen zu ungelegener Nachtzeit, trauen sich aber nicht ganz… Schöne Unlogik: Die, der das Ständchen gilt, singt selbst (?) die Hauptstimme.

Der erste Ton der Sängerin gelingt nicht ganz, und dann geht es unbeirrbar seinen Gang, vielmehr: es mäandert harmonisch, wie ein Spiel beim Kindergeburtstag. Unglaublich!

Musik: Franz Schubert D 920 Text: Franz Grillparzer

Ständchen

Zögernd, leise,
In des Dunkels nächt’ger Hülle
Sind wir hier;
Und den Finger sanft gekrümmt,
Leise, leise,
Pochen wir
An des Liebchens Kammertür.

Doch nun steigend,
Schwellend, hebend,
Mit vereinter Stimme, laut,
Rufen aus wir hochvertraut:
Schlaf du nicht,
Wenn der Neigung Stimme spricht.

Sucht ein Weiser nah und ferne
Menschen einst mit der Laterne,
Wie viel seltner dann als Gold
Menschen, uns geneigt und hold.
Drum wenn Freundschaft, Liebe spricht,
Freundin, Liebchen, schlaf du nicht.

Aber was in allen Reichen
Wär dem Schlummer zu vergleichen?
Was du hast und weißt und bist,
Zahlt nicht, was der Schlaf vergißt.
Drum statt Worten und statt Gaben
Sollst du nun auch Ruhe haben,
Noch ein Grüßchen, noch ein Wort,
Es verstummt die frohe Weise,
Leise, leise
Schleichen wir uns wieder fort.

Dort wo die Befürchtung aufkommen könnte, dass statt einer lyrischen Vision ein dramatische Szene entstehen könnte, ist eine solche Innigkeit – Innerlichkeit -spürbar, dass man erleichtert aufatmet. Ich glaube, da gehört etwas Wesentliches zum Liedgesang, das anderen Sängern und Sängerinnen durch die Oper verlorengeht. In dem wie folgt verlinkten Blogartikel habe ich mich damit auseinandergesetzt: HIER (Altherrentraum). Und innerhalb desselben „Altherrentraums“ kann man auch zu Elly Ameling wandern, dort ebenfalls eine unvergessliche Version des Schumann-Liedes „Widmung“ finden. Es gibt nicht so viele Beispiele in der Geschichte des Liedgesangs, und die von Christine Lemke-Matwey genannten Lucia Popp, Margaret Price gehören eher nicht dazu, Elisabeth Grümmer sehr wohl, aber auch Barbara Bonney könnte man hinzufügen. Ich finde folgende Zeilen im großen ZEIT-Artikel noch aufschlussreich:

In wenigen Worten flammt da das Grundproblem der ausübenden Künstler:innen auf, das unter dem Begriff „Diderots Paradox“ schon vielfach diskutiert worden ist, ohne deshalb in der Praxis der Hochschulen präsent zu sein. Fatma Said beschränkt sich auf die Vorstellung einer unendlichen Intensivierung der Emotionen. Das kann scheitern, ist jedenfalls gefährlich an der besagten Grenze. In dem Artikel ist das genau benannt, und der relativierende Einschub von den „tantenhaften Ratschlägen“ (leicht zu ergänzen durch meine onkelhaften) ist nicht von ungefähr. Bei Wunderkindern gelten sie dem drohenden Verlust der Naivität.

Ich erinnere mich an die peinlich überinterpretierten Deutschen Volkslieder von Brahms in der frühen Aufnahme mit Fischer-Dieskau und Schwarzkopf. Andererseits denke ich keinen Moment an „wohlig durchgenudelte Phrasen“, wenn ich mir den Frevel eines allzu pathetisch aufgeladenen Kunstliedes vorstellen soll. Es ist die Glaubwürdigkeit, die beim Zuviel-Wollen auf der Strecke bleibt. Das richtige Maß ist gerade in dem Lied „Widmung“ zu erleben, und zwar auch in dem Anflug einverständigen Lächelns, das sich von der Sängerin auf den Begleiter überträgt oder von diesem zurückstrahlt: daran ist (scheint) nichts auf das Publikum oder die Kamera berechnet. Die Worte „Resonanz“ oder „erlebte Empathie“ wären nicht zu groß dafür. Der Pianist Joseph Middleton ist der ideale musikalische Partner.

Für die Dauer eines Liederabends versuche sie, die Gefühle von Dichtern und Komponisten zum Leben zu erwecken, sagt sie, mit Worten und mit Tönen zu erfühlen, was diese gefühlt haben: „Das ist etwas Heiliges, ganz Magisches.“ Sie sei eine sehr emotionale Sängerin. Ihre Technik, die Kehle, der Hala würden ihr das nicht immer danken.

Und Christine Lemke-Matwey stellt die Frage: Was ist Liedgesang?

Fatma Said antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Eine Person steht auf einer Bühne und erzählt Geschichten.“ Klingt simpel, und wenn’s nicht so kompliziert wäre, stimmte es sogar. Wobei die Ägypterin gerade das Komplizierte, das Vielschichtige an der Versuchsanordnung „Lied“ begeistert.

Die Ausdrucksweise gefällt mir. Ich denke daran, wie ich mich seit Studienzeiten damit abgeplagt habe nachzufragen, wer in der Lyrik und im Lied eigentlich zu uns spricht: man erklärte uns – es ist „das lyrische Ich“, nicht identisch mit dem sprechenden Subjekt, nicht mit dem Autor, – ist es der singende Mensch, der eine Situation imaginiert? Daher der eigenartige Gesichtsausdruck, der visionäre Blick, das grundlose Lächeln, das Staunen… Es ist das Glück der Kreativen.

Da unten im Tale
Läufts Wasser so trüb,
Und i kann dirs net sagen,
I hab di so lieb.

Sprichst allweil von Liebe,
Sprichst allweil von Treu,
Und a bissele Falschheit
Is auch wohl dabei.

Und wenn i dirs zehnmal sag,
Daß i di lieb,
Und du willst nit verstehen,                                                                  muß i halt weiter gehn.

Für die Zeit, wo du g’liebt mi hast,
Dank i dir schön,
Und i wünsch, daß dirs anderswo
Besser mag gehn.

Unerhörte Zeichen von Rainer Prüß

Eine Ahnung

Typisch ist es, – wenn man dieses Heft aufschlägt -, man ist gebannt und hat doch keine Ahnung, was einen sonst noch erwartet, wenn man weiterblättert: es sind eben Denkzettel, genauso fesselnd in den Bildern wie in den Texten. Ich habe dieses ausgewählt, weil es Verbindung zu meiner Vergangenheit mit arabischer Musik aufzunehmen scheint. „Luft von anderem Planeten“, wie bei Schönberg. Ich hätte aber gleichermaßen auf das Innere einer Tiefgarage oder auf eine Spielzeuglokomotive treffen können: immer bin ich jeweils mindestens 10 Minuten beschäftigt, ohne dass mir die Zeit lang wird. Das ist Rainer Prüß. Ich bin ihm dankbar, dass ich hier eine Kostprobe wiedergeben darf.

Natürlich gilt das © -Zeichen vor Rainer Pruess. Und es ist nicht das erste Mal, siehe z.B. hier. Oder geben Sie seinen Namen in die „Suche“ rechts oben ein, auch mit -ss statt -ß. Es lohnt sich. Und – Achtung! – die beste Ansicht haben Sie im Computer, nicht im Handy, wo die beiden an sich nebeneinander stehenden, zusammenhängenden Seiten auseinander treten und untereinander rücken…

Der Denkzettel macht Lust, in den Koran zu schauen, wenn nicht dessen Schriftzüge auf deutsch gar so prosaisch ausssähen:

Jetzt müsste ich noch den arabischen Text finden… Oder verstehe ich auch so, was Rainer Prüß recht deutlich beschreibt? – Ich entdecke: am oberen Rand habe ich mangelhaft kopiert:

wie konnte mir das entgehen??? Und ich glaube verstehen zu können, was er mir allgemein über Schriftzüge erklärt? Schriftzeichen! Ich muss besser sehen lernen, das ist klar. Und immerhin habe ich eine ganze Weile über den Blickwinkel des Windmühlenfotos sinniert.

Da ist das ehrwürdige Buch, – werde ich darin, wenn ich es „von hinten“ angeblättert habe, nach der Einleitung überhaupt die erste Sure identifizieren können? Und wer sagt mir überhaupt, mit welchem Text die Inschrift an der alten Moschee-Wand beginnt. Immerhin, der Schriftzug, der Allah bedeutet, müsste auch hier zu erkennen sein, wenn mich Rainer recht geleitet hat…

 

Freund Mauritz aus Luxor hat mir weitergeholfen:

„Die Inschrift befindet sich offenbar an einer Moschee. Der Text ist nicht aus einer Sure, sondern nennt einige der 99 Namen Allahs (= al-asmâ‘ al-husnâ), darunter die Liebe, der Grossartige, der Barmherzige, der Erbarmer.“

aus: s.u.Wiki Aklar1

Den Bericht über „Gottes schönste Namen“ findet man hier, über die Yeni Cumi Moschee ebenfalls in Wikipedia , von dort stammt auch der folgende Blick in die Kuppel (Foto Erol Gülsen):

Noch etwas anderes fiel mir inzwischen auf, und zwar anlässlich der Schrifttype, in der leicht leserlich der „profane Denkzetteltext“ gesetzt ist, genannt „Rotis“, – nach dem Schweizer Wohnort des Erfinders Otto Aicher. Der unbeirrte Blick ins Wikipedia-Lexikon zeigt jedoch, dass dieser interessante Mann in einem urdeutschen Dorf bzw. Weiler gewirkt hat, Rotis, – heute ein Ortsteil von Leutkirch im Allgäu.

Was mich im neuen Denkzettel besonders beschäftigte, war das wunderschöne Foto einer gewundenen Treppe von etwa 50 Stufen; in geheimnisvolles Dunkel getaucht, hinauf an dem Steilufer eines Flusses, scheint sie dort oben auf eine Altstadtpromenade zu führen; ins Auge fällt jedoch die genau hier aufgestellte blaue Europafahne mit dem Sternenkranz. Bezeichnet sie eine Landesgrenze? Entrevaux, Alpes-de-Haut-Provence, verrät das Inhaltsverzeichnis. Nie gehört. Wikipedia bietet die folgende, ganz andere Perspektive des Städtchens von oben.

Foto: Wikipedia (s.o.)

Foto: ©Rainer Pruess

Merkwürdigerweise inspiriert den Freund gerade der andere eindrucksvolle Blick: mit der winzigen Europafahne am Ziel eines beschwerlichen Weges, den wir vielleicht entspannt und bezaubert betrachtet haben, zu einem politischen Text, der die Vision eines künftigen Europas beschwört. Was mich wieder einmal auf die überraschenden Koinzidenzen verweist, die sich jetzt durch den weltweiten Umbruch der Machtausübung häufen und jede selbstbezogene beschauliche Versenkung in Kunst, Musik, Natur unterminieren. So auch, bei Rainer Prüß in graphischer Verdichtung, – der europäische Gedanke.

Wann habe ich das zum Thema gemacht: Sobald man das Individuum hervorhebt, ist es ein notwendiger Schritt zu bedenken, dass kein Individuum für sich allein existiert. Das war hier. Und gleich danach das Stichwort GEMEINWOHL aus dem Lexikon der Philosophie, das war im November 2021.

Und zuletzt am 7. März dieses Jahres bei der Lektüre der neuen ZEIT und eines Artikels von Harald Welzer hier.

Das nenne ich Koinzidenzen. (Zitat) In Zeiten der Verunsicherung, in denen sich private Ungewissheiten und eilige Vergewisserungen untrennbar mit politischen Bewegungen und Bedrohungen zu verquicken scheinen. Wie nie vorher in 70 Jahren.

Oder bei Rainer Prüß zu Europa s.o.: Föderalismus heißt kenntnisreich regional handeln und für das Ganze gemeinsam denken. (…) „Gemeinsam“ setzt Einzelne voraus, die sich zusammentun.

So einfach ist das.

Händel hören

DER MESSIAS

So schön und ergreifend habe ich das Werk wohl noch nie gehört. Ich habe es sehr oft als Geiger  mitgespielt, und – abgesehen von vielen Kostbarkeiten – als furchtbar anstrengend empfunden, vor allem als viel zu lang. Jetzt haben wir es zu Silvester nach der Knallerei um 0:00 bis etwa 2:00 (bis zum Hallelujah) gehört, ohne Ermüdungserscheinungen, einfach mit Begeisterung und guten Erinnerungen. Man darf halt nicht an die Passionen von Bach denken, dessen Originalität in jedem Takt greifbar bist. Er komponiert „dichter“, was nicht bedeutet, dass Händels flächige Formen leer und phrasenhaft sind. So eilig er komponiert hat, für ihn gilt: Er hat Zeit und verlangt von uns: ZEIT. Ermüdungserscheinugenn einzelner Geiger interessieren ihn nicht.

Chor accentus und Insula Orchestra unter der Leitung von Laurence Equilbey

Solisten sind der englische Tenor Stuart Jackson, der amerikanische Bass Alex Rosen, der polnische Countertenor Jakub Jozef Orlinski und die französische Sopranistin Sandrine Piau.

Aufzeichnung vom 01. April 2024 beim Osterfestival in Aix-en-Provence.

Verfügbar bis 3.4.25

https://www.arte.tv/de/videos/119039-000-A/georg-friedrich-haendel-der-messias/

HIER ab 54:25 Zweiter Teil

darin ab 112:05 Thy rebuke hath broken His heart

das Rezitativ, das mich früher schon am meisten erschüttert hat. Ungewöhnlich und stark, die Intensivierung durch bloße Text-Wiederholung: „Er schaute umher, ob ein Mitleid sich regte: aber da war keiner, da war auch nicht einer, zu trösten ihn.“ Leicht gesagt, dass es wieder einmal die Wirkung eines „Neapolitaners“ und die (ungefähre!) Sequenzierung der Melodielinie ist, die für Wirkung sorgt, – es ist auch der Mut zur Einfachheit, der uns anrührt, gerade wenn wir an Bachs Koloraturen zu „und weinete bitterlich“ denken.

Aber hören Sie doch auch vorher die Chorfuge bei 1:06:55, zu deren Thema ich an anderer Stelle ähnliche Themen aus Bach und Mozart zusammengestellt habe (hier).

Ach, und viel früher: lassen Sie sich nicht die unglaubliche Alto-Arie entgehen, die mit Langeweile anzuheben, sich in kleinteiligen Wiederholungsmotiven zu verzetteln scheint, bevor ein pathetisch ausladender Melodieteil die Wahrheit sagt, „er ward verschmähet, verschmähet und verachtet“, und in dem erregenden Geißelungsmotiv der Streicher tritt die offene Agression hervor, man vergisst es nie mehr ! Ab 00:57:00 !

Unglaublich die Steigerung zum Schluss, hin zum „Hallelujah“ (1:31:06), in attacca genommenen Übergängen, während die Solisten ans stimmliche Limit gehen, mit offenbar gewollten Druckmomenten, um uns in dem berühmten Jubelsatz in erstaunlicher Gelöstheit und einer nicht forcierten Erlösungsgewissheit zu entlassen.

Wir sind bereit für eine weitere halbe Stunde, die mit einer überirdischen Arie beginnt: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet“ – „I know that my Redeemer liveth“.

Ich rede fast wie ein Christ und bin doch sicher, dass man auch ohne bibeltreuen Glauben mit solcher Musik vollkommen glücklich sein kann. Vollkommen.

ZARLINO oder wie die Welt…

… wie die Welt des Wissens sich verändert hat

Besitzergreifung mit gerade 14 Jahren – Lesespuren

Was davon habe ich verstanden und behalten ??? Ohne die Musik hören zu können – oder zu vermissen?? Zarlino hier und dort in einer Reihe neuer Namen… Aber heute stehen fast alle in meinem Bücherschrank, abgesehen von Glarean und Zacconi. Im Zeitalter des Internets hätte ich nicht einmal der Nachschlagewerke Riemann (alt und neu), Groves (zweimal), MGG (alt und neu) bedurft, deren Anschaffung sich über „meine“ Jahrzehnte verteilt.

Zarlino 1573

Nun stellt sich heraus, dass niemand, der dieses Werk nicht besitzt, unglücklich sein muss. Denn er kann darüber im Internet nachlesen, ja, er kann es insgesamt digital durchblättern, nämlich hier.

Damit nicht genug: er/sie kann es ingesamt in deutscher Übersetzung abfragen, und zwar hier. Im Folgenden sehen Sie als Beleg nur ein Teil der Inhaltsangaben (Weiteres siehe an Ort und Stelle):

Gibt es auch Musik von Zarlino zu hören?

Wer war Jürgen Becker?

1964

Das Buch habe ich erworben, nachdem ich, aus Berlin kommend, nach Köln-Niehl gezogen war, gewillt, in der Domstadt richtig Fuß zu fassen, zumal mir das in Berlin nicht besonders gelungen war. Etwa so wie Jürgen Becker sein engeres Umfeld in dem Buch „Felder“ bestätigte und durch gute, wirklichkeitsnahe, bewusst ausdruckslose Sätze dokumentierte, so wollte ich es auf meine Weise tun. Und aus welchen Gründen auch immer – ist es mir nicht gelungen, vielleicht weil ich sonst keine Vorbilder hatte außer Benn, Proust und Musil. Und keine Heimat in Köln. Oder richtiger: weil ich die Musik hatte, die Instrumente, und zwar mit der Dauerforderung: Du sollst üben! Und zwar in Richtung virtuose Technik. Und vor allem: nie ausdruckslos.

Jürgen Becker in Wikipedia hier. † 7.11.24

Erst nach 60 Jahren diese Wiederbegegnung, absichtsvoll.

6.12.2024

Ein wunderbares Buch. Er ist nie zu spät! Dank an JMR.

Jürgen Giersch

50 Jahre sind vergangen

Hamburg 1974 (2024)

(Blick in die Ferne – ein Trost nach dem Beinbruch)

Wer ist Jürgen Giersch?

Es ist schön, den ganzen Formenreichtum vorüberstreichen zu lassen, der im Laufe eines Lebens entsteht, Bild für Bild, sehenden Auges und in der Imagination versunken. Zurückkehrend das eine Bild zur Wirkung aufsteigen zu sehen, von dem du ausgegangen bist und bei dem du verweilen möchtest. Ein Stück Welt als Abbildung, die zu dir spricht und keiner Worte bedarf. Es hat Ähnlichkeit mit einem differenzierten Klang. (JR)

Mysterien des Dionysos

Immer wieder muss ich darauf zurückkommen, zuletzt war es hier, auch wenn der Artikel auf ganz andere Themen auszuweichen scheint.

Ein neuer Blick auf Pompeji

Heute würde ich das bewunderswerte Buch von Zuchtriegel zum Ausgangspunkt für einige zusätzliche Erkundungsreisen ins Internet verwenden.

Quelle: Wikimedia Wolfgang Rieger 2009

https://de.wikipedia.org/wiki/Mysterienvilla hier

Quelle des folgenden Zitates siehe im nachfolgenden Wiki-Link:

Friedrich Nietzsche hat mit seiner Unterscheidung zwischen dem dionysischen und dem apollinischen Prinzip in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik einen wichtigen – im Einklang mit den antiken Denkern stehenden – wenn auch zu seiner Zeit kontroversen Beitrag zur Deutung des Dionysoskultes wie des Theaters geleistet. Unter dem apollinischen Prinzip versteht er das Prinzip der Individuation; das entgegengesetzte dionysische Prinzip ist daher nicht das Aufgehen des Einen im Vielen, sondern umgekehrt das Aufgehen des Vielen im Einen. Wenn also zum Beispiel Heraklit sagt:

Alles ist eins, so ist das dionysisch. Folglich kommt Nietzsche zu dem Ergebnis: Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen den Menschen wieder zusammen, auch die entfremdete und feindlich unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest ….

Dieser Rückblick auf Nietzsches frühes Werk kommt meinen autobiographischen Neigungen sehr entgegen. Zumal wenn ich den spannenden Artikel über den Dionysos-Kult studiere und einen riesigen Horizont wahrnehme, von dem ich in den 50er Jahren nicht die geringste – oder nur eine ganz dunkle Ahnung hatte, dank Nietzsche (und seinem Wagner):

hier

Quelle: Wiki a.a.O.

Nicht sicher, ob es einen nach so vielen Jahren in einer großen Ekstase heilt. Oder letztendlich zerreißt. Vielleicht etwas weniger spektakulär als Pentheus.

Zeitungsmeldung t-online am 26.02.25 Hier https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/wissen/geschichte/id_100613256/spektakulaerer-fund-in-pompeji-riesiges-fresko-freigelegt.html

Das Wandgemälde erstreckt sich über drei Seiten des Raums und zeigt eine Prozession mit fast lebensgroßen Figuren zu Ehren von Dionysos, dem griechischen Gott des Weines. Die vierte Seite des Saals war offen und führte in einen Garten.

Zurück zur Natur, bloß nicht!

So ganz nebenbei lässt man das gern einfließen und meint es doch nur in einem klar begrenzten Bedeutungsbereich.

Etwa in einem ökologisch ausgeglichenen, harmonisch funktionierenden Bereich der Natur. Wo das Fressen und Gefressenwerden einander die Waage hält. „Von selbst“. Aber doch nicht unter den Menschen. Als Krieg aller gegen alle. Wo die Anwendung physischer Gewalt also naturgegeben wäre?

Thea Dorn verdient sicher keinen Widerspruch, wenn sie zu einer Filmserie schreibt:

Quelle: DIE ZEIT 30. Oktober 2024 Seite 45 / Der Cowboy wechselt die Seiten / Nach der US-Wahl starten die neuen Folgen von »Yellowstone«. Die Serie macht Vergnügen. Oder Angst. Oder Hoffnung? Von Thea Dorn.

Sollten wir nicht auch unsern Hobbes in diesem Sinn gelesen und verstanden haben? Was sagt er denn? Siehe Wikipedia hier. Man lese dort über „Das radikal autonomisierte Individuum“. Die Idee von einem  „Naturzustand“ des Menschen führt zu einer unzulässigen Abstraktion: diesen losgelösten Einzelnen gibt es ja gar nicht. Nie und nirgendwo.

Auch der „Krieg aller gegen alle“ existiert nur als Abstraktum, konkret denkt man von vornherein an kriegerische Gruppen, z.B. Familienverbände, die sich absichern. Und die wiederum – um ihre Chancen zu verbessern – Bündnisse schmieden. Eine Form der Politik zumindest wäre „naturgegeben“.

Aber zurück zum Wilden Westen, wie lange dauerte es denn da bis zu einer amerikanischen Verfassung?

Alfred Krings (100)

Wer erinnert sich noch an ihn im WDR? Wo finde ich eine Gedenksendung für den ideenreichsten Musikchef, der je fürs Kölner Radio gearbeitet hat? Der u.a. dafür gesorgt hat, dass der WDR zum größten und vielseitigsten Musikveranstalter in NRW geworden ist?

Für Hans Martin Müller, der seinerzeit als Solo-Flötist viele Jahre im WDR Sinfonieorchester gewirkt hat, bleibt er unvergessen, und er hat jetzt dafür gesorgt, dass der 22. Oktober 1924 als besonderer Tag ins Bewusstsein vieler Menschen rückt, die kaum bemerkt haben, dass im Radio-Programm und Im Konzertleben fast alle seine Spuren verwischt sind. Eine der bemerkenswertesten – pars pro toto – hinterließ die Reihe „Nachtmusik im WDR“, die Krings 1972 gründete: jahrzehntelang sorgte sie live für Sternstunden mit einer global ausgerichteten Auswahl.

 

Krings (ganz links) nach einer der Veranstaltungen „Alte Liturgien in Romanischen Kirchen Kölns“ (Foto WDR)

Die letzte, ganz kurze Info ist die einzige Spur seines Lebens, die sich im angeblich allumfassenden Internet leicht finden ließ. Dazu eine Auflistung aller Schallplatten, für die er verantwortlich zeichnete: hier. Ab 1960 bis 1987 bzw. indirekt weiter bis 1999, nach seinem Tode.

Nur das Collegium aureum betreffend, siehe auch hier

Von der schwierigen WDR-Wende der 60er Jahre in der Praxis Alter Musik berichtet die Chronik „50 Jahre Alte Musik“:

Quelle Thomas Synofzik: Collegium musicum und Collegium aureum /oder: Vom Rundfunk zur Schallplatte / Aus: 50 Jahre Alte Musik im WDR 1954-2004 / im Concerto Verlag mit dem Westdeutschen Rundfunk

Völlig neue Horizonte in der Weltmusik öffnete Krings 1969 mit seinem programmatischen Blick auf die Zukunft der Volksmusik, wenngleich es noch etwas vorsichtig anklang: „Durch die Zusammenarbeit mit dem Kölner Institut für vergleichende Musikwissenschaft ergaben sich verschiedene Anregungen mit Musik aus aller Welt.“ WDR-Aufnahmereisen u.a. nach Korea, Bali, Indien und Afghanistan (1974) setzten bald Maßstäbe. Krings gab der Musikethnologie eine Stimme, Marius Schneider und Josef Kuckertz traten durch Radiosendungen an die breite Öffentlichkeit.

Quelle Zwanzig Jahre Musik im Westdeutschen Rundfunk / Eine Dokumentation der Hauptabteilung Musik 1958-1968 / WDR Köln