Archiv der Kategorie: Funde

Kohl und die Musik

Ich wusste nur, dass er in Hölderlin gut war.

Aber heute, nach der kursorischen Lektüre der neuen ZEIT, weiß ich mehr:

ZITAT (aus der Sicht des Fahrers)

Und wenn das Ziel erreicht war, hat Seeber auf den Bundeskanzler gewartet, Stunde um Stunde. Insgesamt wohl mehr als ein Jahr. Warten auf Helmut Kohl. Seeber hat ihn wirklich gemocht.

Unterwegs hörten sie James Last, Klavierkonzerte und Glenn Miller. Die Kassetten dazu hatte Kohl besorgt. Am Morgen kramte er sie aus der Manteltasche. Eigentlich waren die Reisen der beiden immer gleich.

Quelle Die Zeit 22. Juni 2017 Seite 4 „Ecki, komm sofort!“ Keiner diente dem Bundeskanzler so lange und so treu wie sein Fahrer Eckhard Seeber. Gedankt hat man es ihm nicht. Von Hanns-Bruno Kammertöns.

ZITAT (aus der Sicht einer Sopranistin)

Irgendwann habe ich einen Extrastuhl für ihn anfertigen lassen, der Mann war ja schwer, und mein antikes Sesselchen ächzte unter seinem Gewicht. Ich habe Tafelspitz gekocht oder Spargel, und er konnte sicher sein, dass keines unserer Gespräche diesen Raum je verlassen würde. Wenn er kam, stand immer frisches Brot auf dem Tisch, das schnitt er, brach es, verteilte es, und Schwester Basina sprach das Gebet.

(…)

Als ich merkte, dass er sich für Musik interessierte, habe ich angefangen, ihm manches zu erklären. Das ist mein kleines Verdienst: Ich habe Helmut Kohl Musik nahegebracht. „Ich bin für Mozart“, habe ich immer gesagt. Das hat ihm gefallen. Und Beethovens Fidelio – die Gefängnisszene des Florestan, wenn das Trompetensignal ertönt – konnte ihn zu Tränen rühren. Was war dieser Mann empfindsam!

(…)

Es hat ihn berührt, wie ich über Musik sprach, und natürlich gefiel ihm, dass mein Vater, der Musikwissenschaftler Hans-Joachim Moser, noch bei Brahms auf dem Schoß gesessen hatte. Kohls erste Frage, wenn wir uns sahen, lautete: „Was war?“ Er wollte alles wissen, und wenn ich ihm Schuberts Erlkönig erläutert habe, hat er vollkommen verstanden, was in der Musik vor sich geht.

(…)

Helmut Kohl war für mich stets ein Denkziel, wir hatten eine herrliche Zeit.

(…)

Quelle Die Zeit 22. Juni 2017 Seite 7 Was war er empfindsam! Helmut Kohl wusste wenig über Musik, aber er liebte sie. Ich habe sie ihm nahegebracht. Von Edda Moser.

Aus der musikalischen Praxis

Üben, Spielen, Hören und Notieren

Gerade recht kommt mir – nach dem Entschluss zur Überschrift – diese Kritik aus dem Bekanntenkreis per Mail:

Dass ausgerechnet Du Dich jetzt so engagiert um die Popkultur kümmerst, ist mir rätselhaft. Ich kenne ja Deine Meinung bez. aller Phänomene auf der Welt: Gründliche Analyse klärt alles auf! Ich bleibe weiter der Meinung: Lange nicht alles lässt sich per ratio klären….. Und bin ein bisschen stolz darauf, dass ich das größte Pop-Phänomen (die Beatles) des vergangenen Jahrhunderts rechtzeitig erkannt habe. Keineswegs durch gründliche Analyse, sondern einfach durch Fasziniert – und Berührtsein…. allerdings schon mit einem gewissen diesbezüglichen Hintergrundwissen.

Natürlich bin ich nicht einverstanden mit dieser Kategorisierung. Gründliche Analyse klärt das auf, was sie kann. Alles andere nicht. Dafür braucht man andere Mittel, inclusive Verzicht auf „Aufklärung“. Schon das Notieren (Objektivieren) kann ein Fehler sein, – außer wenn man stets im Sinn hat (wie jeder klassisch ausgebildete Musiker), dass auch das geduldige Üben nach Noten am Ende zur Folge haben sollte, dass es klingt, als werde diese Musik erst im Augenblick erfunden. Und die Notation lebendiger Musik hat nicht den Sinn, dass sie einen nun aus den Noten anstarrt, als sei sie nie im wirklichen Leben gesungen oder gespielt worden: ein Musiker schaut die Noten an und hört sie innerlich genau so, wie sie ihn vorher sinnlich erreicht haben. Aber vielleicht hat er vorher nicht erkannt, dass sie aus gleichlangen, 8-taktigen Melodiezeilen besteht, dass es auch sonst regelmäßige Strukturen gibt, z.B. einen gleichbleibenden Bass, wiederkehrende Akkordfolgen, dass es in der melodischen Wiederkehr Varianten gibt, vielleicht textbedingt, kurz, lauter Sachen, die einen nicht selig machen, aber – sagen wir – weniger stumpf. Auch die Erzeuger der Musik haben sich um diese Banalitäten gekümmert. Vielleicht findet eine Entzauberung statt, vielleicht auch das Gegenteil. Sicher ist folgendes: kein normal arbeitender Musiker verlässt sich bei der Arbeit blind auf Intuition und Erinnerung. Beide sind nützlich, beide können irren. Also: auch eine apodiktische Mail.

Es gibt täglich etwas, das einen musikalisch (oder einfach „im Kopf“?) weiterführt, das man bewusst ergreift oder das sich irgendwie ergibt, es muss nicht einem lang gefassten Plan entsprechen. Es steht in der Zeitung oder der Nachbar macht einen aufmerksam, in diesem Fall war er es, der einen Grund hatte, die Karten für Düsseldorf weiterzugeben, und – aus im wörtlichsten Sinne nächstliegenden Grund – ausgerechnet an uns.

Lars Karten

Außerdem liegt seit dem Ausflug in die Elbphilharmonie wieder eins dieser schönen Concerti-Hefte sehr griffbereit herum, und gerade das ist zuweilen die Ursache, es liegenzulassen.

Ausrede: Eigentlich müsste ich üben, aber Quartett fällt bis Mai aus, und für die Bériot-Violin-Duos als Ersatz brauche ich weniger Zeit; das rein Violinistische reicht, anders als in Beethovens op. 130. Aufgewacht bin ich heute morgen mit Mozarts Melodie „Voi che sapete“, sie im Halbschlaf zeilenweise (!) rekapitulierend; das kam zweifellos von der „All of me“-Notation gestern. Eine Wiedergutmachung an der Klassik?

Concerti Barenboim

Andererseits interessiert mich immer, was Barenboim zu sagen hat. So auch hier einige Sätze, die mich zu seinem Buch führen; oder zunächst – ich kaufe mehr Bücher als ich lesen kann – zu einem Gespräch, das im Internet abrufbar ist. Ich weiß: im Internet gibt es mehr Hörangebote als ich hören kann. Aber … wenn es ums Hören überhaupt geht …

Daniel Barenboim über die große Kunst des Zuhörens

Ich notiere die Stichworte und Zeitangaben von gestern, ohne sie neu zu prüfen:

10:00 früher war Musik organischer Bestandteil der Bildung eines jeden (gebildeten) Menschen, heute durchaus nicht mehr. 11:20 Was fehlt einer Person, die keine Musik hat? 13:20 die gute Neutralität des Klaviertons. 15:00 Warum Klavier als Instrument erlernt? 16:00 Musik ist Normalität (und nicht nur Rausch) 16:39 Fußball – 20:14 der STILLE zuhören, John Cage 4’33“ – 26:52 Hitler, 1 Träne im Lohengrin, oder Stalin, der Mozart brauchte (Maria Judina). 31:00 „denkende Musiker“ oft ohne Intelligenz im Leben 31:20 Sänger „Themen“ bzw. thematisch begrenzt – weiter Horizont. „Musik ist Leben“ (Spinoza), über diese Dinge denken, „man kann spielen ohne zu denken“, und gar nicht mal so hässlich. „Gespräch“ in Musik gleichzeitig. Ganz wichtig: Martin Buber „Ich und Du“. – Auf Konzert vorbereiten? 38:00 Meditation? Leer sein… „Klangliches Leben“ erleben. Filmausschnitt „Chromatismus“ – „ambivalente“ Musik Zitat aus Bruckner IV, Sehnen nach Auflösung 43:50 Musik & Leben, der späte Beethoven hat ihm in der Jugend früher eine Idee von Leidenschaft vermittelt als hübsche  Mädchen. 46:00 Schule – Musik, Kindergarten, seine Söhne machen Klassik (Violine) bzw. DJ Electric Pop. Edward Said! Barenboims Thema Palästina und Gerechtigkeit.

Zugleich ist in diesen Tagen der April-Band von Musik & Ästhetik eingetroffen, dessen Themen mich unterschiedlich stark interessieren. Oder ist es die Herangehensweise, die von einer Konvention der Neuen Musik geprägt ist? Was nicht nur für einen modernen Ansatz spricht, sondern auch eine Neigung zur Abstraktion befördert (zur Loslösung vom konkret Sinnlichen). Das könnte ja auch bedeuten, dass alte Themen auf eine neue Weise attraktiv werden. Oder auch nicht. Falls Sie es nicht deutlich erkennen: der erste Beitrag gilt den Goldberg-Variationen, und zwar ihrer Interpretation am Instrument. Für Zweifler könnte wichtig sein: „Verweigerung als Ausgangspunkt. Anmerkungen zum Umgang mit kritischer Neuer Musik im Kontext ihrer Vermittlung“ von Matthias Handschick.

Musik & Ästhetik April Musik & Ästhetik

Die relativ neu (renoviert) herausgebrachte Zeitschrift „das Orchester“ enthält diesmal mehr als nur einen Aufsatz, der für mich als praktischen Musiker (ohne Orchesterbindung) von Bedeutung ist. Es ist z.B. wirklich ein Problem, wenn Sie mit einem Geigenbogen nach USA reisen wollen, und er sieht so aus wie meiner (s.u., ich nenne ihn „Mozartbogen“). Dazu die Artikel Seite 6, 10 und 14. Aufschlussreich auch die Ausführungen über Betablocker Seite 25, die Auftrittsangst medikamentös dämpfen. Oder über die Jahrestagung des Fachverbandes Kulturmanagement, wo sich der Satz findet, „es gebe kein international standardisiertes Kulturmanagement, (…) ; in Subsahara-Afrika etwa betrachteten sich Kulturmanager in erster Linie als Beförderer des sozialen Wandels – wichtig für die Zivilgesellschaft, nicht bloß für einen eng definierten Kultursektor.“ Das Arbeitsfeld werde sich künftig stärker politisieren. (Eine vor 30 Jahren in diesem Rahmen kaum denkbare Perspektive!)

Orchester Zeitschrift   Orchester Inhalt

Geigenbogenfrosch Ist es Elfenbein? (Foto: JR)

Nützlich ist jederzeit ein Artikel über die Technik des Übens, zumal wenn der Altvater dieser Wissenschaft beteiligt ist: Eckart Altenmüller (Hannover). Gemeinsam mit Hans-Christian Jabusch, Leiter des Instituts für Musikermedizin der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, hat er diesen Beitrag verfasst (dem offenbar ein Artikel über „Neurowissenschaftliche Grundlagen des Musizierens“ zugrundeliegt, der in dem Buch Grundwissen Instrumentalpädagogik bei Breitkopf & Härtel Wiesbaden 2016 enthalten ist). Hier im „Orchester“ (Seite 19ff) unter dem Titel: „Richtig üben – aber wie? Ziele setzen und die Entdeckerlaune erhalten: zur Hirnphysiologie des Übens.“  Die 10 Hinweise zum richtigen Üben sollte man sich als stete Mahnung im Übezimmer an die Wand heften. Ich merke mir zwei davon besonders vor, nämlich die Kombination der Idee von SPIEL und sensomotorischer HÖCHSTLEISTUNG. Zitat:

Hinweis 1: Musik spielt man (…) Und dem Üben sollte dieses Spielerische anhaften: Erkunden von Klängen, Ausprobieren von Techniken, Suchen nach Lösungen; eine Beschäftigung, die zunächst sich selbst zum Ziel ha6t, die meditativ ist, die auf der Suche nach Melodien und Rhythmen die Zeit vergessen lässt. Üben eines Instrumentes bedeutet vor allem Forschen und Entdecken. Es gehört zur Kunst des Übens, sich diese Entdeckerlaune zu erhalten.

Hinweis 5: Pausen und Schlafen gehören zum Üben. Üben ist für das Gehirn Höchstleistung. Millionen von Informationen werden gesammelt und in vorläufige, noch nicht stabile sensomotorische Steuerprogramme integriert. Da die Festigung der sensomotorischen Steuerprogramme vorwiegend in den Pausen geschieht, sind Pausen unabdingbarer Bestandteil jeder Übesitzung. Man nennt diesen Vorgang  der unbewussten Gedächtnisbildung auch Konsolidierung. Die Gedächtniskonsolidierung erfordert nicht unbedingt Aufmerksamkeit, daher können sich Übende in den Pausen mit gutem Gewissen mit ganz anderen Dingen beschäftigen. Konzentriertes musikalisches Arbeiten macht naturgemäß müde. Ein ausreichender Nachtschlaf verbessert die Lernleistung. Übrigens behindert abendlicher Alkoholgenuss die Gedächtnisbildung.

Es tut mir leid: ich konnte diesen letzten Satz nicht weglassen. Preist nicht gerade der Musiker Wein und Gesang? Oder war da noch was? (Jaja, der Hinweis zur Gedächtnisbildung betrifft uns alle!).

Was ich noch erwähnen sollte, ehe ich schließe: das Büchlein, das nun wieder auf meinem Nachttisch liegt:

Huizinga und andere

Nicht vergessen: das Spiel im emphatischen Sinn vom Prinzip des Agon (Wettkampf) zu trennen. Olympische Spiele – nein, wie kann ich denn die verbissenen Spiele, bei den es um mechanische Rekorde geht, ausklammern? Vielleicht nur Spiele gelten lassen, in denen Mannschaften gegeneinander kämpfen? In denen der Zufall gar nicht auszuschalten ist, nicht einmal durch Doping?

Interessant, wie Barenboim in seinem o.a. Interview den Vergleich mit dem Sport (Fußball) zurückweist.

Und um auf Lars (Sohn meines Bruders) zurückzukommen, dem das virtuose Spiel am Klavier so leicht zu fallen scheint. Was durchaus nicht bedeutet, dass er Chopin-Etüden genau so lässig aus dem Ärmel schütteln würde. Die Virtuosität hier und dort ist von völlig unterschiedlicher Art. Er hat einmal gesagt: Ich spiele auf der Bühne nur, was ich kann. Ein toller Satz!

In der Klassik ist es sozusagen unvermeidlich, dass man sich überfordert. Dass man die Grenzen nicht akzeptiert, dass man, koste es was es wolle, den nächsthöheren Schwierigkeitsgrad angeht. (Aber, könnte man hinzufügen, dilettantisch wäre es auch hier: das eigene Scheitern öffentlich vorzuführen.)

Lars Plakat Düsseldorf

Lars Düsseldorf 170401 Lars Reichow mit Besuchern

5. April 2017

Und bei einer anderen, viel, viel „kleineren“ Verwandten (deren Anonymität ich wahren möchte) habe ich gestern bemerkt, dass sie bei der schriftlichen Erfassung des Titels „All of me“ von John Legend längst weiter ist als ich. Vor allem hat sie die richtige Tonart (f-moll statt fis-moll, – sie saß dabei am Klavier, ich hatte am Computer nur die alte Stimmgabel meines Vaters zur Hand), und – sie hatte eine Karaoke-Version im Internet gefunden, so dass sie leichter den für sie wichtigen Klavierpart (Praxis) dingfest machen konnte. Aber wie erstaunlich der rhythmische Durchblick! (Ich habe hier extra die unscharfe Version meiner Handy-Fotos verwendet.)

All of me Transkription unscharf

Das Barenboim-Buch ist da; anderen Inhalts als ich dachte, aber natürlich gut. Und stark im Thema Palästina, auch: Wagner! Stand 2015, bzw. 2012.

Barenboim Inhalt+

Barenboim Buch

Aber das in der Sendung gezeigte Buch ist ein anderes: „Klang ist Leben. Die Macht der Musik“. Bemerkenswert auch kritische Rezensionen, wie hier. Mir scheint, manches überzeugt mehr in der gesprochenen Rede, im nachdenklichen Ton Barenboims, worin manches offen bleibt, bzw. zum Selbstdenken des anderen führt.

Flow my tears

Kürzlich besuchte mich ein Freund, praktischer Musiker, und wir sprachen über Leseerfahrungen. Zu meiner Überraschung wollte er von meinen Entdeckungen im Bereich der Bach-Forschung nichts hören: Nein, das ist mir zuviel, ich brauche nur zwei Bücher: den Terry und das Buch von Dreyfus über Bachs Continuo-Gruppe, wobei er gleich ein Beispiel aus dem VI. Brandenburgischen erzählte, wo im langsamen Satz nun endgültig geklärt sei, ob ein Violone mitspielt oder nicht. Davon hatte ich noch nichts gehört. Terry konnte ich abhaken: den kannte ich schon aus meiner Kinderzeit, als ich noch Albert Schweitzers Buch für die Avantgarde der Forschung hielt, zugleich aber wusste, dass die unentbehrliche Grundlage die beiden Bände von Spitta wären. (Meine erste eigene Bach-Biographie stammte von Müller-Blattau aus dem Bach-Jahr 1950 und begann stramm vorkriegsmäßig: „Aus der Kernkraft des deutschen Volkes ist Johann Sebastian Bach hervorgegangen.“ Ja, die deutsche Kernkraft!)

„Ich fand Malcolm Boyd 1985 auch sehr nützlich, und vor allem: was ist mit Christoph Wolff?“ fragte ich, „ich habe Skrupel, ob ich neben der Erstausgabe von 2000 auch noch ein ‚Update‘ aus jüngerer Zeit brauche…“ „Alles überflüssig“, meinte er, „für mich war entscheidend, den Dreyfus zu haben. Das reicht für mein Leben.“ „Von wann ist der denn? Inhaltlich doch sicher längst in die neuere Bach-Literatur eingegangen. Oder?“ Aber der Stachel saß. „Lass uns doch mal in meinen neuen Gardiner schauen!“ Den hatte ich als letzte Neuanschaffung auf den Tisch gelegt. ‚Musik für die Himmelsburg‘, soeben auf deutsch erworben, die englische Version an JMR verschenkt. Mal ins Register geschaut…

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Hören: insbesondere ab ca. 1:10 bis 3:54, Bogenhaare, Saiten, Emotionen, Bezug auf Stanislawski (!), siehe auch hier, über Strasberg in Beziehung setzen zu Diderots „Paradox des Schauspielers“, siehe hier.

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Aus dem Sammelband „The collected Lute Music of JOHN DOWLAND“ transcribed and edited by Diana Poulton and Basil Lam / Faber Music limited / Bärenreiter Kassel / ISBN 0 571 10010 4

Flow my tears, fall from your springs, Exiled for ever let me mourn : Where night’s black bird her sad infamy sing, There let me live forlorn.

Down, vain lights, shine you no more, No nights are dark enough for those That in despair their last fortunes deplore, Light doth but shame disclose.

Never may my woes be relieved, Since pity is fled, And tears, and sighs, and groans my weary days, my weary days Of all joys are deprived.

From the highest spire of contentment, My fortune is thrown, an fear, and grief, and pain for my deserts, for my deserts are my hopes since hope is gone.

Hark you shadows that in darkness dwell, Learn to contemn light, Happy, happy they that in hell Feel not the world’s despite.

Was ich in meinem Leben nie vergessen werde: wie Alfred Deller sang. Hier!

(Fortsetzung folgt: siehe hier)

Vollkommener Schumann

Carolin Widmann

widmann-cd-schumann ECM

Die CD ist da! Text folgt, man kann nicht schreiben, immer nur hören und hören. Schumanns angeblich von der beginnenden Geisteskrankheit gezeichnetes Violinkonzert. Im langsamen Satz das Thema, das ihm (Monate später?) die Geister Schuberts und Mendelssohns noch einmal im Traum vorgesungen haben.

***

Zugegeben, ich war skeptisch und hielt es für eine deutlich journalistische Pars-pro-toto-Geste, wenn Volker Hagedorn in der ZEIT schreibt:

Carolin Widmann [geht] ins Innere und beschert uns im langsamen Satz die zärtlichsten Töne, unfassbar intim. Ihre schlichten leisen Synkopen in Takt 13 und 14 wagt man kaum ein zweites Mal zu hören, so etwas Unwiederbringliches haben sie. Dabei hilft eine Aussteuerung, die die Solovioline auch bei leisesten Tönen unterstützt (…).

schumann-violinkonz-langs-satz

Und so habe ich mit dem langsamen Satz begonnen und diese Stelle (letzte Zeile) ein zweites, drittes, viertes Mal gehört und kam zu dem Schluss: Hagedorn hat recht. Was Carolin Widman tonlich im langsamen Satz macht (und nicht nur in diesen Takten, aber dort ganz besonders), grenzt an ein Wunder. Und um es vorwegzunehmen: der Finalsatz, die Polonaise, die sich unmittelbar an diesen Satz anschließt, verliert jeden Eindruck der Länge oder der ermüdenden Wiederholung, gerade weil das Tempo derart ruhig-entspannt daherschreitet, als müsse das reinste Glück nun einmal ewig währen. Konnte Schumann ahnen, dass dieses – aus heutiger Sicht geradezu Mahlersche – Konzept eines fernen Tages aufgehen würde? „Wir genießen die himmlischen Freuden…“ Doch das tragische Weltgefühl des Anfangs und des Mittelsatzes bleibt unvergessen.

Gerade der erste Satz, dessen monumentale Abschnitte noch nie ihre Wirkung verfehlten, überrascht nun durch eine unglaubliche Flexibilität des Tempos. Dieses im wahrsten Sinn der Worte wundervolle und wahnwitzige Rubatospiel der Solistin ist hinreißend, zumal das Orchester ihr minutiös folgt! Es ist wie eine Erleuchtung, das mitzuerleben, genau so muss es sein. Aber niemand hat es bisher geahnt!

Und heute erst habe ich bei ECM entdeckt, wie gut Carolin Widman darüber spricht, ich kann mir all die armen Worte sparen. Sie spricht nicht von Glück, sondern von Trost. Und über eine Stelle im ersten Satz: „Das ist für mich einer der größten Momente der Musikgeschichte!“ sagt sie. Genau so ist es! Aber wirklich nur, wenn alles so gespielt und so verstanden wird. Ich gebe hier nicht die Minute und den Takt an, man muss einfach selbst davon erfasst und fortgetragen werden.

Meine Arbeit ist noch nicht beendet, aber ich muss das Ergebnis nicht aufschreiben. Es genügt, sich mit gleicher Wärme und Begeisterung dem Werk anzuvertrauen wie diese Interpretin. Kaum zu fassen, dass sie ohne einen Dirigenten auskommt. Aber auch darüber spricht sie sehr einleuchtend. Und über Mendelssohn natürlich ebenso…

Ich halte es für den besten Weg, sich durch eine gelungene (tönende) Interpretation überzeugen zu lassen. Andererseits soll der Zweifel, der sich in früheren Jahren einstellte, nicht vergeblich gewesen sein. Er beruhte ja auch nicht auf blinden oder tauben Vorurteilen. Insofern ist es gut, das entsprechende Kapitel in Peter Gülkes Schumann-Monographie gründlich zu reflektieren. Ich zitiere nur die Sätze, von denen ich glaube, dass sie mich über die bloße Begeisterung hinausführen, ohne mich zurückwerfen in die Ratlosigkeit von ehedem:

Der Eindruck, die Themen seien im Diskurs der Sonatenform nicht ganz angekommen, erscheint eigens durch die Möglichkeiten stilistischer Zuordnungen verstärkt – als seien sie von hier aus stärker legitimiert als durch den Kontext , in dem sie stehen. Ihnen fehlen weitgehend Hinleitungen, Ausklänge, Vermittlungen, die unter üblichen Maßnahmen dringlich gebraucht würden. Mit Ausnahme desjenigen im Mittelsatz sind sie einfach „da“, als wolle Schumann, argumentierende Momente beiseite schiebend, uns die Frage aufgeben, inwiefern nicht eingelöste Potentialitäten zur Sache gehören oder gar ein Teil der Lösung sein könnten.

So etwa könnte man es ex negativo beschreiben, was in besonderer Weise einen vom rezensierenden Schumann so oft gewährten Vertrauensvorschuß verdient – nicht nur, aber auch als Psychogramm: Denn selten suggerieren Themenkomplexe so deutlich die Vertretung einer Außen- und einer Innenwelt wie im ersten Satz des Konzerts – bedrohliches Außen im lawinenhaft über hämmernde Triolen heranrollenden Anfangstutti, Weg nach Innen im zweiten Thema dank dem Eindruck, die Musik wolle sich hier in den Labyrinthen lyrischen Singens bergen, verweilen, verlieren – fast kommt es im Fragen und Antworten zwischen Solist und Orchester zum Stillstand. [Gerade davon spricht Carolin Widmann.]

Zur besonderen Authentizität und Konsequenz des Violinkonzertes gehört auch, daß es im Finale, das die Partner und Prägungen stärker vernetzt, auf die Paradoxie eines von der gebremsten Polonaise gehetzten Solisten hinausläuft. Vielleicht wollte oder konnte Schumann nicht mehr ermessen, wie sehr vermittelnde, inszenatorische Momente zugleich kommunikativ sind; vielleicht stellte sich ihm das Verhältnis „von einem gewissen Ernst“ und der „fröhlichen Stimmung“, welche dahinter „oft … hervorsieht“, in der seltsam eingekapselten Musik anders dar als für Außenstehende; vielleicht war ihm nicht klar, wieviel Fürsichseinwollen und nicht mehr kündbare Einsamkeit, wieviel Schwanengesang er artikulierte.

Quelle Peter Gülke: Robert Schumann / Glück und Elend der Romantik / Paul Zsolnay Verlag Wien 2010 (Zitat Seite 201f)

Zugegeben, das ist nicht leicht zu verstehen, man muss zudem das ganze Kapitel gelesen haben, das auch dadurch überzeugt, dass der Autor die Einwände der Zweifler – darunter so kompetente und wohlwollende wie Joseph Joachim – ernst nimmt. Es gibt ebenso leidenschaftliche wie ungeschickte Plädoyers für das Konzert, die das Gegenteil bewirken und sogar äußerst misstrauisch machen (Musik-Konzepte Sonderband 1981, Harold Truscott, Norbert Nagler), auch unzureichende wie im Schumann Handbuch (Stuttgart Weimar 2006):

Das Konzert trägt keinerlei Spuren von nachlassender Geisteskraft an sich oder ist von der nahenden Krankheit überschattet, wie bis zum Überdruß immer wieder behauptet wird, sondern bietet ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die neuartige Konzeption eines Solokonzertes, die Schumann auch in anderen konzertanten Werken des Jahres 1853 (…) erprobt hat. (Joachim Draheim S.396).

So Joachim Draheim auf Seite 395 f, wobei aber die Beschreibung der neuartigen Konzeption seltsam vage bleibt. Ebenso die Korrektur bezüglich der Einschätzung des „Geisterthemas“:

Das schlichte und innige Gesangsthema des zweiten Satzes („Langsam“) weist eine gewisse, in der Literatur oft überbetonte Verwandtschaft mit dem sogenannten „Geisterthema“ auf, das Schumann in der Nacht vom 17. auf 18. Februar 1854 beim Ausbruch seiner Krankheit komponierte.

Über die Ähnlichkeit nachzudenken, ist ja durchaus nicht abwegig, zumal es so aussieht, als ob er zuerst eine kompliziertere Variante auskomponiert habe (im Violinkonzert), die konzise thematisch abgerundete Form aber erst Monate später entwickelt habe, das Ausgangsmotiv jedoch identisch ist. Oder soll man wirklich glauben, ihm sei das nicht bewusst gewesen?

geisterthema-im-konzert Okt.1853geisterthema-var-thema Febr. 1854

Meine Meinung: Wer die Zweifel nicht nachvollziehen kann, die in Gülkes Kapitel „Gesänge der Einsamkeit“ auf den Punkt gebracht sind, wird auch nicht zu einem glaubwürdigen Lob des Werkes kommen. Man muss sich – wie Carolin Widmann – mit Schumanns neuer Zeitgestaltung auseinandersetzen, nicht nur mit immanenten Problemen, die Gülke nach Joseph Joachim benennt:

Joachims Bedenken lassen sich sehr wohl nachvollziehen, weil, zumal im ersten Satz, Scharniere, Überleitungen, Vermittlungen weitgehend fehlen und Schumann kaum entwicklungsträchtige, eher in sich drehende oder polyphon verknotete Prägungen bevorzugt. [Seite 199]

„Lebhaft, doch nicht schnell“ weist Schumann für den Vortrag des Finales an und bekräftigt das, wie auch bei den anderen Sätzen, durch besonders langsame Metronomisierung. Solange man, dem italienischen „spirituoso“ nahe, „lebhaft“ weniger als Tempobezeichnung denn als Charakterisierung versteht, ergäbe sich kein Widerspruch; doch läßt sich beides nicht trennen – dies wußte ein so sorgsam Bezeichnender wie Schumann. Er muß Gründe gehabt haben. Einer wäre, daß der Satz wie eine zeremoniell-gehaltene verlamngsamte Polonaise anmutet und vielleicht als solche intendiert war. Indes beseitigt diese Zuordnung den Widerspruch nicht, daß es sich um Musik handelt, welche oft schneller sein „will“ und doch, auch aus spieltechnischen Gründen, nicht schnell sein darf. Wie der erste Satz („In kräftigem, nicht zu schnellen Tempo“) erscheint der letzte an straffe Zügel gelegt, scheint eine Selbstverständlichkeit musikalischen Strömens, eine entspannte Direktheit der Mitteilung behindert – nicht nur, weil disparate Passagen auf disparate Tempi drängen. Waren Schumanns Tempovorstellungen möglicherweise durch zunehmende Schwierigkeiten verunsichert, raschen Tempi zu folgen? [Seite 198f]

Quelle Peter Gülke (s.o.) a.a.O.

Schaut man in das im gleichen Jahr veröffentlichte Schumann-Buch von Martin Geck, verwundert einen das beredte Schweigen über die von Gülke problematisierten Eigenarten des Violinkonzertes. Vielleicht weil Geck sie schon anhand der späten Violinsonaten angesprochen hat: „eine ‚Kaleidoskoptechnik‘ der motivisch-thematischen Arbeit, die auf Grübelei und Auf-der-Stelle-Treten hinausläuft“. Im Fall der F-A-E-Sonate frappiere „das unzensierte Nebeneinanderlaufen heterogener Momente.“ (S.172) Die Behandlung des Violinkonzertes schließt – nach Hinweis auf eine wohlwollende Analyse der ersten 44 Takte durch Reinhard Kapp – mit den seltsam halbherzigen Worten:

Als Zugnummer taugt das Werk gleichwohl nicht – allzusehr sperrt es sich dagegen, nach traditionellen Gattungskriterien beurteilt zu werden.

Quelle Martin Geck: Robert Schumann / Mensch und Musiker der Romantik / Biografie / Siedler Verlag München 2010

Maya ohne Musik?

Ohne Kunst und Spiel?

Nicht ohne Grund habe ich den langen Artikel gelesen, ohne eine einzige Zeile auszulassen, zumal in einem umfangreichen Blatt wie DIE ZEIT. Für die Maya und Azteken interessiere ich mich seit früher Jugend, genauer gesagt: seit es das Buch „Götter, Gräber und Gelehrte“ gab, – nein, nicht 1949, zu „meiner“ Zeit war es längst ein Weltbestseller, ich vermute um 1955, als ich auch schöne Historienschinken las wie Felix Dahns „Kampf um Rom“ und mindestens drei  Romane von Mereschkowski und zwei von Sienkiewicz, also nicht nur Quo Vadis.

Bemerkenswert die Empfehlung (siehe obigen Link), die Lektüre nicht auf der ersten Seite zu beginnen, zumal ich den ZEIT-Artikel auch begonnen hatte mit der Neigung, den Anfang zu überspringen, weil er mich an anekdotische Effekhascherei erinnerte (wie sie Enzensberger  einst als typisch für den Spiegelstil brandmarkte):

Ivan Šprajc kletterte auf die höchste Pyramide. Er wählte die Nummer des Bonner Professors, mit dem er seit Jahren nicht nur zusammenarbeitet, sondern auch befreundet ist. Als dieser 8900 Kilometer entfernt in Deutschland ans Telefon ging, brüllte er ihm entgegen: „Nikolai, ich glaub, ich hab sie gefunden! Willst du nicht kommen?“ Das war am 22. April 2005.

Nikolai stieg in den nächsten Flieger. Er überquerte den Atlantik, arbeitete sich in Mexiko über einen 120 km langen Urwaldweg durch …… usw.usw.

Selbstverständlich übersprang ich nichts bis zur letzten Zeile auf der nächsten Seite ganz unten rechts. Allerdings hatten mich auch die eingestreuten kleinen Abbildungen angefeuert, die Figuren, unter denen etwa zu lesen war: Schreiberzwerg, Frau mit Gefäß, Schreiber, Buckliger Schreiber, Frau mit Schal, Frau mit Armtätowierungen. Keinen Flötenspieler, keine Harfe sah ich, natürlich nicht, aber einen Thronfolger mit Klistier, wie bitte? Einen  Toten König mit Reh, fast rührend, aber keine Kunst! Zwei Figuren mit herrischen Gesten, überraschenderweise betitelt als Tänzerin 1 und Tänzerin 2, und dann endlich etwas wirklich Sinnfreies: ein Ballspieler. Aber, denke ich mir, gewiss ein Spiel, bei dem es um Leben und Tod geht, also kein Spiel. Haben die alten Griechen den Ball oder etwas Ball-Ähnliches gekannt? Oder nur eine Steinkugel, – es muss ja ein runder Felsbrocken gewesen sein, den Sisyphos  den Berg hinaufstemmte, wenn er von dort wieder hinabrollte. Frei von jedem Spielcharakter… (Selbstverständlich kannten sie den Kreis, das Rad, den Streitwagen, den Krieg wie das Spiel!)

sisyphos-kl-nekyia_staatliche_antikensammlungen_1494_n2 Sisyphos 530 v.Chr. (Wikimedia Bibi Saint-Pol)

Weit gefehlt, dass der Maya-Artikel etwas Ähnliches zutage fördert:

Zu sehen sind Originalfunde aus Guatemala und Mexiko: Stelen, Wandgemälde, Skulpturen, Weihrauchgefäße und als kleine Höhepunkte viele Figurinen, die ausdrucksstark und teils in kühnem Comicstil das große künstlerische Geschick der Kreativen im Regenwald dokumentieren. Filme zeigen das digital rekonstruierte Leben der Stadt Uxul.

Wo? Im Historischen Museum der Pfalz in Speyer: Das Rätsel der Königsstädte.

Vom großen künstlerischen Geschick der Kreativen ist dann allerdings weniger die Rede als von Gottkönigtum, Machtsicherung und Bodenbewirtschaftung. Es galt andererseits durchaus nicht allein die reine Pragmatik, zumindest die oberste Schicht plagte sich mit dem glaubwürdigen Nachweis ihres göttlichen Ursprungs und erarbeitete Jenseitsvorstellungen, verbunden mit peniblen rituellen Handlungen. Da kann Kunst und Phantasie nicht zufällig beteiligt sein, man sucht sie wohl sogar hervorzuzwingen mit Rauschzuständen, die ich mir allerdings im Artikel weniger pejorativ definiert wünschen würde.

Die Regenten soffen, um im alkoholisierten Zustand mit wirrer, angeblich göttlich inspirierter Rede Erstaunen und Bewunderung hervorzurufen. Ähnliche Effekte, um Visionen zu erleben und Botschaften der Götter zu empfangen, erzielten sie mit Pilzen, Trichterwinden (Kletterpflanzen) und dem Sekret des Ochsenfroschs, das ähnlich wie LSD das Bewusstsein erweitert (oder verengt). Auf rauschenden Drogenpartys führten sich die Könige die Wirkungssubstanzen sogar rektal mithilfe eines Klistiergerätes ein – detailliert dargestellt auf einem in Speyer zu bewundernden Keramikgefäß.

Ohne Pflichten kamen jedoch auch die Regenten nicht durchs Leben. Primär waren es die Götter, die den Schutz der Menschen gewährleisteten und ihnen Ressourcen zur Verfügung stellten. Die Ausgleichszahlung für diese Leistungen mussten die Könige höchstpersönlich erbringen, ihre eigentliche politische Arbeit waren rituelle Handlungen. Die aufopferndste: Sie bezahlten mit eigenem Blut. Die wertvollsten Tröpfchen lieferten sie mit dem Penis, den sie mit Stacheln durchbohrten. Der Lebenssaft, so lautete die Vorstellung, keimt im Boden aus und lässt die Nutzpflanzen sprießen.

Quelle DIE ZEIT 29. September 2016 Seite 39f Diktatoren in der Gartenstadt Wie raffiniert die Könige der Maya regierten, zeigen neue Funde. Eine Ausstellung in Speyer beleuchtet Rituale und Mythen – und den Untergang dieser großen Kultur. Von Urs Willmann.

Es ist wenig genug, was im Artikel über die kulturellen Hintergründe der Maya-Zivilisation vorgebracht wird (man weiß wahrscheinlich gar nicht mehr), aber der spöttische Ton führt vollends auf die falsche Fährte. Würde man so über das Pfingstwunder der feurigen Zungen oder über die Weissagungen der delphischen Pythia reden, die sich mit Hilfe vulkanischen Gases in Trance versetzte?  Und welche Wirkung hat denn eigentlich der Weihrauch? Vernebelnd bis dort hinaus. Steckt im Wein des Abendmahls nicht wenigstens das Wissen um seine animierende Wirkung, – vom Rausch zu schweigen. Blut und Fleisch spielen im christlichen Abendland eine Rolle, die aus Sicht eines Maya-Wissenschaftlers, falls ein solcher vorstellbar wäre, durchaus weltanschaulich anrüchig dargestellt werden könnte.

Kurz und gut: ich glaube nicht, dass „die Regenten soffen“ und „Drogenpartys“ feierten; und von angeblich „göttlich inspirierter Rede“ würde ich bei ihnen ebensowenig reden wie bei der griechischen Pythia oder den Evangelienschreibern.

Die aktuelle Ausstellung in Speyer (noch bis 23.04.2017):

Die vorhergehende Ausstellung in Berlin:

Wenn es uns irritierte, dass von keinen Kunsterzeugnissen der Mayas die Rede ist: sehr wohl von ihrer Schrift, aber nichts von literarischen Erzeugnissen, und sei es ein kleines Stück Poesie, so hat das einen einfachen Grund. Ich entnehme ihn dem Buch „Kollaps“ (2005) von Jared Diamond:

Im Jahre 1527 begannen die Spanier ernsthaft, das Gebiet der Maya zu erobern, aber erst 1697 hatten sie das letzte Fürstentum unterworfen. Fast zwei Jahrhunderte lang hatten Spanier also die Gelegenheit, unabhängige Gesellschaften der Maya zu beobachten. Wichtig – im guten wie im schlechten Sinne – war vor allem der Bischof Diego de Landa, der während des größten Teils der Periode von 1549 bis 1578 auf der Halbinsel Yucatán residierte.Er beging einerseits einen der schlimmsten Akte von Kulturvandalismus in der gesamten Geschichte: Um das „Heidentum“ auszurotten, ließ er alle Maya-Manuskripte verbrennen, derer er habhaft werden konnte, sodass heute nur noch vier Dokumente erhalten sind. Andererseits verfasste er aber auch einen ausführlichen Bericht über die Gesellschaft der Maya (…). [Seite 201]

Innerhalb des Mayagebietes tauchten Dörfer und Keramik um oder kurz nach 1000 v. Chr. auf, größere Bauwerke gab es seit 500 v. Chr. und die Schrift ungefähr seit 400 v. Chr. Alle erhaltenen schriftlichen Zeugnisse der alten Maya, insgesamt rund 15000 Inschriften, befinden sich auf Stein oder Keramik und haben ausschließlich Könige, Adlige und ihre Eroberungen zum Inhalt. Einfache Leute werden kein einziges Mal erwähnt. Bei Eintreffen der Spanier schrieben die Maya ihre Bücher immer noch auf Rindenpapier, das mit Gips beschichtet war; die einzigen vier Werke, die den Verbrennungen des Bischofs Landa entgingen, waren Abhandlungen über die Astronomie und ein Kalender. Auch früher besaßen die Maya solche Bücher aus Rindenpapier; diese sind häufig auf Keramikgegenständen dargestellt, aber nur aufgelöste Überreste davon haben sich bis heute in Gräbern erhalten. [Seite 210f]

Die oben erwähnten Fragen nach Kugel oder Ball kamen mir wohl nicht von ohngefähr:

Das Gebiet der Maya gehört zu Mittelamerika, einer größeren Kulturregion  der amerikanischen Ureinwohner, die sich ungefähr von der Mitte Mexikos bis nach Honduras erstreckt und (neben den südamerikanischen Anden) in der präkolumbianischen Neuen Welt eines der beiden Innovationszentren darstellte. Die Maya hatten viele Gemeinsamkeiten mit anderen Gesellschaften Mittelamerikas, und zwar nicht nur in dem, was sie besaßen, sondern auch in jenem, was ihnen fehlte. Heutigen Angehörigen der abendländischen Gesellschaft, deren Erwartungen aus den Kulturen der Alten Welt erwachsen, mag es beispielsweise überraschend erscheinen, dass es in den mittelamerikanischen Gesellschaften keine Metallwerkzeuge gab, keine Rollen, keine Räder und andere Maschinen (außer hier und da als Spielzeug), keine Boote mit Segeln, und keine Tiere, die groß genug waren, um Lasten zu tragen oder einen Pflug zu ziehen. Die großartigen Tempel der Maya wurden ausschließlich mit Werkzeugen aus Stein und Holz sowie mit menschlicher Muskelkraft errichtet.

Viele Bestandteile ihrer Kultur bezogen die Maya aus anderen Regionen Mittelamerikas. [Seite 210]

Quelle Jared Diamond KOLLAPS Warum Gesellschaften überleben oder untergehen / Kapitel 5: Zusammenbrüche bei den Maya / S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005 / ISBN 13: 978-3-10-013904-7

P.S.

  1. Ich vergaß zu erwähnen, dass auch ein „Zwerg mit Muschelhorn“ zu sehen ist. Korrekt hieße es „Schneckenhorn“; kein Beweis für Musik, nur für den Signalton. In dem entsprechenden Wikipedia-Artikel lese man unter „Archäologische Funde“.
  2. Zur Frage: die alten Griechen und der Ball siehe unter Episkyros hier. Auch z.B. unter Palästra.
  3. Zum Ballspiel in mittelamerikanischen Kulturen siehe unter Ulama hier . Meine Ahnungen, das Ziel dieses Spiels betreffend, gingen nicht ganz fehl, hier lese ich: „Nach spanischen Quellen gehörte zur ursprünglichen Form des aztekischen Spieles Ulama die anschließende Opferung der gesamten Verlierermannschaft, nach anderer Lesart der Siegermannschaft.“

Nachtrag 13. November 2016

FAZ 12.10.16 lesen: HIER  Wer grub den Maya das Wasser ab? Eine große Ausstellung in Speyer lüftet manches Maya-Rätsel: wie sie lebten und, vor allem, warum ihre Kultur doch unterging. Am Klimawandel kann es nicht gelegen haben. Von Ulf Rauchhaupt.

ZITAT

Zwei computeranimierte Filme erzählen anhand der mittelgroßen Siedlung Uxul, wie man sich das Leben in den Maya-Städten vorstellen kann – Städten von Menschen, die weder Rad noch Lasttiere nutzten und denen daher zum Beispiel das Konzept einer Straße weitgehend fehlte. Nicht einmal den Unterschied zwischen Stadt und Land gab es. Die Maya unterschieden stattdessen besiedelt und bewaldet. Ihre Städte waren weitläufige Agglomerate aus Höfen, Feldern und Gärten rings um die oft ebenfalls nicht sehr kompakten Bezirke der Tempel und Herrscherpaläste.

Nachtrag 16. Januar 2017

Es gibt in der aktuellen Frankfurter Allgemeinen ein sehr lesenswertes Interview mit dem Macher der  Ausstellung in Speyer, – ich hoffe dieser Link funktioniert: HIER.

Maya-Untergang: Es war nicht das Klima, es war die Politik Von Uwe Ebbinghaus (Interview mit Prof. Nikolai Grube, Universität Bonn).

Sehr interessant, was er berichtet über neue Erkenntnisse bei der Arbeit am Lexikon des Klassischen Maya. Dazu Hier.

Rührend, dass er auch erzählt, wie er in seiner Jugend begonnen hat (wie – beinahe – ich; nebenbei: er erwähnt auch „meinen“ Jared Diamond mit dem Buch Kollaps):

Auf die Maya bin ich zum ersten Mal aus Zufall gestoßen, durch das Lesen von Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“. Damals war ich elf Jahre alt. Das letzte Kapitel heißt „Das Buch der Treppen“, dort gab es vier oder fünf Seiten über die Maya. Vor allem aber stand dort, dass ihre Schrift noch nicht entziffert ist. Das hat in mir eine Flamme ausgelöst: Das will ich machen. Ich hatte schon damals Spaß daran, schwierige lateinische Texte zu entziffern, auf Vasen und ähnlichem. Und was die Maya angeht: Noch in den siebziger Jahren gab es kaum Erkenntnisse. Die Forschungsergebnisse des Russen Knorosow waren noch nicht bis in den Westen durchgedrungen. Ich habe dann mit einem kleinen Zeichenkatalog begonnen und schon in der Schulzeit bestimmte Muster erkennen können. Ich bin in Kontakt getreten mit einem Professor aus Tübingen, der mich zu sich eingeladen und mir Bücher gegeben hat. Das war für mich eine tolle Anerkennung. Ich habe dann auch meinen amerikanischen Kollegen geschrieben und angefangen, erste Publikationen zu machen. So bin ich dann in die Maya-Forschung hineingerutscht.

Und der im zitierten ZEIT-Artikel erwähnte Anruf (siehe hier ganz am Anfang) wird bestätigt:

Ich hatte mir immer gewünscht, in dieser Region zu graben. Mein Kollege Iván Sprajc aus Slowenien, mit dem ich seit langem in engem Kontakt stehe, hat Uxul auf einer Expedition nach mehreren Wochen des Durchkämmens  gefunden. Er kletterte auf die dortige Pyramide und rief mich an.

Wunderbar, ich glaube alles.

Verzaubert durch Traurigkeit?

Materialsammlung einer anderen Musik (anders: aus meiner Klassik-Sicht)

Vorweg gefragt: Wer oder was ist „Coldplay“? Siehe hier. Reinhören? (bei MTV) hier.

SZ 19. September 2016 „Heiter bei Moll / Warum manche Menschen melancholische Musik lieben“. Von Christoph Behrens. HIER

Ehrlich gesagt: ich finde solche Artikel beliebig, wenn nicht gesagt wird, welche Leute mit welcher Vorkenntnis wie befragt wurden, woran man überhaupt eine Aussage über Gefühle oder Stimmungen festmacht usw., Zweifel, ob hier überhaupt Tonarten oder -geschlechter wahrgenommen werden; auch der Klassikkenner, der darauf geeicht sein könnte, wird nie ein „Mollstück“ per se als melancholisch einstufen. Er wird vermuten, dass der alles beherrschende, penetrant gleichmäßige Grundschlag in der Pop-Musik zu allererst für Verlässlichkeit und Ordnung sorgt, – jenseit aller musikalischen Qualität. Oder wenn der Grundschlag ausnahmsweise fehlt („ein klassisch instrumentiertes Stück“), dann genügt vielleicht der große schwärmerische Gestus, um die gewünschte Wirkung zu bestätigen. 

ZITAT: „Die Probanden hörten ein klassisch instrumentiertes Stück aus dem Soundtrack der amerikanischen TV-Serie „Band of Brothers“, die im Zweiten Weltkrieg spielt – achteinhalb Minuten in getragenem Moll, ein tieftrauriges Stück.“

Ich vermute, dass der zweite Teil des folgenden Trailers den Kern dieser Musik wiedergibt: zweifellos soll sie pathetisch und sehnsüchtig wirken, kontrastierend zu den Kriegsbildern, die eine brutale Realität spiegeln, jedoch dank der hymnischen Musik weniger real als vielmehr imaginiert und überhöht wirken. Ich kann sagen: das ist schrecklich, aber Gottseidank betrifft es mich nicht wirklich, mich gruselt, aber ich kann mich davon distanzieren, ich kann mein Gruseln sogar genießen, selbst wenn ich mich anschließend schäme und ausrufe: „Nie wieder Krieg!“ –  Trailer Band of Brothers.

100 repräsentativ ausgewählte Personen? Und jeder Fünfte empfand dies oder das? Kannten sie den Film? Und ohne den Film, ohne den Weltkrieg: erkannten sie nicht sofort, dass es – für sich genommen – eine Schnulzenmusik aus dritter oder vierter Hand war? Keinerlei Grund zur Traurigkeit. Und erst recht nicht zum Glücksgefühl. Aristoteles und seine Theorie von der reinigenden Wirkung der antiken Tragödie hat mit alldem nichts zu tun.

Und der Proband müsste nur einen realen Todesfall erleben, der ihn also persönlich bis ins Mark trifft (er erfährt, dass sein Kind unheilbar krank ist), so will er von keiner ausgleichenden Musik mehr getröstet werden. Es wäre wie Verrat.

Und einer, der dies über sich weiß, wird sich auch von Filmmusik nicht täuschen lassen. Er wird allerdings wahrnehmen, wie sie gemeint ist…

S.a. HIER

Psychologie „Musik im Kopf / Hören wir unbewusst Stücke, die zur Stimmung passen? Oder beeinflussen Lieder unsere Gefühle? Forscher erkunden das Zusammenspiel von Musik und Emotion.“ Von Boris Hänßler

Initiative zum Thema

Eine Liste mit 40 Stücken Pop et cet. soll folgen. Sie ist repräsentativ für einen bestimmten jugendlichen Geschmack, wie repräsentativ, kann ich im Augenblick nicht sagen, dazu müssten Recherchen vorliegen. Aber nicht viele Jugendliche wären voraussichtlich willens oder in der Lage, eine solche Liste herzustellen und zu kommentieren. Möglicherweise bin ich auch der ungeeignete (zumal befangene) Adressat, da der Altersunterschied eklatant ist. Andererseits kann dieser gerade für eine besondere (übrigens sympathiegetragene) Herangehensweise sorgen. Die Liste soll allmählich mit weiterführenden Links versehen werden, vor allem zu den Musiktiteln selbst, zu den Texten und zu ersten Informationen über die Interpreten. Die Frage ist, ob es nicht eine völlig andere Art der Begegnung ist, wenn man nicht mit dem Video beginnt, sondern, wie ich, mit der Kopie aller Stücke auf CD. Übrigens bleibt die „Traurigkeit“ ohnehin nicht das Thema, sondern im Gegenteil: die wechselnden Emotionen und vor allem die Machart der Musik. Was vermitteln diese Strukturen?

Zunächst zwei Dokumente zum Beweis, dass die Kollektion authentisch ist:

lieblingslieder

e-liste-1 e-liste-2

(CD Nr.1)
1 Hunger of the Pine / Alt-j Text (orig. und deutsche Übers.) hier mitlesbar
2 Breezeblocks / Alt-j Text hier
3 Taro / Alt-j /// Text unter youtube-Video (ab 2:39 – von 5:06 – ohne voc.)
4 Exxus / Glass Animals Text hier auch Bdtg. des Wortes Exxus
5 Pools / Glass Animals
6 Love Me / The 1975
7 UGH! / The 1975
8 A Change of Heart / The 1975
9 Antichrist / The 1975
10 Harold Bloom / Cold War Kids
11 Drive Desperate / Cold War Kids
12 Hear My Baby Call / Cold War Kids
13 Snap out of it / Arctic Monkeys 
14 Crying Lightning / Arctic Monkeys 
15 505 / Arctic Monkeys 
16 Trouble / TV on the Radio 
17 Love Dog / TV on the Radio
(CD Nr.2)
18 Car Radio / Twenty Øne Piløts
19 We don’t believe what’s on TV
20 Not Today
21 Goner
22 How To Disappear Completely 
23 Burn The Witch / Radiohead
24 Copy of A / Nine Inch Nails
25 Hurt / Nine Inch Nails
26 Right Where it belongs V2 / Nine Inch Nails 
27 Surrender / Billy Talent
28 Viking Death March / Billy Talent
(CD Nr.3)
29 Nothing Else Matters / Metallica
30 Low Man’s Lyric / Metallica
31 Planet Caravan / Black Sabbath
32 Sabbath Bloody Sabbath / Black Sabbath
33 God id Dead? / Black Sabbath
34 Wir /  K.I.Z. 
35 Hurra die Welt geht unter (ft. Henning May) / K.I.Z.
36 Das Kannibalenlied / K.I.Z.
37 Welt verhindern / Susanne Blech
38 I see fife / Ed Sheeran
39 Video GirlFka Twigs
40 Water Me / Fka Twigs

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1 Dieses Video ist fast 26 Millionen mal abgerufen worden! Pulsierender Einzelton, d“, glöckchenartig, wie ein Insekt oder eine Unke, hypnotisch. Der Ton, später: der Klang, von vielen Stimmen erfüllt, bleibt und überlagert das ganze Stück, am Anfang klar erfassbare, pendelnde, pentatonische Melodie, leidenschaftslos gesungen, „somnambul“. „I’ll hum the song the soldiers sing As they march outside the window“. Poetische Sprache, unzureichend übersetzt. Den Film zunächst ignorieren, er läuft (auch ER: der flüchtende Mann, von mehr und mehr Pfeilen durchbohrt) läuft auf einer zweiten Bedeutungsebene, kontrapunktisch. Text aus Perspektive der Frau („I am a female rebel“).

2 Einfache Melodie, männl. solo + Chor, repetitiv, auf Grundton – ebenfalls d“ – bezogen, dazu breaks und Einwürfe. Ostinati, schnelles Pochen. Film: schattenhaft, Badezimmer, Mann u Frau, Auseinandersetzung, Gewalt, Tatort Badewanne, Mund zugeklebt, Frauengesicht + Hand unter Wasser, wie im Sarg. Kontrapunktisch zur emsig arbeitenden Musik, zynischer, leichtfertiger, zugleich bohrender Charakter. Verrückt & banal, das ewige „I love you so“,  Besessenheit. In der Tradition der Balladen vom Schlage „Wie ist dein Schwert vom Blut so rot, Edward“. Die Kommentare zum Textverständnis in youtube beachten. Das Rätsel(raten) gehört dazu!

3 Anfangsklang = Indochina, Falsett-Beginn, die Melodie geht absichtsvoll über die grammatische Struktur des Textes hinweg, expressive close-harmony-Welle vor  „very yellow white flash“, später vor „From you Taro“. Film: lauter exotische, ethnische Szenen des Lebens. Lächelnde Kinder, Menschengruppen, Fremdes verfremdet. Rituelles, das Meer, die rote Sonne. Aufschlussreiche Kommentare: „Simply I cannot explain and understand what makes me feel, it is a duality between sadness and joy that is surprising, the video and the music is a perfect combination (…)“ Perfekte Überraschung, wenn man die deutsche Übersetzung mit dem einleitenden Kommentar des Übersetzers liest: hier.

4 Anfangsklang (changierend, aber „ewig“ präsent), rhythmisches Bett ausgebreitet, ungerührte, naive Stimme (männl.) mit Melodie, zusammengesetzt aus einfachen wiederholten Formeln, Zw.spiel repetiert melod. Kurzformel.

(Fortsetzung folgt)

Menschenzoos

Menschenzoo vorn Menschenzoo rück s.a. HIER

Warum habe ich dies Buch gekauft? Der angegebene Link war schuld. Kurzer Entschluss, vor zwei Tagen bestellt, schon ist es da. Aber habe ich nicht schon genug ähnliche Sachen? (Jetzt erst werde ich aufs neue hineinschauen.) Das Besondere ist: diese bezeugen nicht nur das schon Bekannte über „Menschenzoos“, sondern auch, was man in unserer Zeit, da die Fremden und auch die Fremdesten in greifbarer Ferne zu erleben sind (Tourismus) oder sogar in unmittelbarer Nähe (Flüchtlinge), von Film und Fern-Sehen zu schweigen. (Ich gestehe: auch ein Film ist unterwegs, nur weil Matthias Brandt die richtigen Worte dafür gefunden hat: „Die Dinge des Lebens“. Die Motivation war nicht gering. Aber spielte nicht auch eine Rolle, dass ich ein Buch von Hans Peter Dürr mit dem Titel „Die Tatsachen des Lebens“ greifbar nahe im Bücherschrank stehen habe, so dass der Mythos vom Zivilisationsprozess unwillkürlich assoziiert bleibt? Und dieses mir wieder in der Sinn kam, als ich Anlass hatte, ein Bild der Limburger Brüder genauer anzusehen. Warum das? Weil ich gestern die FAZ gelesen habe. Ist es nicht auch ein Menschenzoo, den wir sehen, wenn wir die Welt der Limburger Brüder aus dem 14. Jahrhundert revue passieren lassen? Ein „Othering“? Oder sogar „Bachs Welt“ in Volker Hagedorns – nicht nur ein Verlebendigungsversuch sondern zugleich eine Verfremdungsarbeit? Es ist alles „ganz anders“. Oder auch der riesige Kosmos der Bachschen Violinsoli „Sei Solo“, der sich uns im gleichen Maß entzieht, wie wir uns ihm nähern? Oder ist gerade dieser Eindruck der Ausdruck des digitalen Wahnsinns, der damit beginnt, dass man sich am Computer wie der Allmächtige fühlt, den gerade heute die Süddeutsche Zeitung im Altertum beschreibt, Assurbanipal mit der größten Bibliothek der Welt im biblischen Ninive, berühmt als Sündenbabel? Und er habe alles gelesen, ALLES. (SZ 27./28. Aug. 2016 Seite 33 von Hubert Filser. Siehe auch British Museum HIER).

Also: WARUM? Weil ich auch hier wieder zwei Bücher (oder mehr) nebeneinanderlegen wollte, um mich zu vergewissern, dass das Thema noch lange nicht erschöpft ist.

Menschen in Kolonien Geraubter Schatten Darin auf Seite 103 das Thema „Völkerschauen“.

Geraubter Schatten Inhalt

Nebenbei auch ein Kompendium der Fotografie. La condition humaine – im Bilderbuch. Oder noch einmal anders: die größte Anmaßung, – schrankenlose Information, die virtuelle Verfügbarkeit aller Dinge, Menschen und Weltregionen. Oder die älteste? Und in Zukunft friedlichste, freieste?

ZITAT

Das Gedächtnis des Großkönigs war umfassend und sein Einfluß global. Es gab keine Krise an irgendeiner weit entfernten Grenze, über die er nicht ständig informiert wurde. Die Entfernungen in seinem Reich waren zwar immens, doch immens war auch die Virtuosität, mit der seine Knechte an der Überwindung dieser Entfernung arbeiteten. Die Geschwindigkeit, mit der persische Nachrichten übermittelt wurden, erregte allgemeines Erstaunen. Leuchtfeuer, die von einem Aussichts-Wachpunkt zum nächsten übersprangen, konnten den Großkönig von jedem beunruhigenden Zwischenfall, praktisch unmittelbar nachdem er sich zugetragen hatte, in Kenntnis setzen. In den Gebirgsregionen des Reiches und vor allem in Persien selbst mit seinen Tälern und deren exzellenter Akustik konnten detailliertere Informationen durch mündliche Weitergabe übermittelt werden. Die Perser, geübt „in der Kunst der Atemkontrolle und im effektiven Einsatz ihrer Lunge“, hatten bekanntermaßen die lautesten Stimmen in der Welt; so manche Botschaft, die von felsigen Abhängen und über Schluchten hinweg weitergegeben wurde, durchquerte innerhalb eines Tages eine Entfernung, die ein Mann zu Fuß in einem Monat nicht hätte durchqueren können. Die Perser hatten in einem bislang nicht dagewesenen Ausmaß begriffen, daß Information gleichbedeutend ist mit Herrschaft. Wer die Informationsübermittlung im Griff hat, hat die Welt im Griff.

So war also die eigentliche Grundlage der Größe Persiens nicht seine Bürokratie und auch nicht sein Heer, sondern seine Straßen. Diese kostbaren Sträne aus Staub und festgetretener Erde bildeten das Nervensystem des riesig ausgedehnten Reichskörpers, in dem ununterbrochen Neuigkeiten unterwegs waren, von Synapse zu Synapse, zum Gehirn hin und von diesem weg. Die Entfernungen, die Kliomenes in so großen Schrecken versetzt hatten, wurden durch die königlichen Kuriere Tat für Tag zunichte gemacht. Allabendlich erreichte ein solcher Bote nach den Strapazen eines Tages im Sattel eine Poststation, die ihn erwartete, wo ein Bett für ihn bereitstand, Verpflegung und für den nächsten Tag ein anderes, ausgeruhtes Pferd. Eine sehr dringende Nachricht, die in ununterbrochenem Galopp, auch nachts und durch Unwetter hindurch, transportiert wurde, konnte Persepolis von der Ägäis aus durchaus in weniger als zwei Wochen erreichen. Das war unglaublich schnell und grenzte schon fast an Magie. Nie zuvor hatte es dergleichen gegeben. Es war kein Wunder, daß ein solches Instrument – die Urform aller Daten-Autobahnen – in der Hand des Großkönigs seine Untertanen einschüchterte und für sie den repräsentativen Maßstab, die nachdrücklichste Manifestation persischer Macht darstellte.

Der Zugang zu diesem Instrument war strengstens begrenzt. Keiner durfte die Straßen des Königs ohne einen Paß, ein viyataka betreten. Da jedes dieser Reisedokumente entweder direkt in Persepolis oder durch das Büro einer Satrapie ausgegeben wurde, bedeutete schon allein sein Besitz einen Zugewinn an Prestige.

Quelle Tom Holland: Persisches Feuer / Das erste Weltreich und der Kampf um den Westen / Klett-Kotta Stuttgart 2008 / ISBN 978-3-608-94463-1 / Seite 207 f

Ob meine „Tatsachen des Lebens“ allzuweit hergeholt sind und zum verzichtbaren Überbau unserer Kultur gehören, 1 Konzert, 1 Mitwirkender, 1 Uhr mittags,  kombiniert mit Hin- und Rückfahrt im ICE, das ist nicht jedem Mit- oder Weltbürger erklärbar. Immerhin ist eine menschlich verbindende Komponente zu erkennen: es handelt sich um 2 Karten. Und die 2. ist fast ausschlaggebend.

Bach Stuttgart Eintrittskarten

Und selbst mit Bach, dem fünften Evangelisten, wie manche meinen, stehen wir mitten in einer Weltproblematik, wenn wir nur den ZEIT-Artikel berücksichtigen, der seit dem 14. Juli 2016 zu lesen war:

Bach ZEIT Blut 160714 Als Ganzes nachlesbar HIER.

Nachtrag 18. September

Ich kann mir den mit inzwischen fremd gewordenen assoziativen Ansatz von damals nur dann nachvollziehbar machen, wenn ich mich langwierig distanziere, was wiederum albern oder eitel wäre. Nach einer Zeit intensiveren Lesens, des Eintauchens in den Stoff der Menschenzoos ändert sich die Einschätzung der eigenen Aktivität vollständig. Ich fühle mich veranlasst auch die versteckte Sensationslust in der eigenen Neugier mit mehr Wohlwollen zu betrachten. Die „Realitätsfresserei“ – man betrachte die Haltung der Wissenschaft in früheren Zeiten, das sinnlose Vermessen der Menschen, und nun die Selbsteinschätzung während des Vorgangs der „Einverleibung“, das gute Gewissen beim Nachvollziehen der unmenschlichen Aktivität der Besitzergreifung. Wie es sich verbindet mit dem Misstrauen gegenüber der eigenen Realitätsfresserei: die „Neu-Gier“ als immer wieder gerühmte, dem Selbstverständnis nach „harmlose“ Journalisteneigenschaft tatsächlich probeweise hinzunehmen – als Einstieg in die Tatsachen des Lebens. Statt Realitätsfresserei wählt man das Wort Anverwandlung. Empathie. Mitleid mit dieser Welt, wie sie war (und ist). Wilhelm von Humboldt schrieb kurz vor seinem Tode:

Wer, wenn er stirbt, sich sagen kann: ‚Ich habe soviel Welt, als ich konnte, erfaßt und in meine Menschheit verwandelt‘ – der hat sein Ziel erreicht.

St. Cugat (wo die Steine singen)

Notizen zu einer Recherche

Marius Schneider 1979 gr 1979

Zu den bekanntesten Arbeiten meines musikethnologischen Lehrers, Prof. Dr. Marius Schneider, gehört das Buch Singende Steine. Ich habe es damals gelesen, fand die Idee faszinierend, entwickelte ohnehin eine Schwäche für Kreuzgänge als Ort der Ruhe und des Nachdenkens, z.B. in Brixen (Südtirol) oder ganz in der Nähe, im Bonner Münster. Allerdings kamen mir schon bei der ersten Lektüre der „Singenden Steine“ Zweifel: wo genau liegt der Beweis, dass mit den Steinen dieser spezielle gregorianische Gesang gemeint ist? Ich habe den Verdacht, dass schon der Titel Assoziationen an unterirdische Höhlen oder Gewölbe am Rande des Ozeans freisetzt, die sich mit einer Vorstellung von Urmusik verbünden, vielleicht auch mit den Sirenen des Odysseus, und nicht mehr zum Schweigen zu bringen sind. Oder die alte Sehnsucht: Das Flüchtigste, die Musik, eingesenkt in die dauerhafteste Materie. Ein Sieg über die Vergänglichkeit. Ich wollte der Sache schon vor Jahrzehnten nachgehen, aber das Schneider-Buch ist damals verloren gegangen. Vielleicht habe ich es verliehen und es gehört zu denen, die niemals wiederkehren… Und nun – den Titel im Sinn und die Unendlichkeit vor Augen.

Bitte anklicken:

Panorma_collserola_san_cugat_cerdanyola_desde_el_tibidabo Quelle Wikimedia

Und dann ins Greifbare HIER. Das gesamte geographische Umfeld. Dann noch konkreter HIER, das Kloster.

Der Autor Hans-Georg Nicklaus hat den Hintergrund der „Singenden Steine“ folgendermaßen beschrieben:

Das Hauptanliegen der Forschungen Schneiders war der Nachweis, daß und wie die Welt nach der Maßgabe menschlicher Vorstellungen (in Mythen, Religionen, Lehren, Abbildungen, Diagrammen etc.) als akustische Schöpfung dargestellt wurde und vielleicht werden mußte. Das Buch “Singende Steine” wurde in den 50er Jahren im Bärenreiter-Verlag veröffentlicht und ist leider nicht mehr zu erhalten. Es enthält Studien über drei katalanische Kreuzgänge romanischen Stils. Schneider hat die Kapitäle der Säulengänge im Inneren dieser Klöster untersucht, genauer gesagt: er hat die Tiersymbole an den Kapitälen dieser Kreuzgänge auf ihre musikalische Bedeutung hin analysiert. Er nahm abgekürzte Sanskritwörter aus dem Indischen, aus der indischen Musiktradition, zu Hilfe, von denen er wußte, daß sie ganz bestimmte Töne repräsentieren und eine Tonleiter darstellen. Die Silben sa, ri, ga, ma, pa, dha, ni stehen für die Töne c, d, e, f, g, a, h und sind gleichzeitig Abkürzungen für Tiernamen bzw. Anfangssilben von Tiernamen. Schneider brauchte also nur die Tiersymbole, die er an den Kapitälen sah (den Löwen, den Pfau etc.), in die Silben rückzuübersetzen, um Töne zu erhalten. Das Ergebnis war verblüffend: Schneider erhielt so nicht nur signifikante Ton-Skalen, er erhielt im Falle von St. Cugat sogar einen Choral: die Tiersymbole, wie sie an den Säulen dieses Klosters zu sehen sind, das heißt in ihrer durch den Kreuzgang festgelegten Reihenfolge und Anzahl, ergaben genau die Töne eines gregorianischen Chorals auf den heiligen Cucuphatus, also den Namensgeber von St. Cugat. – Dies vorab zur Charakteristik von Schneiders Forschungen.

Quelle: hier http://www.harmonik.de/harmonik/vtr_pdf/Beitraege9407Nicklaus.pdf

Die Mitteilung, dass das Buch nicht mehr zu erhalten ist, stimmt nicht ganz: ich habe es eben bei amazon antiquarisch bestellt. Und es gibt sogar noch einige Exemplare mehr. (Heimeran Verlag München 1978).

Nun zu meinen alten Zweifeln, kurzgefasst: Was hat denn St. Cugat mit Indien zu tun? Gibt es beweisbare Verbindungen? Danach werde ich in dem Buch suchen. Und wenn die Vermutung einer direkten Verbindung und schließlich die Benennung der „steinernen“ Töne einer Choralmelodie auf irgendwelchen gedanklichen Kompromissen beruht – sagen wir, ein Ton passt nicht, ein anderer fehlt und man muss etwas hinzudenken, was sich nicht zwingend anbietet -,  dann bleibe ich nicht nur bei meinen Zweifeln: ich lehne die Theorie als bloße Glaubenssache ab. Ganz gleich, wie sehr mich der Kreuzgang oder der Blick in die Unendlichkeit der Landschaft zur Frömmigkeit mahnt.

Ein zweites Buch liegt bereit, das von diesem angeregt wurde, Stichwort Moissac, auch einen Roman mit dem Titel „Singende Steine“ soll es geben. Aber wenn dieser erste Schritt nicht funktioniert, erlischt auch mein weiterer Recherche-Impetus.

Sela, Psalmenende

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Ich greife vor und zitiere aus dem „Moissac“-Buch, – da steht: „Schneider ging bei der Entschlüsselung von der Annahme aus…“ Von der Annahme! Und später: „In der Spätantike kamen diese Erkenntnisse über die Griechen in das Abendland.“ Sie kamen… Wo steht das geschrieben? „Lässt sich das auch beweisen?“

Moissac Schneider Bloße Spekulation oder nicht?

Quelle Rainer Straub: Die singenden Steine von Moissac. Entschlüsselung der geheimnisvollen Programme in einem der schönsten Kreuzgänge Europas. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2009. (Entliehen von Christian Schneider, Düsseldorf.)

Nachtrag 27. Juli 2016

Das Buch ist eingetroffen:

Singende Steine

Zugleich möchte ich nachtragen, dass der oben zitierte Autor Hans-Georg Nicklaus durchaus ernstzunehmen ist. Aus seinem Buch „Die Maschine des Himmels. Zur Kosmologie und Ästhetik des Klangs“ (Wilhelm Fink Verlag München 1994). Ich zitiere die erste Seite des Werkes um seinen Ansatz anzudeuten und zugleich seine Distanz zu esoterischen Phantasien zu dokumentieren (siehe hier in der Anmerkung zu J.-E.Berendt).

Nicklaus Erste Seite

Erwähnenswert auch das neue Buch (das mir nicht zur Verfügung steht) „Weltsprache Musik“ 2015, betreffend Rousseau. Information und Rezension HIER.

Zu J.-E. Berendt erinnere ich an meine Polemik 1989 HIER.

Zur Verbindung Indien/Griechenland (Aristoteles) nicht vergessen: hier.

Singende Steine

Ich bin also auf der Suche nach Hinweisen, die uns ermächtigen, Skulpturen in der Weise zu deuten, wie es bei Marius Schneider nachlesbar ist. Ein entscheidender Punkt scheint die Verbindung nach Indien zu sein, die offenbar in der von ihm verwendeten Literatur zu finden ist. Wobei mich die offensichtliche Schwäche eines längeren Zitates verblüfft, das relativ frühe (1258) Beziehungen zwischen Westeuropa und Indien belegen soll, letztlich jedoch nur die dürftige Aussage über geplante Lieferungen chinesischer Keramik nach Griechenland und griechischen Brokats nach Indien enthält.

Schneider Steine Quellen

Die anderen Quellenangaben ermutigen nicht eben zu größeren Erwartungen. Leo Schrades Titel „Die Darstellung der Töne an den Kapitellen der Abteikirche zu Cluny“ steht mir (noch) nicht zur Verfügung. Jedoch findet man im Internet eine tüchtige Arbeit in seiner Nachfolge, wobei ich nicht sicher bin, ob  der Autor Frater Gregor tatsächlich von Leo Schrade (oder Marius Schneider) Kenntnis hatte: „Vom Ethos der Tonarten. Betrachtungen ausgewählter Beispiele der Toni-Darstellungen an den Kapitellen von Cluny.“ (Angeregt durch einen Besuch in Cluny 1986). Auffindbar HIER.

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Präzisere Angaben zu frühen indisch-griechischen (oder gar indisch-europäischen) Wechselwirkungen findet man bei Lutz Geldsetzer:

Die antike mittelmeerische Welt hat indische Philosophie durch ihre Vertreter, die sie „Gymnosophisten“ („nackte Philosophen“) nannte, vermutlich recht genau gekannt. Unübersehbar verwandt ist das Denken eines Parmenides, Platons oder eines Sophisten wie Gorgias („es gibt überhaupt Nichts!“) mit gewissen Philosophemen indischen Denkens. Und vermutlich verdankt sich solche Verwandtschaft regem Verkehr hin und her, der besonders seit den Alexanderzügen bis nach Indien gut entwickelt gewesen sein muß. So finden sich bei vielen spätantiken Schriftstellern Erwähnungen der Gymnosophisten, teils fabelhafter Natur, und manche Patristiker schätzen sie als „vorchristliche Heilige“.

Die islamischen Eroberungen scheinen dann eine undurchdringliche Barriere zwischen dem Abendland und Indien errichtet zu haben. Mittelalterliche Philosophie weist, soweit bisher bekannt ist, keinen Kontakt mit indischer Philosophie auf. Umso mehr steht sie in lebendigem Austausch mit der Philosophie im islamischen Kulturraum.

Die Renaissance nimmt wieder, wie von allem Alten als den Wurzeln der christlichen Kultur, auch vom indischen Denken „antiquarisch“ Notiz, wie man bei Gemisthios Plethon und Giovanni Pico della Mirandola ersieht (vgl. dazu J. D. M. Derrett, Art. „Gymnosophisten“ in: Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike, Band 2, München 1979, Sp. 892/3). Indische Philosophie interessiert und erscheint als eine „uralte Weisheit“ im Spiegel antiker Berichte, die gesammelt und philologisch aufbereitet werden.

Quelle Internet DIE KLASSISCHE INDISCHE PHILOSOPHIE Vorlesungen an der HHU Düsseldorf SS 1982, WS 1993/94, WS 1998/99 von Lutz Geldsetzer § 3. Geschichte der abendländischen Befassung mit der indischen Philosophie. Auffindbar HIER.

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Die ältesten indischen Beschreibungen des Tonsystems:

Natya Shastra: Wikipedia HIER / dem Bharata zugeschr. (zw. 500 vor und 500 n.Chr.)

Sangita Ratnakara: Wikipedia Hier / geht auf Sharngadeva zurück (1210-1247)

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Notiz zu Bartóks Bauernliedern

Wirklich nur eine Kleinigkeit (und ein großer Film als Zugabe)

Bartok Druckfehler

Meine Notiz stammt vom 2. Juni 1981: da hörte (und sah) ich eine Sendung mit dem Pianisten Andor Foldes (WDR 3 22.30 h) und er berichtete, dass Bartók ihn auf einen Druckfehler aufmerksam gemacht habe, was ich damals sofort in meinen Noten vermerkte: im Scherzo (Nr. 5). Auf die Ermunterung, dass eine Neuausgabe den Fehler eliminieren werde, reagierte der Komponist halb resigniert. Er glaube nicht, dass sich noch jemand dafür interessieren würde.

Es ging also darum, dass der in meinem Beispiel eingekreiste Überleitungstakt verdoppelt werden muss: wobei die Achtelpause in eine Viertelpause, die Achtelnoten in Viertel verändert und nach dem zweiten Viertel ein zusätzlicher Taktstrich eingefügt wird. Das ist völlig plausibel, wenn man 11 Takte weiter schaut: wo diese Tongruppe auf 4 Überleitungstakte mit den gleichen Notenwerten ausgedehnt wird.

Nun gibt es eine neue Ausgabe, siehe hier, und ich würde diesen Blogbeitrag gern wieder entfernen, sobald ich dort der Korrektur dieses Taktes begegne oder mir jemand darüber Mitteilung macht. Vielleicht sogar der Verlag selbst? Meine Anfrage läuft……

ZITAT (unter dem oben angegebenen Link auffindbar)

Zur Vorbereitung der vorliegenden revidierten Neuauflage wurden alle verfügbaren handschriftlichen Quellen mit der zuletzt erschienenen Ausgabe verglichen. Die dabei gefundenen Unterschiede wurden analysiert und gegebenenfalls korrigiert. Folgende Handschriften lagen vor: 1. die Kompositionsskizze, 2. die Stichvorlage (eine Kopistenabschrift mit Bartóks eigenhändigen Zusätzen). Abzüge der Schlusskorrektur, welche einige Abweichungen von der Stichvorlage erklären könnten, wurden nicht gefunden. (P. Bartók)

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Kaum zu glauben: Eine halbe Stunde später traf die Antwort des Verlages ein. Einen solchen Service habe ich buchstäblich noch nie erlebt!

Im originalen Text des Vorwortes von Peter Bartók geht es demnach wenig später folgendermaßen weiter:

Möglicherweise wünschte Béla Bartók, daß Takt 11 des Scherzos langsamer als notiert ausgeführt wird. In einer gedruckten Ausgabe, die sich im Besitz des verstorbenen Pianisten Andor Foldes befand, merkte der Komponist mit Rotstift an, daß dieser Takt im halben Tempo zu spielen sei: Viertelpause und Viertelnoten, auf zwei Takte aufgeteilt, anstatt Achtel in nur einem Takt.

Herzlichen Dank an Katja Kaiser, Editorial Department / Historical Archive / Universal Edition AG Forsthausgasse 9 / 1200 Wien, Austria

Ich möchte den Blogbeitrag also doch nicht entfernen, sondern zu weiterem Nutzen des Komponisten verlängern. Vielleicht finde ich die Original-Notation des Liedes?

Bartok Ungarisches Volkslied

Hierin S.197 der Text, S.316 die Melodie des Liedes aus dem das Scherzo gemacht ist:

Bartok Scherzo TextBartok Scherzo Melodie

Zudem erinnere ich an einen beeindruckenden Film über den Volksliedsammler Béla Bartók…

Den Hinweis auf diese youtube-Quelle verdanke ich JMR.