Verzaubert durch Traurigkeit?

Materialsammlung einer anderen Musik (anders: aus meiner Klassik-Sicht)

Vorweg gefragt: Wer oder was ist „Coldplay“? Siehe hier. Reinhören? (bei MTV) hier.

SZ 19. September 2016 „Heiter bei Moll / Warum manche Menschen melancholische Musik lieben“. Von Christoph Behrens. HIER

Ehrlich gesagt: ich finde solche Artikel beliebig, wenn nicht gesagt wird, welche Leute mit welcher Vorkenntnis wie befragt wurden, woran man überhaupt eine Aussage über Gefühle oder Stimmungen festmacht usw., Zweifel, ob hier überhaupt Tonarten oder -geschlechter wahrgenommen werden; auch der Klassikkenner, der darauf geeicht sein könnte, wird nie ein „Mollstück“ per se als melancholisch einstufen. Er wird vermuten, dass der alles beherrschende, penetrant gleichmäßige Grundschlag in der Pop-Musik zu allererst für Verlässlichkeit und Ordnung sorgt, – jenseit aller musikalischen Qualität. Oder wenn der Grundschlag ausnahmsweise fehlt („ein klassisch instrumentiertes Stück“), dann genügt vielleicht der große schwärmerische Gestus, um die gewünschte Wirkung zu bestätigen. 

ZITAT: „Die Probanden hörten ein klassisch instrumentiertes Stück aus dem Soundtrack der amerikanischen TV-Serie „Band of Brothers“, die im Zweiten Weltkrieg spielt – achteinhalb Minuten in getragenem Moll, ein tieftrauriges Stück.“

Ich vermute, dass der zweite Teil des folgenden Trailers den Kern dieser Musik wiedergibt: zweifellos soll sie pathetisch und sehnsüchtig wirken, kontrastierend zu den Kriegsbildern, die eine brutale Realität spiegeln, jedoch dank der hymnischen Musik weniger real als vielmehr imaginiert und überhöht wirken. Ich kann sagen: das ist schrecklich, aber Gottseidank betrifft es mich nicht wirklich, mich gruselt, aber ich kann mich davon distanzieren, ich kann mein Gruseln sogar genießen, selbst wenn ich mich anschließend schäme und ausrufe: „Nie wieder Krieg!“ –  Trailer Band of Brothers.

100 repräsentativ ausgewählte Personen? Und jeder Fünfte empfand dies oder das? Kannten sie den Film? Und ohne den Film, ohne den Weltkrieg: erkannten sie nicht sofort, dass es – für sich genommen – eine Schnulzenmusik aus dritter oder vierter Hand war? Keinerlei Grund zur Traurigkeit. Und erst recht nicht zum Glücksgefühl. Aristoteles und seine Theorie von der reinigenden Wirkung der antiken Tragödie hat mit alldem nichts zu tun.

Und der Proband müsste nur einen realen Todesfall erleben, der ihn also persönlich bis ins Mark trifft (er erfährt, dass sein Kind unheilbar krank ist), so will er von keiner ausgleichenden Musik mehr getröstet werden. Es wäre wie Verrat.

Und einer, der dies über sich weiß, wird sich auch von Filmmusik nicht täuschen lassen. Er wird allerdings wahrnehmen, wie sie gemeint ist…

S.a. HIER

Psychologie „Musik im Kopf / Hören wir unbewusst Stücke, die zur Stimmung passen? Oder beeinflussen Lieder unsere Gefühle? Forscher erkunden das Zusammenspiel von Musik und Emotion.“ Von Boris Hänßler

Initiative zum Thema

Eine Liste mit 40 Stücken Pop et cet. soll folgen. Sie ist repräsentativ für einen bestimmten jugendlichen Geschmack, wie repräsentativ, kann ich im Augenblick nicht sagen, dazu müssten Recherchen vorliegen. Aber nicht viele Jugendliche wären voraussichtlich willens oder in der Lage, eine solche Liste herzustellen und zu kommentieren. Möglicherweise bin ich auch der ungeeignete (zumal befangene) Adressat, da der Altersunterschied eklatant ist. Andererseits kann dieser gerade für eine besondere (übrigens sympathiegetragene) Herangehensweise sorgen. Die Liste soll allmählich mit weiterführenden Links versehen werden, vor allem zu den Musiktiteln selbst, zu den Texten und zu ersten Informationen über die Interpreten. Die Frage ist, ob es nicht eine völlig andere Art der Begegnung ist, wenn man nicht mit dem Video beginnt, sondern, wie ich, mit der Kopie aller Stücke auf CD. Übrigens bleibt die „Traurigkeit“ ohnehin nicht das Thema, sondern im Gegenteil: die wechselnden Emotionen und vor allem die Machart der Musik. Was vermitteln diese Strukturen?

Zunächst zwei Dokumente zum Beweis, dass die Kollektion authentisch ist:

lieblingslieder

e-liste-1 e-liste-2

(CD Nr.1)
1 Hunger of the Pine / Alt-j Text (orig. und deutsche Übers.) hier mitlesbar
2 Breezeblocks / Alt-j Text hier
3 Taro / Alt-j /// Text unter youtube-Video (ab 2:39 – von 5:06 – ohne voc.)
4 Exxus / Glass Animals Text hier auch Bdtg. des Wortes Exxus
5 Pools / Glass Animals
6 Love Me / The 1975
7 UGH! / The 1975
8 A Change of Heart / The 1975
9 Antichrist / The 1975
10 Harold Bloom / Cold War Kids
11 Drive Desperate / Cold War Kids
12 Hear My Baby Call / Cold War Kids
13 Snap out of it / Arctic Monkeys 
14 Crying Lightning / Arctic Monkeys 
15 505 / Arctic Monkeys 
16 Trouble / TV on the Radio 
17 Love Dog / TV on the Radio
(CD Nr.2)
18 Car Radio / Twenty Øne Piløts
19 We don’t believe what’s on TV
20 Not Today
21 Goner
22 How To Disappear Completely 
23 Burn The Witch / Radiohead
24 Copy of A / Nine Inch Nails
25 Hurt / Nine Inch Nails
26 Right Where it belongs V2 / Nine Inch Nails 
27 Surrender / Billy Talent
28 Viking Death March / Billy Talent
(CD Nr.3)
29 Nothing Else Matters / Metallica
30 Low Man’s Lyric / Metallica
31 Planet Caravan / Black Sabbath
32 Sabbath Bloody Sabbath / Black Sabbath
33 God id Dead? / Black Sabbath
34 Wir /  K.I.Z. 
35 Hurra die Welt geht unter (ft. Henning May) / K.I.Z.
36 Das Kannibalenlied / K.I.Z.
37 Welt verhindern / Susanne Blech
38 I see fife / Ed Sheeran
39 Video GirlFka Twigs
40 Water Me / Fka Twigs

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1 Dieses Video ist fast 26 Millionen mal abgerufen worden! Pulsierender Einzelton, d“, glöckchenartig, wie ein Insekt oder eine Unke, hypnotisch. Der Ton, später: der Klang, von vielen Stimmen erfüllt, bleibt und überlagert das ganze Stück, am Anfang klar erfassbare, pendelnde, pentatonische Melodie, leidenschaftslos gesungen, „somnambul“. „I’ll hum the song the soldiers sing As they march outside the window“. Poetische Sprache, unzureichend übersetzt. Den Film zunächst ignorieren, er läuft (auch ER: der flüchtende Mann, von mehr und mehr Pfeilen durchbohrt) läuft auf einer zweiten Bedeutungsebene, kontrapunktisch. Text aus Perspektive der Frau („I am a female rebel“).

2 Einfache Melodie, männl. solo + Chor, repetitiv, auf Grundton – ebenfalls d“ – bezogen, dazu breaks und Einwürfe. Ostinati, schnelles Pochen. Film: schattenhaft, Badezimmer, Mann u Frau, Auseinandersetzung, Gewalt, Tatort Badewanne, Mund zugeklebt, Frauengesicht + Hand unter Wasser, wie im Sarg. Kontrapunktisch zur emsig arbeitenden Musik, zynischer, leichtfertiger, zugleich bohrender Charakter. Verrückt & banal, das ewige „I love you so“,  Besessenheit. In der Tradition der Balladen vom Schlage „Wie ist dein Schwert vom Blut so rot, Edward“. Die Kommentare zum Textverständnis in youtube beachten. Das Rätsel(raten) gehört dazu!

3 Anfangsklang = Indochina, Falsett-Beginn, die Melodie geht absichtsvoll über die grammatische Struktur des Textes hinweg, expressive close-harmony-Welle vor  „very yellow white flash“, später vor „From you Taro“. Film: lauter exotische, ethnische Szenen des Lebens. Lächelnde Kinder, Menschengruppen, Fremdes verfremdet. Rituelles, das Meer, die rote Sonne. Aufschlussreiche Kommentare: „Simply I cannot explain and understand what makes me feel, it is a duality between sadness and joy that is surprising, the video and the music is a perfect combination (…)“ Perfekte Überraschung, wenn man die deutsche Übersetzung mit dem einleitenden Kommentar des Übersetzers liest: hier.

4 Anfangsklang (changierend, aber „ewig“ präsent), rhythmisches Bett ausgebreitet, ungerührte, naive Stimme (männl.) mit Melodie, zusammengesetzt aus einfachen wiederholten Formeln, Zw.spiel repetiert melod. Kurzformel.

(Fortsetzung folgt)