Archiv für den Monat: Januar 2021

Licht aus Oberägypten

Was ist aus Scheich Hans geworden?

Wir kennen uns seit Mitte der 50er Jahre, er wohnte wie ich in Bielefeld und ebenfalls unweit der Pauluskirche; er war in der Klasse meines älteren Bruders und fiel dort durch größte Belesenheit auf. Wir kamen im Landschulheim auf Langeoog ins Dauergespräch, wo in den Sommerferien auch Schüler aus verschiedenen Altersgruppen aufeinandertrafen. Wir lasen Hermann Hesse und Gottfried Benn, er studierte Romanistik in Paris und Freiburg (bei Hugo Friedrich), fasste Fuß in der Schweiz, wo er später jahrzehntelang als Gymnasiallehrer arbeitete, lebte auf dem Land in der Toscana, und später – halbjährlich wechselnd – in Oberägypten, um sich mit der arabischen Sprache eine neue Welt zu erschließen.

Also schrieb er am 10. Dezember 2020

„… vorgestern bin ich von einer viertägigen Reise nach Aswân (Assuan) zurück nach Luxor gekommen, und weil ich mit der Bahn gefahren bin, liess ich den Laptop daheim. Aber ich hatte das Handy mit, und so kann ich Dir anstelle eines langen Berichts einfach eine Serie von Fotos schicken, die vielleicht unmittelbar zeigen, was diese Region und die Menschen so faszinierend macht.“

„Der Aufenthalt in Aswân hat mir sehr gut getan. Diese Stadt ist viel schöner als Luxor, sie heißt Al-Nuba und ist noch sonniger und milder, weil sie 200 km weiter südlich liegt und noch näher am Rand der Wüste. Ich habe bei nubischen Freunden gewohnt, in einem Häuschen auf Klippen und Sand, ihre überschäumende Lebensfreude erlebt und ihre würzigen kulinarischen Köstlichkeiten genossen. Weil dieses Haus recht weit von der Stadt entfernt liegt (dort wo man die Nubier bei der Überflutung ihrer Dörfer angesiedelt hat. Diese liegen seit dem Bau des Hochdamms ja tief unten im Schlamm des Nassersees), fährt man mit dem Boot auf dem Nil ins Zentrum hinein, etwa eine Stunde lang, zwischen Felsen und Inseln hindurch, und freut sich an einem traumhaft schönen Panorama.“

Scheich Hans im Gespräch

 

   

In der Tat, die Bilder wecken zumindest das Verlangen, mehr über das Land zu erfahren, hier ist der Wikipedia-Artikel. (Alle Fotos oben: Hans Mauritz)

Foto-Quelle Wikipedia hier

Den Namen „al-Nuba“ hatte ich in den obigen Text eingefügt und trage gern eine Korrektur nach:

P.S. Ein kleines Missverständnis, das aber nicht weiter schlimm ist: al-Nuba ist eigentlich nicht der Name der Stadt Aswân, sondern des Siedlungsgebietes der Nubier südlich der Stadt, dort wo heute der Nassersee liegt, und weiter bis in den Sudan hinein. Ich habe al-Nuba auch benutzt für die Inseln und Hänge am Nil, auf denen man die Nubier angesiedelt hat, und die liegen tatsächlich in felsigen und sandigen Gebieten, die zur Stadt Aswân gehören. Einige Orte sind zu Anziehungspunkten der Touristen geworden, andere sind irgendwie Elendsquartiere, aber sauber, bunt bemalt und von nubischer Fröhlichkeit beseelt. Wer weiss, vielleicht geschieht ein Wunder: Und Ihr könnt nicht widerstehen und reist eines schönen Tages mit mir nach al-Nuba !?! (HM)

Darüberhinaus er erfahre ich, dass Dr. Hans Mauritz wieder einmal ein interessantes Buch übersetzt und durch einen Essay ergänzt hat, – aufschlussreiche Aspekte des gesellschaftlichen Lebens, weitgehend unbekannt im Westen, auch in der arabischen Welt mental ausgeblendet oder in den Untergrund verbannt. Im Abseits. Ich warte mit Spannung.

Es ist schon da:

www.kubri.ch

(Weiteres folgt)

Jahreszeiten – Lebenszeiten

Fixpunkte und Farben der Erinnerung

Kapellmeister 1923 Stralsund

Greifswald Plakat 1938

Die Jahreszeiten-Aufführung

1938

gesehen mit den Augen einer dankbaren Schülerin.

Zur Hochzeit

in der Luisenkirche Berlin-Charlottenburg 30.7.1938 (Kinder 1939, 1940, 1943†, 1950)

KRIEG 1939 -1945

Gymnasium Bielefeld 1953

AR dirigiert wieder. (Ich sitze unten rechts.)

oben: Bielefeld Ausflugsrestaurant Freudental 1957

unten: Friedhof Bethel † 1959 (200 m entfernt)

rund 50 Jahre später…

Unvergessen

Helmholtz der Klavierspieler

Erstbegegnung

Warum ich dieses Buch seit Ende der 60 Jahre besitze, ohne dass es viele Lesespuren enthält, weiß ich nicht. Wahrscheinlich nur, weil ich erfahren hatte, dass darin sich schon einiges über das arabische Tonsystem befindet, also im Zusammenhang mit den „Grundlagen der antiken und orientalischen Musikkultur“ von Heinrich Husmann, veröffentlicht 1961 (erworben 28.VI.68), in dem allerdings nur 1 Mal (Seite 25) Helmholtz erwähnt wird, und zwar im Zusammenhang mit dem Phänomen der Schwebung (erst später entdeckte ich die Schwebungsdiaphonie der Bulgaren, dank Gerald Florian Messners Dissertation 1976). Zumindest studierte ich gründlich das Vorwort und das ausführliche Inhaltsverzeichnis und daraufhin besonders die letzten Kapitel, während die Beilagen mich sozusagen in meine Grenzen wiesen.

Bemerkenswert, dass er im Zusammenhang mit „fein ausgebildete[r] Musik ohne Harmonie“ [Harmonik] die außereuropäischen Völker nicht vergisst!

Helmholtz Wiki hier

„Helmholtz hat sehr genau gesehen,

dass es zwischen den Zeichen und dem,

wovon die Zeichen handeln,

keiner Art von Ähnlichkeit

bedarf.“

(NB Hier ist von der visuellen Kunst die Rede, nicht von Notenzeichen)

Weiterlesen:

HIER

Dank an JMR !

Ich erinnere mich, als mein Vater begann, mit mir Harmonielehre zu arbeiten und ich mit leisem Misstrauen das Verbot der Oktav- und Quintenparallelen „hinnehmen“ musste; ich war vielleicht 12. Und entdeckte dann, in Erinnerung an eine Probe mit dem Schulorchester, die Partitur (Joh. Christian Bach?) auf dem Flügel, schaute den Anfang scharf an und fand bestätigt: alles in Oktaven!!! Also darf man das doch?! Jaja, natürlich, unisono, sagte mein Vater, der solche Besserwisserei sowieso nicht liebte, das Verbot gilt doch nur im strengen Satz. Ich wollte aber komponieren lernen, nicht „strengen Satz“.

Mein Vater und ich (1953)

Weiteres (mit Bezug zu Orgelartikel „Mixturen“ und Quintenverbot z.B. hier)

Sehr interessant auch, wenn Helmholtz von dem Experiment mit Joseph Joachim berichtet (ein Faktum betreffend, mit dem heute jeder Geigenschüler vertraut sein dürfte).

Die Banalität der Zerstörung

Nur nichts mehr von Trump

So hatte ich es mir gedacht, dies nur nicht im Blog, alles dazu ist oder wird ja schon gesagt. Wenn nur dieser Mann erst verschwunden wäre! Der Leitartikel in der Süddeutschen tat dennoch gut daran, ihn noch einmal an Shakespeares schrecklichsten Gestalten zu messen. Gerade weil es nicht einmal im weiten Reich der Phantasie etwas wirklich Vergleichbares gibt. Zu lächerlich, um es als „das Böse“ zu entlarven: Es hätte einfach kein aufklärerisches Potential. Keine Wahrheit. (s.a. hier)

USA Ein wahres Gesicht / Von Christian Zaschke / 9./10. Januar 2021 Seite 4 hier

Darin Folgendes:

Man könnte sich trotzdem noch einmal die Mühe machen, den Vergleichsmöglichkeiten nachzugehen, zumal die Schulen, die Institutionen des Lernens, weitgehend vom Lockdown betroffen sind. Ich sitze also an folgendem englischsprachigen Artikel. Nachzulesen in „The Atlantic“: hier. „The Feckless King“. (dict: nutzlos, untauglich, nichtsnutzig) genau! Aber sehen Sie nur, wie lang das schon her ist, Oktober 2020, und doch ist jede neue Stufe nur noch schlimmer geworden!

Eliot A. Cohen

Damals ging es „nur“ um Covid19, von dem Skandal um das Capitol ahnte man noch nichts. Nach wie vor ist die Anspielung auf Shakespeares Schreckensgestalten wie Macbeth, Richard II. oder Richard III. oder auf die Gestalten der altgriechischen Tragödie anregend, aber viel zu hoch gegriffen, – diese Charaktere haben mit Trump nichts zu tun. Der grassierenden Dummheit kann man nicht mit differenzierten Bildern und mythologischer Überhöhung begegnen. Was da geschehen ist, haben wir zu analysieren, ohne uns mit wohlfeilen Theorien abzugeben, die uns des eigenen Denkens entheben. Die Methoden der politischen und gesellschaftsbezogenen Aufklärung sind vorhanden und werden unentwegt auch in den großen Zeitungen (!) angewendet und entfaltet, man muss all diese Chancen nutzen und sich darin täglich üben. Was aber ist die Grundlage solcher Übung? Es ist nicht banal, es ist nur selbstverständlich: Kultur, Bildung, Musik, Kunst, Literatur, Theater, Wissenschaft – kurz: der ganze Überbau des Geistes. Sport und Spiel selbstverständlich nicht ausgeschlossen, aber das kommt von selbst, wie das Reisen und die Bewegungsfreude, alles, was den Menschen lebendiger macht. Vielleicht auch nur: teilnehmender. Ich meine: alles umfassend, was gesellschaftlich und privat gut ist.

Der Begriff von der Banalität des Bösen, den Hannah Arendt im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess 1961 prägte, hat mit Recht Kontroversen ausgelöst hat und sollte nicht unbedacht verwendet werden. Gerade deshalb habe ich ihn rekapituliert: nach der Attacke auf das empfindliche Gebilde der Demokratie. Man darf das nicht dämonisieren, denke ich. Eine erste Klärung: was bleibt davon, wenn man es heute noch einmal betrachtet, siehe zunächst in Wikipedia hier.

Zutreffend ist nur, dass die kindischen Verhaltensmuster des amerikanischen Präsidenten auch Formen des massiv Banalen in die politische Szene eingebracht hat, ohne dass sie auch nur entfernt mit der Todes-Maschinerie des Dritten Reiches verglichen werden könnten. Faschismus allerdings ist einfach organisierte Dummheit. Das Wort Wahnsinn wäre zuviel Ehre.

Aber ist das Wort Zerstörung nicht zu pauschal? Nein, er kann es nur nicht verwenden, weil es selbst für ihn zu negativ klingt. Er vernichtet keinen Menschen (abgesehen von den Todesurteilen), er sagt: „Sie sind gefeuert!“ Er sagt nicht: „Ich bin das alleinige omnipotente Ich, es gibt kein größeres neben mir!“ (Shakespeare s.u.: „I and I“). Er sagt: „Make America great again!“ (America= Ich, great again= great forever). Wenn er eine Mauer baut, heißt es nicht, dass er etwas erbaut, – er exkludiert, er eliminiert die Anderen

   *     *     *

Ein guter Grund dennoch, den Shakespeare-Bereich der Bibliothek aufzusuchen, das meiste stammt von 2008 (Neuss Festival), aber begonnen hatte es für mich etwa Juli 1959 nach einer Hamlet-Aufführung in Bielefeld.

Sämtliche Werke OTUS

Zitat „The Feckless King“

Trump does elicit torrid metaphors, and in this case some of those gloating observers (in concealed or open fashion, to their particular taste) seem to have in mind something like Act V, Scene iii of Richard III, in which the villainous king, before the Battle of Bosworth Field in 1485, is visited by the ghosts of those he has murdered. One by one, they make disobliging remarks such as “Let me sit heavy on thy soul tomorrow” and “Tomorrow in the battle think on me, and fall thy edgeless sword,” and, simply, “Despair and die.” The equivalent, one supposes, would be the ghosts of John McCain, Ruth Bader Ginsburg, and John Lewis giving the president a bad night of it during a fevered sleep.

But Trump is not, and never was, Richard III, or indeed any of Shakespeare’s other great villains, such as Iago or Macbeth. He is not as smart, well spoken, or competent as they are; he has limited self-awareness, and would be incapable of the poignant soliloquies that leave us with a sneaking sympathy for Richard III, in particular.

(Eliot A. Cohen: „The Feckless King“)

Otus Verlag

Oder: Rowohlts Klassiker in Einzelausgaben (1.7.1959)

„Richard loves Richard; that is, I am I. / Is there a murder here? No; yes, I am.“

Noch einmal: Gut und Böse? ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen erinnerte daran, was Joschka Fischer einmal nach dem 11. September 2001 seinen Mitarbeitern gesagt hat: dass diese Bilder, diese unglaublichen, die da zu sehen waren, und die, die das machen, – glaubt nicht, dass die das Böse sind. Das ist nicht das Böse, das sind Menschen, die glauben das absolut Gute zu tun, so wie im Dritten Reich Himmler und die Nazis. Er hat das damals so verglichen, und ich glaube, das ist nicht soviel anders. Man muss da natürlich vorsichtig sein, es trifft bei weitem nicht auf alle zu, die wir da gesehen haben, aber dieser feste, unerschütterliche Glaube, dass man im Recht ist, der ist der fruchtbare Boden auch für Gewalt… (Lanz-Sendung 12.01.21 ab 14:05).

Musik um neuen Mut zu fassen

Ohne Kommentar (trübes Januar-Wochenende)

J.S. Bach: Lobet den Herrn, alle Heiden BWV 230 | Pygmalion, Raphaël Pichon

Dank an Saskia Rw !

Franz Schubert: Klaviertrio B-dur D 898 Janine Jansen & Friends 2011

Dank an Wofgang Hamm !

Ein Text von JR, geschrieben für das Abeggtrio, damals bei EMI Classics, später bei Tacet, ©1995

Plan und Zufall

Beispiel HEUTE

Morgens ist das VAN-Magazin in der Mailbox, ich schlage es auf, mich interessiert als erstes das Gespräch mit Graham Johnson über Schubert-Lieder (ich erinnere mich an ein Zusammentreffen mit Freund Hans Winking im Funkhaus-Foyer, er hat Produktion und ist schlecht gelaunt: „Graham Johnson hat nicht geübt!“). Ach, lieber fange ich an mit Volker Hagedorn, ich lese alles von ihm, seit ich sein Buch „Bachs Welt“ studiert habe, immer dankbar. Hier und hier. Er schreibt manchmal in der ZEIT, immer gut, heute in VAN über seine Beethoven-Pflicht, die in der Mozart-Kür gipfelt, und dann noch etwas, das folgt gleich! Schauen Sie doch zunächst in den Artikel: Hier. Funktioniert’s? Oder zunächst hier? VAN-Magazin!

Screenshots VAN

Ja, und? Wie geht’s weiter? Friday Night in… mit… ? Bitte erst lesen, die Links sind gesetzt, vor wenigen Zeilen; es geht um Beethoven und Mozart!

Während ich zuhöre – es geht auch im externen Fenster: hier – schaue ich mal eben in die Mailbox, aha! Freund Wolfgang Hamm hat geschrieben, Corona-Depression? nein, im Gegenteil:

Eine herzerfrischende Dokumentarfilmserie „Pequeños universos“ – so wie der junge Musiker (und Filmemacher) wäre ich jetzt auch gerne unterwegs, egal ob in argentinischen Provinzen oder sonstwo!

Wenn Du mal Zeit hast oder Dich gerade langweilst oder „angeödet“ bist … auch ohne perfekte Spanischkenntnisse schön zu sehen! Rührend die Kinder …

 
Viel Vergnügen!
 
Dein Wolfgang

 

Natürlich, sofort, und ich bin elektrisiert: ab 0:47 – den Mann kenne ich doch!!!?

Ich habe einige Ordner aus dem vorigen Leben (nein, aber ein Ordnungsmensch bin ich nicht, ich lebe halb nach Plan, halb nach Zufall), so wie man auch Geige und Klavier übt, man schafft Raum für die Intuition. Hier ist die konkrete Erinnerung: Freude oder Trauer? Damals war das Ende schon abzusehen. Haben wir das 30. Festival (seit 1976) eigentlich noch erleben dürfen? Ich verschließe den Aktenschrank, aber nicht den Schatz meiner Erinnerungen. (Vorsicht: Pathos!)

Chango Spasiuk – von ihm stammt der Film (2009).

Wie Bach erzählt…

Eine Allemande, die sich erinnert

(Achtung: Reklame kontrollieren, externes Fenster hier)

Es ist Bachs kleine Geschichte von der Versöhnung, der friedlichen Lösung seelischer Bedrängnisse (?). So beginnt es: man sieht förmlich, wie er nach dreimal ausholender Geste beim vierten Mal zu dem Punkt kommt, den er ans Licht holen wollte, und versieht ihn mit einem Pralltriller. Die Antwort (Bass mit Anfangs-Geste in Gegenrichtung, also aufwärts) kulminiert in Takt 5f, wo der Erzähler in der Oberstimme den Stufengang es“ – d“ – c“ heraushebt. Das besagt: so könnte es gewesen sein, aber die Hauptsache ist damit noch nicht gesagt, lasst es mich genauer ausführen! Als neues Mittel erscheinen 32stel-Töne (beiläufig schon in Takt 6), und weiter geht’s. Zielpunkt B-dur, Mitte Takt 8, und Aufstieg (Du musst es viermal sagen! gesteigertes Seufzen, viermal Praller), Abstieg parallel in  zweistimmig-kanonischer Führung (nach dem Muster des Anfangs), Gegenbewegung im Bass Takt 13-15 (quasi eingeschobene Takte, man könnte nahtlos von Takt 12 in Takt 16 gehen). Schließlich folgt – am Ende des ersten Teils – die unten wiedergegebene Formel a), die am Ende des ganzen Stückes noch einmal wiederkehrt, um das genau so lautende Resümee b) in der Grundtonart zu ziehen, hörbar aufatmend, nein, mit einer schönen, lässigen Arpeggio-Geste: „Ja, Kinder, das war’s!“.

a) Takt 15-16

b)Takt 31-32

Woran erinnert mich das?

Brahms Klaviersonate Nr. 1 op.1 Zweiter Satz.

Typischer Melodiebau: Apertion – Conclusion (auch: Vorsänger – Chor, beliebig erweiterbar vgl. oben „dreimal ausholende Geste“; als Ap./Concl. behandelt in meiner Dissertation über Maqam bzw. Genus Sikah und syrische Volkslieder).

Mehr davon? Hier  8 Minuten SWR

(Interpretation? Unter uns: mir ist das zuviel Vibratoaufwand, für ein Volkslied – auch nach Brahms Verständnis – zuviel Kunst. Schlimmeres Beispiel: die frühe Aufnahme mit Schwarzkopf/Fischer-Dieskau).

Natürlich liegt der Einwand auf der Hand: was soll denn daran bedeutsam sein, Bach hat nichts damit zu tun. Es ist eine Schlussformel, wie man sie überall finden kann. Falsch! sage ich, nirgendwo, in dieser sprechenden Gestalt nirgendwo. Aber es entsteht für mich das Problem, mir den „Rest“ zu erklären, also den größen Teil des Satzes, wie ist denn alles miteinander verknüpft, wie wächst eines aus dem anderen? Da hilft es nichts, darauf hinzuweisen: das Stück besteht aus zwei mal 16 Takten, Zwischenstationen Mitte Takt 6 (c-moll) und Mitte Takt 22 (F-dur). Wieso denn schon nach 6 Takten (statt wie es sich gehört nach 8 Takten)? Und im zweiten Teil dementsprechend in Takt 22 statt in Takt 24? Also: so kommt man nicht weiter, deshalb verfolge ich lieber den Erzählfaden, statt herumzurechnen, – und überbewerte die Zauberformel des Schlusstaktes.

Erzählfaden? – ich habe bisher das Wort Sequenz vermieden. Würde es nicht den Verlauf der Erzählung übersichtlicher erscheinen lassen? Die Richtungswechsel zum Beispiel? Das Ab und Auf, Für und Wider, Aufwärts von Takt 7 bis 10, Abwärts Takt 11 bis 12, das Beharren ab Takt 13 (bis 16, erstes Achtel) auf dem Ton b‘ (ungeachtet der Bewegung ringsum) und der bescheiden zusammenfassenden Geste des Taktes 16.

[Interessante Ausblicke ergeben sich heute durch das Eintreffen der Zeitschrift Musik & Ästhetik, darin der Beitrag von Cosima Linke „Sprechen über das Unaussprechliche mit Jankélévitch, Adorno und Barthes“, betrifft gerade mein Problem mit „notentextzentrierter“ Analyse, andererseits ebenso mit der strikt performativ orientierten Betrachtung, wenn ich z.B. Barthes mit seinem guten Körperbezug letztlich nicht akzeptieren kann: man spürt den Dilettanten, der sich selbst zum Maßstab nimmt.]

Was ist eine Sequenz? Wie wurde diese Technik benannt, als es das Wort noch nicht gab? Sie ist die Rettung der Wiederholung nach dem Wiederholungsverbot (Kreistanz u.dgl.), behaupte ich. Es ist bei Bach und im Barock überhaupt eine so wichtige Technik, dass es verwunderlich ist, dass es dafür keinen gängigen Namen in der alten Rhetorik gibt. „Mimesis“ trifft die Sache nicht recht. Es handelt sich ja um eine imitierende Fortspinnung, nicht um ein „Nachspotten“, wie es wohl bei Mattheson heißt. Woher der pejorative Unterton kommt, ist schnell erklärt: eine Sequenz zuviel, und die Wirkung ist dahin. Man denke an das berühmte Adagio (angeblich) von Albinoni: eine absteigende Fünftonfolge, die in einen Seufzer mündet, und als Antwort die einen Ton höher angelegte Sequenz. Neuansatz eine Oktave höher: neues Motiv, und dies dann mehrfach stufenweise einen Ton tiefer angesetzt, – es könnte ewig so weitergehen, und wird auch parodistisch gern so vorgeführt. Nichts als Sequenzen… Insofern ist der Ansatz des Komponisten Hans Vogt, der kunstreich behandelten Sequenz bei Bach ein eigenes Kapitel zu widmen, interessant:

usw.

Quelle Hans Vogt: Johann Sebastian Bachs Kammermusik / Reclam Stuttgart 1981 Seite 141ff

In Hugo Riemanns schwer erträglichen „Handbuch der Kompositionslehre“ Bd. I u II (Berlin u Leipzig 1916) findet man den Satz (I, S.124f):

Die Sequenz ist eines der allerhäufigsten Mittel der Weitung der Formen.

Womit impliziert wird, dass auch das, was nach bloßem Füllsel klingt, z.B. etüdenartige Einschübe in Mozart-Konzerten, nicht nur Virtuosität demonstrieren soll, sondern als als formaler „Abstandhalter“ fungieren kann.

An anderer Stelle spricht er (II S.111f)  von der „Weiterspinnung der Gedanken“ unter Wahrung der Motivik, es sei nämlich „im Grunde, wenn man die nötige Phantasie besitzt, leichter, so wie es Schumann tut, das Interesse durch immer neue Themen wach zu halte; mehr Kunst ist es aber jedenfalls, mit einem Theme ebenso weit zu kommen, was von den neueren Komponisten wohl keiner besser verstanden hat als Mendelssohn!“

Clemens Kühn schreibt in seiner „Formenlehre der Musik“ (dtv Bärenreiter 1987, Seite 42ff):

Aus rhythmischen Kräften gewinnt Bach ihre Motorik. Motivische Kräfte bestimmen ihre Linearität. Beide Momente, das Motorische und das Lineare, treffen sich im Formprinzip der barocken Fortspinnung: der – eher lockeren, forttreibenden Anknüpfung von Motiven und Teilen. Beispielhaft kann das der Fortspinnungstypus zeigen. Er ist das syntaktische Grundmuster des Spätbarock, wie die unterschiedliche Herkunft schon der beiden folgenden Beispiele belegt.

Es folgt der erste Teil des Violinkonzerts a-moll op.3/6 (1711) von Vivaldi sowie die Bach-Arie „Bereite dich, Zion“.

Die Fortspinnung treibt weiter. Aber das geschieht leicht, mehr assoziativ als zielstrebig. In aller Regel unterstützen Sequenzen dies lockere Fortführen.

*    *    *

Leicht und locker, – oder nicht. So entsteht Form, selbst in Fugen oder fugenartig zusammengesetzten Stücken.

Hier ein Versuch, den feinen Spannungsprozess im ersten Teil der Allemande c-moll farbig anzudeuten. Wobei GRÜN für eine entspannende Wirkung steht, BLAU für eine stabilisierende und weiterführende, ROT für ein anstachelndes, erregendes Moment. Ausgespart habe ich, was auf der Hand liegt: die rhythmische und die harmonische Komponente (mit Ausnahme der Stelle, an der der verminderte Septakkord zusammenfällt mit der inneren Kumulation ROT Takt 12 und 15). Wie gesagt: ein Versuch, – so sparsam wie möglich -, gedacht als eine visuelle Orientierung beim Spielen oder auch nur Zuhören, zu ergänzen nach Belieben & Intuition:

BWV 826

(mit Zeitangaben, die sich auf die Youtube-Aufnahme mit Murray Perahia beziehen)

Indien bedenken

Es beginnt mit Zweifeln und endet mit Musik

ZITAT (s.u. Bernd Graff)

Und es geht Schlag auf Schlag. Wenn man einmal begriffen hat, dass überall im Universum nur das Licht sich mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegt, dass also nur diese Geschwindigkeit unabhängig von Bezugssystemen ist, dann müssen Raum, Licht und Zeit zum Licht in Relation gesetzt werden. Nicht die Zeit, nicht der Raum sind also absolut, wie Galilei und Newton dachten, nur die Lichtgeschwindigkeit ist es. Aus diesem Gedanken entwickelte Einstein 1905 seine Spezielle Relativitätstheorie, in der sich die Zeit dehnen kann, Längen sich verkürzen und Massen zunehmen können. Unser Alltag ist zu langsam, um das zu bemerken, aber je mehr wir uns der Lichtgeschwindigleit nähern, umso mehr dehnt sich die Zeit und umso langsamer geht eine Uhr.

Welt & Licht (Glasenapp Seite 36)

Übersicht verschaffen!

Zum Schöpfungsmythos und zur Melodie:

Quelle Helmuth von Glasenapp: Indische Geisteswelt / Glaube, Dichtung und Wissenschaft der Hindus / Emil Vollmer Verlag Wiesbaden o.J. (Vorwort 1958)

Rigveda hier in Sanskrit u in Deutsch hier

Sathapatha Brahmana V 4 3 2 hier

Was ist geschehen? Ich habe wieder einmal Marius Schneider gelesen, wieder eingesehen, dass ich seine „Kosmogonie“ nie schaffen werde. Ebensowenig wie „Singende Steine“ oder „Die Natur des Lobgesangs“. Auch seinen Quellen werde ich nicht nachgehen. Ich glaube nicht, dass man an den frühesten Quellen der Menschheit, oder aller nur denkbaren Schöpfungsmythen, dem Anbeginn der Schöpfung, der Millionen, Milliarden Jahre zurückliegen mag, näher bin als heute, am 3. Januar 2021, am Tag als 1882 mein Opa geboren wurde, bei dem ich ab etwa 1947 im sogenannten Realienbuch blättern durfte, wo ich mich vor allem auf die Tierbilder konzentrierte. Damals gab es noch „Realien“! Heute genügen mir meist die Wissenschaftsseiten der großen Zeitungen. Hier z.B. die Kinder- und Jugendbuch-Rezensionen der ZEIT, aus denen ich anfangs zitiert habe.

SZ 31.Dez./1.Jan.2020/21 Seite 19

Auch hier entstehen Fragen. Und passende, oft schwierige Antworten. Aber wenn ich zum Beispiel frage: was haben indische Tonbezeichnungen (Notennamen) mit den Reliefs auf katalanischen Säulen zu tun? Welche Quellen gibt es, die nahelegen, dass die hinter den Silben Sa-Re-Ga-Ma etc. verborgenen Figuren im alten Indien mit bestimmten Tönen der mittelalterlichen Kirche zu tun haben? In Stein gemeißelte und herausgelesene Einzeltöne, „Pfundnoten“, indische Töne, die eine glaubwürdige gregorianische (?) Melodie ergeben? Wo steht das? Reicht mir die Antwort, dass es da offenbar Baugeheimnisse gegeben hat? Gewiss auch eine „Aufführungspraxis“, lebende, nicht zu versteinernde tönende Gestalten. Nicht nur die späte Suggestion, man könne sie mit einer entsprechenden „Musikalität“ eines Tages hier und jetzt erlösen? Rhythmen rekonstruieren?

Mein Unbehagen könnte nicht größer sein. Ungeachtet der Tatsache, dass ich den Vorlesungen und Übungen des großen Kölner Musikethnologen wesentliche Impulse verdanke. Auch wenn an seiner grünen Tafel im Hörsaal eine Melodie wie „In einem kühlen Grunde“ stand, Tonika – Dominante, im Ernst, aber keine indische oder arabische. Und ihre Kerntöne – in Reduktion – hätten auch gar nichts gesagt. Nur die stetige Variantenbildung.

Was sagt ein Text wie dieser?

Quelle Marius Schneider: Singende Steine: Rhythmus-Studien an drei romanischen Kreuzgängen. München, Heimeran 1978 ISBN 3 7765 0264 9 Archiv 594

„… wenn die geheimnisvolle Schönheit dieser Klaustren zu singen beginnt“.

Mein Gott, ich denke an Jascha Heifetz, dessen Geige so intensiv gelobt wird, dass er sich zu ärgern beginnt, und er hält sie ans Ohr und sagt: „Ich höre nichts!“

Es ist das analoge Denken, das mir Schwindel verursacht: es verfährt radikal parataktisch, mündet in einen Katalog der Beziehungen und Ähnlichkeiten, und realisiert ein zusätzliches Prinzip, das von außen Einheit hineinträgt, und wer sich dagegen sträubt, dem wird das feine Wahrnehmungsvermögen abgesprochen. Ihm fehlt „Musikalität“. Ich spüre aber auch etwas, – und das ist ein Hauch von Verschwörungstheorie…

Quelle Marius Schneider: Die Natur des Lobgesangs / Basilienses de Musica Orationes / Herausgegeben von Leo Schrade / Im Bärenreiter-Verlag zu Basel 1964 (Seite 17)

  

In meinem Unterbewusstsein gibt es eine physiognomische Homologie zwischen meinem Großvater (1882-1966) in seiner letzten Zeit und dem alten Leonardo da Vinci. Aber eines ist sicher: die Ähnlichkeit bedeutet NICHTS, außer dass beide zweifellos MENSCHEN sind.

Und jetzt möchte ich wirklich Musik hören, einheitstiftend aber vielgestaltig. Ich überlege noch welche… Meinem Großvater hätte eine Sammlung von Märschen gefallen (die entsprechende LP habe ich ihm tatsächlich 1962 geschenkt, komplementär dazu auch noch die bekanntesten Wiener Walzer. Aber jetzt, hier und heute, bin ich dran.)

Diese Aufnahme (im externen Fenster hier) ist wunderbar geeignet, sich auch mit wenig Erfahrung in die Verästelungen indischer Musik hineinzufühlen. Bei einem ersten Durchgang im Tonraum verorten. Finden Sie den Basiston (oder gibt es zwei?). Summen Sie ihn ruhig mit, während Sie gleichzeitig die distanzierenden Bewegungen der Melodie (ob Geige oder Singstimme) mitverfolgen und einordnen. Wiederholen Sie oft kleine Abschnitte der Aufnahme, bis Sie auch die winzigsten Ornamente präzise identifizieren können.

Einleitung bis Übergang: Tabla-Einsatz 8:11. (Erkennen Sie die Melodie? ihre stete Wiederkehr?)

Es ist nützlich, eine andere, „pedantischere“ Version dagegenzusetzen.

Etwa hier, in rot normale Themeneinsätze

ab 0:54 / 1:24 / (1:38) / 1:49 / (1:59) / 2:34 / ? / 3:16 / (3:38) / 5:53 / 6:13 / 6:41 / 6:53 Finalis

original (Komponist?): Bade Ghulam Ali Khan