Kein Witz
„Unser Mund sei voll Lachens“ BWV 110. Ich hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages auf diese Bach-Kantate, die ich seit 45 Jahren liebe, zurückkomme, um ihren Ausdruck des Lachens in Zweifel zu ziehen. Man sieht in der Auflistung, ich habe damals mitgewirkt, und einer hineingeschriebenen Widmung einiger Kollegen (an JMR) entnehme ich heute, dass wir zumindest das Magnificat genau am 21.10.72 im Kloster Einsiedeln in der Schweiz aufgeführt haben. Wir haben uns über alles gefreut, (am meisten übrigens über den Satz „Ach Herr, was ist ein Menschenkind“, weil ihn der Tölzer Knabe Andreas Stein so ergreifend sang) und wir wussten seit der Schallplatten-Produktion in Lenggries, dass die Orchester-Ouvertüre D-dur BWV 1069, die dem ersten Chorsatz der Kantate zugrundeliegt, demnach die reinste Lach-Fuge enthält. Obwohl sie völlig anders lacht als z.B. die Fuge am Anfang der Mozartschen Zauberflöte oder in den Meistersingern. Und eins ist wohl klar: so ausdauernd lacht kein Mensch, außer vielleicht beim Lach-Yoga. Aber ist das nicht bloß ein mechanisches Lachen? Es hat mit Witz oder Humor nichts zu tun. Und wenn ich mir hier bei Bach die Engel auf dem Cover ansehe, denke ich, dass man sein Lachen eher vom „Frohlocken“ her verstehen muss, in gesteigerter Form vielleicht als eine Art Dauerfreude, die mit übermütigem Tanz verbunden sein könnte, wobei fortwährend grundlos gelacht und gekichert werden darf. Ein Beispiel dieser Kantate aus jüngster Zeit, im rechten Tempo: Hier! aber nach dem Anklicken auch freudig erregt abwarten! das Lachen beginnt erst bei 1:38. Ketzerische Bemerkung: keiner der Choristen oder der Solo-Interpreten lacht. ABER: wäre es denn wirklich wünschenswert?
Merkwürdigerweise würde man hier nie sagen: Das ist aber ein gekünsteltes Lachen, – das kenne ich von manchen Leuten, besonders von Sängern und Schauspielern (die es professionell draufhaben), dass sie über einen relativ harmlosen Scherz immer etwas zu lange lachen (und zu laut). Denn in der Musik soll das Lachen – oder sagen wir besser mit Beethoven: die Freude – kein Ende nehmen, auch ohne jeden Grund; wir lachen auch nicht richtig über die Musik (außer über die gröberen Scherze, z.B. im Scherzo der „Neunten“ oder bei den Londoner „Proms“, wo es mehr in Richtung Slapstick geht), aber immerhin: wir lächeln freundlich, meinetwegen auch in Form eines Dauerlächelns, und das signalisiert: ich verstehe durchaus den Spaß der Ernsten Musik!
Von diesem Lächeln aus einer freudigen Stimmung heraus, muss das eruptive Lachen über einen Witz oder eine komische Situation unterschieden werden.
Notizen über das Lachen
Man lacht gern in Gemeinschaft, oft auch ohne rechten Grund. Lachen ist ansteckend. Freude, gute Laune, „Amüsiertheit“ – von Lachen begleitet – ist etwas ganz anderes als das Lachen über einen Witz, einen Gag, eine treffende humoristische Bemerkung (die aus der guten Laune heraus kommt). Man lacht zwar rhythmisch, mit mehreren Anschlägen, nicht nur einem Schrei, insbesondere nach der Pointe eines Witzes, aber ungeordnet, jeder auf seine Weise. Rhythmisch, aber eben – polyphon.
Es gibt ein hörbares, aber auch ein weniger hörbares, sogar stilles Lachen (nicht gemeint: Kichern, das quasi verschämt angestimmt wird, weil es nicht ganz „am Platze“ ist). Aber das einsame Lachen, z.B. das hörbare Lachen eines Lesers in der Bahn ist für die anderen Reisenden eher peinlich, jedenfalls nur in Grenzen amüsant („Sucht er Anschluss? provoziert sie eine Nachfrage? Lassen Sie uns doch mitlachen!“).
Dazu gehört aber auch: Witzemacher, ungebetene Witzeerzähler sind anstrengend. Ich will nicht lachen müssen; wer jedoch nicht mitlacht, gilt leicht als Spielverderber. Wahr ist allerdings auch, dass der Witz-Aktivist alle anderen zu Statisten macht. Und das lähmt!
Ein Witz kann nicht zweimal im gleichen Kreis erzählt werden, vor allem nicht in derselben Situation; ein witziges Musikstück kann jederzeit wiederholt werden. Wegen der zusätzlichen Komponenten: es läuft nicht auf einen einzigen unveränderlichen Gag hinaus. (Sinfonie mit dem Paukenschlag? Man kann (sollte) diesen Tutti-Effekt bei Wiederholung wenistens anders platzieren, etwas verzögern oder voreilig einschlagen lassen.)
Für das typische Lachen entscheidend ist die Wucht, die Unbeherrschtheit. Lahm lachen geht gar nicht, oder es ist parodistisch gemeint („haa – haa – haa!“), ironisch.
Geschieht eigentlich irgendetwas Lustiges, wenn man gekitzelt wird? Eine Grenzüberschreitung. Ohnehin nur von Leuten akzeptabel, die man sehr gut kennt. Warum lacht man nicht, wenn man sich selbst zu kitzeln versucht? Natürlich kann ich auch nicht über einen Witz lachen, den ich mir selbst erzähle, – er muss ja unbekannt sein -, aber über einen witzigen Einfall durchaus, ich brauche dafür nicht einmal einen Zeugen. Ich kann dann sogar innerlich lachen, oder, leicht schnaufend, nur mit dem Zwerchfell, also auch: andeutungsweise rhythmisch. –
Noch einiges zum Kitzeln: Kann ich eine Katze kitzeln? Nein, es bringt Kratzer, im besten Fall vergrault man sie.
Auch unter Menschen: Es ist wie ein Angriff, aber nur zum Spaß. Als Spaß verstehen es nur Kinder. Oder Menschen (s.o.), die sich gut kennen, (jugendlicher) Übermut gehört dazu, ich glaube nicht, dass es alte Menschen gibt, die einander mit Kitzelaktionen überraschen. Die Plötzlichkeit gehört dazu, selbst bei Ankündigung: ein Überraschungsmoment. Eine winzige Pause, eine Schrecksekunde, liegt zwischen dem körperlichen Zugriff des Anderen und dem eigenen Begreifen: ein Spaß!
Insofern passt das auch zu einer Definition des Witzes, die der Kognitionspsychologe Matthew Hurley in einem SZ-Interview gegeben hat:
Das Komische an sich gibt es nicht. Was alle Witze gemeinsam haben, ist vielmehr, wie wir sie geistig verarbeiten. Wir [die Autoren eines Buches über Humor] argumentieren, dass uns Witze zu Annahmen verleiten, die sich wenig später als falsch herausstellen.
Und später kommt er auch auf die physische Seite:
ZITAT
SZ: Gibt es ein Gen für Witze?
Hurley: Nach unserer Theorie gibt es einen evolutionären Wettbewerbsvorteil für Humor und deshalb eine biologische Grundlage, die den kognitiven und emotionalen Charakter von Humor begründet. Aber genauso spielen Entwicklung und Kultur eine Rolle dafür, wie sich die Eigenschaften entfalten.
SZ: Wie sieht es mit Slapstick aus? was ist witzig daran, wenn jemand wieder und wieder gegen eine Wand läuft?
Hurley: Das erste Mal entdecken wir einen Fehler und lachen darüber. Wir können aber auch darüber lachen, wenn der Vorgang sich wiederholt, denn dann erkennen wir, dass es einen weiteren Fehler gibt – die Unfähigkeit, aus Erfahrung zu lernen.
SZ: Sie erklären sogar das Kitzeln als eine Art Protohumor.
Hurley: J, aber das ist etwas spekulativ. Kitzeln erzeugt einen Eindruck, dass etwas Gefährliches über unsere Haut krabbelt – das ist eine unwillkürliche Annahme, der wir uns nicht entziehen können. Weil diese Illusion so stark ist und weil sie mit jeder Berührung neu belebt wird, wir aber gleichzeitig erkennen, dass dem nicht so ist, lachen wir – und können oft nicht aufhören mit dem Lachen. Es ist ein Nebenprodukt unserer Humorveranlagung und unserer Neurophysiologie.
Quelle Süddeutsche Zeitung 10./11. September 2011 Und was ist daran witzig? Wieso Scherze lustig sind, Slapsticks komisch und was Kitzeln mit Humor zu tun hat – Matthew Hurley im Gespräch [mit Hubertus Breuer]. Anlass war das eben erschienene Buch Inside Jokes: Using Humor to Reverse-Engineer the Mind von Matthew Hurley in Zusammenarbeit mit Daniel Dennett und Reginald Adams.
Man lese auch Wikipedia über Kitzeln, Witz, Humor.
Und in diesem Blog unter: Schopenhauer, Witze, Cicero, Osterlachen, oder Witze verstehen u.a. – auch schon einmal über Hurley hier.
Zurück zu Bach: Hat er gelacht? (wie Telemann z.B. in der Schulmeisterkantate). Ja, sogar in seinen Fugen. Einmal auch gejodelt. (Cis-dur.)
Ist das Lachen nicht gerade in den monotheistischen Kulturen verpönt? Wagner hat es begriffen: Kundry hatte an der falschen Stelle gelacht. (Meine Oma hat uns Kinder gern gewarnt: Sitzet nicht da, wo die Spötter sitzen!)
In diesem Moment schneit die Post ins Haus, darunter die Zeitschrift „das orchester“. Mir schwant nicht nur Gutes, – womöglich neue Ideen zur klassischen Bespaßung?
Die Musikwissenschaftlerin Maria Goeth hat den Humor in der Musik erforscht und wurde hier zu ihrem Thema befragt. Titel des Beitrags: Von Eseln, Möhren und Casting-Shows.
Für mich liegt die Schwierigkeit auch hier darin sich zu verständigen, was man unter Humor versteht. Musik-immanente Komik, mit Musik verbundener Wortwitz, Instrumental-Jokes, verhohnepipelte Klassik oder schlicht: Klamauk? Das meiste liegt auf der Hand und ist oft benannt worden, Haydn – ohne zu definieren, wie sein Humor funktioniert. (Der Paukenschlag ist als Witz zu wenig.) Die Satz-Überschriften von Satie sind bloßer Wort-Witz; ich persönlich finde sie überhaupt nicht witzig, sondern nur gewollt, auch der Humor des jungen Hindemith („Minimax“) hat mir nach zweimal Durchspielen gereicht. Und wenn ich dann lese: „Sogar Wagner konnte lustig sein.“ „Und Verdi hat nach all seinen großen dramatischen Opern mit über 50 beschlossen, dass er nun endlich etwas Heiteres schreiben müsse: den Falstaff.“ Ja, wenn es denn nun um irgendetwas „Heiteres“ gehen soll, könnte einem doch wesentlich mehr einfallen. Mir zum Beispiel als erstes Mendelssohns Sommernachtstraum oder der letzte Satz seines Violinkonzertes. Und dann geht es erst richtig los. Auch mit den Problemen: geht es darum, Jugendliche zu gewinnen oder allgemein: Klassikmuffel, die ohne grobe Scherze gar keinen Witz mitbekommen? Ich wiederum kann dem P.D.Q.Bach-Fake nichts abgewinnen. Ein Witz für Insider? Ganz im Gegenteil!
Da gibt zu denken, was in dem Artikel „Mit Begeisterung anstecken“ (Seite 18) von der Konzert- und Musiktheaterpädagogin Anastassia Tkachenko übermittelt wird:
„Expressionistische Musik können Jugendliche sehr gut nachvollziehen, viel besser als Mozart.“ Ganz wichtig ist ihr auch, dass richtige Instrumente verwendet werden, dass nicht geklimpert, sondern ernsthaft Musik gemacht wird.
Jugendliche reagieren anders auf Musik als Kinder, und – Binsenweisheit! – das meiste hängt von der Vorbildung und der Begabung ab. Und was erwachsene Musiker angeht: sie produzieren soviel Wortwitz, Quatsch und Unsinn in den Spielpausen, dass sie gar nicht das Bedürfnis haben, dem Publikum vorzuführen, dass ihr Beruf aus Clownerien besteht. Schauen Sie doch einmal ins Fernsehprogramm: Es wird weiß Gott nicht zu wenig gelacht und gejohlt. Muss man den Jugendlichen aufschwätzen, dass es auch in der Musik vor allem darum geht?
Wie lustig ist eigentlich der letzte Satz aus Mozarts Klarinettenkonzert? Wahrscheinlich gibt es da das Problem der Länge… und dass man vom langsamen Satz schon so „runtergezogen“ wird.
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Man sollte also Witze von Albernheiten unterscheiden, die durchaus für Lachen sorgen: groteske Grimassen, komische Gangarten, unmotivierte Geräusche, jemandem rücklings auf die Schulter klopfen, künstlich erzeugte Sprachfehler usw., wobei auch Übergänge festzustellen sind.
Es gibt eine allgemeine Formel, die vielleicht einfacher zu handhaben ist als Schopenhauers Indiz der Inkongruenz, wie hier nach Matthew Hurley:
Unser Gehirn produziert ständig Vorhersagen. Es berechnet, wo ein Fußgänger hingeht, wo eine Person sagen wird, was passiert, wenn wir auf einen Knopf drücken. Dazu ,muss es aber unter Zeitdruck Annahmen machen, die sich gelegentlich als falsch herausstellen. Und es ist wichtig, dass diese, wenn nötig, so schnell wie möglich korrigiert werden. Da hilft es, wenn wir es genießen, Fehler zu entdecken. (…) Heiterkeit und Lachen sind die Belohnung für für diese Korrektur. Deshalb sind wir motiviert, ständig nach neuen Denkfehlern zu fahnden. Wir sind leidenschaftliche Fehlersucher. Heiterkeit führt uns dazu, weiter nach Denkfehlern zu suchen – weil es gut für uns ist.
Quelle Matthew Hurley (s.o.)
Nachtrag 26.04.2018
George Steiner:
Denken ist am lesbarsten, am wenigsten verhüllt in Ausbrüchen entfesselter, geballter Energie, wie etwa im Falle von Furcht oder Haß. Diese Triebkräfte können, insbesondere im Augenblick des Geschehens, kaum vorgetäuscht werden, mögen auch Virtuosen des Doppelspiels oder der Selbstkontrolle die Verschleierung bis zur Meisterschaft beherrschen. (…)
Da Haß die gesamte Palette mentaler und instinkthafter Kräfte mobilisiert, könnte er sehr wohl die vitalste, geladenste Geisteshaltung sein. Er ist stärker, kohäsiver als Liebe (wie Blake intuitiv erkannte). Oft ist er der Wahrheit näher als jede andere Offenbarung des Selbst. Die andere Klasse gedanklicher Erfahrung, bei der es zum Zerreißen des Schleiers kommt, ist die spontanen Lachens. In dem Augenblick, da wir den Witz verstehen oder einen Blick auf die komische Seite erhaschen, liegt unser Wesen bloß. Kurzzeitig gibt es keine ‚Hintergedanken‘. Doch diese Öffnung hin auf die Welt und die anderen ist nicht von Dauer; unabsichtliche Beweggründe kennzeichnen sie.
In dieser Hinsicht wird das Lächeln fast zur Antithese des Lachens. Das Lächeln von Schurken hat Shakespeare sehr beschäftigt.
Quelle George Steiner: Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe / Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006 (Seite 62).