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Die Brandenburgischen

Wem gewidmet?

näher bitte! noch näher!!

Wer ist dieser Herr? Kein Mensch, der sich was sagen lässt. Wenn man Wikipedia vertraut, findet man ihn hier : Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt.

Wenn man allerdings wie ich in Bielefeld aufgewachsen ist, fragt man als erstes: Brandenburg??? Der große Kurfürst, – hat er mit dem zu tun, ist vielleicht sogar identisch…? Leider nein, dieser lebte viel früher (1620-1688), hieß Friedrich Wilhelm und ist berühmt aus anderen Gründen. Nicht etwa wegen irgendwelcher Musikstücke, einer Sammlung, über welche man heutzutage als Krönung des eigenen Musikerlebens ein kluges Buch schreiben kann. Und dort stoßen dann die wirklich neugierig Lesenden auf eine Art Stammbaum, auf dem links oben sich der große Kurfürst, rechts unten der Widmungsträger der Bachschen „Brandenburgischen Konzerte“ befindet. Und dann kann man versuchen einzuordnen, was einem wirklich am Herzen liegt, z.B. Johann Sebastian Bach (1685-1750). Welch eine Klarheit umgibt uns!

(Tafel nach Goebel)

Zugegeben: Stammbaum ist etwas zuviel gesagt. Die beiden Zweige besagen nichts anderes als: des Großen Kurfürsten erste Ehe samt 6 Kindern und des Großen Kurfürsten zweite Ehe samt 7 Kindern, von denen das letzte – in der Erbtitelfolge ganz unbedeutend – als Widmungsträger der Bachschen Concerti für die musikalische Welt eine zentrale Stellung eingenommen hat: Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt.

Der Vater erhielt sein Ehren-Epitheton „groß“, weil er im Jahre 1675 die Schweden in der Schlacht bei Fehrbellin besiegt hat. Ja, und der andere, der jüngste Sohn, was wurde über ihn aktenkundig? Immerhin gibt es einen Vermerk im Braunschweiger Botschafter am 13. Oktober 1731 (zitiert nach Goebel):

Der Markgraf Christian ist am vergangenen Montag von dem Lust-Schloße Malchau nach dem 6 Meilen von dannen gelegenen Jagdorte Liepe abgegangen, sich auch daselbst mit dem Jagen ein Plaisir zu machen.

Sicherlich kein herausragendes Ereignis in der Biographie des Markgrafen, sondern Normalität des höfischen Vergnügens hier und anderswo, so dass Bach, gerade als er noch in höfischen Diensten stand – also vor seiner Leipziger Zeit – mit dem diesbezüglichen musikalischen Bedarf von Grund auf vertraut war. Jagdsignale, Jagdinstrumente und die zugehörigen Musiker gehörten zu seiner verfügbaren Ausstattung, selbst wenn es um eine Kirchenkantate oder ein offizielles Geburtstagsständchen ging.

Aus der Wikipedia-Biographie:

Seinem [des Königs] Onkel Christian Ludwig, der ein großes Interesse an Musik und den Künsten hatte, gestattete der König jedoch die Beibehaltung einer eigenen Kapelle im Berliner Stadtschloss und übertrug ihm die Herrschaften Malchow und Heinersdorf – diese brachten Christian Ludwig, zusammen mit seinen Einkünften aus dem mütterlichen Erbe, seinem Offizierspatent als Generalmajor (seit 1695) und später Generalleutnant in Stettin und als Regimentschef des Regiments zu Fuß (1806: No. 7) sowie seinem Amt als Kommendator der Kommende Lagow und Administrator und evangelischer Dompropst von Halberstadt allein für das Jahr 1734 konkret 48.945 Taler ein.

Er war zudem der vierte Empfänger des Preußischen Ordens vom Schwarzen Adler. Im Winter 1718/19 besuchte Johann Sebastian Bach die Stadt Berlin und beeindruckte den musikbegeisterten Christian Ludwig mit seinem Können. Christian Ludwig bat Bach um einige seiner Kompositionen und erhielt im Frühling 1721 eine Partitur mit dem Titel Six Concerts avec plusieurs instruments, die heute unter dem Namen Brandenburgische Konzerte bekannt ist.

Vergeblich suche ich in Goebels stoffreichem Historienteil nach einer solchen – vielleicht nur phantasievollen – Ausschmückung der Brandenburgischen Begegnung und halte mich daher weiterhin an Christoph Wolffs knappe Darstellung, s.u.1). Bei Reinhard Goebel führt der Name Mietke zu einem Anhaltspunkt, aber es bleibt doch im Graubereich, ob Bach bei dieser Gelegenheit dem Widmungsträger persönlich begegnet ist, – was aber doch sehr wahrscheinlich ist. Was sonst könnte ihn denn zu einer solchen Riesenarbeit motiviert haben? s.u. 2).

1) 2)

Quelle 1) Christoph Wolff: Johann Sebastian BACH / S.Fischer Frankfurt a. M. 2000 (S.229) 2) Reinhard Goebel: Johann Sebastian Bachs „Brandenburgische Konzerte“ / Verlag Dohr Köln 2023 (S.13)

Fest steht, dass Bach selbst die persönliche Begegnung in seiner Widmung aktenkundig gemacht hat:

Damit verlasse ich die biographische Vorgeschichte und folge den Suggestionen, die Bach mit dem Werk selbst hat geben wollen. Wobei ich mich auf das erste Konzert beschränke und letzlich allen Anregungen folge, die ich Goebel verdanke und die ich anhand von klingender Musik nachzuvollziehen suche. Wenn sich hier und da ein kritischer Ansatz zeigt, mindert das nicht die Leistung seines Buches. Es animiert zu Widerspruch, weil es so prägnant die physischen und materialgebundenen Anteile der Werke in die Analyse einbezieht, während wir an ihnen vielleicht ein Ideal Bachscher Instrumentalmusik verinnerlicht haben.

Dass die Jagd an sich einen hohen Stellenwert hatte für die hohen Herren in jener Zeit, liegt auf der Hand, und es ist nicht meine Aufgabe, daran Kritik zu üben. Wenn Bach ein Werk schreibt, das dem begeisternden Tumult und vielstimmigen Treiben dieses Sports ein musikalisches Äquivalent an die Seite stellt, habe ich nur alle Komponenten wahrzunehmen, die er zu diesem Zweck hervorhebt. Ganz wichtig: wenn es einen Text gibt, der es erlaubt, sie bestimmten Bedeutungen zuzuordnen.

1713 / 1715 Jagdkantate Was mir behagt, das ist die munt’re Jagd BWV 208  Text hier und hier

Zitat aus Wikipedia hier:

1713 aus Anlass des 31. Geburtstags von Christian von Sachsen-Weißenfels als festliche Tafelmusik komponiert, die am Abend nach einer ausgedehnten Jagdveranstaltung des Fürsten von Schloss Neuenburg, im Jägerhof in Weißenfels erklang.

Hat diese große Tafelmusik wirklich mit einem so unscheinbaren Rezitativ begonnen?  Nein, erfährt man von Goebel, es gab „eine aus Allegro – Adagio – Menuet bestehende Komposition (…), die man heute allgemein als die Sinfonia zu der (…) Jagdkantate BWV 208 aus dem Jahr 1715 apostrophiert. Diese (…) überlieferte dreisätzige Werkgestalt ergänzte Bach für die brandenburgische Version bei der Niederschrift 1720/21 um einen zwischen Adagio und Menuet interpolierten Konzertsatz und einen kleinen, aber bedeutenden Zusatz im Menuet-Finale.“ (Goebel S.34) Aber das Textbuch von damals könnte doch bedeutende inhaltliche Hinweise auch zu der vorher gespielten Musik gegeben haben? Goebel hatte immerhin angekündigt: „Die emblematisch-allegorische Aussage dieses Eröffnungswerkes lässt sich umstandslos mit den Worten das Eingangsrezitativs zu Bachs für den Hof in Weißenfels bestimmten  Jagd-Kantate BWV 208 fassen: Was mir behagt, ist nur die munt’re Jagd.“ (Seite 33)

1721 Brandenburgisches Konzert No. 1 hier

1726 Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten BWV 207 (1726), weltliche Kantate, siehe   hier (Wiki), Text hier, zu Ehren des Prof. Gottlieb Kortte: Glück, Dankbarkeit, Fleiß, Ehre / vorangestellt ein Chor, der den „lüster[n]en Hörer herbeilocken soll, um zu erfahren, was der Lohn der Tugend sei“. Der Chor beruht auf dem Material des 1. Satzes Brandenburgisches Konzert  Nr.1  / 1726 Chor = „Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten“ = Rückparodie einer verschollenen Sopranarie nach dem Muster des genannten Konzerts. Zitat Wikipedia:

Bach strukturierte die Kantate in zehn Sätzen, beginnend mit einem instrumentalen Marsch. Er schrieb sie für vier Solisten, die allegorischen Figuren repräsentieren: Glück (Sopran), Dankbarkeit (Alt), Fleiß (Tenor) und Ehre (Bass).

*     *     *

Und wissen Sie, was mir nun fehlt, – nach all den Hinweisen auf emblematisch-allegorische Aussagen (die sogar expressis verbis vorliegen)? Dass ein großer Name genannt wird, der all diese angedeuteten Freuden und Tugenden überragt, und sei es, dass er schließlich durch Abwesenheit geradezu intensiv glänzt und so nur noch den „lüsternen Hörer herbeilocken soll“: DIANA.

Was die maßgebliche Version des Konzertes angeht, fordert Goebel uns heraus: „Warum aber war Bach die Präsentation dieses Instruments [der Piccolo-Violine] so wichtig? Welchen Symbol-Charakter hatte in diesem Zusammenhang dieses Instrument, welchen allegorischen Mehrwert? Nescimus!“

Ja, ist es denn wohl zu verwegen herauszuplatzen und zu entgegnen: doch! wir wissen es, das  kann doch nur Diana selbst sein! Betrachten Sie es recht (mit dem Hirsch):

Diane chasseresse et ses nymphes, huile sur toile de Pierre Paul Rubens réalisée (1636-1639)

Der Ton trügt: so sicher bin ich meiner Sache nicht, schließlich komme ich nicht ganz allein auf solch eine Idee. Oder weil ich das Textbuch der Jagdkantate gelesen habe! Ich höre auch ganz unterschiedliche Aufnahmen und nicht alle mit gleicher Zustimmung, selbst im Falle einer Nachfolge von Nikolaus Harnoncourt…

Concentus Musicus Wien, Festspiele Styriarte 2019, Konzert 20.07.2019 in Schloss Eggenberg, s.a. hier, Einführungstext beginnt bei 1:05, Leitung, Cembalo und Moderation: Stefan Gottfried (Textverschriftlichung JR). Musik ab 5:30

Diese Götter der Antike stehen hier nicht für sich selbst, sondern für Eigenschaften, die man im Barock für Tugenden des Fürsten empfand, sie erzählen sozusagen vom idealen Fürsten. Dasselbe hatte vielleicht auch J S Bach im Sinn, als er seine 6 Brandenburgischen Konzerte komponierte. Sie heißen deswegen Brandenburgische Konzerte, weil er sie 1721 dem Markgraf von Brandenburg widmete und ihm ins Berliner Schloss schickte. Dort residierte der Markgraf in Räumen wie diesem: über und über bedeckt mit Göttern der Antike. Bach selbst hat seine Brandenburgischen Konzerte im Köthener Schloss aufgeführt, dort diente die Gemäldegalerie als Konzertsaal, ebenfalls ein Raum wie dieser, voll von antiken Gottheiten. Hat sich Bach von diesen Bildern inspirieren lassen, als er die Konzerte komponierte, – wir glauben ja, und das hat natürlich etwas mit dem Styriarte-Thema des heurigen Jahres zutun, mit den Metamorphosen des Ovid. Im ersten Brandenburgischen Konzert geht es um die Jagd und die Jagdgöttin Diana. Bach hat diese Musik ursprünglich als Vorspiel zu seiner Jagdkantate komponiert: Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd. So singt Diana am Anfang der Kantate, und unter dieses Motto hat Bach auch sein Konzert gestellt. Zu munterem Treiben des Orchesters (SPIELT) gesellen sich zwei Jäger mit ihren Hörnern und schmettern ihre Signale, die zur Jagd aufrufen. (SPIELT) Zwei Gruppen nehmen Aufstellung, hier die lieblichen Nymphen der Diana, im Orchester durch die Streichinstrumente verkörpert, dort die wackren Schäfer, die auf ihren Instrumenten, Oboe und Fagott, spielen. Und über allem thront ein Violino piccolo, eine kleine Geige, die eine Terz höher gestimmt ist als normal: die Jagdgöttin selbst. Der erste Satz beschwört prachtvoll das Jagdrevier der Diana. Man kann sehr schön hören, wie die drei Gruppen, die Nymphen, die Schäfer, die hornspielenden Jäger sich ständig einander die Motive zuspielen. Im Mittelsatz wird die Musik langsam, leise, träumerisch, die Geige spielt eine ausdrucksvolle Melodie in Moll, die von der Oboe aufgegriffen wird, während sich die anderen Instrumente schlafen legen. Wenn die Geige Diana verkörpert, dann muss die Oboe ihr Geliebter sein, der Schäfer Endymion. Ihr Schäferstündchen spielt sich in der Nacht ab. Denn Diana ist ja auch die Mondgöttin, man hört es am silbrigen Glanz dieses Satzes. Am nächsten Morgen blasen die Hörner dann endlich zur Jagd. Das merkt man am galoppierenden Rhythmus des Themas und an den schmetternden Signalen der Hörner, allen voran die virtuose Piccologeige der Diana. Zur Feier der gelungenen Jagd findet dann noch ein Ball statt, viermal spielen alle ein festliches Menuett, dazwischen hat jede der drei Jagdgruppen ihren Auftritt. Die Schäfer mit ihren Oboen tanzen ein Menuett, die Nymphen wagen sich mit ihren Streichinstrumenten an eine kesse Polonaise, und die Jäger schmettern zur Begleitung der Oboen einen Marsch. (MUSIK ganz)

Nun? Was soll man weiter sagen? Scheint doch absolut o.k., abgesehen von einer Kleinigkeit – denn eins ist wohl ebenso klar: Protest ab „Endymion“!!! Von einem Schäferstündchen kann wohl keine Rede sein, einfach absurd! Hören Sie nur einmal das Adagio! Die Oboe, offenbar piano wie alle anderen. Und dann die Piccolovioline im Takt 5 forte (!), ich denke: durchdringend, scharf… Was sind das für ungeheure Affekte, ich sehe da nichts, nein, nichts vom silbrigen Glanz einer stillen mondhellen Nacht. Wohl höre ich etwas vom schweren Tod eines menschenähnlichen, fühlenden Wesens, und sei es in Gestalt eines Hirsches! Schauen Sie noch einmal genau auf das Rubensbild der Diana und auf die Tiere vor ihr. Besser noch: untersuchen Sie in der Bilderfolge des Tizian (im folgenden Link) genauer den „Tod des Aktaeon“: die Hunde zerfleischen ihn, man erkennt im Dunkel seinen Hirschkopf.

Ja, diese andere Möglichkeit gäbe es tatsächlich: hier – und damit die andere Form des Diana-Mythos. Ist es deutlich, wie die Melodien – piano in Oboe, forte in Violino piccolo (Diana) – aufeinander verweisen, wie sie sich „spiegeln“, wie sie einander ins Auge fassen? Was für eine Schönheit, was für eine abgrundtiefe Trauer! Und im Takt 35 – ein dumpfer Schlag – ist alles vorbei, die V.piccolo hat sich schon seit Takt 30 unter die Tutti-Violinen gemischt, sie holt Atem, der Hirsch ist tot.

Natürlich kennt auch Lateinlehrer Bach seinen Ovid (wie wir, wenn wir hier nachlesen), sieht auch die entsprechenden Bilder an den Wänden der Jagdschlösser, ist in der Lage, völlig verschiedene (oder auch in der Struktur ähnliche!) Musiken dazu zu schreiben… Nicht Endymion schläft, Actaeon – als Hirsch – stirbt, und – allegro – WEITER GEHT DIE JAGD, Diana allen voran. Ausgesungen hat es sich, die auf der Violino piccolo gebrochenen Akkorde reden ein ruppige Sprache!

*    *    *

Man höre – „unbefangen“ – die Anfänge der folgenden Aufnahmen (es geht um die Musik, nicht um die Beurteilung der Interpretation, auch sehr kurze Ausschnitte, z.B. die ersten30 Sekunden):

Und was soll diese letzte Musik? Nein, es ist nicht dasselbe Thema … aber man könnte es verbessert haben, wenn man es zufällig nach 1717 aus Dresden vernommen hätte, wo Heinichen sein Hofamt angetreten hatte. …man? nur einer hätte es so tun können, wie wir es nun kennen.

Ja, wenn das stimmt, was ich oben von Goebel abgeschrieben: „Diese (…) überlieferte dreisätzige Werkgestalt ergänzte Bach für die brandenburgische Version bei der Niederschrift 1720/21 um einen zwischen Adagio und Menuet interpolierten Konzertsatz und…“), dann wäre es genau der dritte Bachsche Satz, der bisher fehlte, und er ist soviel besser als der Kopfsatz von Heinichen, schon in der Weiterkonstruktion des Themas, dass man nicht mehr von Imitat sprechen könnte, eher von einer dezenten Dresden-Kritik aus der Leipziger Werkstatt, nebst Verbeugung in Richtung Brandenburg…

Das Thema Dresden beschäftigt Goebel auf einigen Seiten seines Buches, zumal die Hochzeit König August des Starken im September 1719, die „sich als eines der großen Hoffeste des frühen 18. Jahrhunderts lange im kollektiven Bewusstsein als schlicht ‚unnachahmlich‘ hielt.“ Und man wisse, „dass vor allem die kurz gehaltenen Berliner Königskinder neidisch auf Dresden und seine joviale Festkultur waren“ (Goebel a.a.O.Seite 39). Warum – das ist dabei eine schwer zu lösende Frage – warum fügt Bach in seine abschließende Tanzfolge für den Brandenburger eine „Poloineße“ ein, seit Polens Eingemeindung das Markenzeichen der Dresdner Musikszene, – ist das nun ein Scherz, dieser etwas duckmäuserischer Satz mit einem plötzlich dreinfahrenden forte-Aufbegehren, wohlgemerkt ein Satz, zu dem die Violino piccolo (stellvertretend für des Fürsten Diana-Nähe) ausdrücklich zum Schweigen aufgefordert wird. Scherzhaft gemeint ist ganz sicher im höfischen Menuet das Jagdsignal der Hörner, das von Anfang bis Ende etwas ungebührlich präsent ist und sicherlich auch mal dynamisch witzig auftrumpfen darf. Das Trio II für die 2 Hörner und mit allen Oboen unisono ist von so hinreißender Wirkung, dass ich die Gruppe nicht selten erlebt habe, wie sie in der Körpergestik trabende Pferde suggerierten. Goebel verweist mit Recht darauf, dass das Menuet in seiner frühen Phase recht schnell genommen wurde, – die Tanzfolge bot hier gewiss keinen besinnlichen Ausklang, sondern auch allerhand Gelegenheit zu fürstlichem Entertainment, wenn nicht sogar vom Hörnerklang gestützte Späße.

Selbst wenn die großartigen Heinichen-Concerti heute hinter Bachs Brandenburgischen vollständig verblassen, lohnt es sich, sie gerade im Blick auf diese neu zu hören und mit Hilfe von Goebels Booklet zu erschließen, auch hinsichtlich der Atmosphäre der Zeit und – wie gehabt – der Festkultur, ob Jagd, Hochzeit, Universitätsfeier, prominenter Geburtstag. Wenn es um Bachs Musik geht, können wir nicht sagen: Ach, das Lob der Tugenden eines Professors namens Gottlieb Kortte ist mir gar zu bieder, hatte Bach denn kein größeres Thema?

Nein, er hatte auch nicht die Wahl in einer anderen Zeit zu leben, und wenn er einen Anlass sah, einen Chor umzubauen oder neu zu erfinden wie „Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten“, eine geniale Jagdmusik in einem neuen Zusammenhang wiederzuerwecken, dann dürfen wir ihm ewig dankbar sei, ihm und den Zeitumständen! Zurück zu Heinichen:

… die Concerti »per l’orchestra di Dresda« – man kann sie augenblicklich nur so bezeichnen, da jeder herkömmliche Gattungsbegriff unzutreffend ist -, die hier erstmals komplett vorgelegt werden.

Ein Großteil dieser Konzerte erklang hinter streng verschlossenen Türen (das unverkennbare Jagdkolorit deutet auf das bei Dresden gelegene Wasserschloß Moritzburg*) und verschwand nach Heinichens Tod hinter ebensolchen: Schon der äußerst mitteilsame Heinichen-Artikel in E. L. Gerbers »historisch-biographischem Lexikon« von 1790 erwähnt die Concerti mit keinem Wort.

Wie wir aus späterer Korrespondenz zwischen Telemann und Pisendel erahnen können,  betrachteten höfische Auftraggeber, besonders aber die sächsischen Kurfürsten, die kompositorischen Leistungen ihrer Dichter als Privatbesitz; das kompositorsche Vermächtnis eines Zelenka jedenfalls wurde wie ein Augapfel  und auch mit Argusaugen gehütet. Wurden solche »geschützten« Kompositionen unter der Hand zwischen Interessenten weitergereicht und verbreitet, so bemühte man sich zumindest, die Provenienz zu verschleiern: Entweder veränderte man den Satzbestand oder man fügte sogar gravierende, sinnentstellende Fehler ein, mit denen wir heute bisweilen unsere liebe Last haben.

Quelle ©Reinhard Goebel: Johann David Heinichen: Zwölf Concerti Grossi / Booklet Archiv Produktion

* Moritzburg: Es lohnt sich, diesen Wiki-Artikel zu studieren, z.b. betreffend der Sammlung Rothirschgeweihe im Speisesaal – oder anderswo:

Im Monströsensaal befinden sich 39 krankhaft veränderte Geweihe, darunter auch der berühmte 66-Ender, der 1696 von Friedrich III. Markgraf von Brandenburg erlegt worden war. Während die auf holzgeschnitzten Tierköpfen montierten Trophäen im Speise- und Steinsaal im Vordergrund stehen, ergänzen sie im Monströsensaal die hier vorherrschenden Ledertapeten mit deren Darstellungen aus der antiken Mythologie.

Vielleicht gehen Sie auch dem hier gegebenen Link nach und positionieren den Markgrafen auf unserem oben wiedergegebenen Stammbaum zwischen Großem Kurfürst und kleinstem Halbbruder. Ja, man kannte sich.

Jetzt fehlt mir noch, was Goebel Schönes über das „unnachahmliche“ Hochzeitsfest in Dresden im September 1719 in seinem Buch über  Bachs Brandenburgische Konzerte referiert:

Die musikalischen Beiträge zu diesem vierwöchigen Fest stammen aus der Feder von Johann David Heinichen, Johann Christoph Schmidt und Antonio Lotti und waren derart vielversprechend und spektakulär modern, dass Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann sich als lauschende Zaungäste bei den „Dresdner Herzensfreunden“ [so Telemann & Pisendel] einfanden, ja, vielleicht auch hier und dan selbst musizierend Hand anlegten [wichtige Anmerkung hierzu S.39].

So lange wie das ungefähre Dutzend der Concerti grossi „per l’orchestra di Dresda“ von Johann David Heinichen oder auch eine so meisterhafte Kreation wie Telemanns Suiten-Konzert F-Dur TWV 51: F 4 unbekannt und ungehört waren, so lange löste auch das dem ersten der Bach’schen Six Concerts angehängte Menuet-Rondo Befremdem, Ratlosigkeit und Erklärungs-Notstand aus.

Das typisch Dresdnerische mancher Concerti Heinichens ist – neben prominenter Verwendung der Zeichen setzenden Hörner und von Satz zu Satz wechselnden Solisten – ein nahtloses auslaufen des Concerto über angehängte Suiten – auch wieder mit buntester Kombination der vorhandenen Orchester-Instrumente –  in das höfische Fest.

Quelle Reinhard Goebel: Johann Sebastian Bachs „Brandenburgische Konzerte“ / Verlag Dohr Köln 2023 (Seite 39)

Musica Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Goebel bei einer Aufnahme in Hamburg (etwa 1985). Produkt: J.S.Bach (Ouverture) Suite Nr. 4 D-Dur BWV 1069 [Goebel wendet sich gerade zurück, spricht mit dem Geiger schräg hinter ihm, und der bin ich.)

*     *     *

Zitat (zum Brandenburg I, bzw. „Vereinigte Zwietracht“:

Gewisse Redundanzen dieses Satzes lassen sich nur aus der Form der Devisen-Arie erklären: Im einer solchen wird die musikalische Motivik eines Arien-Textes im Ritornell emblematisch präfiguriert, beim Entritt der Stimme rückwirkend durch den Text erklärt, im Orchester dann (wortfrei – nun aber mit Kenntnis des Textes) erneut aufgegriffen und danach erst mit der Vertonung neuer Textteile weitergeführt. Die Devise ist in diesem Satz aber bereits drei Mal (bei einer reinen Instrumentalmusik damit das entscheidende Mal zu viel und überflüssig!) erklungen, bevor in Takt 24 endlich Bewegung in den Satz kommt.

Quelle Goebel a.a.O. Seite 37f

Aha, … „endlich Bewegung in den Satz kommt“, ich war eigentlich schon ganz zufrieden…

Eins fehlt also noch: ich möchte mir probeweise Goebels Hörweise aneignen, da wo sie in seinen Bemerkungen durchschimmert. Er hört im Brandenburgischen Concerto innerlich den Chor (oder das Sopran-Solo) mit, aus dem es rückübertragen worden ist. Er hört im Violino-Piccolo-Part also den verborgenen Text – und spürt so Unregelmäßigkeiten auf, die uns vielleicht entgehen, falls wir nicht kleinkrämerisch Takte nachzählen und vergleichen. Aber ein bisschen würde es schon stören, wenn man genauer hinhörte, statt sich davontragen zu lassen. Man muss also zumindest wissen, wo welche Textzeilen behandelt waren und wie oft sie wiederholt werden, bevor es weitergeht. Beginn in den Brandenburg-Noten Takt 17:

Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten,
Der rollenden Pauken durchdringender Knall!
Locket den lüsteren Hörer herbei,
Saget mit euren frohlockenden Tönen
Und doppelt vermehretem Schall
Denen mir emsig ergebenen Söhnen,
Was hier der Lohn der Tugend sei.

Aber kann es wirklich etwas bedeuten, ob eine Wiederholung mehr durch den Text motiviert ist oder nicht?  welcher in jedem Fall unzählige Male dasselbe sagt? Ein mir noch ungelöstes Rätsel.

Und seither grübele ich (unten), was Goebel (s.o.) gemeint hat (Stichwort Devisen-Arie). Für mich geschieht im Brandenburg I Satz 3 am Anfang folgendes:

Takt 1-4 Aufsteigendes Thema in öffnende Geste hineinlaufend 0:07

Takt 5-7 Absteigende Antwort / Takt 8-11 Abwartende Haltung 0:20

Takt 12-16+ Zusammenfassende und abschließende Geste 0:29

Takt 16-20 Solo V. Piccolo Schein-Wiederholung mit anders öffnender Geste 0:36

Takt 21-24 Tutti wie zu Anfang (auch öffnende Geste), aber pianissimo! 0:43

Takt 25-30 Absteig. Antwort mit massiver V.P., modulierender Halbschluss 0:54

Takt 31-34 V.P. weiter aufsteigend, die Modulation festigend 1:02

Takt 35-38 Tutti Thema C-dur mit Halbschluss 1:09

TAKT 38-40 V.P. Soloabschluss C-dur (im Chor der Kantate steht hier der letzte „durchdringend[e] Knall“. )* 1:13

Wenn Sie diesen Abschnitt hören wollen (orchestral), dann bewusst oben ab Anfang bis genau 1:13, nur bis da, – obwohl es ja unmittelbar weitergeht; in der Chorkantate folgt nach diesem angehängten Zwischenspiel die Strophe „Locket den lüsteren Hörer“.

Aber da ist nichts, was musikalisch zuviel ist und nach einer Erklärung durch die Devisen-Arie ruft, – tut mir leid.

*diese beiden Takte der Solo-V.P. (bzw. des Chores) sind Zusatz, denn „eigentlich“ würde auf Takt 38 direkt Takt 41ff folgen: analog „Takt 5-7 Absteigende Antwort / Takt 8-11 Abwartende Haltung“ sowie „Takt 12-16+ Zusammenfassende und abschließende Geste“ / so dass wir erst Ende Takt 52 ans überzeugende Ende des ersten Hauptteils gelangt sind. [Zeitpunkt:1:35] Etwas ganz Neues beginnt… das sonderbare Kurzgespräch des Violino Piccolo mit der Oboe (im Chor: „Locket den lüsteren Hörer herbei“), Zwischenkadenz A-moll Takt 63. [1:55]

Und der Zusatz: nach dem Muster „Takt 8-11 Abwartende Haltung“ sowie „Takt 12-16+ Zusammenfassende und abschließende Geste“, denn es soll wieder – etwas ganz Neues beginnen… [2:07] nämlich ab Takt 70 das nächste sonderbare Kurzgespräch des Violino Piccolo mit den Gefährten der 1. Geige und: die Große Adagio-Kadenz! Beruhigung. Da-capo ist willkommen. [2:41]

Ich würde sagen: dieses zweimal erwähnte ganz Neue bezeichnet man in der Rhetorik als „Perturbatio“ (s.a. hier)

*     *     *

Erster Versuch zur Textverteilung des Satzes in „Vergnügte Zwietracht“

RITORNELL

T.17 Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

T.21 Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

Der rollenden Pauken durchdringender Knall! / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

T.41 RITORNELL

T.53 Locket den lüsteren Hörer herbei, / Saget mit euren frohlockenden Tönen /

Und doppelt vermehretem Schall / Denen mir emsig ergebenen Söhnen /

Was hier der Lohn der Tugend sei / Was hier der Lohn der Tugend sei / Was hier der Lohn der Tugend sei. T.66

T.67 RITORNELL

T.73 Locket den lüsteren Hörer herbei, / Locket den lüsteren Hörer herbei, /

Saget mit euren frohlockenden Tönen / Und doppelt vermehretem Schall / Denen mir emsig ergebenen Söhnen / Was hier der Lohn der Tugend sei / Was hier der Lohn der Tugend sei / Was hier der Lohn der Tugend sei.  / T. 88-89 ADAGIO (→folgt DACAPO)

T.90 Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten / Der rollenden Pauken durchdringender Knall!

T.115 RITORNELL

hier Noten dazu (Petrucci)

Neuer Versuch, die beiden Sätze nebeneinander zu sehen (Synopse): beide in externen Fenstern zum Abhören bereitstellen

n : Neues Material

HIER 1 Brandenburgisches I, 3

(0:00) bis 0:29/1:13 — 1:35 n1:48/1:55 n2:07/2:29 -Adagio- 2:41 (Dacapo) — 4:00 Ende

HIER 2 Vereinigte Zwietracht

(3:07) bis 3:22 — 4:01/4:21 n4:44/4:55 n5:16/5:21 -Adagio- 5:35 (Dacapo) — 6:45 Ende

Damit sind die erwähnten unterschiedlichen (Takt-)Längen noch nicht geklärt. Es muss also an dieser Stelle etwas präzisiert werden.

Ich betrachte jedoch im Prinzip die analytische Arbeit, die ich mir vorgenommen hatte, als erledigt. Jede/r andere hätte mit einer gewissen Hartnäckigkeit, die zum Frühling gehört, darauf kommen können. Dank an Reinhard Goebel, der mich mit seinem Buch auf gewisse Formprobleme aufmerksam gemacht hat! Der Tag passt auch: Ostermontag, 10. April 2023 / 21.30 Uhr / Bad Lippspringe / Cecilien-Klinik / JR

 

Mit Blick auf Bach

Spitta, Heinichen, Goebel

Endlich besitze ich den Spitta, den Beginn der großen Bach-Forschung, zwei gewaltige Bände à 800 + 1000 Seiten. Und da ich gerade auf Heineken gekommen war, schaue ich, was es dort darüber zu lesen gibt. Zu Anfang des Kapitels CÖTHEN, Band I, Viertes Buch, Seite 613:

in Rom also traf Fürst Leopold auf den Komponisten Heinichen, der später in Dresden wirkte. Als stiller Konkurrent von Bach? Findet man etwas darüber in Wikipedia, hier? Immerhin… Aber wo habe ich kürzlich etwas über sein gelehrtes Hauptwerk gelesen, das Bach gut studiert haben soll?

„Musik & Ästhetik“ – Ich muss später darauf zurückkommen, aber es ist (für mich) sensationell, wie hier die Fäden zusammenlaufen. Genau dieses Werk von Heinichen besitze ich seit wenigen Tagen, ein Original, so wie es Bach vor Augen und in Händen gehabt haben könnte:

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wo sind Reinhard Goebels CDs? Ich muss sie aufs neue hören, tolle Musik, und da gibt es einen Parallel-Satz (hier Tr.1) zu einem Satz der Brandenburgischen Konzerte, Thema Jagd. Ich muss vor allem die Booklet-Texte nachlesen. Wer sonst könnte mir den Komponisten und die Zeit so gegenwärtig machen wie RG?

©Reinhard Goebel / hören: hier

Scheint die Zumutung zu groß, einen solchen Text wie den hier folgenden zu entziffern? Und wenn er von Bach wäre statt von Heinichen?

Anmerkung (a): Es sei mir erlaubt, hier eine Frage einzuwerfen, nämlich woher es komme, dass es zur Zeit in unserm Land so viele übermäßige Kontroversen, soviel Widerspruch, soviel Diskussion zwischen den alten und neuen Komponisten gibt? Antwort: die häufigste (um nicht zu sagen: einzige) Ursache ist, dass sich beide Teile um das Hauptprinzip, worauf alles in der Musik ankommt, nicht einigen können, – ob nämlich die Musik und ihre Regeln nach dem Gehör oder nach der sogenannten Vernunft eingerichtet sein sollten. Die Alten halten es mehr mit der Vernunft, die Neuen aber mit dem Gehör. Und weil also beide Parteien in den ersten Fundamenten nicht einig sind, kann es nicht ausbleiben, dass die aus zwei konträren Prinzipien gemachten Schlüsse und Konsequenzen ebensoviele untergeordnete Kontroversen und tausend genau entgegengesetzte Konsequenzen gebähren. Bekanntlich haben die Alten sich zwei Richter in der Musik gewählt: Ratio und Auditum (Verstand und Gehör). Die Wahl wäre richtig, weil sie beide unentbehrlich sind. Jedoch wegen des jeweiligen Anteils dieser beiden Kommandanten wollen die heutigen Zeiten mit den vergangenen nicht mehr übereinstimmen, und das Altertum wird hierin zweier Fehler beschuldigt.

Mein erster Versuch in O-Ton Heinichen… lesen Sie doch bitte selbst weiter. ⇑

Zu den Dresdener Concerti

©Reinhard Goebel

Von der Fuge

Armida Quartett – s.a. im Blog hier (Köln!)

Und wo liegt das tertium comparationis? Im Verfasser des Textes, der auch hinter der Werk-Auswahl steckt.

©RG

Fröhliche Wissenschaft

Nietzsches Buchtitel wird vom Journalismus gern beschworen, wenn es darum geht, die präzise gedachten Wörter- und Satzfolgen mit einer gewissen Leichtigkeit zu versehen, was durchaus von Flapsigkeit zu unterscheiden ist. Andere bleiben einfach bei dem Grundsatz: seriöse Forschung muss auch in einem ruhigen Ton vorgetragen werden, der Vertrauen schafft und auch Zweifler zum Mitdenken ermuntert. Goebel gehört zu den letzteren, wenn auch von einem sanguinischen Temperament angetrieben. Es ist immer auch amüsant ihm zuzuhören.

Ganz anders sieht es aus, wenn der leichte, kommunikative Spiritus nicht durch fundiertes Wissen gesteuert wird. Das Buch von Klaus Eidam ist schon 20 Jahre alt, hat aber unnützerweise die Leistung echter Wissenschaftler – passend zur Coronazeit – fragwürdig gemacht. Es beginnt mit dem ehrenwerten Hermann Keller, – und man tut gut daran, jedes einzelne Faktum zu überprüfen, kaum jemand kommt ungeschoren davon. Hier können Sie üben: beginnen Sie vielleicht mit dem zuletzt genannten Thema B-A-C-H, transponieren Sie es „zwei Ganztöne nach oben“, dann haben Sie D-CIS-E-DIS.

 

Gesegneter Absch(l)uss ins All:

Joachim Ernst Berendt? Ein Dilettant auch er. Ich habe keine Lust mehr, mich mit seinen Gedanken zur Harmonie der Welt oder zur Musikästhetik von Kürbissen und Petunien auseinanderzusetzen. Mir genügt unsere verbale Begegnung vor rund 30 Jahren: hier (Gegen „Nada Brahma“).

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Zurück zum Thema B-A-C-H: Wie beginnt die cis-Moll-Fuge denn wirklich? CIS-HIS-E-DIS (-CIS). Vielleicht meinte der Besserwisser anderthalb Töne, so dass sie tatsächlich mit CIS bzw. DES begänne, – dann wäre es eben DES-C-ES-D bzw. CIS-HIS-DIS-CISIS. Und nun schauen Sie bei Keller nach (Seite 53), wie sorgfältig er mit dem Thema umgeht, das – nebenbei – wahrhaftig nicht aus 4, sondern aus 5 Tönen besteht. Die aber haben nichts mit B-A-C-H oder seiner Transposition zu tun. (A propos Keller: noch eine sehr nützliche Lektüre, obschon etwas alt…)

Quelle Hermann Keller: Das Wohltemperierte Klavier von J.S.Bach / Bärenreiter Kassel 1965 / sen letztes großes Werk, sein erstes: Die musikalische Artikulation / insbesondere bei Bach / Stuttgart 1925

Des weiteren zur Lektüre empfohlen:

Quelle Alfred Dürr: Johann Sebastian Bach Das Wohltemperierte Klavier / Bärenreiter Kassel 1998