Armida – Projekt

Kölner Philharmonie 22. Oktober 2015

Über das Quartett und „In Memoriam Friedemann Weigle“: Hier.

Programm in Köln:

Jörg Widmann
1. Streichquartett (1997)  – Link zur Karlsruher Rede hier und zu den Streichquartetten hier.

Robert Schumann
Streichquartett F-Dur op. 41,2 (1842) – Links in diesem Blog hier und hier

Pause

Franz Schubert
Streichquartett G-Dur op. 161 D 887 (1826) – Link in diesem Blog hier

Musikbeispiel Beethoven Streichquartett No 15 in A moll op.132 V. Allegro appassionato

Oder hier – Beethoven f-moll, 1. Satz (bitte auf entsprechendes Video klicken):

http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/abendschau/studiogaeste/studiogast-armida-quartett-102.html

Beethoven f-moll

Eine Bemerkung zur Selbstdarstellung des Quartetts. Die vier Protagonisten verhalten sich sehr unterschiedlich: die Herren intro-, die Damen extravertiert, die Bratscherin zuweilen so auffällig, dass man nicht umhin kann, darüber zu reden, ob Musiker etwa nicht nur die Musik wiedergeben und dabei unwillkürlich auch das preisgeben, was die Musik mit ihnen macht, von ihnen verlangt, sondern dass sie zugleich eine Rolle spielen: dass sie dem Publikum zeigen wollen, wie sie zum Ausdrucksmedium der Musik werden. Das entscheidende Wort ist hier: wollen. Wenn man an Goethes Metapher vom Streichquartettspielen als einem Gespräch vernünftiger und empfindender Menschen denkt, so räumt man gern ein, dass sie auch heftiger miteinander diskutieren und mit starken Emotionen aufeinander reagieren, aber die Glaubwürdigkeit wäre dahin, wenn jemand die Wirkung seiner Äußerungen auf Dritte (bzw. Fünfte, Sechste), auf Außenstehende berechnete. Oder überhaupt: berechnete. Vielleicht ist aber auch dies – das Nicht-berechnen -, wenn jemand nun mal auf einer Bühne sitzt, eine Fiktion? (Siehe hier).

Was ist los, dass die Viola-Spielerin bei 0:21 (in Takt 12) den Cellisten derart verschwörerisch anschaut? Nur bei ihm ist in diesem Moment heftig bewegte Energie, und er antwortet auch in 0:26 mit einem kurzen Blick, aber im nächsten Takt wird sie mit dem Sechzehntel-Motiv eingreifen, 2 Takte später noch einmal, und dann Takt für Takt, bis alle vier im unisono den wilden Anfang mit diesem Motiv wieder aufgreifen. Also: so gesehen hat die Mimik und Gestik „Sinn“. Trotzdem bin ich überzeugt, dass ein Regisseur dahintersteckt, der weiß, „was man Klassikern beibringen muss“: die Show fürs Publikum. Er hat die alten Gender-Rollen inszeniert: der Mann ist Herr seiner selbst, die Frau arbeitet mit Gefühlen. (Wer weiß, ob Lang Lang vor seiner Karriere im Westen nicht den falschen Kurs bei Samy Molcho belegt hat?)

Was mich stört, ist der „Ausdruckstanz“. Ich gönne Künstlern die lebhaftesten Bewegungen, wenn sie auf der Bühne stehen (oder sitzen). Im Extrem habe ich das bei Gil Shaham in der Kölner Philharmonie erlebt, auf einem Aktionsraum von 4-6 Quadratmetern beim Bartók-Konzert, ein Fest des Lebens und der Energie.

Interessant zu vergleichen, wie die nette Violaspielerin sich im wirklichen Gespräch verhält (im vorhergehenden BR-Video, nach dem Mozart ab 3:34). Man würde durchaus nicht von Übertreibung reden.

Nach dem live erlebten Konzert

… würde ich von all dem nicht mehr reden. Vom Platz in der 15. Reihe aus sehe ich die Bewegungen der Ausführenden anders als durchs Auge der Kamera. (Der Cellist überzeugt mich freilich im Verein von Ton und Geste am meisten.) Um etwas vom Hören zu sagen (und die überwältigende Präzision zurückzustellen): im ersten Satz Schumann kann ich die Stimme der ersten Geige nicht verfolgen, das Tempo ist zu schnell, das Thema liegt relativ tief, müsste aber trotzdem „problemlos“ deutlich zu verfolgen sein, nicht nur, wenn man das Stück bereits auswendig kennt. Auch das eigenartige Achtelmotiv ab Takt 67 sollte sich auffälliger artikuliert geben, trotz des beiläufigen Charakters. Es mag sein, dass mein Ohr unmittelbar nach dem Widmann aus der gegebenen Entfernung noch nicht trennscharf wahrzunehmen bereit ist. Aber in den anderen Sätzen (abolutes Preziosum: das Trio im Scherzo!) und im ganzen (phantastischen!) Schubert sehe ich das Problem nicht. Es hat allerdings alles den Grad von Perfektion, wo die Gefahr besteht, dass man die kleinste nicht ganz perfekte Kleinigkeit übel nimmt, sich gewissermaßen nicht mehr hinreißen lässt. Ich bin nicht sicher. Fehlt so etwas wie „Wärme“? Sicher ist allerdings, dass dies Streichquartett-Konzert zu den besten gehört, die ich je erlebt habe.