Mit Blick auf Bach

Spitta, Heinichen, Goebel

Endlich besitze ich den Spitta, den Beginn der großen Bach-Forschung, zwei gewaltige Bände à 800 + 1000 Seiten. Und da ich gerade auf Heineken gekommen war, schaue ich, was es dort darüber zu lesen gibt. Zu Anfang des Kapitels CÖTHEN, Band I, Viertes Buch, Seite 613:

in Rom also traf Fürst Leopold auf den Komponisten Heinichen, der später in Dresden wirkte. Als stiller Konkurrent von Bach? Findet man etwas darüber in Wikipedia, hier? Immerhin… Aber wo habe ich kürzlich etwas über sein gelehrtes Hauptwerk gelesen, das Bach gut studiert haben soll?

„Musik & Ästhetik“ – Ich muss später darauf zurückkommen, aber es ist (für mich) sensationell, wie hier die Fäden zusammenlaufen. Genau dieses Werk von Heinichen besitze ich seit wenigen Tagen, ein Original, so wie es Bach vor Augen und in Händen gehabt haben könnte:

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wo sind Reinhard Goebels CDs? Ich muss sie aufs neue hören, tolle Musik, und da gibt es einen Parallel-Satz (hier Tr.1) zu einem Satz der Brandenburgischen Konzerte, Thema Jagd. Ich muss vor allem die Booklet-Texte nachlesen. Wer sonst könnte mir den Komponisten und die Zeit so gegenwärtig machen wie RG?

©Reinhard Goebel / hören: hier

Scheint die Zumutung zu groß, einen solchen Text wie den hier folgenden zu entziffern? Und wenn er von Bach wäre statt von Heinichen?

Anmerkung (a): Es sei mir erlaubt, hier eine Frage einzuwerfen, nämlich woher es komme, dass es zur Zeit in unserm Land so viele übermäßige Kontroversen, soviel Widerspruch, soviel Diskussion zwischen den alten und neuen Komponisten gibt? Antwort: die häufigste (um nicht zu sagen: einzige) Ursache ist, dass sich beide Teile um das Hauptprinzip, worauf alles in der Musik ankommt, nicht einigen können, – ob nämlich die Musik und ihre Regeln nach dem Gehör oder nach der sogenannten Vernunft eingerichtet sein sollten. Die Alten halten es mehr mit der Vernunft, die Neuen aber mit dem Gehör. Und weil also beide Parteien in den ersten Fundamenten nicht einig sind, kann es nicht ausbleiben, dass die aus zwei konträren Prinzipien gemachten Schlüsse und Konsequenzen ebensoviele untergeordnete Kontroversen und tausend genau entgegengesetzte Konsequenzen gebähren. Bekanntlich haben die Alten sich zwei Richter in der Musik gewählt: Ratio und Auditum (Verstand und Gehör). Die Wahl wäre richtig, weil sie beide unentbehrlich sind. Jedoch wegen des jeweiligen Anteils dieser beiden Kommandanten wollen die heutigen Zeiten mit den vergangenen nicht mehr übereinstimmen, und das Altertum wird hierin zweier Fehler beschuldigt.

Mein erster Versuch in O-Ton Heinichen… lesen Sie doch bitte selbst weiter. ⇑

Zu den Dresdener Concerti

©Reinhard Goebel

Von der Fuge

Armida Quartett – s.a. im Blog hier (Köln!)

Und wo liegt das tertium comparationis? Im Verfasser des Textes, der auch hinter der Werk-Auswahl steckt.

©RG

Fröhliche Wissenschaft

Nietzsches Buchtitel wird vom Journalismus gern beschworen, wenn es darum geht, die präzise gedachten Wörter- und Satzfolgen mit einer gewissen Leichtigkeit zu versehen, was durchaus von Flapsigkeit zu unterscheiden ist. Andere bleiben einfach bei dem Grundsatz: seriöse Forschung muss auch in einem ruhigen Ton vorgetragen werden, der Vertrauen schafft und auch Zweifler zum Mitdenken ermuntert. Goebel gehört zu den letzteren, wenn auch von einem sanguinischen Temperament angetrieben. Es ist immer auch amüsant ihm zuzuhören.

Ganz anders sieht es aus, wenn der leichte, kommunikative Spiritus nicht durch fundiertes Wissen gesteuert wird. Das Buch von Klaus Eidam ist schon 20 Jahre alt, hat aber unnützerweise die Leistung echter Wissenschaftler – passend zur Coronazeit – fragwürdig gemacht. Es beginnt mit dem ehrenwerten Hermann Keller, – und man tut gut daran, jedes einzelne Faktum zu überprüfen, kaum jemand kommt ungeschoren davon. Hier können Sie üben: beginnen Sie vielleicht mit dem zuletzt genannten Thema B-A-C-H, transponieren Sie es „zwei Ganztöne nach oben“, dann haben Sie D-CIS-E-DIS.

 

Gesegneter Absch(l)uss ins All:

Joachim Ernst Berendt? Ein Dilettant auch er. Ich habe keine Lust mehr, mich mit seinen Gedanken zur Harmonie der Welt oder zur Musikästhetik von Kürbissen und Petunien auseinanderzusetzen. Mir genügt unsere verbale Begegnung vor rund 30 Jahren: hier (Gegen „Nada Brahma“).

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Zurück zum Thema B-A-C-H: Wie beginnt die cis-Moll-Fuge denn wirklich? CIS-HIS-E-DIS (-CIS). Vielleicht meinte der Besserwisser anderthalb Töne, so dass sie tatsächlich mit CIS bzw. DES begänne, – dann wäre es eben DES-C-ES-D bzw. CIS-HIS-DIS-CISIS. Und nun schauen Sie bei Keller nach (Seite 53), wie sorgfältig er mit dem Thema umgeht, das – nebenbei – wahrhaftig nicht aus 4, sondern aus 5 Tönen besteht. Die aber haben nichts mit B-A-C-H oder seiner Transposition zu tun. (A propos Keller: noch eine sehr nützliche Lektüre, obschon etwas alt…)

Quelle Hermann Keller: Das Wohltemperierte Klavier von J.S.Bach / Bärenreiter Kassel 1965 / sen letztes großes Werk, sein erstes: Die musikalische Artikulation / insbesondere bei Bach / Stuttgart 1925

Des weiteren zur Lektüre empfohlen:

Quelle Alfred Dürr: Johann Sebastian Bach Das Wohltemperierte Klavier / Bärenreiter Kassel 1998