Archiv der Kategorie: Violine

„Vatapi“ für Gott Ganesha

Südindische Violinen

Chembai : (Zitat) He also mentored many young accompanists, including Palghat Mani Iyer, Lalgudi Jayaraman, M. S. Gopalakrishnan, T. N. Krishnan, Palani Subramaniam Pillai and L. Subramaniam. Memorial music festivals have been held in his honour annually since his death in 1974, the most important being the annually celebrated Chembai Sangeetholsavam. – Als weitere Info siehe hier.

Über Facebook (oder wie heißt das?) kam die mit leisem Schrecken verbundene Erinnerung an die indischen Begegnungen in Köln und Bombay (Mumbai), Madras (Chennai) und Thiruvaiyaru. Mein Schlüsselerlebnis mit dem klassischen Stück „Vatapi ganapatim“. Ich muss es rekapitulieren und die seither verflossene Zeit in Klang verwandeln. Oder verwandelt sehen, als sei nichts geschehen.

Man erkennt links ganz unten, unter dem Wort Violin, den Namen „Kanyakumari“. Auf der CD des berühmten Saxophonspielers Kadri Gopalnath hatte ich mir ihre bezaubernden Violinsoli vorgemerkt:

Beide Interpreten traf ich durch Zufall auf dem Flughafen Madras. Es kam zu keiner Vereinbarung für ein Konzert in Köln, aber die Erinnerung an diese Violin-Improvisationen grub sich für immer ein. Ebenso wie früher schon an Lalgudi Jayaraman oder Dr.  L. Subramaniam, die tatsächlich solistisch im WDR gespielt haben. Vier Seiten aus meinem Tagebuch der Januarreise 1997.

Artikel über Kanya Kumari 1997

Meine erste Begegung mit der Melodie „Vatapi Ganapatim“ (LP Imrat Khan 1975)

NB Die indische Musik funktioniert nicht in Wechselwirkung mit einer Notenschrift wie die westliche, also über die Augen, sondern allein im Wechsel von Hören und Praktizieren. Eine in unserm Sinn notierte indische Musik kann nicht „nachgespielt“ werden, es sei denn, man hat sie schon mit dem Lehrer, der Lehrerin Phrase für Phrase, Ton für Ton: erarbeitet, eingeübt. Der deutsche Musikethnologe Josef Kuckertz hat gleichwohl die Methode dieser Notation verfeinert (s.u. die „Vatapi“-Komposition), um alle indischen Nuancen festzuhalten, zu objektivieren, um sie analysieren zu können und sich darüber im wissenschaftlichen Sinn verständigen zu können. Man kann die indische Musik nicht auf diese Weise „in Besitz nehmen“, – so wenig wie dies, streng genommen, bei den klassischen Werken der westlichen Tradition gelingt, wenn man nur ihre Noten kennt, aber nicht ihren Geist.

Die notierte Komposition entspricht nur einer bestimmten Realisation und kann nicht im Detail mit anderen Interpretationen gleichgesetzt werden, auch wenn der Kern klassischer südindischer Kompositionen auf Werke bestimmter Komponisten („Dreigestirn„) des frühen 19. Jahrhunderts zurückgeht. Eine andere Aufgabe wäre zu lösen, wenn die Tonfolgen oder Themen – wie in der folgenden Interpretation – eine auffällige Ähnlichkeit mit Figuren der westlichen Harmonik haben („Sextakkord“); die Funktion ist eine ganz andere.

https://www.kanyalessons.com/ hier , darin gleich zu Anfang: „Vatapi ganapatim“-Lektion

https://en.wikipedia.org/wiki/A._Kanyakumari hier Wikipedia Lebenslauf etc.

https://en.wikipedia.org/wiki/Akkarai_Subhalakshmi hier

Ansage enthält in etwa die Angaben, die sich in der folgenden Transkription (Josef Kuckertz) direkt über den Noten befinden. Sie bezieht sich natürlich auf eine andere, historische Aufnahme mit dem Geiger Mysore T. Chowdiah Caudayya (1895-1967). Der Alapana (Einleitungsteil) ist improvisiert, also jedes Mal etwas anders, die dritte Zeile geht unmittelbar in die KRTI „Vatapi“ über: dies ist die eigentliche Komposition von Muttswami Dikshitar.

Die drei Teile der Komposition „Vatapi ganapatim“: Pallavi, Anupallavi, Charana (Kuckertz)

   

 

Quelle Josef Kuckertz: Form und Melodiebildung der Karnatischen Musik Südindiens / im Umkreis der vorderorientalischen und der nordindischen Kunstmusik Bd.1 Darstellungen, Bd. 2 Transkriptionen / Otto Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1969

Das Doppel-Buch meines Lehrers Josef Kuckertz (der im folgenden Text unseren gemeinsamen Lehrer Marius Schneider hervorhebt) war eine Pionier-Arbeit, auch im Studium der indischen Original-Schriften; es lohnt sich nach wie vor, darin Rat zu suchen. Wichtig zu wissen: der folgende Texte bezieht sich auf eine andere, vielleicht orthodoxere Version von „Vatapi ganapatim“, was bedeutet, dass die Zeilenangaben nicht übereinstimmen mit der oben wiedergegebenen Version des Violin-Heroen Chowdiah.

Text: Josef Kuckertz

Einen alternativen, neuen Zugang – mit Hilfe einer anderen notierten Form derselben Komposition – findet man in dem schon oben gegebenen Link hier : runterscrollen zum Beitrag über den Komponisten Muthuswami Dikshitar (Muttusvāmi Dīkṣitar) und seine gesungene  Komposition „Vatapi ganapatim“ – mit dem zugehörigen lyrischen Text. Hervorragend!

Die Welt der Violine im WDR

V.V.Subramanyam (Foto: WDR)

Dr. L.Subramaniam

Nachtmusik im WDR 8. Januar 1994 (mit Tonmeister Martin Frobeen)

Kulturell „betreutes Hören“

Woher kommt die europäisch wirkende Melodie der Komposition (s.o.) ‚Raghuvamsa Sudha‚ ? Auf meinem Notenpult liegt aufgeschlagen ein Heft der Bogentechnik-Übungen von Sevcik

Kuckertz erzählte: die englischen Militärmusiker haben die Violine nach Indien mitgebracht, wozu die Inder meinten: „aber wir können sie richtig spielen“. Es sei der Bruder des Komponisten M.Dikshitar gewesen, der sie in die karnatische Kunstmusik eingeführt habe, also etwa um 1800. Übrigens die Namen sind nicht zu verwechseln: im Geigenfestival V.V. (gespr. Wiwi) Subrahmanyam und der international berühmte L. Subramaniam. Von letzterem gab es nicht lange nach unserer Nachtmusik im WDR 8.1.94 eine „Global Symphony“ (aus Berlin? mit Solovioline, Chor und Orchester), die ich nicht senden mochte, um irreführenden Kommentaren auszuweichen… Ersterer bot mir die Interpretation von Werken an, die aus der Zeit der „Trinity“ stammten und eindeutig europäische Einflüsse der Frühzeit zu reflektieren schienen. Eine Cassette dazu ging leider verloren. Zu erwähnen wäre, dass gerade solche Kompromisse eine zwischenkulturelle Begegnung nicht vereinfachen, sondern zunächst verschärft Vorurteile provozieren, als sei die Musik nicht „echt“. Wie man es auch an meinem Sevcik-Beispiel studieren kann: wir hören entfaltete Akkorde, während indische Musiker wohl eher eine melodische Auswahl bevorzugter Töne eines Ragas hören, dessen Skala durchaus als „Tonleiter“ erscheinen kann.

(Fortsetzung folgt)

Kavakos mit Bach

„Sei Solo“ – die Solo-Sonaten und Partiten – neu

weiter zum folgenden Link

HIER ↵ Leonidas Kavakos im Podcast

Stichworte, die dem Gang der Erläuterungen folgen, ohne eine genau Übersetzung zu liefern. Es ist lediglich meine Erinnerungsstütze. (JR)

Zuerst allgemein über Behandlung der Violine als Solo-Instrument, melodisch, symphonisch, bei Beethoven, Brahms. Immer die Geige als singende Stimme. Viel später, im 20. Instrument, Komponisten wie Ysaye, der Szigeti mit Bach-Partitas gehört hatte, schrieb selbst 6 Solosonaten. Oder später Bartók, eins der größten Meisterwerke dieses Genres, am nächsten bei Bach. Reger, Prokofieff. [Beisp. H-moll Partita]  L.K. hörte eines Tages in Italien bei einem Sammler, Kinderarzt, die Aufnahme von Sigiswald Kuijken, was ihn „umhaute“. Absolut anderer Klang, die tiefe Stimmung, akustisch: es transformiert das Instrument, beseitigt alle Romantizismen, die wir gewöhnlich anwenden. Andere Frequenzen, weniger Druck auf den Saiten, dem Steg, dem Instrument. Dadurch für mich: mehr Raum für Polyphonie. 10:50. Die Saiten sind flexibler. Kuijken, mit Barockbogen. Ich liebte das so, ich hörte auf, Bach zu spielen… weil: denken denken denken. Ich muss üben, üben , üben. Von vorne anfangen. 11:50. Dass es mich wirklich berührt. Das war ein sehr langer Prozess. 1990, 1991 war es, als ich stoppte mit Bach. Ich begann erst wieder … jetzt … vor 4 Jahren. Nicht, dass ich es nicht mehr tun konnte, es ist wie die Erde zu verlassen, einen anderen Planeten erreichen, absorbieren etc. sich wieder der Musik nähern, Barockbogen! ich liebte es, wie das Instrument reagiert in der tieferen Region, ich probierte die Darmsaiten, allmählich formte ich einen neuen Weg für mich, wie auch immer. Neue Wege der Poyphonie entdeckend. 13.00. Bisher: wenn man zu einem Vierton-Akkord kommt, nimmt man die Aufteilung 2 +2 Töne. Beim Drei-Ton-Akkord gibt es zwei Möglichkeiten, entweder alle Töne zugleich, oder – das ist lustig, worüber ich viel nachgedacht habe -, man nimmt 2 plus 2, (Ton1+2 und Ton 2+3). Was kann man anders machen? Jetzt Blick ins Faksimile von Bachs Hand: die Akkordnoten sind einzeln mit Hälsen versehen! er schreibt 4 einzelne Noten. Das heißt für mich: jede Note ist eine eigene Geschichte, eine einzelne Präsenz. 14:40. Niemals 2+2. Es kann sein 1+1+1+1. etc Das eröffnete mir eine völlig neue Welt, diese Musik zu spielen! Ab 16:25 über Fuge. Ich schaue auf die Noten wie auf Akteure eines Theaterspiels. 19:51 Beisp. g-moll-Fuge 20:14 „The Fugue …“ Das Wort Fuga – to leave, to escape, – keiner weiß warum. Wäre die allererste Frage an Bach. Warum das Wort Fuga? Für mich – säkulare Musik – das Preludio zu 3. Partita – exakt dieselbe Musik wie in Sinfonia der Kantate [nicht19 sondern] 29, „Wir danken dir, Gott“ . mit Orchester, mit Bass. Man weiß also, was Bach innerlich hört, wenn er eine Musik ohne Bass schreibt…22:30 geschrieben, kurz nachdem seine Frau gestorben war, der Titel „Sei solo“ which means „you are on your own“ [???] 22:54 und wir haben die Fuge, we say „fugitive“ 23:00 genau wie im mod. Griechisch „eefüjä“, wenn jemand weggeht. Ich nehme es metaphysisch. 23:20 Das Motiv, das von Stimme zu Stimme geht, ich interpretieren es als verschiedene Inkarnationen des Lebens. Dasselbe auf verschiedenen Ebenen. Eine Reise durch verschiedene Ebenen. Der Schock für mich ist der letzte Akkord der C-dur-Fuge. Eine ganz spezifische Form (beschreibt die großen Abschnitte samt Dacapo). Es endet mit dem C-dur-Akkord, aber er fügt hinzu als Spitze des Akkords ein g, die Dominante. 24:45. Für mich weine riesige Frage, – was ist die Rolle dieses Tones? [L.K. betont mehrfach das Wort Dominante, obwohl der Ton g ja nicht in seiner Dominantfunktion erscheint, sondern als Bestandteil des Tonika-Akkords, wenn auch in ungewöhnlicher Lage.Seine Interpretation dieses Phänomens:] dass die Seele wiederkehrt („the soul returns“). 25:15. Das mag ein bisschen zuviel [reininterpretiert sein] , aber das kommt von Boris Moravieff, der das Buch schrieb: über esoterisches Christentum („esoteric chistianism“). Er spricht über den Abstieg innerhalb einer Oktave („descending octave“) in der Schöpfung (?), er präsentiert die C-Skala der „Creation“ und gibt die verschiedenen Stufen, von C zu H – zu A – zu G – zu F … also absteigend in der Oktave der „Creation“, und er sagt, dass unser Level, unsere Stufe, unser C,  in der Welt beginnt bei der kosmischen Dominante, dem kosmischen G. 25:59 (Ende bei 30.00).

Hier breche ich ab, L.K. findet diesen „Wissenschaftler“ phantastisch. Er hat offenbar noch nie von Kepler gehört und all den musikbezogenen Kosmos-Theorien, die darauf basierten, und begeistert sich, weil es ihm neu ist. Er kennt zum Glück nicht J.E. Berendt, nicht Harry Hahn mit seinem „Symbol und Glaube“ und der ganzen unerquicklichen Notenzählerei, er kennt offenbar auch nicht Helga Thönes großangelegten Versuch einer mystischen Deutung der Bachschen Solissimo-Werke, nur die Fama betr. ein Epitaph für Anna Magdalena. Für mich lauter sehr zweifelhafte Wege, die Bachsche musikalische Welt „dingfest“ zu machen. Ich stelle anheim, weitere Informationen in den nachfolgenden Links zu suchen.

Boris Mouravieff HIER oder Hier

Aber unbeschadet aller Vorbehalte bleibt die Tatsache, dass alles, was Leonidas Kavakos bisher als Geiger vorgelegt hat, absolut faszinierend ist. Seine Beethoven-Interpretationen sind ohne Vergleich, und der Ernst seines Bach-Unternehmens gebietet, alles was jetzt an Musik zu hören ist, als solche zu deuten und zwar ausschließlich als solche – alles andere ist sekundär.

Ich warte sehnsüchtig auf die realen CDs, die ich bestellt habe, sobald ich davon wusste.

Allte Einzeltitel anspielen bei jpc hier (Im folgenden Youtube bricht die g-Fuge bei 2:46 ab.)

Übrigens spielt er hier nicht mit Barockbogen, benutzt auch keine Darmsaiten, zumindest an der E-Saite (wohl auch an der A-Saite) ist ein Feinstimmer zu sehen, also Stahl. Zudem auch in Normalstimmung, nicht einen Ton tiefer (wie auf der CD). Dies ist keine Kritik, es handelt sich hier ja auch um eine Konzert- und Livesituation…

16.Febr. 2022 Die CD war heute in der Post!

Erste Frage: warum diese Reihenfolge und nicht die von Bach vorgegebene? Vielleicht, damit das glänzende Preludio am Anfang steht und die riesige Ciaccona am Ende? Oder wegen der Dreiklänge in der Tonartenreihenfolge? E C A / G H D ? Die Dominante GHD (von C-dur) – als höheres Zeichen – muss ich bei Mouravieff nachlesen? Nein! Lieber nur hören …

Zweite (beiläufige) Frage: welchen Ton spielt er als „Bass“ in der Mitte von Takt 3 des g-Adagios? Kavakos spielt das korrekte ES, das nicht in Bachs Handschrift steht…

Dritte (beiläufige ) Frage: wie führt er den Abschluss des Grave der Sonata II aus? Er spielt in der Tat einen (irrsinnig schwer zu greifenden) Doppeltriller in Sexten. Warum hat ihn niemand informiert, dass ein Bogen-Vibrato (auch hier) gemeint sein könnte? Wie traumhaft und mühelos hätte dieser Übergang zur Fuge klingen können!

Dritte Frage: die Brechung der Akkorde – große Kunst, z.B. im Schlussakkor G-moll, wo am Ende das B minimal länger oder bevorzugt klingt, oder im C-Adagio Takt 42, wo vom dreistimmigen Akkord H-As-D zuerst der Ton As (bleibend), dann H (unten), dann D (oben) zu hören ist, man versteht warum, möchte aber sagen „zuviel der Bogenkunst“. Letzter Akkord der großen C-dur-Fuge: Zeitlupenbrechung, und sehr spät der vierte hohe Ton G, auch so lang, dass die Absicht herausragt.

Vierte Frage: Zeitverlust durch allzu sorgfältige Brechung der Akkorde, man kann nicht weiterzählen, muss ganze Zählzeiten addieren, musikalisch nicht unbedingt notwendige Verzögerungen. Vermutlich ist auch deshalb das Tempo der A-moll-Fuge relativ ruhig, statt beschwingt; die schwersten Griffe (links) wirken federleicht. Bewundernswert, aber auch diese Fuge wirkt bei aller Phantasie im Einzelnen etwas lang, sie tanzt nicht.

Fünfte Frage: Verzierungen – das ist so üblich geworden und auch erlaubt. Aber plötzlich sind Sätze, die selber schon Verzierungen sind (Doubles), stark „überverziert“, als gebe es einen Wettbewerb im Auffüllen des Textes; mich stört es geradezu in der letzten Zeile der Ciaccona. Dafür ist der letzte Ton D (doppelt) ein Kunstwerk für sich, gerade zu ein Verweis auf die Ewigkeit. Ich denke heimlich ans Klavier, genauer: an Busonis Bearbeitung…

Ein kleines Beispiel: das Präludium der E-dur-Partita. An einer einzigen Stelle setzt Kavakos eine Variante ein, in Takt 37, – eine triolische. Warum in diesem Takt und nirgendwo sonst? Weil das Stück, so wie es komponiert ist, keiner übermütigen Zusatztöne bedarf. Also: warum hier? Und nicht schon im Takt davor. Bach hat eigentlich nichts vergessen oder anheimgestellt, wie man an den Bindungen in den darauffolgenden Takten sieht.

Man weiß, dass dem Pädagogen Bach diese Ausfüllung von Terzgängen geläufig ist, und so schreibt er sie einem Faksimile seiner Invention 1 konsequent aus (für Schüler). Aber warum braucht man sie hier, inmitten des Sechzehntel-Perpetuum?

Faksimile 1723 Invention 1

Um es kurz zu machen, als Fazit würde ich nur noch sagen: das Ganze – als Interpretationsleistung – ist einfach überragend. Fast vollkommen. Warum mich die Ciaccona weniger ergriffen hat, mir auch, leicht enttäuschend, kürzer vorkommt – sagen wir: im Vergleich zu Janine Janssen -, weiß ich nicht. Mir fehlt ein wenig das Pathos. Meist finde ich die eigenen kritischen Bemerkungen zugleich peinlich kleinkrämerisch. Und ich will nicht gelten lassen, dass man die Bewältigung barock-geigerischer Hürden besonders hervorhebt (ich möchte phrasenweise vergleichen mit Isabelle Faust oder der viel früheren Rachel Podger).

Es gibt viele Kleinigkeiten, über die man streiten könnte. Für mich sind viele ornamentale Veränderungen unnötige Stolpersteine, keine relaxed eleganten Varianten. Ich stolpere, wenn allzuviele größere Intervalle durch tirata-ähnliche Läufe ausgefült werden. Z.B. in den Wiederholungen der so fein austarierten Corrente. Brauche ich denn soviel zusätzliche Kurzweil? Makellos das nachfolgende Presto, und überragend die Sarabande, – abgesehen von glücklicherweise winzigen Stolpersteinen, einem einzelnen Lauf in Takt 10 (ebenso im drittletzten Takt), auch zusätzlichen Vorhalten. Jeder (sanft) gebrochene Akkord ein Erlebnis, z.B. der Schluss-Dreiklang H-Fis-H : Grundton allein und die Quinte dazu, diese wie ein Vorschlag zur Oktave, beide zusammen ausgehalten, nahtlos das obere H allein, sehr leise und recht lang. Überall große Geigenkunst. Vielleicht etwas zu groß?

Ich denke an den eigenwilligen jungen Thomas Zehetmair, unvergesslich, wie er im C-dur-Adagio Takt 12 hineinfuhr wie eine Furie, obwohl es als Dynamik nicht dasteht, – aber doch als „Figur“. Und die Antwort steht in Takt 33. Es hieß, da habe ihn Harnoncourt persönlich inspiriert.

Der Booklet-Text stammt von Tully Potter, der tatsächlich das Buch von Helga Thöne favorisiert. Die Überschrift „You are alone“ bzw. „Du bist allein“ (als Übersetzung von „Sei Solo“) kommt wohl von ihr; meines Wissens hat Christian Tetzlaff das als erster im Booklet seiner ersten Aufnahme propagiert. Ich kann verstehen, dass im Kavakos-Booklet die frühe Gesamtaufnahme von Grumiaux besonders hervorgehoben wird, nicht jedoch, dass die von Szeryng, der für die geigende Generation der 60er Jahre ganz neue Maßstäbe setzte, keine Erwähnung wert ist. Zum Ausgleich völlig daneben die Einschätzung der Bach-Interpretation des späten Menuhin. Undsoweiter – da fehlt im Text einfach etwas Kompetenz, die im biographischen Feld liegen mag.

Zum Wort „Fuge“, das Kavakos in seiner oben behandelten Einführung etwas mystifiziert, – als sei die Fuge ein Ausdrucksmittel zum Thema Abschied -, eine kurze Information:

Der Begriff Fuge ist inhaltlich durch die unendliche Vielfalt der Bachschen Fugen „bestimmt“, ist „von Haus aus“ aber eher eine bloße Technik als die Vorgabe eines Affektes (Abschied).

In den 60er Jahren machte ich mir die folgende, leicht greifbare Frühgeschichte des Wortes Fuge zueigen, die dem Buch eines Autors entstammt, den ich heute allerdings ungern konsultiere, auch wenn er ideologiefrei wissenschaftlich recherchiert. Im übrigen verweise ich auf das enzyklopäische Lexikon MGG, mit dem es heute eigentlich jedem Musiker leicht geworden ist, sich jederzeit vorurteilsfrei zu informieren und vielleicht sogar eigene etymologische Versuche zurückzustellen.

 

Quelle

Joseph Müller-Blattau: Geschichte der Fuge (dritte, erweiterte Auflage) Bärenreiter Kassel Basel etc. 1963

MGG Musik in Geschichte und Gegenwart (neu 1995 Sachteil Band 3) Stichwort FUGE Autor: Emil Platen

Das Charukeshi-Gefühl

Wie ich das Geige-Üben umfunktioniere

Da ich täglich übe, ob Geige oder Klavier, neige ich dazu, gedanklich an vorher Gelesenes anzuknüpfen. In diesem Fall an den seit dem 1. Februar erarbeiteten Artikel, der mir eine Freude war: kritische Auseinandersetzung verbunden mit Erinnerungen, die verjüngend wirken (ab hier gehört vor jedes Satzzeichen, ob Komma oder Punkt oder Doppelpunkt, ein lächelndes oder trauerndes Emoji-Gesicht). Die „kleinen“ Dont-Etüden (im Gegensatz zu den großen, recht schweren) wiederhole ich auf der Geige besonders gern, weil ich sie mit 15 zum ersten Mal erarbeitet habe, als ich zu einem neuen Lehrer kam und eine neue Stufe zu erklimmen glaubte. Seine kernige Schrift flößt mir immer noch Vertrauen ein, wie damals, – sein Name war Hans Raderschatt (Prof. in Weimar, Konzertmeister in Bielefeld; studiert hatte er in Köln bei Bram Eldering, was im Link übrigens vermerkt ist), eine Autorität.

wie liest es sich besser?

Jetzt erstmal meine „indische“ Übung: ich versetze die Etüde – es ist nur die erste Hälfte, die ich mir dienstbar mache, imaginär nach E-dur (statt Es-dur) und ignoriere die Vorzeichen b, es, as und dann auch noch die E-dur- Vorzeichen cis und dis, ich verwende also konsequent die Skala E – Fis – Gis – A – H – C – D – E, und genau das ist die Skala von Charukeshi. Ich schicke der Etüde jedoch noch 3 Takte voraus, – warum, wird sich später ergeben, spiele jedenfalls danach nahtlos weiter, „notengetreu“ ab dem ersten gedruckten Takt bis in den letzten Takt, wo ich einen anderen Abschluss vorziehe, den ich handschriftlich nachtrage. Keine Modulation also. Warum? Ich will meinen Geist ganz von der erlernten Etüden-Tonart loslösen und neu einfärben, ja, „den Geist färben“ nichts anderes bedeutet das indische Wort „Raga“. – Also: in Verbindung mit dem Artikel „Raga Hören Üben„, den Sie geöffnet bereithalten sollten, wenn Sie mitlernen wollen. (Was auch auf Klavier, Akkordeon, Gitarre, Mandoline leicht möglich wäre… Vielleicht sogar Einzelphrasen mitsingend?)

Die Stimmung der Geige justiere ich beim Hören des ersten Beispiels von Jayanti Kumaresh, mein Ton E muss mit ihrem Grundton übereinstimmen, insbesondere die leere E-Saite.

Die Noten werde ich noch minimal anpassen, und sobald das alles sitzt, sollten wir uns sowieso vom Notentext lösen und nach dem Gehör imitieren, was das Zeug hält… Auf jeden Fall: man muss es tun – TUN ! – und üben – ÜBEN ! – nicht einfach sagen: „alles klar, hab ich längst kapiert“, – – – da wäre doch noch rein gar nichts umgefärbt. Immer noch dieselben Farben in Dur und Moll. Da warten Sie weiß Krishna vergebens auf indische Hilfe…

Die folgende Bearbeitung ist graphisch unschön und auch etwas überbezeichnet, sie dient ja nur zum Auswendiglernen. Und immer im Wechsel mit dem bloßen Hören der Charukeshi-Aufnahme, dabei stets die verwendeten Skalenabschnitte lokalisierend.

Als Einleitung verwende ich die beiden folgenden Takte, um das Gis-Fis-E-Gefühl zu stärken, die Basis:

zwei- oder dreimal

Rück- bzw Vorschau „Purya“:

Beim letzten Beispiel geht es nur um ein tertium comparationis: wie unterschiedlich doch eine im Material gegebene Polarität des Ragas gedeutet werden kann. Man lese meinen ausführlichen Text zum Raga-Hören im Link.

Manfred Bartmann machte mich darauf aufmerksam, wieviel günstiger es sei, bei indischen Beispielen die Geige auch indisch einzustimmen: das ist richtig, aber ich will meiner Geige kein tägliches oder stündliches Umstimmen zumuten. In diesem Fall also mal eben zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, – was allerdings ebensowenig funktioniert wie das hier verwendete sprachliche Klischee…

(Fortsetzung folgt)

folgt: Skizze zur ersten Übung von Jayanthi Kumaresh… (nebenbei – wenn Sie schon auf Kaushiki schauen – ihr Grundton liegt ganz anders, nämlich eine verminderte Quart tiefer, die Skala wäre: B – C – D – Es – F – Ges – As – B , was natürlich nichts am Raga ändert, Charukeshi hier wie dort, nur für die Violine etwas unpraktischer).

Stern über China

Was ist eine Pipa?

was eine Pipa wirklich ist: hier.

Quelle Isaac Stern (mit Chaim Potok): Meine ersten 79 Jahre / Gustav Lübbe Verlag  Bergisch Gladbach 2000

Der große Geiger war 1979 in China, er berichtet darüber in Kapitel 24 (Seite 353 bis 365), und der Film über seine musikalische Reise wurde weltberühmt, man kann ihn auf Youtube abrufen: hier.

Das Buch ist hochinteressant, nicht nur für alle, die Violine spielen. Ich habe es erst jetzt kennengelernt und mit den letzten Seiten angefangen, erschütternde Zeilen, der Alptraum eines alternden Künstlers, real:

Die wachsenden Schwierigkeiten, die ich in den letzten Jahren mit der Bogenführung hatte, haben mir einige unglückliche und schlimme Situationen beschert. Manchmal konnten meine Finger den Bogen nicht mehr halten und ich mußte die Faust um ihn schließen. Ein- oder zweimal fiel mir der Bogen sogar aus der Hand. Wegen der Schmerzen im rechten Daumen und Zeigefinger hielt ich es für eine Arthritis. […] Mit Erscheinen des Buches werde ich das Ergebnis wahrscheinlich bereits kennen. Ich bete zum Himmel und hoffe von ganzem Herzen, daß es positiv ist.

Das Buch erschien in den USA 1999, 2 Jahre später starb er. Der Wikipedia-Artikel spart auch Schattenseiten nicht aus ( hier ). Ich selbst habe Isaac Stern in der Kölner Philharmonie bei einem Streichquartett-Workshop erlebt, als Vorsitzenden einer Art Jury, fand es furchtbar, wie die jungen Leute behandelt wurden und habe darüber in einer WDR-Sendung berichtet.

Quelle: siehe hier

Kein Wunder, dass diese Musik wie Dvorak klingt, wenn sie mit westlichem Zuckerguss ausgestattet wird, und bei offiziellen Gelegenheiten wird sie Stern nicht anders präsentiert bekommen haben, das ist der Zauber der chinesischen Pentatonik plus Tschaikowsky-Flair. Nicht „ungeachtet der pentatonischen Skalenstruktur“ muss es heißen, sondern dank dieser Struktur, die Dvorak schon im ersten Klaviertrio präsentierte und zwanglos mit der Musik „Aus der Neuen Welt“ amalgamieren konnte. Wäre Isaac Stern ein einziger Ausflug in die alte Chinesische Oper  möglich gewesen (z.B. in Hongkong), hätte er andere Worte über die menschlichen Stimme als Vorbild gewählt. Heute könnte man auch ein Kapitel hinzufügen über die Nachahmung oder Übertreibung der westlichen Mimik und Gestik beim Musizieren. Es hat metaphorischen Wert, wenn der Flügel am Ende die Musik, um die es angeblich geht,  auto-matisch produziert. Erkennen Sie die Ähnlichkeiten und die Unterschiede in den folgenden Musikaufnahmen? Hoffentlich wird es Ihnen am Ende nicht zu bunt bunt oder einfach zu lang lang. Im folgenden Erhu-Solo können Sie die oben wiedergegebenen Noten mitlesen, wenn Sie wollen. Danach folgt dieselbe Melodie, more „colorful“,- oder ist es inzwischen eine ganz andere geworden?

Zur Instrumentenkunde: ab 0:25 die Wölbbrettzithern CHENG, ab 0:44 und 1:11 die Laute PIPA, ab 1:36 die drei Damen vorne links mit der chinesischen „Geige“ ERHU.

Isaac Stern noch einmal, nach 20 Jahren, in China

Irish Music 1983 und heute

Warum Erinnerung nicht lähmt

Das ist nicht selbstverständlich: Erinnerung aktiviert. Warum, will ich jetzt nicht klären. Es ist so lange her, dass ich zuletzt dem Impuls gefolgt bin: hier. Ich war doch einmal nahe dran… Grund genug sich zu freuen. Neues Material gäbe es genug. Trotzdem ist dieses nicht entwertet:

Die Willie-Clancy-Summer-Scool, Miltown Malbay, SSWC, das habe ich nie vergessen; anders hätte ich wohl keine Vorstellung davon bekommen, was ein Fiddler wie John Kelly bedeutet. Es gab auch damals „virtuosere“, seinen Sohn James zum Beispiel. Auch Matt Cranitch, dem man anmerkte, dass er klassische Violine studiert hatte. John Kelly konnte keine Melodie unterteilen, – ich spreche vom Unterrichten -, er spielte für uns immer ganze Melodien oder Anfänge, wir aber hatten unser Leben lang „stückchenweise“ gelernt plus Tonleitern und Akkorde, analytisch, das machte seltsamerweise hier das Lernen so schwer. Gedächtnis … Erinnerung… Aufschreiben oder nicht – das war plötzlich die Frage. Einzelne Bilder bewahren eine Welt, die keineswegs nur in sich ruhte.

Juli 1983 Fotos: Siegfried Burghardt

Und neu ist heute dies zum Beispiel:

This documentary will trace the origins, ethos and impact of one of Ireland’s most important music events — the annual Scoil Samhraidh Willie Clancy (SSWC) held in Miltown Malbay, Co. Clare. ITMA are very proud to be in a position to help fill the void created by the cancellation of the 48th Scoil Samhraidh WIllie Clancy (SSWC) in light of Covid-19. Since its inception in 1973, SSWC, also known as the Willie Clancy Summer School, has had a hugely positive influence on the development of Irish traditional music, song and dance. For thousands of traditional musicians, the first week of July is the highlight of their musical calendar. This documentary will feature archival footage, contemporary interviews and performances from many of Ireland’s leading traditional musicians including: Willie Clancy, Micho Russell, Tommy and Siobhán Peoples, Noel Hill, Cormac Begley, John Kelly, Joe Ryan, Áine Hensey, the McCarthy Family, Mulcahy Family, The Glackin Family, The Friel Sisters and many many more.

Und schon kann ich nicht mehr aufhören, weiter in diese Richtung. Zurück? Und voran! Es ist nie zu spät.

Und hier geht es wirklich weiter: HIER

und sei es für ein paar Stunden.

Intelligenz am Werk

Solissimo Violine Zwiener

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Selten habe ich mich so gefreut über eine neue Geigen-CD, die dem Senza-Basso-Spiel vor Bach gilt, eine Auswahl, von der ich vor 40 Jahren nur träumen konnte: dabei hatte ich mir von Anfang an schon allerhand Wissensstoff besorgt:

… den Boyden im August 1972, angeregt durch Sigiswald Kuijken. Und über den Aschmann (Zürich 1962), den ich am 30.8.73 in Benediktbeuern erstand oder zu lesen begann, konnte Reinhard Goebel, dem ich am Telephon – latent stolz – darüber berichtete, nur spötteln (er besaß schon alles überhaupt Greifbare zum frühen Violinspiel). Ich sehe Gebrauchsspuren auf dem Cover, vorn Abdrücke eines Weinglases (?), hinten einen illegalen Malversuch meiner Tochter (*1971).

Gestern, als die CD angekommen war, habe ich natürlich als erstes auch das folgende Youtube-Video „nachgeschlagen“, – sehr schön und sehr anrührend, und gleich zu Anfang auch überzeugend, was den Takt bzw. den strittigen Ton angeht, am Anfang der zweiten Zeile (e oder es?).

Zum Kennenlernen – Gunar Letzbor – hier (hineinhören!)

Natürlich habe ich mir seit damals einiges von den älteren Sachen besorgt (in vielem erkenne ich Goebels Tipp oder – Handschrift). Biber kann ich recht gut, von seinen Mysterien-Sonaten hatte ich einige in Solinger Kirchen gespielt, als es noch gar nicht Usus war, sich mit Skordatur (anders gestimmten Geigen) aufs Podium zu wagen. Ansonsten mochte ich nichts von Komponisten vor Bach so gern, dass ich Übezeit opfern wollte. Hören – ja! die Begeisterung für Monteverdi (Madrigale – dank Deller Consort – und Marienvesper) war schon immer da. Andererseits fühlte ich mich als Pionier der Barockgeige, und sehe nachträglich, dass ich irgendwie im Dunkeln tappte… Viel später erst hat mein Lehrer Franzjosef Maier, der schon in den 60er Jahren mit uns die von Muffat im „Florilegium“ dargelegten Spielweisen erarbeitet hatte, auch die Mysterien-Sonaten „zur Kenntnis“ genommen, aber erst 1983 für Harmonia Mundi ausgezeichnet eingespielt. Reinhard Goebel folgte1990 mit einer Kontrast-Aufnahme und neuen Ideen. Er machte mich auf manches aufmerksam. Dies könnte seine Handschrift sein:

Nicola Matteis (Goebel)

Walther („Bogenvibrato“?)

Wie früh konnte man überhaupt Pisendels Solosonate schon kennen? Man höre und schreibe: mindestens seit 1952, siehe unten das Vorwort Hausswald.  Die weitere Frage war: wir sollte man sie überzeugend spielen? Ich habe Im WDR-Archiv noch frühe Biber-Aufnahmen abgehört: unfassbar spießige Alte Musik, aufgenommen im großen Sendesaal von Mitgliedern der frühen Cappella Coloniensis, – trotz Mitwirkung Fritz Neumeyers am Continuo. Der Stil änderte sich prinzipiell erst mit den Gebrüdern Kuijken! … und mit Reinhard Goebel.

vgl. Aschmann

Man sieht es den Akkorden z.B. in der Zeile 5 nicht unbedingt an, wie unglaublich schwer sie zu greifen und sinnvoll vorzutragen sind. Es reizt von Natur aus keine/n Geiger/in, sich daran die Zähne auszubeißen. Anders als bei Biber oder gar bei Bach, von dem hier nur eine der schwierigsten Stellen wiedergegeben sei. Ein Pianisten-Auge sieht das nicht, es handelt sich – nach den leeren Saiten d/a um den „machbaren“ Griff d/gis und den darauf folgenden vierstimmigen Fingerverknotungsgriff  h/gis/d/f, eigentlich nur um diesen einen Akkord, der die Wirkung der Kadenz zunichtemacht, scheinbar, – es sei denn man macht eine Kunstpause und spricht ein Trostwort ins Publikum…

BWV 1003 Fuge T. 277 ff

Ich hoffe, man verübelt mir nicht, dass ich zunächst über mich selbst schreibe statt über die fabelhafte Geigerin. Das kommt auch daher, dass ich nicht zum eigenen Ruhme schreibe, sondern um mich zu vergewissern, ob oder wie ich innerlich mit den Dingen, die mich heute bewegen, verbunden war, bin oder sein sollte. In den 70er Jahren zum Beispiel habe ich nicht nur Geige gespielt, sondern eine Dissertation über arabische Musik abgeschlossen, mich intensiv mit indischer Musik u.a. beschäftigt, wurde beim WDR fest angestellt – nolens volens! -, produzierte regelmäßig Sendungen und Konzerte mit außereuropäischer Musik, machte Aufnahmereisen u.a. nach Rumänien, Afghanistan und Korea.

Trotzdem, – um bei Biber zu bleiben – , ich fand mich irgendwie wohl unersetzlich, zumal mir ein barocker Geigenstil im Sinne Monteverdis vorschwebte, nämlich leidenschaftlich und virtuos. Alte Musik durfte nicht zahm und langweilig sein. Und auch in der „Schutzengel“-Sonate hätte ich weniger die frommen Gedanken als den Lamento-Bass herausgekehrt, den tragischen Lebensweg zum Tode, der ein ständiges Aufbegehren provoziert. Mit Blick auf Bachs „Ciaconna“ ebenso wie auf Flamenco-Modelle und verwandte arabische und indische Modi. Wie dem auch sei, ich lese mit besonderer Anteilnahme, was jemand sich bei Musik denkt, und wie er oder sie das in Worte fasst. Es ist ein Indiz, kein Rezept. Ich empfehle daher auch, das ganze Booklet zu lesen, das glücklicherweise online auffindbar ist: nämlich hier. Merkwürdig, dass Nadja Zwiener von einer Art „Trance-Zustand“ spricht… Man kann ganz anderer Meinung sein, aber es ist mir eigentlich lieber als der moderate Text, den einst mein verehrter Lehrer zu den „Rosenkranz-Sonaten“ geschrieben hat. Die musikalische Welt, die für mich maßgebend war, habe ich damals immer wieder darstellen wollen, und auch die Gelegenheit im Radio genutzt. Sendungen ohne Text. Zum Beispiel nur über die Idee der 4 Töne abwärts, denen die „Schutzengel“-Sonate gewidmet ist.

 

Die Passacaglia „Schutzengel“ von Heinrich Ignaz Franz Biber (nach Aschmann)

Biber: zum Vergleich hineinhören hier (Gunar Letzbor) hier (Goebel) / Text hier

Wer war Johann Joseph Vilsmayr? (Biber-Schüler) Siehe Wikipedia hier

Vilsmayr: zum Vergleich hineinhören hier (Austrian Baroque, Liliana Bernardi)

Gunar Letzbor

Zitat zu Biber (Seite 177): „Mit Gottes Hilfe werden wir versuchen, diese katholische Botschaft auch Menschen mit anderem religiösen Hintergrund zu vermitteln und ihnen ein mystisches Erlebnis der großen göttlichen Liebe zu schenken.“

Einbandgestaltung: Christian Vitalis unter Verwendung von Fotografien von Daniil Rabovsky (Cover) und Franz Farnberger (Rückseite) / ISBN 978-3-86846-155-8

Man sollte einmal in die Aufnahme der Westhoff-Suite in a-moll hineinhören, Stück für Stück, man hat sie ja leicht greifbar bei jpc hier. Ich finde da nichts wieder von dem, was mich bei Nadja Zwiener fasziniert: hier. Sicher, es ist brutal, nur diese herausgerissenen Fragmente abzuhören, aber es lässt sich doch schon vieles erahnen. Wenn auf der Solissimo-Geige vierstimmige Akkorde verlangt sind, sollte man wissen, dass sie anders klingen dürfen und sollen als in der „Kreutzer-Sonate“. Auf jeden Fall nicht einer wie der andere, sondern sehr unterschiedlich arpeggiert und nie und nimmer gebrochen in „unten zwei“ und „oben zwei“, die letzteren dann durchgezogen. Im übrigen auch sonst: es bedarf phantasievoller Varianten im Bogenstrich-Tempo, man braucht „sprechende“ Stricharten, selbst bei einem obsessiven Verlauf wie in der Gigue von Westhoff! Was für ein tolles Stück, wenn man es präsentiert bekommt wie von Nadja Zwiener.

Oder man nehme die Vilsmayr-Partita in A-dur auf der derselben Zwiener-CD Tr. 14 – 23 und vergleiche sie mit der Aufnahme von Liliana Bernardi hier Tr. 1-10. Z.B. die „einfache“ Aria, hier Tr.2 (bei Nadja Zwiener Tr.15), da ist auf Anhieb der klangliche Unterschied zwischen Barockgeige (N.Z.) und moderner Geige (L.B.) offensichtlich; ich meine nicht den Unterschied der Stimmung (den auch), aber in der Ausführung der Akkorde, – die Ruhe, die Leichtigkeit des Saitenwechsels -, oder das Vibrato, dessen Enge im einen Fall fast ängstlich wirkt, dessen Fehlen aber im anderen Fall, wo man es gar nicht sucht, nur wohltut. Die natürliche Anmut der Melodie und der Ornamente hier, auf der anderen Seite die bloße Korrektheit des scheinbar flotteren Vortrags.

Vorweg ein Fazit zu Nadja Zwiener: für mich ist dies die CD des Jahres. Geigerisch eine Offenbarung, zumal der Ton des „vormodernen“ Instrumentes unverwechselbar zur Geltung kommt, ja unverzichtbar erscheint. Ohne jegliches Defizit hinsichtlich der virtuosen Möglichkeiten. Ich muss zugeben, dass ich z.B. Pisendels Solosonate schon früh in einer Goebel-Abschrift oder -kopie besaß, auch zu üben begonnen habe: sie blieb mir jedoch ein barockes Rätsel, nicht reizvoll, sondern eher wirr und willkürlich, griff- und bogentechnisch schwierig, aber ohne tieferen Sinn. (Bei Bach ist es der Sinn, der einen ruhelos macht und beim Üben vorantreibt.)

Es braucht einige Zeit, ehe man sich auf dieser CD zurechtfindet: machen Sie den Test, spielen Sie jemandem die CD (27 Tracks) vor und fragen Sie zwischendurch, wo wir uns befinden. Kaum denkbar, dass Sie eine befriedigende Antwort bekommen. Übrigens hilft auch die Lektüre des Booklet-Textes nicht viel (Reihenfolge der thematisierten Tracks 12, 8, 26, 27, 14-23, 3-6, 9-11), obwohl das wiedergegebene Gespräch mit Nadja Zwiener sympathisch, informativ und anregend ist. Es gehört auch dazu, dass man erfährt, wie sorgfältig sie die Abfolge des Programms gestaltet hat. Auch, was es für sie bedeutete, diese Produktion in der Corona-Zeit erarbeitet zu haben, also: die unfreiwillige Einsamkeit für Solissimo-Musik zu nutzen, die nicht von Bach stammt. Man genießt es, und es zahlt sich aus, immer wieder innezuhalten und sich zu vergewissern, in welchem Umfeld oder Jahrzehnt man sich befindet (z.B. Portugal 1720?). Vilsmayr (Biber-Schüler) – 10 Sätze und Charaktere, Aria oder Menuett? Giga mit Variationen fast 9 Minuten – wo bin ich? (Finale Pisendel).

Interessant finde ich Nadja Zwieners Bemerkung zum Prelude in A-dur von Corelli, das im Original als Satz einer Sonate mit Continuo-Begleitung veröffentlicht wurde (1700 Corelli op.5 siehe hier). Sie sagt:

Ich war selbst überrascht, als ich ein Faksimile eines Walsh-Druckes von 1705 in die Hände bekam, der gesammelte Präludien für Violine solo der „großen Meister aus ganz Europa“ enthält, darunter Namen wie Corelli, Purcell und Biber. (…) Gerade Corelli mit seinen wegweisenden Violinsonaten opus 5 war noch Jahrzehnte nach seinem Tod europaweit bekannt. Das Prelude in A-Dur ist wortwörtlich der Mittelsatz aus einer dieser Sonaten, aber eben ohne Bass. Anscheinend war es durchaus üblich, diese Werke auch ohne Begleitung zu spielen.

Wenn Sie vergleichen wollen: die Original-Version finden Sie auf Youtube in der Gesamtaufnahme mit Andrew Manze hier06. Sonata No.6 for violin & continuo in A major“ Satz III ab 1:01:45 bis 1:02:42.

(Fortsetzung folgt)

Kein Thema: Geigen vergleichen

Warum ich diesen Artikel nicht schreibe

Ich habe nur 3 CDs bereitgelegt, werde aber (vielleicht) eine Stoffsammlung anfertigen, aus der man sich etwas zusammenreimen kann, und zwar über die Überflüssigkeit des Stradivari-Kults.

Am liebsten als erstes die Heifetz-Anekdote: wie er auf eine Dame reagiert, die ihn nach dem Konzert fragt: „Ihre Geige hat einen wundervollen Ton. Ist es eine Stradivari?“ Er hält die Geige an sein Ohr und sagt: „Ich höre nichts.“

Oder so ähnlich. Was er damit sagen wollte ist klar: Ich bin es, der das Instrument so klingen lässt, – und Sie verstehen vielleicht gar nichts vom Geigenton und noch weniger von Musik. Oder so ähnlich.

Man kann ja alles lernen, aber vieles davon ist auch überflüssig… (Fertig!)

Anlass zum Schreiben wäre diese neue CD – und die Tatsache, dass Janine Jansen für mich zu den besten und musikalischsten Geigern und Geigerinnen überhaupt zählt:

Und: ich versichere, das kommt von Inhalten, nicht von Fotos. Eine geläufige Irritation des Urteils, auch bei Landschaftsaufnahmen, die angeblich zur Musik passen. Es lohnt sich also, zuerst die Originalität des Programms zu studieren –

(es sind also nicht einfach Zugabestücke, oder sogenannte „Reißer“).

Fotos: Una Burnand / Cover Design: Fred Münzmaier // Hineinhören (Kaufen?) HIER

Natürlich erleben Sie schon beim bloßen Anspielen der einzelnen Titel eine herrliche Kollektion von Klangfarben und Emotionen, aber sind das wirklich die unterschiedlichen Instrumente und nicht vielmehr die persönlichen Nuancen des Geigenspiels einer herausragenden, wandlungsfähigen Interpretin? Darüberhinaus im Spiegel sehr unterschiedlicher Musikstücke?

Man muss dieses Vergnügen nicht kritisieren, nur eben den didaktischen Effekt relativieren. Ich würde niemandem verübeln, der konstatiert: wenn ich nichts über den Wechsel der Stradivari-Geigen gewusst hätte, wäre es für mich immer dieselbe gewesen. Obwohl ich gern glaube, dass sich für die Spielerin jede ganz unverwechselbar „angefühlt“ hat.

Mehr Gelegenheit zu einer Objektivierung des schwankenden Urteils bietet das Nacheinander ein und desselben Stückes, mit immer gleichem interpretativen Ansatz und wechselnden Instrumenten. So im Fall der folgenden Gitarren-CD Tr. 19 bis 25 mit demselben Tárrega-Preludio zu je 1’31, und der Klavier-CD Tr.1 bis15 mit 5 mal drei verschiedenen Blacher-Sätzen von sehr überschaubarer Länge.

Gitarre / Klavier

Diese Anordnung macht die beiden TACET-CDs zu einem spannenden Arbeitsfeld, und selbst vor Ermüdung ist man geschützt, da es zu jedem Instrument auch noch längere Werke gibt, die man nach Bedarf einschieben kann, so dass der Eindruck, der sich jeweils aus dem direkten Vergleich ergibt, in jedem Einzelfall vertieft werden kann. Und dies nebenbei: es handelt sich auch hier um erstklassige Interpretationen: Wulfin Lieske, Gitarre. Gerrit Zitterbart, Klavier.

Bei den Gitarren wird für den Laien am meisten ins Ohr fallen: die unterschiedliche Höhe des Kammertones, von 415 Hz bis 440 HZ. Ich würde zuerst die gleichen Stimmungen aufeinander folgen lassen, also  beginnend Tr.20 und 21, Tr.23 und 24, und von den anderen zuerst Tr.19 (421 Hz), dann Tr.22 (435 Hz), also die tiefere zuerst. Im Fall der Klaviere ist zu empfehlen, die absolut gleichen Stücke zu vergleichen, also von Tr.1 zu Tr.4, 7, 10, 13 überzugehen; oder von 2 zu 5, 8, 11, 14

Gitarren-Vergleich Klavier-Vergleich

Und wer steht hinter TACET? siehe hier

Ich würde übrigens empfehlen, auch noch den Beitrag über Mozarts Costa-Violine zu lesen, zumal der Text größtenteils nicht von mir ist, sondern von Prof. Leisinger aus Salzburg, nebenbei der meistabgefragte Artikel in diesem Blog, bitteschön: hier. Am Ende erzähle ich dort kurz von Stefan Blum und meiner eigenen Geige. Dazu hier eine weitere private Geschichte, da es ja gerade um die Ojektivität des Hörsinnes geht: als ich diese Maggini-Kopie noch nicht lange besaß, traf ich bei einer Probe der Cappella Coloniensis im WDR-Sendesaal den Geiger Jörg-Wolfgang Jahn, den ich noch aus seiner Hochschulzeit kannte. Herr Blum hatte mir wohl erzählt, dass der auch eine Maggini-Kopie besitze, und wir trafen uns nun, um in einer Cappella-Pause die beiden Instrumente zu vergleichen. Man spielte mehrfach hintereinander und im Wechsel den Anfang des Bruchkonzertes, der mit der leeren G-Saite beginnt und in ausdrucksvollen Bögen zum dreigestrichenen D aufsteigt. Das klang in beiden Versionen glücklicherweise verblüffend ähnlich, obwohl Jahns Kopie – so hieß es – das Vierfache von meiner gekostet hatte, sie stammte nämlich von dem bedeutenden Geigenbauer Vuilleaume; meine dagegen war anonymer Provenienz und hatte meine arme Mutter immerhin „nur“ 3000.- DM gekostet. Und dementsprechend fühlte ich schon aus Respekt, dass mein Instrument mindestens gleichrangig war, ja, zum Verwechseln ähnlich klang, und die beiden Geigen sind sich nie mehr wiederbegegnet. Die Spieler auch nicht, trotz einer gewissen Sympathie gehörten sie – dank der wiederentdeckten historischen Aufführungspraxis – verschiedenen Welten an. Nur deshalb neige ich heute wohl mehr zum Typ „Costa“ als zu den „Kanonen“, die im 19. Jahrhundert zum Nonplusultra wurden. Warum? Weil sie am besten die übliche Corpus-Umrüstung für die neuen, immer größeren Säle vertrugen.

Ich glaube, bei Gelegenheit muss ich noch Christian Tetzlaff zitieren, der aus Prinzip heute gebaute Geigen vorzieht (hier)… und sehr vollkommene Töne hervorbringt. Oder soll ich zur Provokation Yehudi Menuhin zitieren, der von seiner Stradivari wie von einer Geliebten spricht (ja, aus „Fleisch und Blut“, falls man das geschmacklich in Ordnung findet). Ob man sowas heute noch so schreiben dürfte? Jedoch auch weiterhin Il violino – wie geschaffen für homoerotische Realitäten… oder nur peinlich berührt beiseitelegen?

usw.*

Quelle Yehudi Menuhins Musikführer (mit William Primrose) : Violine und Viola / Fischer Taschenbuch 1982

usw.* – damit ist aber der Höhepunkt noch nicht erreicht, die nächste Seite bringt weitere Parallelen bis zur Peinlichkeit (F-Löcher) und auf der übernächsten kommen unverdächtigere Körperteile in Betracht, – Klavierspieler(innen) und Cellist(inn)en werden sich freuen:

Dann ist allmählich alles überstanden, obwohl auf Seite 19 eine neue Überschrift droht: Raum und Gefühl – der Geiger und sein Körper.

Frauen spielen also nur vorübergehend und metaphorisch eine Rolle. Ich wundere mich, dass ich mich früher darüber nicht wirklich aufgeregt habe. Vermutlich hat die MeToo-Bewegung uns alle so empfindlich gemacht. Affen und Äffinen hätte es weiter oben natürlich heißen müssen. Allerdings entdeckte ich in einem großen Bildband von Menuhin zum Thema Violine, worin lobenswerterweise auch Zeugnisse anderer Kulturen mit ihren Streichinstrumenten zu sehen sind, dass im Begleittext plötzlich nicht mehr von Indern, sondern von Indianern die Rede war. Menuhin selbst sprach ja gut deutsch, und man kann ihm nur vorwerfen, dass er aus lauter Nettigkeit einfach zuviel geschrieben hat, ohne dann die deutschen Übersetzungen zu kontrollieren oder einen Lektor zu beauftragen. Eigentlich schade, da dieser Prachtband doch sehr vielseitig angelegt ist.

Quelle Die Violine / Kulturgeschichte eines Instruments / von Yehudi Menuhin unter Mitarbeit von Catherine Meyer (aus dem Französischen) / Metzler/Bärenreiter Kassel Stuttgart 1996

Zum Ausklang: Ein schöner Hinweis von Spazio Folk auf Facebook:

Nachtrag 29.05.2022

Und heute eine starkes Gegenargument: JANINE JANSEN

HIER (abrufbar bis 28.06.22)

Notieren: insbesondere, was der Geigenbauer über Stradivari erzählt (große Konzertsäle?).

John Dilworth (Geigenbauer) mit Simon Norris (Direktor J&A Beare) über die „Tyrell“ -Stradivari:

(11:46) Sie ist ein außergewöhnliches Instrumente und besonders interessant, selbst innerhalb der goldenen Periode. Das war Stradivaris produktivste und beste Zeit. (12:00) Einmal ist sie so gut erhalten, dass man sehen kann, worauf es ihm ankam. Und zum anderen istr sie nicht übermäßig poliert, durch Restaurieung geschädigt. Sie hat den natürlichen und leichten Glanz, den sie haben sollte. Der Abrieb entspricht einem Alter von 20 oder 30 Jahren, der rührt aus den ersten Jahren ihrer Existenz. Dabei ist es geblieben. „Auch das Design ist perfekt. Etwas ungewöhnlich im Vergleich zu anderen Instrumenten aus dieser Periode. Aber trotzdem ganz symmetrisch und perfekt in der Ausführung!“ Dieser auffällige Streifen erklärt sich aus dem Unterschied zwischen dem Splintholz und dem Kernholz. „Darum die häufig auftauchenden Streifen bei diesem Instrument.“ Es ist erstaunlich, dass sich die Stradivaris so gut für Konzertsäle und ein größeres Publikum eignen, beides gab es damals nicht. Dazu sagen diese mystifizierenden Bewunderer: welch ein Prophet, der dieses vorausgesaehen hat! Tatsächlich war es seine Entwicklung, die ihn zu diesem Resultat führte. „Er hat die Suche nach Perfektion nie aufgegeben. Hätte er weitere 100 Jahre gelebt, gäbe es nicht nur die goldene Perionde, oder die späten Instrumente, sondern er hätte immer weiter geforscht.“ Er war ein richtiger Künstler, hat nie Massenware hergestellt, sondern sich von Jahr zu Jahr weitereintwickelt. (14:00)

Stradivari „Alard“ 1715 (ab 14:30) : … wahrscheinlich ist sie so sehr gut erhalten, weil sie immer im Besitz von Sammlern war … ich glaube, niemand hat sie in den letzten 10 Jahren gespielt oder auch nur angerührt… (JJ spielt und sagt:) Ich habe das Gefühl, der ganze Raum vibriert. Wenn man diese Geige spielt, glaubt man, auf einem modernen Instrument zu spielen. Unglaublich. – Sehen Sie mal den Boden an: Ich bin sprachlos. Die Alard von 1715. … sie spricht wunderbar an, und mit jeder Note, die man spielt, erahnt man ihr Potential. Nicht so wie meine „Shumsky“, bei der alles sofort da ist und zu einem Klang verschmilzt. Die „Alard „reagiert auf alles, was man macht. (Hand rechts drehend, windend) eine interessante Erfahrung! (17:00)

„Captain Savile“ 1680 (17:20)

(Fortsetzung folgt)

Ein Rat zur Vorsicht

Auch nette und vernünftige Menschen neigen dazu, angesichts einer Stradivari in haltlose Mystifikationen zu verfallen.

Robert Brewer-Young:

ab 36:55

Es ist eine einzartige Erfahrung, auf einem Instrument zu spielen, mit dem Kreisler Aufnahmen gemacht hat und in der Carnegy-Hall aufgetreten ist. Ich bin überzeugt, dass an einem Instrument etwas von dem haften bleibt, der es vorher gespielt hat. Wenn diese Person vorher eine edle Seele hatte und nur für die Musik lebte, als Komponist und Interpret, dann glaube ich, etwas davon bleibt in dem Instrument zurück.

Und ein letztes Wort (aus der ZEIT 2. Juni 2022): „…am wenigsten wichtig ist der Ton“.

Wolfgang Habermayer in DIE ZEIT 2. Juni 2022 Seite 20: Melodien für Millionen Die Stradivari »da Vinci« gehörte schon einem berühmten Virtuosen aus Odessa und einem japanischen Fast-Food-Unternehmer. Nun wird sie versteigert – und könnte die teuerste Geige der Welt werden / Von Christina Rietz

Ein schöner langer Artikel, – auch den eben gehörten Mythos findet man darin wieder:

Über die Strads nun sagt man, dass sie oft so klingen wie bei ihren Vorbesitzern. Und wer möchte nicht so warm und altmodisch klingen wie Toscha Seidel, Erbe einer der größten Geigentraditionen überhaupt?

ENDE

Geige üben (Basis)

Mut, immer wieder von vorn anzufangen

Wo? Beim Körper. Beim physiologischen Körper also, kombiniert mit dem dinghaften Geigenkörper. Ich setze voraus, die Geige „sitzt“ (bei Anfängern kostet das natürlich Geduld und Zeit – Kinder kann man damit verrückt machen – dies nur im Hinterkopf – es wären Lektionen für sich). Wie funktioniert eigentlich das „Streichen“? Also, – nicht irgendwie, sondern eine Gerade ziehen, statt eines Kreises. Keine Ausrede („mein Englisch ist nicht gut genug“, auch das kommt). Das Auge genügt (und der gute Wille, der da ist, aber dich nicht unter Druck setzt). Sag nicht: dieser Lehrer gefällt mir nicht. Tu was er meint – und gefalle dir selbst. (No „unnecessary tension“!)

Wer ist unser You-Tube-Tutor? Bio (zitiert von seiner Web-Seite hier):

Eddy Chen has appeared as a soloist with the Queensland Symphony, Queensland Conservatorium Symphony, Queensland Youth, and Corda Spiritus of St Andrews orchestras. In 2010 he was awarded top prize in the Queensland Young Instrumentalist Competition and was a finalist in the prestigious National Youth Concerto Competition. In 2014 he was the Queensland finalist of the National Young Virtuoso Award. Eddy received his Bachelor of Music at the Queensland Conservatorium in 2014, where he studied under the guidance of Michele Walsh. While there, he won several scholarship prizes, including the Brisbane Club Award and the Ronald Clifford, Basil Jones Sonata, Owen Fletcher and Paganini prizes. As an orchestral musician, Eddy has been a casual violinist with the Queensland Symphony Orchestra since 2011 and with the Melbourne Symphony Orchestra since 2014. He was concertmaster of the Queensland Conservatorium Opera Orchestra in 2012 and 2014. Eddy suffers from a severe fear of cockroaches*, also known as katsaridaphobia.

*Kakerlaken

Und nun? Wenn ich alles ordentlich geübt habe, mit Fingern, Armen und Verstand, – lege ich dann los?

Nein, ich habe mir vor einiger Zeit noch eine kniffelige Übung zurechtgelegt, die ich nur in Zeitlupe und mit sorgsamer Andacht ausführen mag. Und erst, wenn ich damit nach geraumer Zeit fertig bin, – das weiß ich – , gehe ich auch gern ans Klavier und übe dort nur die linke Hand, und zwar notengetreu (oktavversetzt) genau das, was ich vorher auf der Geige verinnerlicht habe. Es ist nämlich nicht mein anmaßendes Werk, sondern die Grundlage einer Etüde von Chopin, die ich faszinierend finde. Wenn ich die linke Hand endlich zufriedenstellend erfasst habe, kann ich mich der rechten zuwenden, und ich bin mit mir und der Welt EINS. Oder irgendsoetwas. Aber: wir sind bei der Violine! (Mir ging es bei der Bearbeitung auch darum zu lernen, wie vollkommen bei Chopins Etüde schon der bloße Begleitpart ist.)

Und erst wenn wir über unseren Schatten springen und die verschiedenen Übe- und Hörweisen studieren wollen, die sich am anderen Instrument ergeben, wenden wir uns dem folgenden Hörbeispiel zu – es kann auch notorischen Geiger(erinne)n nicht schaden. Irgendwann werden sie von einem Klavier begleitet, daran geht kein Weg vorbei. Man beginnt beide Parts zu bedenken, alle Stimmen, das Ineinander der Harmonien und Rhythmen.

Sollte ich vielleicht die rechte Hand auch einmal für Geige bearbeiten, als überfälliger Hummelflugersatz?

Linke Hand ab 8:30, nächste Stufe 9:27, nächste 10:36. Dann rechts dazu, ab 11:05…

Letzte Stufe: ab 15:34, links und rechts zusammen, alles im Tempo und auch noch musikalisch…

Über die Pianistin Danae Dörken hier.

Warum ich als Geiger überhaupt lernfreudig auf Pianist(inn)en schaue? Ich habe das Thema ja schon früher einmal behandelt, auch dieselben Noten vorgezeigt (siehe hier). Weil ich unterstelle, dass Menschen am Klavier (notgedrungen) bewusster Musik machen. Sie haben kein Vibrato als musikalisches Allheilmittel. Z.B. habe ich mir kürzlich eine CD mit Aufnahmen von vorwiegend kleinen Stücken besorgt, gespielt vom Idol meiner frühen Geigenzeit, Christian Ferras. Und es gefällt mir fast nichts (abgesehen von „Tzigane“). So dahingesagt klingt das vielleicht arrogant, aber es tut eher weh, und ich möchte dieser Frage „cool“ nachgehen. Geiger haben nichts anderes als ihre eine Stimme, – warum kann das nicht vollkommen sein, wie etwa in vielen Gesangsinterpretationen, die uns doch auch immer als höchstes Vorbild melodischen Spiels empfohlen werden? All diese Titel, von denen ich einige schon kenne aus „Die goldene Geige“, dem geliebten Vortragswerk meiner frühen 50er Jahre, wer weiß, wie das gekratzt hat. Und heute?  – natürlich erkennbar dürftiger als dieser zweifellos ganz große Geiger… das Meckern habe ich allerdings gut gelernt. Durch die Schule der Alten Musik. Und der Neuen, durch Rudolf Kolisch und sein böses Wort von der Religion der Streicher.

Wieviel Üben?

Die Mühelosigkeit des Spiels, die der Anblick virtuoser Geiger:innen suggeriert, ist nicht selbstverständlich, beruht nicht auf „Naturbegabung“ und ist nicht ein für allemal abrufbar. Julia Fischer erzählt (7.6.22 SAT1 Bayern 17.30 h):

Wenn man drei Tage nicht übt, dann merkt man das ja schon. Und – ich hab das nie genossen, die Zeit ohne Geige, ich hab das auch nie gemacht tatsächlich, weil mich das unfassbar nervt, wenn ich mich dann wieder in Form bringen muss. Dann übe ich lieber ne halbe Stunde in den Ferien, ich übe eigentlich immer.

Kleinigkeiten zu Bach

Die wunderbare (verwundbare) Symmetrie

Es ist Zeit, mal wieder Bach zu bewundern: lassen Sie doch das schöne Menuett aus der E-dur-Partita BWV 1006 mal wieder in Ruhe an sich vorüberziehen, singen Sie es innerlich durch. Ich habe es extra noch nach Takt-Gruppen geordnet umgeschrieben. Sie sehen, wie in Takt 27 der Anfang wiederkehrt, Sie erkennen den gleichmäßigen 4-taktigen Periodenbau, und die Achtel ab Takt 29 können Sie leicht gedanklich umkomponieren, so dass sie den A-Teil von oben – statt ihn in einen Halbschluss zu führen – alternativ und doch ähnlich zuendebringen.

Merken Sie, wie Ihnen die Symmetrie gut tut? Oben 2 Zeilen A-Teil, unten 2 Zeilen Wiederkehr, in der Mitte 4 Zeilen B-Teil.

Ich erinnere mich gut, wie ich diese Partita studiert habe, gleichzeitig mit meinem Freund Klaus Giersch; ich trug mir seine Fingersätze und Auf- und Abstriche sorgfältig ein, weil er sie bereits von unserm Lehrer Franzjosef authentisch übernommen hatte. Da es sich hier um 2 Menuette hintereinander handelt, fragte ich aus irgendeinem Grund noch schriftlich nach, ob wir das erste Menuett nach dem zweiten als Dacapo (und dann ohne interne Wiederholungen) noch einmal spielen sollen. Ich wollte nicht der Dumme sein, falls das stilistisch selbstverständlich ist; irgendwo in einer Orchestersuite war das wohl schon mal vorgekommen, jedoch – die flapsige Antwort war: „wennste willst“… Klar, ad libitum. Ich erwähne das nur, weil über wirklich Wichtiges im Wechselverhältnis dieser beiden Menuette dabei gerade nicht gesprochen wurde. Das war typisch für Geiger, sie kümmern sich um Fingersatz und Phrasierung aller Stücke: aber um sie wirklich zu „studieren“, muss man sie nicht unbedingt analysiert und verstanden haben. Dachte man insgeheim. Man kennt sie ja, man kann sie sogar schon auswendig. – Vielleicht sollte man sich aber einmal produktiv verunsichern und sie anders lesen. Hier ist unsere heutige Übung.

Ich weiß, dass es einen Stolperstein im Ablauf gibt; er wurde von mir listigerweise eingebaut. Der Zweck heiligt die Mittel…  Falls Sie einige Zeit investieren mussten, um ihn zu entdecken, bitte ich um Vergebung. Meine Absicht war, die Attraktivität der Symmetrie auf uns wirken zu lassen, man trennt sich schwer von der Vorstellung, dass gerade dieser wohlgefällige Eindruck unser kritisches Vermögen aushebelt. Es dauert nicht lange, bis man dann sagt, die Form solcher Tänzchen sei doch recht simpel.

Aber schauen Sie nur in der vierten Zeile auf die Takte zwischen 14 und 17! Sie haben vielleicht das Notenbeispiel gar nicht angeklickt, um die Taktzahlen leichter lesen zu können??? Bitte schön.

*    *    *

Und nun die eigentliche Arbeit: Bach im Original. Es ist gar nicht so leicht, den Stolperstein zu identifizieren, es handelt sich um eine Dehnung, fast eine motivische Wiederholung, um ein Viertel verschoben. (Kleiner Scherz: Die Stufe, die man erwartet hat, ist gar nicht da…)

vgl. mit dem Orig. unten (!)

Darauf, den Vorgang so unmäßig zu verdeutlichen, kam ich durch die relativ neue Monographie von Moosbauer, deren Analyse mich nicht zufriedenstellte, obwohl sie in den Details korrekt ist.  Ohne eine solche Analyse analysieren zu wollen, gebe ich sie hier wieder; allein das Unbehagen könnte schon zu musikalischeren Ideen führen.

-pen bestehenden Figurationen den Weg. Kombiniert mit einer kurzen Wiederaufnahme der beiden Anfangstakte zu Beginn der zweiten Gruppe endet der Satz. (Seite 169)

Quelle Bernhard Moosbauer: Johann Sebastian Bach: Sonaten und Partiten für Violine Solo / Bärenreiter Werkeinführungen / Kassel 2015 / ISBN 978-3-7618-2220-3

Was mich stört, ist das bloß Buchhaltērische einer solchen Beschreibung. Schon der Hinweis, dass Bach „auf das Mittel des zur Differenzierung gebrauchten Wechsels des Tongeschlechtes beim zweiten Teil eines Paares gleichnamiger Tänze verzichtet“, regt mich auf. Niemand weiß, worauf Bach verzichtet, wenn er das schreibt, was er schreibt. Und erst recht verwendet er keine „Bausteine“, um dann irgendwelchen Figurationen einen Weg zu bereiten. „Kombiniert mit einer kurzen Wiederaufnahme der beiden Anfangstakte zu Beginn der zweiten Gruppe endet der Satz.“

Ist von lebendiger Musik die Rede? Daran gibt es jedenfalls keinen Zweifel, wenn ein wirklicher Analytiker sich ihr zuwendet, – der die notwendigen „Formalitäten“ schnell hinter sich bringt und freilich eines genauen Lesens bedarf („Stau in Takt 12“):

Gewiss gibt es auch hier strittige psychologisierende Deutungen – „faßbare Größenordnungen, die aber vom Sog linearer Energie immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden“, „ein Einsprengsel, wie eine flüchtige Erinnerung formaler Deutlichkeit zuliebe, damit das Menuett nicht haltlos verströmt“ -, aber das ist wunderbar gesagt und verleitet vielleicht zu einem leisen Widerspruch, der in die Musik zurückführt.

Quelle Clemens Kühn: Formenlehre der Musik / dtv Bärenreiter Kassel 1987 / ISBN 3-423-04460-8 (Zitat Seite 54)

Bei Moosbauer, der offenbar seinen Kühn auch gelesen hat, führt leider selten eine Formulierung begeisternd in die Musik zurück. Wie etwa dort, wo Kühn die Formenwelt der Suite beschreibt, darunter die Doppel-Fassungen bestimmter Sätze:

»In der Art der Musette« ist diese zweite Gavotte komponiert. Gern werden Tänzen solche (oft kontrastierenden) Alternativsätze beigegeben (»Bourreé II«, »Menuet II«): formales Vorbild für das spätere Menuett-Trio (= »Alternativsatz«) der klassischen Symphonie (…). Eine andere Fassung desselben Tanzes meinen dagegen die Agréments – ausdruckssteigernde, wie improvisiert wirkende Verzierungen – und das Double. In Bachs h-moll-Partita für Violine solo löst es das ruhige Schreiten des Sarabande in rastlose Motorik auf:

Quelle Clemens Kühn a.a.O. Seite 123 f

Hat sie sich wirklich vom Tanz so weit entfernt?

Die Bourrée, von der eben die Rede war, hier (extern) in der Interpretation von Johannes Moser:

Grundlagen jeder Musik: Bewegung und Gleichgewicht (nach Clemens Kühn)

Zur Idee der Bewegung gehören die Begriffe „Fortspinnung“ und „Sequenz“: Sie knüpfen an den Themenkopf an.

Die Fortspinnung treibt weiter. Aber das geschieht leicht, mehr assoziativ als zielstrebig. In aller Regel unterstützen Sequenzen die lockere Fortführung. (…)

Nicht Symmetrie bestimmt den Fortspinnungstypus, sondern fließendes Weitertreiben, nicht inhaltliche Entsprechung zweier Hälften, sondern motivische Ausspinnung in den drei Teilen, nicht entgegengestellter Kontrast, sondern ungehinderte motivische Energuie: Fortspinnung meint Bewegung  statt Gleichgewicht.

(Kühn a.a.O. Seite 44 f)

Die Gestaltung musikalischer Form verdankt der Tanzmusik Grundlegendes: das Taktprinzip selbst wie auch die Unterscheidung »schwerer« und »leichter« Takte, analog dem schwer-leicht der Tanzschritte; motivisch-rhythmische Symmetrie und die gleichgewichtige Entsprechung von Taktgruppen, analog der Symmetrie der Tanzfiguren. Im periodischen Gestalten der Klassik (…) schlägt sich das am nachdrücklichsten nieder; ob hier allerdings die Abfolge »schwer-leicht« oder umgekehrt »leicht-schwer« das metrische Verhältnis von Takten regelt, ist strittig – und dürfte sich auch einer abstrakten Normierung entziehen.

(Kühn a.a.O. Seite 52)

Das Erlebnis der Symmetrie ist wunderbar, verlangt aber nicht nach endgültiger Fixierung; die Wahrnehmung der Aufhebung einer Symmetrie erscheint nicht als Zerstörung, sondern als Belebung.

P.S. (in Arbeit)

Ich hätte noch ein paar Kleinigkeiten in petto, die ich nie klein finde, wenn es um Bach geht. Die eine ist ganz einfach zu erledigen, obwohl sie bei Moosbacher recht umständlich behandelt wird. Zwei Schlangenlinien am Ende des Grave-Satzes der Sonata BWV 1003 a-moll. Auch er hat bei Greta Moens-Haenen nachgelesen, die allerhand Beispiele für geschlängelte Linien liefert, trifft dann aber wohl die falsche Entscheidung.

Ich will zwar nicht behaupten, dass die etwas unglücklich gezogene Bindung über der dritten, langen Zweiunddreißigstelkette einen anderen Grund hat als Platzmangel. Denkbar wäre es immerhin, dass das bindende Element in Frage gestellt wird, woraus der Gedanke des Bogenvibratos nach vorne tritt: die Viertelnote des Sextintervalls f’/d“ löst sich auf in 8 „staccatierte“ Zweiunddreißigstes und der Ton e“ als Triller-Beginn über dis“ schließt sich an, während, das f‘ zum fis‘ übergeht. Ziemlich absurd, dass sich dieser Übergang als Glissando vollziehen soll.  Die phrygische Sekunde vom f‘ zum e‘ wird ausgehebelt, indem das f‘ vorweg zum fis“ wird, was aber als harmonischer Fortgang denkbar ist (bei Bach auch sonst vorkommt), sogar als letzte Steigerung vor dem Einklang e’/e“.

Und der Fingersatz „unspielbarer“ vierstimmiger Akkorde, wo allen Ernstes die Hinzuziehung des Daumens erwogen wird, weil sowas irgendwo bei Bruhns schon mal vorkommt? Ebenfalls absurd.

Wo steht eigentlich geschrieben, dass man „alle Finger auf der Saite liegen lassen“ soll? Ohnehin muss man die Kunst des arpeggierten Akkordspielens erlernen, und man es so flexibel handhaben wir ein Cembalospieler. Und zwar von unten nach oben, von oben nach unten, auch „zurückbrechend“ auf die beiden Mittelsaiten wie in den Takten 22/23 dieses C-dur-Adagios. Und während man von unten nach oben bricht, findet man auch den rechten Moment, einen Finger der linken von der unteren Saite auf die höhere springen zu lassen. Also man spielt in Takt 158 (s.o.) auf den beiden unteren Saiten die Oktave a/a‘ mit den Fingern 1/3 als massiven Vorschlag und lässt auf den beiden höheren Saiten die Oktave c“/c“‘ mit 1/4-Griff aufjubeln. Man darf hören, dass es schwierig ist, denn etwas Großes ist in Arbeit, die große Kadenz in e-moll und der himmelstürmende Abschlussteil vor dem „al riverso“.

Aber was man dann als zweite Möglichkeit (s.o.) liest, ist – mit Verlaub gesagt – barer Unsinn. Mit Daumenaufsatz, umklammern Sie nur munter den Geigenhals und versuchen Sie nicht nur den Griff zu erzwingen, sondern ihn mal so zwischendurch einfließen zu lassen. Oder im nächsten Beispiel (s.u.): Greifen Sie mal g‘ auf der D-Saite und c“ auf der A-Saite – diesen 2. Finger schön senkrecht stellen, denn er darf die E-Saite nicht berühren, weil Sie noch das leere E dazugesellen wollen – so: gesetzt den Fall, Sie können diesen dreistimmigen Griff schon mal klangvoll spielen, jetzt bitte noch den Daumen aus der Gegenrichtung auf die G-Saite zu klemmen: man kann Sie nur beglückwünschen, wenn Sie über solche Schlangenfinger verfügen und diesen Griff einigermaßen locker aufgesetzt bekommen.  Locker? ja, Sie wollen ja auch noch weiterspielen…

Und was steht da jetzt von „Quintgriff“ — mit Verweis auf den Barré-Griff der Gitarristen? Mein Gott, man sollte womöglich einen der verfügbaren Finger auch noch flach über die Saiten legen, und vielleicht gerade den, der senkrecht stehen soll, damit er die leere E-Saite nicht tangiert — jaja, da gibt es „erschwerende“ Aspekte. Aber zwei Wochen Kerkerhaft wären leichter zu absolvieren.

Vorgemerkt (aktuell)

A propos Irish Fiddle, Dürer, Mozart

IRLAND-Filme abrufbar bis 11-02-2021

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-1-5-100.html

Dublin und der Osten

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-2-5-100.html

Die Irische Riviera

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-3-5-100.html

Der wilde Westen / Cliffs of Moher [doch weiterhin abrufbar: hier]

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-4-5-100.html

Der stürmische Nordwesten *** [doch noch abrufbar: hier]

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-5-5-100.html

Belfast und der Norden

*** ab 8:38 Donegal Fiddler Vincent Campbell bis 12:50 mehr über ihn (†) hier

Anderes Beispiel: John Doherty  Wie John Doherty 1965  „The Broken Pledge and The Repeal of the Union“ spielte:  HIER !

Die Geschichte von „The Black Mare of Fanad“ – zuerst verschriftlich:

Quelle: The Northern Fiddler von Allen Feldman & Eamonn O’Doherty

Die obige Geschichte in Wort und Ton, John Doherty erzählt und spielt „The Black Mare of Fanad“ – https://www.youtube.com/watch?v=ujjcW-kiMBo hier

In „The Hare and the Hounds“ demonstriert John Doherty 1971 seine programmatisch eingesetzten Fiddle Techniken hier. Nie wäre ich darauf gekommen, das Schriftbild war mir ein Rätsel, ich kannte ja die Transkription seit langem aus „The Northern Fiddler“: ohne das Bellen des Hundes, das Entwischen und Hakenschlagen des Hasen zu erkennen. Ein Stück Programmmusik. Heute – nach fast 4 Jahrzehnten – wird also das Buch um eine neue Dimension erweitert: durch die Youtube-„Realität“.

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Allerhand Erinnerungen werden wach: sehen Sie hier http://s128739886.online.de/ist-es-tommy-potts/ und hier http://s128739886.online.de/the-sailors-bonnet/ .

Übrigens war ich dabei, als Allan Feldman, der Autor von „The Northern Fiddler“, bei unserer Aufnahmereise 1983 in Miltown Malbay, im Haus des Festival-Organisators dem „Papst“ der irischen Musikforschung vorgestellt wurde, Brendan Breathnach, und von diesem herutergeputzt wurde. Seine Buch sie gezeichnet von einer Verfälschung der Folk-Geschichte, und der andere verteidigte sich schwach, er hatte keine Chance. Ich weiß nicht mehr genau, was der Gegenstand der Konfrontation war, vielleicht latent politisch (rechts gegen links), aber ich glaube, ein wesentlicher Punkt war, dass B.B. sich darüber aufregte, dass Feldman sozusagen einen Nachruf auf die alte Volksmusik geschrieben habe, während er, der alte Mann, sie als unvergänglich sehen wollte.

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https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/albrecht-duerer-superstar-100.html

Albrecht Dürer – Superstar hier verfügbar bis 2029

Ein willkommener Vorwand, um mich an meine Rasenstücke zu erinnern: Hier.

Wer ist das?

Nicht Melanchthon, natürlich auch kein Selbstbildnis, siehe hier.

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Mozart – ein hervorragend gemachter Konzert-Film:

Mozart schreibt… Cara sorella mia! – Briefe und Musik

Szene die Interpreten

Weiteres zu Prof. Leisinger finden Sie hier (die dort behandelte Costa-Violine begegnet auch im Verlauf dieses Films!)

https://www.3sat.de/kultur/musik/cara-sorella-mia-102.html

HIER verfügbar bis 13.02.2021

Dies ist der zuerst vorgelesene Brief (Nachschrift zum Brief des Vaters) 14. April 1770,

… und hier die vorangehenden Briefseiten des Vaters Leopold (mit der Geschichte um das Miserere von Allegri):

Wenn Sie nur wenig Zeit haben (???), hören Sie wenigstens den Schluss ab 1:08:46, ich finde, das ist sensationell gespielt. Und es ist sensationell komponiert (1788!). KV 526 (lesen!)

Hermann Abert nannte den Satz „the super-virtuoso Rondo of Mozart’s Sonatas“. Gleichzeitig ist er ein ununterbrochener kontrapunktischer Schlagabtausch der Instrumente.“ (Villa musica)

Aber Vorsicht! wenn Sie im Film erst dort beginnen, betrügen Sie sich ganz nebenbei um die bezauberndsten Texte: die Mozart-Briefe, so wie sie von Adele Neuhauser gelesen werden; ein Tatort ist nichts gegen diese charmante Sprechkunst.

Es erinnert mich an ein frühes Buch von Ortheil, entdeckt in den 80er Jahren; seine Interpretation habe ich nie vergessen. Mozarts Briefe als Sprachkunstwerke. Die Erinnerung an diese eindringliche, sensible Interpretation hatte mich viele Jahre später bewegt, mir die 7 Bände der Gesamtausgabe zuzulegen, – nicht der Werke Ortheils, sondern der Mozart-Briefe.

… es hätte der Beginn des Mozart-Lesens werden können: ohne die Erinnerung an dieses Buch hätte ich die Brieflesung mit Adele Neuhauser gestern nicht so ernst genommen (ich erinnere mich an eine erfolgreiche Bielefelder Klavierpädagogin, die bei der Erwähnung der Mozartschen Briefe nie vergaß, sich vor Entsetzen zu schütteln. Das war eine verbreitete Haltung. Natürlich genoss die junge Musikergeneration längst seine verbalen Emanationen, insbesondere die Bäsle-Briefe – aber noch ohne sie als speziellen Ausdruck derselben Kreativität zu werten, die man in seiner Musik wahrnimmt.)

Angesichts dieses Buchanfangs ist es interessant nachzulesen, was Hannah Schmidt in der ZEIT über das Instrument des Jahres 2021 schreibt … indem sie auf Mozart verweist und seinen Brief aus dem Jahr 1777 zitiert (hier).

Aber man kann fast beliebige Seiten aus Ortheils sensiblen Brief-Analysen auswählen um zu begreifen, wie Mozart zu verstehen ist, in seiner Suche nach einer anderen Ausruckswelt; das habe ich nirgendwo sonst so gefunden wie hier. Eine Erklärung, was in ihm vorgegangen ist, was für ein Reifungsprozess, als er wenige Jahre nach den sicherlich schönen Violinkonzerten die Sinfonia Concertante für Violine und Bratsche schreiben konnte (1779), ein so unbegreiflich tiefes und menschlich, kommunikativ erschütterndes Werk.

Zum Vergleich mit der oben hervorgehobenen Version an dieser Stelle noch das große „Nebenwerk“ aus der Zeit des Don Giovanni 1788, also KV 526 und zwar mit Noten (Szeryng/Haebler / Finale ab 17:42) HIER

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Über Radikalisierung (Spiegel-TV Attila H.)

https://www.spiegel.de/panorama/leute/attila-hildmann-spiegel-tv-ueber-den-absturz-des-fernsehkochs-a-a939bb37-84d8-45dc-8d24-75f720af39ab

HIER

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Übrigens:

Die Probleme des Lockdowns sind längst bekannt!

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Ein Sprichwort zum Abschied

(aus dem „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung am 11. Februar 2021 Seite 1)

Fliegen, sagte der junge Pinguin, ist eine reaktionäre, diskriminierende Unart alter weißer Albatrosse.