Archiv der Kategorie: Leben
Gelesen – um es aufzubewahren
Notizen aus laufender Lektüre
Zum einen beeindruckte mich bis gestern (Stunden sinnloser Wartezeit im Klinikum) das letzte Kapitel aus „Was ist Macht?“ von Byung-Chul Han, aber der gute Eindruck von neulich ist getrübt. Es geht um die „Ethik der Macht“, und schon dieser Titel erschien mir im Rückblick immer weniger einleuchtend. Wie jedes Mal geht er seine Philosophen durch: Heidegger, Foucault und Nietzsche, letzterer offenbar mit Zarathustra als effektvollem Ausklang des Buches, wenn es darum gehen soll, in machtvoller Freundlichkeit sich selbst wegzuschenken, – „wegschenken deinen Überfluss, aber du selber bis der Überflüssigste“. Das beginnt auf Seite 132 (bis Endseite 143), wo Han – ohne zu erwähnen, dass er sich wiederholt – wo er genau das hervorhebt, was er schon auf Seite 66 ausgeführt hat (mich besonders beeindruckend):
Die Macht reserviert Nietzsche nicht fürs menschliche Verhalten allein. Vielmehr wird sie zum Prinzip des Lebendigen überhaupt erhoben. So streben schon Einzeller nach Macht: »Nehmen wir den einfachsten Fall, den der primitiven Ernährung: das Protoplasma streckt sein Pseudopodien aus, um nach etwas zu suchen, was ihm widersteht – nicht aus Hunger, sondern aus Willen zur Macht.« Auch die Wahrheit wird als ein Machtgeschehen gedeutet.
Han sagt nicht, dass er aufs neue davon anhebt, um es auf eine andere Ebene zu führen, es klingt, als habe er vergessen, was er schon gesagt hat, und wirkt am Ende schwächer mitsamt dem ganzen Gerede von Freundlichkeit und Wegschenken. Zuviel Zen? Dann lieber – an dieser Stelle jedenfalls – mehr von Einzellern und Pseudopodien…
Es fiel mir alles wieder ein, als ich die neue ZEIT las, als sei es kein Zufall in meiner Situation (womöglich in der unleugbaren Spätphase des individuellen Lebens). Insbesondere der Artikel Frisch erforscht Neues vom Beginn des Lebens / von Ulrich Bahnsen. (siehe unbedingt auch hier).
Ja !!! Und dazu die ganze Seite 34: Ist Sport die beste Medizin, Herr Froböse? Zitate s.u.
Ich sehe, dass aus der neuen Wissenschaft vom Menschen ein neues Bild der Physis und der medizinisch fassbaren Vorgänge nahegelegt wird, das an die Stelle dessen getreten ist, was ich im Laufe der 50er Jahre und weit darüber hinaus für unumstößlich gehalten habe. Es sei mir also ein kritischer Exkurs in die eigene Erinnerung gestattet, gestützt auf das „Kursbuch“ meiner Mutter. Sie erwähnt nicht, in welchem Maße diese Körpermaßnahmen von ihr und ihrem Vater, meinem Großvater, beeinflusst waren (Dr.Brauchle, Dr. Malten, Dr. Becker, Are Waerland usw.); sie beanspruchten zeitlebens eine Machtposition, auch gegen meinen Vater, der 1959 starb. Ich begann eigene Wege mit Pfarrer Kneipp, über den ich in der HörZu gelesen hatte, bezog dann aber alles ziemlich naiv auf Nietzsches positivistisch verstandene Theorie vom allseitig ausgebildeten „starken Menschen“. Wir befinden uns in der Zeit gegen Ende 1956:
Manches hat sie gewusst von meiner Entwicklung, das Wesentliche aber gerade nicht (z.B. von der psychischen Wirkung der Pubertät und – von der Ausübung ihrer eigenen Machtpraxis, die einst in direkterer Form ihr Vater angewendet hatte, der erst den Enkeln gegenüber recht milde geworden war.) Ich erwähne das, weil viele Menschen unter den Prämissen der Kindheit und Jugend ein Leben lang leiden, aber später die genossene „Erziehung“ (mitsamt allen Erinnerungen) glorifizieren, weil sie nicht nicht mehr in der Lage sind, die verinnerlichten Schäden von den sicherlich vorhandenen Erfahrungen elterlicher Liebe zu trennen. Insofern behandle ich die gelegentliche Aufarbeitung an dieser Stelle nicht als streng privat.
Meine teilweise dramatische Loslösung ging von der Schule aus (AG „Moderne Lyrik“) und wurde gewissermaßen geleitet von Gottfried Benn („Provoziertes Leben)“. Auch von seinem Nietzsche-Bild. Zugleich auch jede Menge Tolstoi, mehr noch Dostojewski. Tolstois „Der Tod des Iwan Iljitsch“ – die letze große und schreckliche Geschichte, die mein Vater zufällig auch in jener Zeit zu hören bekam, bevor er starb: „das bin doch ich!“ sagte er.
All das sind nur Stichworte, aber es sind diese ausgebreiteteten Jahre, die mich als Last und Inspiration bis heute beschäftigen. Damals schwor ich mir, das Erinnerungsbuch meiner Mutter eines Tages zu korrigieren. Jetzt bin ich zugleich dankbar, dass dieser einseitige Kommentar existiert. Das genau war die damalige Zeit! Meine Erinnerung richtet sich daran auf und belebt (irritiert) mein heutiges Leben.
Die Ablösung vom Weltbild der 50er Jahre (mit dem Negativ-Narrativ über die „Schulmedizin“) habe ich mehrfach beschrieben: einmal z.B. im Versuch, das neuere Denken mit dem alten zu verbinden, etwa in Gestalt von Adolf Portmann (Wissenschaft) und Maurice Maeterlinck (Dichtung) hier. Auch hier . Der Rückblick auf meine Mutter hatte auch mit ihrem unseligen Hang zur anthroposophischen Mystifikation der Naturwissenschaft zu tun, den ich irgendwie zu retten trachtete. Es ging nicht. Siehe auch hier.
Meine Mutter ergänzte ihr mystisch angereichertes medizinisches Wissen auf die Krebserkrankung meines Vaters, als sei ihr mit Ernährung und einer Misteltherapie beizukommen. Genug davon, auch von ihrer Ansicht, dass Krankheit „Schicksal“ sei, – so hatte sie eigenen Krankheiten der Kriegsjahre (TBC, „nasse Rippenfellentzündung“) höhere Bedeutung verliehen. Das beschwerte noch meine Studienjahre, die eher der durchaus erträglichen „Leichtigkeit das Seins“ zugeneigt und zumindest theoretisch von der Balance des Geigenspiels beflügelt waren. Wobei ich nicht wahrhaben wollte, dass eine Rückgratverkrümmung für Schmerzen sorgte, die sich nicht ausbalancieren ließen. Erst die Röntgenbilder des Alters förderten die wahren Ursachen zutage. Früher, vor meinem Abitur hatte ich kurzzeitig an eine Sportkarriere gedacht, und warum nicht gleich in Fünfkampf. (Dabei hatte ich nachweisbare Erfolgserlebnisse nur im Tausendmeterlauf.) Die Idolisierung des Körperlichen kannte keine Grenzen. Man staunt über das eigene Muskelwachstum, mich konnte selbst die Ferienarbeit im Tiefbau nicht schrecken, frei nach Nietzsche: Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. Ich entlieh aus der Stadtbücherei neben Musikliteratur verschiedenste Trainingsanleitungen. Wir wohnten am Waldrand, und naturnah verliefen meine ausgedehnten Übungsstrecken…
Irgendwie kehrt dieses physizistische Denken heute in völlig veränderter Gestalt wieder:
Einige Zitate aus derselben Quelle:
… Massage, Physiotherapie, Eisbad. Die Unsportlichen dagegen schauen zur Regeneration Netflix.
Nutzen Sie den Körper, um den Geist zu entlasten.
Die Muskulatur lebt unsere Emotionen aus. Meine Sorgen bin ich nach 20 Minuten ruhigem Laufen los. Der Grund: Meine Motorik beansprucht 50 Prozent der geistigen Kapazität. (…) es ist aber gerade Teil des Wirkmechanismus, dass Sport ein wenig anstrengend ist.
Denn Motorik und Kraft sind Garanten für Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Es geht hir um das Phänomen der Sarkopenie. Übersetzt: Verlust des Fleisches. Diese Erkrankung – zu wenig Muskelmasse, zu wenig Kraft – betrifft drei Viertel der Menschen ab dem 6o. Lebensjahr.
Unterforderung macht Arthrose, weil die Strukturen des Gelenks nicht mehr ausreichend versorgt werden. Gelenke hänge am Tropf der Bewegung! (….) der Kochenstoffwechsel wird durch Schonung reduziert.
Je älter wir werden, umso größer sollte die Belastung zum Erhalt der Muskulatur sein.
Quelle: DIE ZEIT 23. Mai 2024 Seite 34 Wem es schlecht geht, der soll sich mal schonen? Bloß nicht! Das sagt der Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Denn der Körper brauche die Bewegung – und den guten Stress TITEL: Ist Sport die beste Medizin, Herr Froböse?
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Anderes Thema
P.S. Eben halb gehört und notiert – um es aufzubewahren (bis 2099): KAFKA https://www1.wdr.de/mediathek/audio/feature-depot/index.html
Kafka-Kult. Das erstaunliche Nachleben des Franz K.
WDR 3 Kulturfeature. 01.06.2024. 54:13 Min.. Verfügbar bis 31.05.2099. WDR 3. Von Thomas von Steinaecker. (HIER)
Kafka, das ist irgendwie tiefgründig, liebenswürdig, melancholisch und abgefahren. Kurz: Kafka ist Kult. Wie aber kam es zu diesem einzigartigen Phänomen? Und was macht Kafkas Texte bis heute so herausragend? // Von Thomas von Steinaecker/ SWR 2024/ Übernahme in WDR 3
Alte Musik – nur fürs Louvre?
Ja, und für alle Tage, auch in Zukunft, in allen Museen und Sälen, die wir lieben
Ein sehenswerter TV-Film (abrufbar nur bis Anfang August) https://www.arte.tv/de/videos/084732-000-A/die-musik-des-louvre/ hier
Jean de Cambefort: Ballet royal de la nuit (1653) „Languissante clarté“ ab 15:11 Ensemble Correspondances
Oder separat das Ensemble Correspondance bei Youtube als Appetizer:
Und für Unersättliche das ganze Konzert „am Stück“ – eine einzigartige Gelegenheit:
Oder mit bewegten Bildern: „Recording Tuesday the 28th of August 2018, in Tivoli Vredenburg during the Early Music Festival Utrecht 2018.“
Dank für einen dringlichen Hinweis von JMR!
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Das Wunschbuch (noch auf der Suche):
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Dies ist die Gelegenheit, auf eine Gedankensammlung aufmerksam machen, die ich Anfang dieses Jahres (2024) versucht habe und die allmählich uferlos zu werden drohte. Bis die Organisation „Zamus“ oder „Alte Musik in Köln“ der Arbeit ein Ende setzen konnte, – da die Veröffentlichung längst geplant war. An dieser Stelle hier könnte allerdings dereinst das erweiterte Konglomerat folgen, so dass ich den endlosen Faden nicht verliere. Denn die Alte Musik lebt, wie man sieht und hört. Gerade in einer Zeit, die wir als sehr „breite Gegenwart“ (Gumbrecht) empfinden.
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In der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 8. Mai las ich gerade einen amüsanten Artikel über das Menuhin Festival in Gstaad, das mit klangvollen Namen eine Revolution in eigener Sache betreibe. Wie das?
Schon vor Jahren ließ Christoph Müller, Intendant des von Yehudi Menuhin gegründeten Festivals … durchblicken, dass er den Musikbetrieb gern umpflügen würde. Erneuerung sei unausweichlich. In zehn Jahren gebe es sowieso » keine reinen Klassikfestivals mehr«.
Womit ganz sicher nicht das gemeint ist, was anderswo als Lockerung empfunden wird:
Musik als Wellness-Artikel (ein überflüssiges Surplus)
Im Rittersaal des Mannheimer Barockschlosses wird seit 2015 eine Reihe mit „Traumkonzerten“ angeboten, bei denen das Auditorium am Boden liegt (jeweils ca. 90 Leute) ; tunlichst auf dem Rücken, – für Matratzen, Kopfkissen und Decken ist gesorgt -, denn es gibt zugleich ein Deckenfresco mythischen Inhalts zu bewundern. (Das Mahl der olympischen Götter bei der Hochzeit des Peleus und der Thetis.) Und das Kurpfälzische Kammerorchester spielt „Musik zum Träumen“, Kompositionen, „die jeweils so gewählt sind, dass der Zuhörer quasi von Stück zu Stück heruntergedimmt wird. Dazu passend hat unser Lichtdesigner Wolfgang Philipp eine Lichtinstallation entworfen, die ebenfalls zur Entspannung beiträgt“. Weitere Stichworte: „den Stress des Tages vergessen“, „eine wohlige Phase der Entspannung“, „ein nicht alltägliches Konzert tiefenentspannt genießen“.
All das erinnert an die Fama, dass die Goldberg-Variationen als Heilmittel gedacht waren für jemanden, der unter Schlafstörungen litt. Eine Taktlosigkeit sondergleichen, denn er hätte die aufgeweckteste Musik erhalten, die man je als wacher Mensch erleben kann. Aber – wie alle große Musik – besser nicht im Liegen. Und erst recht nicht mit einem unpassenden Fresco vor der Nase . . .
Wälder
Sichtbar, begreifbar, unbegreiflich
Bevor der Frühling wiederkehrte: die Schimäre des Baumes auf dem Nachbarhaus
Gestern im TV gesucht: Arte 9.5.24 oder Mediathek? Gefunden oder nicht?
2/3 https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/unsere-waelder-ein-jahr-unter-baeumen-100.html hier
3/3 https://www.3sat.de/wissen/terra-x/unsere-waelder-im-reich-des-wassers-100.html hier
Schön, aber diese Filme hatte ich gar nicht gesucht (ich kannte sie längst, siehe dazu im Blog u.a hier), dummerweise trug die neue Trilogie aber denselben Titel „Unsere Wälder“, diesmal von Jan Haft (2023), und das macht sie eigentlich unverwechselbar. Hier folgt der Film, den ich gestern vor dem Fußballspiel (RTL Leverkusen:Roma) auf ARTE gesehen hatte und unbedingt in Ruhe noch einmal sehen wollte, nun auch samt den Folgefilmen, – endlich gefunden und wiederauffindbar gemacht. Ich bin ein glücklicher Mensch: Sie auch?
I https://www.arte.tv/de/videos/101928-001-A/unsere-waelder/ hier Netzwerk der Tiere
II https://www.arte.tv/de/videos/101928-002-A/unsere-waelder/ hier Mut zur Lücke
III https://www.arte.tv/de/videos/101928-003-A/unsere-waelder/ hier Zurück in die Zukunft
Die Videos sind abrufbar bis 7.8.2024
Schauen Sie in Film II („Mut zur Lücke“) nur den Anfang, sagen wir bis 1:38, da erzählt Jan Haft von seiner Kindheit, auf seiner Hand ein Laufkäfer, – und schon hat er mich vollkommen gewonnen. Gerade vorgestern war es, als ich an der Heidberger Mühle einen goldfarbenen Rosenkäfer aufs Handy bannen konnte. Ohne mich im geringsten vergleichen zu wollen, – er hatte mich sensibilisiert, aber meine Frau war es, die den Käfer entdeckte hatte. Ich war nur am rechten Ort zur rechten Zeit. Wunderbare Koinzidenz!
auf Jan Hafts Hand (Screenshot aus Film II)
Rosenkäfer Foto JR 10.5.24 s.a. hier
Sehen Sie auch den hier im Blog neuerdings verlinkten Film Geheimnisvolle Wiesenwelt
Bescheidene Exkursionen in meinem näheren Umfeld (5.5.24), auch sie wiederholbar…
Im Unterholz ein Tisch-Relikt aus den 80er Jahren, als ich zahllose Bäume bei uns oben und hier unten am Viehbach gepflanzt, manchmal aber auch nur mit der (alten) Geige dagesessen habe, um Fiddle Tunes zu memorieren. / Die ersten drei Fotos entstanden am gleichen Tag in der Ohligser Heide (5.5.24) / Letztlich habe ich alldies als Nachbildungen meiner Kindheit auf der Lohe bei Bad Oeynhausen betrachtet, Hobergs „Busch“ und der von Nolte-Ernsting, die ganze sogenannte Steinkuhle, also das Tal unterhalb von Schorms Hof, mit den Üützen-Teichen (Üützen = Eidechsen = Salamander = Molche), sie müssen durch einen winzigen Bach verbunden gewesen sein. Kaulquappen brachten wir manchmal im Glas mit nach Hause. Das konnte nicht gutgehen.
Wie war denn meine Oma?
So in Öl – oder privat?
Margarete Reichow, geborene Paske (1871 – 1961)
Was sie mir ins Gesangbuch schrieb…
links vom Bild hängt ihr Spazierstock
Das Ölbild, frühe 50er Jahre (steht auf der Truhe von 1815)
Immer wurde gesagt, dies Bild sei nicht „lebensecht“. Wie aber war sie wirklich? Auf etwa gleichzeitig entstandenen Fotos kommt – anders als auf dem strengen Ölbild – klarer zum Vorschein, dass sie wohlwollend und gütig war. Vermutlich ein Gesichtsausdruck, den sie für die Sitzungen des Malers nicht „annehmen“ konnte. Da war sie statuarisch ernst, hoheitsvoll, wie in der Widmung, die ich im Gesangbuch fand, als sie es mir zur Konfirmation schenkte. („Dein Lebelang habe Gott vor Augen und im Herzen“). Und der Maler war kein Leonardo, der vielleicht tiefer sehen konnte als andere. Im Kreis der Familie zeigte sie sich eher vergnügt, – jedenfalls im Alter:
Aus den Erinnerungen ihrer Schwiegertochter (meiner Mutter):
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder Klavier oder/und Geige lernten. Ihr eigenes Lieblingsstück: „Die diebische Elster“ von Rossini. Mein Bruder und ich spielten für sie oft den „Faust-Walzer“ von Gounod (mit Geige und Klavier). Dieses Video hätte ihr gefallen!
Musik und Leben . . .
. . . im Zeitalter der Weltkriege
Das beste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Jedes Wort, das man oben im Cover-Text darüber liest, ist wahr.
Hier finden Sie eine Anzeige des Buches mit einer überzeugenden, langen Leseprobe (!!!). Mich interessierte besonders die Frage, ob es Vorbilder gibt, in der Art dieses Autors mit biographischem „Stoff“ umzugehen. Hier sein eigener Hinweis:
Ein späterer deutscher Autor, dessen Werke mich besonders inspiriert haben, ist W. G. Sebald (1944 –2001). Mit seinen Romanen Austerlitz, Die Ausgewanderten und Die Ringe des Saturn profilierte sich Sebald als der deutsche Nachkriegsdichter der Erinnerung, der meisterlich vormachte, wie Landschaft, Kunst und Architektur als Zugang zur Vergangenheit dienen können. Holocaust, Exil, Kolonialismus und die Geschichte der menschengemachten Zerstörung sind allgegenwärtige Themen in seinem Werk, aber die Erinnerung an sie ist durch Sebalds elliptische Prosa gefiltert wie durch mehrere Lagen Baumwollstoff, weshalb das einstmals blendende Licht dieser Katastrophen nur noch als schwaches Leuchten wahrgenommen wird. Und auch wenn Sebald nur selten über Musik schrieb, hat sein Umgang mit den ständig weiter verschwindenden Überbleibseln der Vergangenheit, den Spuren früherer Verluste, eine große Ähnlichkeit mit dem geisterhaften Spiel der Musik, mal an- und dann wieder abwesend zu sein, sowie ihren flüchtigen Momenten des Kontakts mit den wortlosen Wahrheiten einer anderen Zeit.
Die Musikbeispiele, soweit ich sie mir in Lesepausen zusammenstellen konnte:
(Fortsetzung folgt, – anfangen mit den „Metamorphosen“ von Richard Strauss!)
Beginn bei 1:06 / hören bei 2:02 Beethoven-Zitat (s.u. Marcia funebre Takt 3)
⇑ ⇑ ⇑ Was im Buch steht zum Thema „Metamorphosen“, ⇓ ⇓ ⇓ Beethoven „Eroica“ Trauermarsch
Schostakowitsch 13. Sinfonie „Babyn Jar“ hier (Buch S.342 ff) Wikipedia hier
hier (Beginn erst bei 1:14) VALERY GERGIEV – MUSICAL DIRECTOR AND CONDUCTOR THE MARIINSKY ORCHESTRA AND CHORUS 8° de Enero del 2013 – January 8th, 2013
mit Jewtuschenko-Text Baby Yar (engl. Übersetzung)
Schostakowitsch 14. Sinfonie hier (Buch S.360 ff) Wikipedia hier
Dmitrij Schostakowitsch: 14. Sinfonie op. 135 für Sopran, Bass und Kammerorchester auf Gedichte von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke ∙
(Auftritt) 00:00 ∙ 1. De profundis (Bass) 00:44 ∙ 2. Malagueña (Sopran) 05:50 ∙ 3. Loreley (Sopran und Bass) 08:52 ∙ 4. Der Selbstmörder (Sopran) 17:50 ∙ 5. Auf Wacht (Sopran) 24:54 ∙ 6. Sehen Sie, Madame! (Sopran und Bass) 27:46 ∙ 7. Im Kerker der Santé (Bass) 29:39 ∙ 8. Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Bass) 40:07 ∙ 9. O Delvig, Delvig! (Bass) 42:06 ∙ 10. Der Tod des Dichters (Sopran) 46:48 ∙ 11. Schlußstück (Sopran und Bass) 52:23 ∙
hr-Sinfonieorchester – Frankfurt Radio Symphony ∙ Miina-Liisa Värelä, Sopran ∙ Mika Kares, Bass ∙ Klaus Mäkelä, Dirigent ∙ hr-Sinfoniekonzert ∙ hr-Sendesaal Frankfurt, 1. Oktober 2020
Was Schostakowitsch zu dieser Sinfonie sagte (nach Wikipedia):
„Zum Teil versuche ich, den großen Klassikern etwas entgegenzustellen, welche das Thema ‚Tod‘ in ihren Werken behandeln. Denken Sie an den Tod Boris Godunows: Wenn Boris Godunow gestorben ist, wird es gleichsam hell. Denken Sie an Verdis Otello: Wenn die ganze Tragödie endet und Desdemona und Othello sterben, erleben wir auch eine wunderbare Verklärung. […] Ich finde dies sogar unter unseren Zeitgenossen, nehmen Sie zum Beispiel den außerordentlichen englischen Komponisten Benjamin Britten: Ich habe in dieser Hinsicht auch an seinem War Requiem etwas auszusetzen. Ich finde, all dies kommt von verschiedenartigen religiösen Lehren her, […] daß uns im Jenseits der absolute Friede erwarte. So scheint es mir, daß ich zumindest teilweise in die Fußstapfen des bedeutenden russischen Komponisten Mussorgski trete. Sein Zyklus Lieder und Tänze des Todes – vielleicht nicht alles davon, aber auf jeden Fall ‚Der Feldmarschall‘ – ist ein großer Protest gegen den Tod […]. Der Tod erwartet jeden von uns. Ich kann nichts Gutes darin sehen, daß unser Leben so endet, und das ist es, was ich in diesem Werk vermitteln will.“
Nachtrag 27.06.24
Ich stehe nicht allein mit meiner Meinung über dieses Buch:
DIE ZEIT 27. Juni 2024 Seite 47 Alexander Cammann: Hier Cowboys, da Chruschtschow
Leonardos Frauen
Was gehn sie uns an?
Als blutige Laien in der Kunstbetrachtung haben wir immer ein schlechtes Gewissen, wenn wir ein Gemälde oberflächlich nach seiner Lebensähnlichkeit beurteilen; andererseits beginnt man sofort zu spotten, wenn einer dagegenhält mit Bemerkungen zum strukturellen Aufbau des Werkes. Ich erinnere mich, dass zeitweise ein impressionistisches Kalenderbild an der Wand über dem Schreibtisch meines Vaters hing, in das ich mich „verliebte“, während er, der sich gerade Hamanns große dickleibige Kunstgeschichte zugelegt hatte, offenbar einen rein sachlich-ästhetischen Zugang suchte. Die farbenfroh schöne Frau von Renoir oder Monet hatte sogar einen Namen, sie war einmal „real“ (gewesen). Als mein Freund zu Besuch kam, führte ich ihn wie zufällig zum Porträt, beiläufig murmelnd „findichschön“, worauf er knallhart entgegnete: „hat viel Holz vor der Hütten“, und damit war sie schlagartig entweiht. Ja, entweiht. Alerdings hatte ich schon ein ungutes Gefühl, wenn ich auf dem Cover meiner ersten Concert Hall Schallplatten las: „Hohe Lebensstunden weihet mit Musik“. Auch Musik sollte etwas mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Einmal legte ich ein Bild auf das Notenpult und versuchte, auf der Violine die irgendwie geforderten oder unterstellten „überströmenden Gefühle“ zum Ausdruck zu bringen. Da trat überraschend mein Vater ins Zimmer trat und rief „das ist viel zu schnell“, während ich eiligst mit dem Geigencorpus das kompromittierende Bild verdeckte. –
Eines Tages kam meine 5 Jahre ältere Cousine auf der Durchreise mit ihrer Freundin zu uns, beide Kunststudentinnen in Basel, wir schauten gemeinsam den Prachtband „Europäische Meisterbilder“ an, – einige kannte ich allzugut -, mir schwante Unheil, plötzlich hielten sie inne, allerdings nicht dort, wo ich mich auskannte: sondern beim Jesus am Kreuz. Sie bewunderten die „Formauffassung“, die (attraktive?) Freundin legte den Finger auf die Reihe fein ausgearbeiteter Bauchfalten, oberhalb des Lendentuches. Mir stockte der Atem, und sie sagte: „wie fein ausgearbeitet!“ Gott sei Dank, beide waren vom Fach und bemerkten nicht die Röte in meinem Gesicht.
So etwa begann meine Pubertät, von der ich wenig wusste. Meine Mutter bemerkte nur verdächtig oft: „Die Flegeljahre bleiben bei ihm aus!“ Hat mich die Klassik gezügelt? Eine unendlich lange Zeit verging, ehe ich die Mentaltät der 50er Jahre in all ihrer Verklemmtheit durchschaute, die 6oer Jahre, die ich als Befreiung erfuhr, auch kunstästhetisch umsetzte. Erste Erleuchtungen (nach André Malraux‘ „Das Imaginäre Museum“ 1963): das Bändchen vom „Sehen der Welt in der Bilderwelt“ von John Berger (1974).
Derlei Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich heute einer Anregung von Wilfried Schaus-Sahm folgte und mich mit der folgenden Betrachtung von Kia Vahland beschäftigte.
https://www.stadtmuseum-duisburg.de/leonardo-da-vinci-und-die-frauen/ hier
https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/09/die-malerei-leonardo-da-vincis-ist-weiblich hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Anbetung_der_K%C3%B6nige_aus_dem_Morgenland_(Leonardo_da_Vinci) hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Bildnis_der_Ginevra_de%E2%80%99_Benci hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Cecilia_Gallerani hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Verk%C3%BCndigung_(Leonardo_da_Vinci) hier
Zitat Vahland: vom Kuss
3:44 „Leonardo da Vinci hat ganz außergewöhnliche Frauen gefunden, die einen heute noch überraschen. Er malt erstmal natürlich viele Marien, da wissen wir nicht, wer die Modelle sind. Dann aber malt er noch als junger Mann Ginevra de‘ Benci (…). Er möchte, dass sich die Leute in seine Bilder verlieben. Er erzählt eine Geschichte, wie die Leute Bilder mit weiblichen Heiligen zurückbringen in die Werkstatt und ihn bitten, die Heilgenscheine zu übermalen, damit sie die Bilder besser küssen können. Und das ist ganz genau in Leonardos Sinn. Das heißt, er nutzt die Stärke der Frauen, er nutzt die Verführungskraft der Frauen, um seine Kunst, um die Malerei zu stärken. Die Malerei ist so verführerisch wie die Frauen, die er malt. Und stark, so unabhängig und so klug wie diese. Dafür müssen es natürlich selbständige Objekte sein und keine Objekte, über die man einfach verfügt. Und die Frauen auf den Bildern liefern sich den Betrachtern nie aus. Das sind immer ganz, ganz eigenständige Wesen. Denn sie stehen für Leonardo auch für die Malerei an sich. Schon seit der Antike ist das Bild einer schönen Frau auch das große Meisterwerk eines Malers, an dem er seine Kunst zeigt, und so ist es eben auch bei Leonardo da Vinci. Denen gehört seine Sympathie, auf die lässt er sich ein, mit denen tritt er in einen Dialog.“ 5:11
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(Abstrakte) Kunst in der Realität, was nicht unbedingt bedeutet: die neue Irrealität dank Caspar David Friedrich. Jedoch auch Düsseldorf (20 Minuten entfernt, nächste Woche):
https://www.kunstpalast.de/de/event/tony-cragg/#Ausstellung hier
Video mit Cragg – siehe bei 6:40 von Menschen, – „die streicheln meine Arbeit„.
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13.04.24 Noch etwas ganz Neues aus dem Kunstpalast in Düsseldorf: ! Blumen ! HIER .
16.04.24 Ich war dort, im Kunstpalast Düsseldorf Ausstellung Tony Cragg, hier „Die Welle“:
Das Weltraumgefühl
Nur die goldne Abendsonne?
Ich kannte es lange nicht mehr, außer in meiner Kindheit, auf der Lohe und in Misburg, – späte Spaziergänge -, auf Langeoog, – dann war es nur, um das Meeresleuchten zu sehen, auf Texel, beim Rückweg von „Paal 9“ auf den Parkplatz, wo man im Dunkeln das Auto sucht und plötzlich innehält, Blick nach oben. Der gestirnte Himmel. Wer hat das blöde Lied gesummt, Sonnenuntergang hat nichts damit zu tun. Nein, das kommt nicht vom Alter! (Und was ist das schon: 70 !)
Es war aber „die güldne Sonne“, nur sie gilt!!!
EWIGKEIT ! Nicht ausgeschlossen !
Es kam also beim Zeitunglesen, ZEIT lesen, Seite 26 die Geschichte vom Gold, also doch wohl Wissenschaft, und erst Tage später, nahe am Kitsch, dachte ich, die Geschichte von Helga Schubert, Seite 45 „In der Ewigkeit“. Die Ewigkeit sei nicht woanders, „ich bin nicht ausgeschlossen, die Sekunden, die ich sterblicher Mensch auf dieser winzigen Erde bin, diesem blauen Planeten, wenn man ihn vom Mond sieht aus kurzer Entfernung, diese Sekunden sind ein Geschenk. Ich darf es annehmen. Und ich gehöre dazu, und die, die ich liebe, gehören auch dazu.“ Auch noch das Gedicht von Friederike Mayröcker zitieren, das endet mit: „O Sirius, o Mandelbaum und Stern: Noch leben alle, die wir lieben.“
Eines Tages, wenn ich dieses wiederlese, ärgere ich mich, dass ich es nicht ganz zitiert habe, alle 8 Zeilen. Oder Näheres darüber, dass das Leben von Helga Schubert (84) gerade in die Kinos gekommen sei…
Aber fest vorgenommen hatte ich mir nur die Geschichte vom Gold, und zwar die Zeilen, deren Summierung mich spürbar ergriffen hat, nein, „ergriffen“ nicht – ? es war nur die Erinnerung an den Parkplatz bei „Paal 9“. Ganz kurz, aber fast wäre es auch das Weltall persönlich gewesen, wie damals. Und die wirklich vergangene ZEIT, die schwindlig macht, der „WeltRAUM“.
Wie groß jedoch so ein schöpferischer Wumms sein muss, damit das Edelmetall entsteht, davon konnte sich die Wissenschaft lange keine Vorstellung machen. Die Erde, so stellte sich bald heraus, ist für ein solches Ereignis viel zu klein. Alles Gold auf dem Planeten ist außerirdischen Ursprungs. Denn es müssen dazu schon Sterne miteinander kollidieren – Neutronensterne. (…)
Das frühe Universum war, vor fast 14 Milliarden Jahren, noch recht arm an Elementen. Nach dem Urknall gab es zunächst nur Wasserstoff und Helium sowie ein wenig Lithium und Beryllium. Nach wenigen Minuten sanken im expandierenden Universum Temperatur und Dichte, sodass vorerst keine schwereren Atomkerne entstanden. Für die Bildung weiterer Elemente brauchte es kosmische Backstuben, in denen mithilfe von Kernfusionen schweres Material hergestellt werden konnte. Diese Backprozesse gelangen später im Innern von Sonnen. Je größer die Masse eines Sterns, desto protonenreichere und schwerere Elemente konnte er hervorbringen: Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Silizium. Spätestens bei Eisen mit 26 zusammengebackenen Protonen war jedoch Schluss.
Wie also können schwere Elemente wie Gold entstehen? (…)
Neutronensterne – extrem kompakte Überreste ausgebrannter Sonnen. Wenn zwei dieser gigantisch dichten Objekte kollidieren und verschmelzen, tragen ihre Neutronen in rasender Geschwindigkeit dazu bei, dass verschiedene Elemente sich bilden und wieder zerfallen. Das Licht, das bei diesen chemischen Reaktionen erzeugt wird, gelangt bis zur Erde.
2017 konnten Astrophysiker eine solche Kollision zweier Sternenleichen beobachten – sie hatte sich vor 130 Millionen Jahren ereignet (so lange brauchte das Licht, bis es zur Erde gelangte). Das optische Spektakel dauerte eine Woche. Erst sahen die Forscher viel blaues , und nach drei Tagen viel infrarotes Licht. Die exakten Wellenlängen verrieten ihnen, was damals (als auf der Erde noch Dinosaurier lebten) entstanden war: unter anderem Gold in der Größenordnung von 30 Erdmassen plus zehn Erdmassen Uran. (…)
Was sich bei solchen Kollisionen bildet, fliegt danach als Sternenstaub durch das Universum. Ab und zu landet etwas davon auf einem Planeten – etwa Gold auf der Erde. (…)
Quelle DIE ZEIT Nº 5 25. Januar 2024 Seite 26 Als das Gold vom Himmel fiel / Wie das Edelmetall entstand, verstehen Forscher erst heute. Eines wissen sie aber schon länger: Das Weltall spielte eine wichtige Rolle / Von Urs Willmann
vorher:
DIE ZEIT Nº 5 25. Januar 2024 Seite 45 In der Ewigkeit / Wir verlieren uns nicht, egal wo wir sind. Über Trost – und wo er zu finden ist. Eine Betrachtung / Von Helga Schubert
P.S. Was war nun mit dem Lied?
Das gäbe eine lange Geschichte. Ich habe es kennengelernt in meinem 4. Schuljahr, als ich – noch nicht zehnjährig – von der Dorfschule in Lohe bei Bad Oeynhausen zur Melanchthon-Schule in Bielefeld kam: dort wurde als erstes morgens ein gemeinsames Lied gesungen (Bielefelder Kinderchor! manchmal kam der „alte Oberschelp“, auf der Suche nach glockenhellen Kinderstimmen), aber nur dieses prägte sich mir unauslöschlich ein. Bis ich das Gedicht von Ingeborg Bachmann fand, von ihr gelesen, „An die Sonne“, und wieder dachte ich über die alte Melodie nach, die so kindgerecht Unter- und Aufgang der Sonne nachzeichnet („Mein Haupt und Glieder die lagen darnieder, aber nun steh ich, bin munter und fröhlich“), Text von Paul Gerhardt; wenn man umblättert hat es 12 Strophen. Das andere Lied ist für mich „das falsche“.
Übrigens: von der Lohe kannte ich ein anderes frommes Lied, dessen mittlere Sequenz ich schon bald lieber parodistisch verfälscht sang: „Jesu geh voran / auf der Lebensbahn! / Und ich will mich nicht verweilen, / dir getreulich nachzueilen: / Jesu geh voran / auf der Lebensbahn!“
O dass ich 1000 Zungen …
Faszinierende SZ-Artikel zum Ausklang (oder Anfang) des Jahres
SZ Silvester/Neujahr 2013/2014
Ich zitiere zusammenhanglos alle Sätze, die ich mir angestrichen hatte. Die Erinnerung wird’s richten… und gibt auch anderen Assoziationen Raum.
In den letzten 10 Jahren haben neue Technologien jedoch begonnen, Zungen verschiedener Tiergruppen in Aktion zu zeigen.
Die Zunge entgleitet vielen Definitionsversuchen.
Schwenk und Van Wassenbergh vermuteten, dass sich bei frühen Landwirbeltieren die Kiemenbögen und die damit verbundenen Muskeln zu einer „Protozunge“ entwickelten. Möglicherweise zu einem Muskelpolster, das mit dem Zungenbein verbunden war und flatterte, wenn dieses sich bewegte. Im Laufe der Zeit wurde das Polster länger, steuerbar und geschickter darin, Beute zu packen und zu manövrieren.
Für diese Fütterungsweise mussten die Kehlkopfmuskeln sich so umbauen, dass ein Satz Muskeln elastische Energie speichert, die sofort freigesetzt werden kann, um die Zunge herauszuschießen, und ein anderer Satz Muskeln die Zunge wieder einholt.
„Wenn Sie mir nur die Zunge zeigen, kann ich Ihnen eine Menge sagen“, sagte er. (Sam Van Wassenbergh)
Seit ihrer Entstehung vor 22 Millionen Jahren beeinflussen etwa Kolibris, wie viel Nektar ihre Partnerpflanzen produzieren und wie tief ihre Blüten sind. Dies wiederum hat die Länge der Schnäbel der Kolibris beeinflusst sowie ihren Eifer, Blumen für sich zu beanspruchen, indem sie Konkurrenten vertreiben. Es ist ein gemeinsamer evolutionärer Tanz von Vögeln und Blumen – vermittelt durch die Zunge.
„Sie ist wahrlich ein multifunktionales Werkzeug und hat nur deshalb weniger Aufmerksamkeit erhalten, weil es weniger zugänglich ist als äußere Gliedmaßen eines Tieres.“ (David Hu)
Die wichtigse Aufgabe der Zunge von Säugetieren besteht darin, Nahrung so zu positionieren, dass sie gekaut und geschluckt werden kann. Je nach Art heißt das, die Nahrung von einer Seite zur anderen zu verschieben oder sie auf nur einer zu halten, während die Zunge selbst sicher vor den mahlenden Zähnen bleibt.
In gewisser Weise ist die Zunge zu einer „Hand des Mundes“ geworden, sagt J. D. Laurence-Chasen, ein Biologe an National Renewable Energy Laboratory in den USA.
Indem sie die Zungenbewegungen bei verschiedenen Arten vergleichen, hoffen die Forscher herauszufinden, wie Zungenspezialisierungen zur Evolution des Lebensstils und der Nahrungsvorlieben jedes Tieres beigetragen haben könnten.
SZ Seite 32/33 Wissen Ende des Artikels
Wie komme ich auf das Lied, von den 1000 Zungen? Keine Blasphemie. Es liegt doch auf der Hand und kommt mir unwillkürlich auf die Zunge. Lebendige Widersprüche. Der Gedanke an meine kleine Loher Oma, der einige fromme Lieder sehr am Herzen lagen. In Bad Oeynhausen trug ich sie vom VW ins Wartezimmer, und sie sagte – ich höre noch den O-Ton – „meine Tßunge is so rubbelich“, sie lebte nicht mehr lange († 9.8.65). Die zehn Jahre ältere Erinnerung an die Orgel kann nicht schaden. Pauluskirche. Die große Evolution der Blasinstrumente. Wüssten Sie denn, wie man Zungenpfeifen von Labialpfeifen unterscheidet? Ich muss es auch rekonstruieren. (Siehe z.B. hier).
Und der Zugang zu dem uralten Gesangbuch (1732), – aber dieses Lied ist einige Jahre jünger.
Ist es Nostalgie, wenn ich an „alte Zeiten“ denke? Wie mein Großvater, der im Ersten Weltkrieg als Meldereiter (ja, zu Pferd!) fungierte und mit dem Erinnern nicht aufhörte, wenn er von dieser ereignisreichen Zeit sprach. Heute las ich noch einmal das SZ-Interview von gestern, das die Nostalgie betraf. Gestern – das gilt doch wohl noch am Neujahrstag?
Sz 31.12./1.1. mit Tobias Becker
Ausschlaggebend: die Lieder, die einen „überraschend mit alten Dingen in Berührung“ bringen. Auch einfach mit Kindheit. Aber jeder weiß: es ist durchaus keine durchweg positive Berührung, auch – allgemeiner gesprochen – in der Musik nicht. Man müsste im gleichen Atemzug von Überdruss reden. Von abgetanen Zeiten. Die Heideröslein-Schlager jener Zeit sind unerträglich (geworden) und waren es im Ansatz auch damals schon. Nur hätte man argumentativ noch nicht Schubert dagegenzusetzen vermocht. Für mich ist die Beziehung auf die 50er oder 60er Jahre ein Verlangen nach Zusammenhang (Konnex, Kontinuum). Wer bin ich? Verbunden mit der In-Frage-Stellung dessen, was man als selbstverständlich gelernt und erfahren hat oder was einem eben nur widerfahren ist.
Quelle Süddeutsche Zeitung Samstag/Silvester/Neujahr/2023/2024 Seite 10 „Nostalgie ist das Gegenteil eines Vertrauens auf den Fortschritt“ Gerade in Krisenzeiten sehnen sich Menschen nach der guten alten Zeit. Der Historiker Tobias Becker erklärt, wie Nostalgie zum politischen Kampfbegriff geworden ist.
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