„Epochen der Musikgeschichte“ in ARTE
Ich finde es immer bemerkenswert, wenn der Kulturjournalist Wolfgang Schreiber über Musik schreibt, insbesondere, wenn auch er sich über die Lage der klassischen Musik in der heutigen Medienwelt Gedanken macht. So gestern in der Süddeutschen Zeitung, wo er auf einen Vierteiler im Fernsehen aufmerksam machte. Einer Generation, die noch den Beginn und die Verbreitung des Fernsehens in der Gesellschaft mitbekommen hat, steckt noch die gnadenlose Kritik des großen Musiksoziologen Theodor W. Adorno in den Knochen, schlagwortartig überliefert in der These „Musik im Fernsehen ist Brimborium“. Man kann das nachlesen in einem Spiegelgespräch aus dem Februar 1968: HIER. Schwer zu sagen, wie man sich heute, nach rund 50 Jahren systematischer Unterhöhlung des klassischen Musikgeschmacks, dazu verhalten will. Eine Möglichkeit ist die, journalistisch zu fördern, wenn in den Medien überhaupt noch etwas geschieht zugunsten einer Musik, die ihrem Wesen nach nicht massentauglich konzipiert ist, aber zugleich der regelmäßigen Subvention durch Staat und Öffentlichkeit bedarf. Man versucht den berühmten „Spagat“. So – mit großem Geschick und für jeden Insider durchschaubar – auch im aktuellen Beitrag auf der Seite MEDIEN der Süddeutschen Zeitung:
Die Gefühle der Welt Epochen der Musikklassik: Ein rasanter und gescheiter Vierteiler bei Arte. Von Wolfgang Schreiber. Quelle: Süddeutsche Zeitung 8. Januar 2016 (Seite 27)
Schon der Titel (Gefühle der Welt) orientiert sich an dem Dauerthema der Medien, „große Emotionen“, und beschwört Allgemeingültigkeit, also mindestens „weltweit“. Zudem „rasant“ – gewiss nicht langweilig – und „gescheit“, also nicht reißerisch und dumm popularisierend. Wer will nicht so bedient werden? Und der Artikel beginnt mit Worten, die man zunächst ironisch verstehen mag:
Wie großartig! Fein säuberlich in vier Epochen unterteilt, erscheint uns die Welt der klassischen Musik, wenn sie als TV-Vierteiler „für junge Zuschauer, Einsteiger und Experten erlebbar, spürbar und verständlich“ serviert wird.
Nein, es ist freundlicher Ernst, der auf eine wohlwollende Inhaltsbeschreibung hinausläuft. Selbst die Moderne bzw. das letzte Jahrhundert kommt offenbar gut dabei weg. „Experiment und Unterhaltung triumphieren in TV-homöopathischer Dosierung.“ Das kann man deuten wie man will.
Und dieses Offenlassen einer Deutung (eines kritischen Urteils), verbunden mit einer leisen Apologetik, hat mich letztlich für den Artikel eingenommen und veranlasst mich, diesen ARTE-Vierteiler auf jeden Fall zu „konsumieren“. Ganz besonders auf Grund des letzten Absatzes, einem Meisterwerk der Diplomatie:
Grobes Fazit von vier Jahrhunderten: Die klassische Musik wird zum Event; was bleibt, sind die großen Komponisten, die Formen, die Gefühle der Welt. Es ist die Quadratur des Kreises. Die vermeintlich elitäre, museale und wirklich verzweigte, in tausend Facetten glitzernde Klassikmusik will im Fernsehen populär werden. Einem Medium, in dem sie ja eigentlich, von Talkshow über Tagesthemen bis Tatort, kaum existiert. Verdienstvoll: An ihren Bildoberflächen wird sie (be)greifbarer als erwartet. Hauptsache, die Musik selbst wird nicht verhökert an Firlefanz und Klischees.
Und wird damit auch nicht … zum Brimborium?
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Zur weiteren Information siehe HIER. Oder man beschränke sich auf die folgenden Texte:
Die Sendereihe wird durch ausführliche Klassik-Sessions mit Cameron Carpenter, Francesco Tristano, Gabriela Montero und Chilly Gonzales ergänzt. Mit ausgesuchten Klangbeispielen, Anekdoten und Analysen führen sie die Internetnutzer in die Musik und ihre Epoche ein.
Epochen der Musikgeschichte – Barock
Wird publiziert am 10.01.2016 – (90 Minuten) Pressetext ARTE:
Die Maxime des Barockzeitalters: „Mach es grandioser, reicher, bunter!“ gilt auch für die Musik. Die Komponisten schaffen ihre Werke zur Ehre Gottes und seiner absolutistischen Stellvertreter auf der Erde. Vivaldi wird zum ersten Star der Musik, Monteverdi erfindet die Oper, Lully feiert den Sonnenkönig, Händel macht Karriere in London – und mit der Musik von Johann Sebastian Bach vollendet sich eine Epoche, die schon weit über den „Barock“ hinausweist.
In dieser Folge zeigt der junge Pianist Francesco Tristano, weshalb die Musikwelt auch vom „Zeitalter des Generalbass“ spricht, wie eine „Fuge“ funktioniert und warum wir heute im „Neobarock“ leben. Interviews mit Musikstars wie Daniel Hope, Anna Prohaska und Alison Bolsom zeigen die auch heute noch ungebrochene Faszination dieser musikalischen Epoche und bringen die populären Werke des Zeitalters wie die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi zum Klingen.
>> Ausstrahlung am Sonntag, 10. Januar um 17.40 Uhr auf ARTE
Siehe auch HIER.
Was mich skeptisch stimmt: ich sehe eine Reihe von Namen, die nachweislich mit Musik zu tun haben; manche nehme ich ernst, manche weniger, obwohl man auch ihnen eine gewisse Bedeutung für die klassische Musik nicht absprechen kann (Beispiel Cameron Carpenter). Ich sehe aber z.B. nirgendwo einen mir bekannten Namen aus der Musikwissenschaft. Das mag inhaltlich nichts Nachteiliges bedeuten, mindert jedoch das Vertrauen in die Kompetenz des Unternehmens. Ich werde versuchen, die Sache vorurteilsfrei auf mich wirken zu lassen, ohne am Ende die Ausflucht ins Massen-Pädagogische zu wählen: die Sendung war für mich unerträglich, aber „für die Leute“ bestimmt nützlich. (Ich muss keine Rücksichten walten lassen, die für die Presse gelten. Die Klick-Frequenz dieses Blogs ist mir – fast – gleichgültig.)
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Kurzes Fazit (post factum):
Die Sendung war von Anfang bis Ende ein Vergnügen! Gerade der Versuch, immer wieder das Alte und die Moderne zu verbinden, beides als unsere Gegenwart. Wunderbare Bilder und Szenenwechsel zwischen Venedig, Florenz, London (das Haus, in dem Jimi Hendrix wohnte, ein paar Sekunden später das, in dem Händel bis zuletzt gelebt hat), Potsdam. Sehr gute Passagen aus Filmen wie „Der König tanzt“, Heinrich Schütz und die Bedeutung des Westfälischen Friedens. Wunderbar die Szene aus Monteverdis „Orfeo“ und vieles andere. Am wenigsten akzeptabel die Reduzierung Vivaldis bei gleichzeitiger Hyper-Überhöhung (vgl. z.B. hier und hier), völlig unzureichend die Behandlung Bachs: als habe er eigentlich ein Opernkomponist sein wollen, unbefriedigend, aber immerhin ganz nett Francesco Tristanos Versuch, das Prinzip „Fuge“ an der zweiten aus dem Wohltemperierten Clavier zu erklären (warum denn sollen die Stimmen voreinander fliehen?) , unsinnig verkürzt die Geschichte vom „Musikalischen Opfer“: als sei Bach letztlich mit dem Versuch gestrandet, sich gegen den neuen Stil aufzulehnen. Er hat ihn vielmehr selbst virtuos angewandt, wo er ihn wirklich brauchen konnte (siehe H-moll-Messe). Er hat auch durchaus eine Fuge über das (angeblich) „königliche Thema“ improvisiert, wahrscheinlich in der Art des 3-stimmigen Ricercars, nur eben nicht die verlangte 6-stimmige, die er nachgeliefert hat, – nebst der Sammlung verschiedenster Stücke, einer wahren Wunderkammer das alten und des neuen Stils (Triosonate). Man hätte dazu nicht den Flötisten Pahud, sondern den (tatsächlich!) beteiligten Musikwissenschaftler Peter Wollny befragen sollen. Irreführend selbst noch die gutgemeinte Aussage von Laurence Cummings, Bachs Musik sei der direkte Weg zu Gott. Grundsätzlich ist klar: man setzt nur junge und schöne Künstler liebevoll ins Bild, eine blonde Augenweide in der Tat: die britische Trompeterin, deren Name mir entfallen ist. Skurill, aber wohl nicht ganz unmotiviert der Auftritt eines ziemlich intellektuellen Tätowier-Künstlers, der vom Barockgeist besessen ist… Ach so, wir leben ja im Neobarock.
Ansonsten: Wolfgang Schreiber hatte ganz recht!
Nächstes Mal bin ich wieder dabei.
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