Archiv der Kategorie: Musiklehre

Unvorhergesehen!

Ex improviso – ein Lob der Ungewissheit

Ein so handliches Buch kann man unmöglich bis Weihnachten unangerührt lassen, ein Muss für alle Musiker/innen. Oder ganz allgemein: für Menschen? Selbst wenn sich durch Monate mangelnder Initiativen einiges an Frust und Kritikbereitschaft angesammelt hat: nichts kann willkommener  sein, als ein Angebot zur Improvisation, auch ohne Publikum, ohne Schaubühne. Gerade in dieser Zeit: Ein neues offeneres Leben beginnen. Nein, keine Anleitung, Gottseidank, – ein Angebot darüber nachzudenken. Sich in der Ungewissheit einzurichten…

ISBN 978-3-15-014164-9 Euro 6,00

Das Stichwort Fußball gefällt mir – auch im Blick auf Sohn und Enkel/in…

Zur Abwechslung lieber etwas hören (als lesen)? Bitte HIER (Radio Ö1)

Den vorgelesenen Text findet man in dem Kapitel „Das improvisierende Gewohnheitstier“ S.67 bis 74.

So froh gestimmt ich im Gesamttext herumstöbere und überall Anlass finde, mich festzulesen und den Anregungen zu folgen, so stocke ich doch, ehrlich gesagt, bei der strikteren linearen Lektüre und zwar gleich am Anfang des Büchleins: über das Gendern. Da geht es um das platonische Höhlengleichnis: demnach sei unsere Existenz umgeben von flackernden Schatten, die da vor den Höhlenbewohner*innen an die Wand geworfen werden (Seite 10), was mich sofort veranlasst nachzuschauen, ob Platon (oder seine Dolmetscher*innen) tatsächlich das gedachte menschliche „Publikum“ so ultramodern differenziert hat (haben). Oder ob hier bereits improvisiert bzw. paraphrasiert wird, so wie auf der nächsten Seite mit den Chirurg*innen. Nein, Plato variiert zwar in engen Grenzen, er spricht von „Gefangenen“ oder „Menschen“, wollte uns aber ganz gewiss nicht in vordergründige Diskussionen verstricken.

Ich hätte vielleicht einfacher begonnen, etwa bei dem lateinischen Spruch „variatio delectat“, aber wenn es nun derart streng zugehen soll, repetiere ich zunächst einmal die Deutung des Höhlengleichnisses bei Wikipedia hier. Ob der Mensch etwa, wenn er über einem ostinaten Grundbass Variationen entfaltet, in Wahrheit erkundet, wie er sich dabei an Bestimmungen zu halten vermag, die ihm Sicherheit geben. Oder eher Vergnügen? Freiheit? Und konstatiere bei mir selbst womöglich ein bürgerliches Sicherheitsdenken, das in der Kunst wenig zu suchen hat. „Ein Lob der Ungewissheit“ – zweifellos brauche ich dafür vor allem Geduld.

Ziemlich irritierend schon auf den Seiten 32/34, wenn davon die Rede ist, dass nur ein winziges Publikum das »Köln Concert« von Keith Jarrett am 24. Januar 1975 live in der Oper Köln erlebt hat, dass es dann auf der nächsten Seite heißt: „Niemand, der in der Kölner Philharmonie zugegen war, und niemand, der die Musik von der Aufzeichnung her kennt“ – (Eröffnung der Philharmonie bekanntlich 1986).

(Fortsetzung folgt – nach weiterer Lektüre)

Geduld! Nach einem Tag Lektüre weiß ich, wie dehnbar der Begriff „Improvisieren“ ist, die Musik fehlt mir immer mehr. Ein großartiger Effekt, – keine improvisierten Sprengkörper mehr, keine improvisierenden Chirurginnen, keine verfehlte Klimapolitik, aber viele nützliche Anregungen zum Weiterdenken, z.B. eine neue Orientierung an den zum Jazz führenden Links – und an den wenigen, hier ausgesparten Klassikern des Nachdenkens über Improvisation, z.B. den, auf den Georg Knepler schon 1969 hinwies, als der Jazz offenbar noch nicht zur Debatte stand, Ernst Ferand: Die Improvisation in der Musik / Eine entwicklungsgeschichtliche und psychologische Untersuchung / Rhein-Verlag Zürich 1938:

Ich werde dazu einen Extra-Artikel versuchen, übend und mit Bangen improvisierend. Und was für eine Herausforderung wäre es erst, die ausgefeilte Methodik der indischen Improvisation darzustellen, absolute Voraussetzung: „Riaz“ – die strenge Disziplin des Übens. Eine globale Welt der Improvisation, angedeutet in den wenigen Zeilen:

Entscheiden Sie doch bitte: was ist im folgenden wunderbaren Beispiel komponiert, was improvisiert?

Zurück zum Jazz: Im Anmerkungsteil des Büchleins findet man auf der ersten Seite zwei unglaubliche Webadressen: ein Wunderland der sichtbar gemachten Musik, Transkriptionen und der klingenden Beispiele. Eine Datensammlung „von knapp 500 digital gespeicherten, monophonen Soli. Sie lassen sich online auf ihre Strukturen hin analysieren.“ Zitat Anmerkung 3. / Hier ein winziger Einblick:

Zugang hier

Die zweite Web-Adresse ist für Laien (wie mich) vielleicht noch aufregender: eine Liste von tausend Jazz-Standards zum Sehen, Hören, Lernen. Ein sensationeller Zugang, eine Verlockung, ein Suchtmittel, ich finde keine Worte für ein solches Angebot!

Zugang hier Zugang hier

Mit einem Schlag ändert sich mein Blick auf dieses unscheinbare Reclam-Heft: was mag mir noch entgangen sein, an diesem Tag und in meinem bisherigen Leben? Kaum zu glauben: 6 € für eine Essaysammlung und den Gratis-Zugang zu zwei Schatzkammern der Jazz-Geschichte!

*    *    *

Ja, noch etwas liegt mir am Herzen (seit gestern Mittag 18. Dezember bei Mamma Rosa): eine schmale, aber gewichtige, hinreißend geschriebene Monographie über den Pianisten Walter Gieseking. Sie stammt aus der Feder eines ehemaligen Kollegen (Redakteur im WDR und SWR):  Rainer Peters. Und wie spannend er zu erzählen weiß, habe ich nicht nur bei vielen gemeinsamen Eisenbahnfahrten zum Arbeitsplatz in Köln genossen, sondern auch in seinen Moderationen zur Neuen Musik oder in den glänzenden Essays zur Einführung der Bartók-Kammermusik-Reihe im WDR-Funkhaus. Seine wissenschaftliche Akribie bewies er in geradezu gewaltigen Werken über den Komponisten Bernd Alois Zimmermann (siehe hier und hier). Rainer Peters wusste ALLES über die Geschichte der Neuen Musik, Lieblingsthema damals die Wiener Schule und ganz besonders: Alban Berg. Das Buch von Soma Morgenstern war gerade herausgekommen. Und heute – in einem weiten Sprung zurück, lange vor Beginn unseres Studiums und der gemeinsamen Arbeit in Köln – erinnert er mich an die Erschütterung, die der Tod Giesekings 1956 bei meinem Vater auslöste. In dessen Bücherschrank hatte ich damals gerade die unauffällige Schrift über die Methode Leimer-Gieseking entdeckt, um dann – auf ein Wunder hoffend – mit Bachs E-dur-Stück eine Probe aufs Exempel zu versuchen: leider strandete ich auf ganzer Linie, aber immerhin: die ersten Takte sitzen bis heute, und zwar im Kopf, nicht unbedingt in den Fingern. Ich ahnte allerdings, dass dem Gedächtnisgenie Gieseking nicht mit einer bestimmten Lehrmethode beizukommen war…

(bitte anklicken)

1953 (ist das nicht  James Dean? was hat er dort zu suchen? „auch das Schöne muss sterben „…)

Das Buch von Rainer Peters umfasst auch eine wunderbare Auswahl alter Fotos und endet ebenfalls mit James Dean: er sitzt gemeinsam mit Gieseking am Klavier, beide habe je eine Hand auf den Tasten und wenden sich einer fröhlichen Runde zu, – wenn man den mit Gläsern und Flaschen bedeckten Tisch im Vordergrund so deuten kann. In der Tat, es ist wohl derselbe Gästetisch, den man oben auf dem Youtube-Video in der Gegenrichtung sieht, mit den beiden Protagonisten vor oder nach der pianistischen Kollaboration.

Ich möchte mich von diesem Thema nicht trennen, ohne Ihnen einen Blick in das Verlagsprogramm zu bieten, in dem allerhand musikalische Kostbarkeiten dieser Art versammelt sind: HIER.

Irritation durch Bach

Was mich „am Laufen “ hält

Sonate für Violine solo, letzter Satz, BWV 1001 Presto

Vorher: Anleitung für Geigenschüler*innen [mich selbst] zum Üben mit Motiven!

Die unten im Notentext eingetragenen Bindungen habe ich von Dadelsen BJB 78 S.108

Beschreibung des Problems (Einwand: genügt es nicht, einfach nur zu spielen?)

Wozu also überhaupt diese – nicht einmal vollständige – Abschrift? (z.B. fehlende Takte Blatt II, rechter Rand +4). Das Prinzip war schlicht, Parallelbildungen leichter aufzuspüren; sie liegen ja auf der Hand, aber man sollte sie sozusagen räumlich erfassen können, wie ein Lego-Gebilde. Nur eins sehe ich nicht als Weg zur Lösung: Noten und Takte zählen. Obwohl 4-Takt-Gruppen natürlich eine Rolle spielen. Kontinuierliche Sechzehntel von Anfang bis Ende in beiden Teilen, und durchaus gegliedert, denn auch in solchen „Laufsätzen“ gilt: nicht 16tel = 16tel, sondern was Clemens Kühn schreibt (vgl. ihn auch hier):

Aus rhythmischen Kräften gewinnt Bachs Musik ihre Motorik. Motivische Kräfte bestimmen ihre Linearität. Beide Momente, das Motorische und das Lineare, treffen sich im Formprinzip der barocken Fortspinnung: der – eher lockeren, forttreibenden – Anknüpfung von Motiven und Teilen.

Im Fall einer Arie (»Bereite dich, Zion«) schreibt derselbe Autor:

Die Ausdehnung der drei Formglieder gehorcht keiner Norm (…). Ihre Proportion ist also nicht dem Prinzip des Gleichgewichts verpflichtet. Zwar zeigt das Bach-Ritornell ein ausbalanciertes Verhältnis von 8 (=4+4)+4+4 Takten. Doch ist dies kein wesenhaftes Merkmal des Fortspinnungstypus. Zum Vergleich studiere man das Ritornell der Arie »Ach, mein Sinn« (Nr.19 aus Bachs ›Johannes-Passion‹: 8 Takte Vordersatz, 5 (2+2+1= abgespaltener Takt) Takte Fortspinnung, 3 Takte Epilog; oder aus der ›Matthäus-Passion‹ »Aus Liebe will mein Heiland sterben« (Nr. 58): Hier ist das Verhältnis 4+7+2 Takte.

Quelle Clemens Kühn: Formenlehre der Musik /dtv/Bärenreiter 1987 Seite 42 u 45

Ich hebe das hervor, weil man beim Violin-Presto leicht auf die Idee kommt, nach einem Symmetrie-Prinzip zu suchen, da es sich beim Üben geradezu aufdrängt, – allerdings nur sporadisch, am Anfang und am Ende der Teile.

Am Anfang: den Takten 1-8 entspricht deren Umkehrung in den Takten 55-62 , jedoch den Takten 9-16 entspricht erst der Achttakter ab Takt 67, deshalb steht am Ende der ersten Zeile Blatt II der Hinweis +4.

Am Ende: der letzten Zeile auf Blatt I entspricht ziemlich genau die letzte Zeile auf Blatt II, aber im Zwischenbereich wird die Zuordnung schwierig. Es geht offensichtlich nicht um berechenbare, voraussehbare Symmetriebildungen.

Inhaltlich geht man nie fehl, sich von den Kantaten und Passionen inspirieren zu lassen, in unserm Fall etwa auf die folgenden Arien des Laufens, Nachfolgens, Eilens zu schauen, zumal sie auch motivisch und in der Tonart nahe liegen:

„Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten“

„Eilt, ihr angefocht’nen Seelen“

Übung: Spiele die 16tel-Linien, – aber auch mit „geigerisch“ angepassten Phrasierungen.

Es scheint mir kein Zufall, dass die Sechzehntel-Finalsätze der Bach-Solosonaten und insbesondere der hier vorliegende, von einem Geiger ganz anders charakterisiert wird als von einem Komponisten:

Die Sätze leben von der rastlosen Bewegung, vom Reichtum an verschiedensten Figuren, ihrer auf weite Strecken wellenförmigen Bewegungsart und den aus der differenzierten Faktur der Figuration und unterschiedlicher Bogensetzung resultierenden vielgestaltigen Artikulationsweisen. Sie sind gleichsam Gegenbild und Ergänzung zu ihren Vorgängersätzen in ruhigerem Zeitmaß.

Das Presto der ersten Sonate tendiert durch seine ungerade, auf dem Achtelwert als Grundeinheit beruhende Taktart (3/8) ins Tanzartige, nähert sich italienischer Giga und Corrente an.

Quelle Bernhard Moosbauer Bärenreiter Werkeinführungen S.72

Der Komponist Hans Vogt:

Es ist ein Unterschied, ob man die Varianten quasi buchhalterisch zur Kenntnis nimmt, oder ob man die musikalische Wirkung einer Steigerung wahrnimmt, die durch die Inszenierung der Varianten entsteht. Die Dramatik der Artikulation, die sich glücklicherweise in Bachs originaler Bogensetzung ablesen lässt: die doppelten Zweier-Bindungen, die Dreier-, Vierer- und Fünfer-Bindungen (ab Takt 32), die synkopische Schwerpunkte hineinzaubern (ab Takt 117) , Siebener-Bindungen (Takt 59 und 63), „reguläre“ Sechserbindungen (Takt 75 ff) wie in der Arie „Ich folge dir gleichfalls“. Die schöne Motivtafel bei Vogt lässt das schon ahnen. Es ist eigentlich eine typisch geigerische Dramatik, aber keine Tanzmeister-Agogik:

Quelle Hans Vogt: Bachs Kammermusik Reclam S.166

Um an dieser Stelle einen Schritt weiterzugehen, vergleiche man das weiterführende Sept-Akkord-Motiv im Teil I mit der Variante im Teil II, deren Einsatz ich vorläufig als „Reprise“ bezeichnen möchte (obwohl das Sept-Akkord-Motiv in Teil II ab Takt 67 bereits wörtlich wiederaufgenommen worden ist):

Es ist deutlich komplexer geworden und dabei auch längenmäßig gewachsen. Der neu „gefaltete“ g-moll-Dreiklang hat zudem mit dem erstmalig prominent wieder eingesetzten hohen b“  einen Wiederkehr-Charakter von Teil I mit den Takten 1-9f… Es ist aber mehr als eine Reprise, es ist eine Überbietung! Was sich auch in dem zeigt, was ihm kontrastmäßig vorangestellt wird und noch mehr in dem, was ihm nachfolgt.

Der „verkehrte“ (umgekehrte) Anfang von Teil II (gegenüber dem „Original“ von Teil I) wird wieder aufgegriffen mit der aufsteigenden Form des F-dur-Dreiklangs in Takt 83, dessen Beantwortung ab Takt 87 mit Weichenstellung in Richtung g-moll gegeben wird. Zugleich sei bedacht, dass der F-dur-Ansatz  mit dem aufsteigenden Es-dur-Ansatz in Teil I Takt 17 korrespondiert. (So neu war also die Umkehrung zu Beginn des Teils II gar nicht!)

Es kann nicht schaden, zwischendurch ohne alle Vorbelastung das Werk zu hören. Nocheinmal… nichtsalsdas…: Hören! Hören! Hören!

Nun könnte jemand sagen: für eine Reprise ist mir der Beginn dieses neuen Teils zu wenig „spektakulär“, – obwohl er diesen „versteckten“ Reprisenbeginn aus dem einleitenden Adagio derselben Sonate kennen müsste: anstelle des vierstimmigen Akkordes am Anfang des Taktes 14 mit dem c“ und der absteigenden melodischen Molltonleiter.

Man bedenke nur die Formenvielfalt der Präludien, die Christoph Bergner in seinen Studien zum Wohltemperierten Klavier so übersichtlich dargestellt hat; man kann es sozusagen als „Mustersammlung“ von Bachschen Formen überhaupt betrachten:

auf der nächsten Seite folgt noch 2.3. Die Spielpräludien: Cis-Dur, g-Moll, C-Dur, d-Moll, G-Dur

Ich denke bei unserm Presto am ehesten an das Präludium D-dur BWV 850 und sehe es unter 1.5. eingeordnet = „die periodisch freien Präludien“. Was natürlich nicht bedeutet, dass da periodisch sich gar nichts abspielt. Im Gegenteil, man erkennt die Reprise auf Anhieb, sie steht in der Subdominante: siehe hier, Noten Blatt II ab Takt 20. Interessanterweise bestand eine frühe Fassung dieses Präludiums (im Klavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach) nur aus 20 Takten. Alfred Dürr beschreibt den möglichen Ablauf des weiteren Komponiervorgangs, und alles entwickelt sich aus den ersten – 2 mal 4 – Tönen des ersten Taktes.

Quelle Alfred Dürr: J.S.B. Das Wohltemperierte Klavier / Bärenreiter Kassel etc 1998 / S. 124

1. Assoziation: Man scheue sich nicht zu akzeptieren, dass Bach zuweilen „stückchenweise“ komponierte, – er wusste natürlich, wie sich auf diese Weise mehr daraus machen ließ,  er hat auf diese Weise ja sogar Fugen verdoppelt (Beispiel BWV 886), und es lässt sich nicht leugnen, dass das Wesentliche erst in der neuen Hälfte, also der erst später konzipierten, zum Vorschein kam.

2. Assoziation: Da ich mir gerade die rechte Hand dieses Klavier-Praeludium als Übe-Material für die rechte und die linke Hand zurechtgelegt habe, bin ich gewohnt, es ausdauernd ohne Bass-Stimme zu spielen – und habe festgestellt: es fehlt mir (fast) nichts. Alle Modulationen sind auch ohne Bass völlig einleuchtend. Insofern kam mir Nadja Zwieners Bemerkung zu Corellis Solissimo-Violin-Präludium zupass, die Sie im Artikel hier gegen Ende finden (rot markierter Satz).

(Fortsetzung folgt)

Muss es sein?

Die Aus(f)lösung der ganz großen Themen

Die Gegenfrage „Geht’s nicht eine Nummer kleiner?“ kann einen schachmatt setzen, und ich stelle sie mir gern ungefragt, verweise zum Ausgleich darauf, dass ich doch oft genug auch ziemlich detailversessen bin. Aber es bleibt ein kaum zu beschwichtigender Argwohn, dass es Reste des 19. Jahrhundert sind, die darauf zielen, mich auf die ganz großen Themen zu fixieren (Besitzergreifung, Kolonialisierung), vielleicht sogar eine latent faschistische Ideologie. Musterbeispiele: Faust II, Jahrtausendkünstler Michelangelo (500 Seiten), Auf der Suche nach den Kulturen Altamerikas (500 Seiten), „Drumming in Bhaktapur“ Nepal (700 Seiten) und diese CD „Senza Basso – Auf dem Weg zu Bach“ (Total Time 65’57),  ein Kunstwerk sui generis.

Fast wie in den 50er Jahren, als ich allmählich aufwachte. Die ersten großen Entwürfe, denen ich aufsaß oder die ich missverstand, Nietzsche mit seinen Fragmenten vielmehr Aphorismen, deren Generalformel „Der Wille zur Macht“ hieß (finalisiert vom Nazi Alfred Bäumler). Wie vorher schon der undurchsichtige Begriff von der „Welt als Wille und Vorstellung“ seines „Erziehers“ Schopenhauer. Dann etwa Oswald Spengler mit seinem „Untergang des Abendlandes“, den ich mir einige Jahre später durch die Toynbee-Lektüre „Gang der Weltgeschichte“ nobilitierte, endlich noch Jared Diamond und der „Kollaps“ aller Kulturen.

Aber nun zu guter letzt, sensationell aktuell: Warum hat mich Sarah Connor so irritiert, mit ihrem Singsang, – oder war es vielmehr ihr Lobredner Giovanni di Lorenzo, der Chef der ZEIT, der im Rahmen von „3nach9“ jede journalistische Skepsis vermissen ließ? Vielleicht für einen guten Zweck und eine oft verkannte Krankheit (Depression), dürfte ein öffentlich-demonstratives Weinen trotzdem als geschmacklos aufgefasst werden? Man tauche nur ein in diese Atmosphäre der Zustimmung, ich reagiere nur kritisch, weil mehrfach insinuiert wird, es handle sich um Kunst, und diese Auffassung habe die Sängerin mit vielen Künstlern gemein: „sie öffnen ihre Herzen, das ist unsere Währung“, sagt ein Gast. Ist dabei nicht allzu viel Heuchelei im Spiel? Interessant, dass die Protagonistin selbst eine Verbindung zum Schauspielen herstellt. Seltsam auch, dass der Moderator listig fragt, ob sie denn nicht mehr dazu neigt, „die Sau rauszulassen“ (wie früher) – und sie weiß sofort, was er meint, verweist aber auf ihre 4 Kinder. Kein Wunder, dass sie Apnoë-Tauchen liebt, jetzt auch noch gemeinsam mit Orkas vor Norwegens Küste. Möglicherweise hört man von solchen Hobbys sonst nur noch in der Düsseldorfer Schickeria.  – Hier ist der Link zur Talkshow, der Einstieg wäre bei 1:34:58 (bis Ende bei etwa 1:40:00).

(Für weitere Studien siehe hier, insbesondere im Video, das über eine lange Strecke redundantes Trauergemurmel bietet, bis sich endlich eine Gestik materialisiert und mit taktilen Phantasien zu spielen beginnt, ab 2:40)

Soweit diese Aufbauschung schauspieltechnisch erzeugter Gefühle, – lesbar als gewagtes Experiment eines vergangenen, galanten Zeitalters, – als auch viel geweint wurde -, und ahnungslos wiedererweckt als neue, archaische Intensität. Man ist so abgestumpft, dass man nur in der grotesken Übertreibung wahrnimmt, was ungefähr gemeint ist. Es heißt dann oft: „authentisch“.

Allerdings ist es gar nicht so überraschend, dass kluge Menschen besonders bei musikalischen Themen gedanklich (geschmacklich) einbrechen. Man sollte darauf nicht herablassend reagieren, – aber man darf wohl auch Rezipienten warnen, die vielleicht nur unsicher sind und jeden Strohhalm ergreifen, wenn er von respektablen Menschen gereicht wird. Es bleibt eine Missachtung der Musik, die sich öffentlich manifestiert, – es sollte Aufklärung oder zumindest Widerspruch geben. Frühere Versuche in diesem Blog etwa sind nicht unnütz, auch nicht hämisch zu verstehen: hier („Wie Laien über Musik reden“).

Grundsätzlich: es geht um die schon im 18. Jahrhundert gestellte (und widerlegte) Behauptung, man könne andere nicht rühren, ohne selbst gerührt zu sein! Man glaubt, sie sei neu, und es gehe immer wieder darum, die anderen Menschen, die einem zuhören, auf diese Weise zu fesseln, spontan, rückhaltlos, durch einen Akt der  Selbstentfesselung, Selbstentblößung. In weitem Sinne populistisch. Und wer das nicht mitmacht, gilt schnell als ein verblendeter, verkopfter, frigider Theoretiker, der sich und andere vom prallen Leben abzuspalten sucht. Zugegeben, gerade ein solcher hat mich vor 55 Jahren fasziniert, als ich ansonsten von hochromantischer Musik begeistert war, aber ebenso von Ambivalenzen aller Art; in bin ihm bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik persönlich begegnet, Carl Dahlhaus:

Quelle Carl Dahlhaus: Musikästhetik / Musikverlag Hans Gerig Köln 1967

Ist das nicht wie ein Stich ins Herz, wenn man als Musiker/in oder als unbescholtener Privatmensch gesagt bekommt, dass Intensität (des Ausdrucks) nicht selten mit Primitivität erkauft werden muss? (a.a.O. Seite 32). Immerhin hat mich der Unterschied zwischen der empirischen Privatperson und dem „lyrischen Ich“ auch damals schon interessiert (a.a.O. 36). Siehe auch hier. Man erkennt an den Lesespuren: ich habe alldas nur registriert, nicht kritisiert. (Begründete Kritik an dem Wissenschaftler Dahlhaus kenne ich durchaus – seit 2005). Obwohl ich auch Alte Musik ernst genommen habe, als sei sie zeitgenössisch – wie Sarah Connor. Heute nehme ich „alles“ ernst. Und reagiere deshalb auf sie genau so wie auf ein Statement aus der Alten Musik, aber aus ganz anderen Gründen und hier nicht kritisch, sondern amüsiert:

Gunar Letzbor

Was ist denn das für ein Naturbild? Wo soll denn wohl „der Pop“ stecken? Wo dagegen die „kulturellen Ideen“? Denkt man hier draußen vielleicht daran, den Ball ganz flach zu halten? Oder lieber an die Kunst des Bogenschießens? An die „Feinde der Kultur“, die hinter den Sträuchern lauern? An die Stille und die Leere des Himmels im Zen? An die Kunst des klaren Denkens? Genau. Jederzeit anwendbar, auch wenn es nur um Musik geht…

Gestern Abend Krüdersheide

Offener Himmel über dem Schlösschen

Erinnerung

Jugendliche realisieren weithin das Ideal der Coolness, sie zeigen nicht, wenn sie getroffen sind. Wir leben andererseits in einer Zeit, die es mehr und mehr angebracht findet, die „Echtheit“ von Gefühlen durch Tränen zu unterstreichen. Wie das möglich ist, diese willentlich hervorzurufen, weiß ich nicht; es genügt offenbar sich vorzustellen, dass man sehr bemitleidenswert wirkt, – schon kommen die Tränen aus Selbstmitleid.   Man schaltet auf Außenperspektive und reagiert wie bei der Betrachtung eines Films, wo oft sogar unmissverständliche Signale gegeben werden, wenn es angebracht ist zu weinen. Oft genügt es, einen anderen, mit dem man sich identifiziert hat, weinen zu sehen. Das ist eigentlich auch ein Paradox, man nennt es allerdings „Empathie“ (und versetzt sich ins Innere des Anderen, also in dessen Innen- und Introperspektive).

Angenommen: Ich sehe, dass Sarah Connor mit den Tränen kämpft, und beginne selbst mit den Tränen zu kämpfen. Dann sehe ich Anzeichen, dass sie Wert darauf legt, dass wir es bemerken; sie bittet vielleicht ausdrücklich darum, dass man ihr die Tränen verzeihen möge, es sei ihr peinlich. Sie kann nicht mehr sprechen. Oder tut so. Als ob. Und nun wird mir diese Hervorhebung immer peinlicher, man nennt es fremdschämen usw.  – ein circulus vitiosus. Beethoven riskiert, dass seine grüblerische Frage „Muss es sein?“ am Anfang des Streichquartetts op.135 umkippt ins Komische, wenn vielmals und immer wieder die Antwort kommt: „Es muss sein, es muss sein!“ – Ich muss leider auch an meine Mutter denken, die immer so leichthin vom „Reinmenschlichen“ sprach, auf das es allein ankomme…

Fiktion und Gefühle

Auch bei Dahlhaus (oben a.a.O. Seite 38) war von einem Paradox der Ausdruckskunst die Rede. Ist dasselbe gemeint wie bei Diderot? Ein paar Seiten weiter stoße ich auf Kant, von dem Dahlhaus sagt, seine Ästhetik sei nicht primär als Kunsttheorie zu begreifen. „Die Schönheit der Natur, nicht die der Kunst, ist das Phänomen, von dem die Kritik der Urteilskraft ausgeht; und die Übertragung der am Naturschönen entwickelten Kategorien auf Werke der Kunst gelingt nicht ohne Schwierigkeiten. [Achtung, jetzt geht es um mich!] ‚Begriffsloses‘ Hören einer Fuge krankt an Mängeln, die durch das Geschmacksurteil, das Stück Musik sei schön, nur ungenügend ausgeglichen werden.“ (Dahlhaus Seite 54 f – oben nicht wiedergegeben . Extra-Artikel?)

P.S. Dieser Artikel entstand am 15. Oktober, ich hatte ihn zurückgezogen und jetzt restituiert, weil er in mancher Hinsicht doch „passt“.

Um alles in einer größeren Zusammenhang zu stellen: siehe dort, wo es im Warburg-Artikel auftaucht, Erster Zugang, dort Erhard Schüttpelz in Episode 1, Film ab 12:14 über Pathosformel, über Leidenschaften, aber technisch: „Si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi“, siehe Dahlhaus Ästhetik S.36 hier. Der lateinische Satz stammt von Horaz „Ars poetica“ V.102.

(Ich hatte diesen Artikel vom 16. Oktober zwischenzeitlich in den Papierkorb befördert  – weil ich Skrupel bekam – und habe ihn jetzt wieder hervorgeholt, wegen Philipp Emanuel Bach, nicht wegen Sarah Connor…)

Skala, Modus, Makam, Raga

Was man aus Indien hört (in Vorbereitung)

„We have tried to illustrate how a combination of an Indian Raga and Turkish Maqam sounds together.“ (Fatih Zent 7.7.2020)

Über Moumita Mitra HIER , daraus die folgende Info:

Dank an Manfred Bartmann für den Hinweis!

Das Grundsätzliche zu den Begriffen Skala, Modus, Makam und Raga ist schneller gesagt als verstanden. Zu den ersten Fakten, die man von einem indischen Musiker lernt, wenn man etwas über seine Kunst erfahren will, gehört: „A Raga is not a scale!“ Trotzdem ist es gut zuwissen, mit welchen Tonleiter(n) er umgeht, also: welches Material er verwendet, wenn man es in aufsteigender Reihe notieren wollte. Vom Grundton bis zur höheren Oktave oder darüber hinaus und zurück. Die Warnung kommt aber nicht von ohnfähr: bestimmte Tongruppen sind schon – geradezu von Natur aus – melodisch vorgefomt. Man sieht es selbst dem bloßen Material schon an: in eine Skala gefasst, bekommt man sie nur in absteigender Folge lückenlos, jedenfalls wenn es sich um Raga Shree handelt, wie im vorangehenden Beispiel. Sobald man ihn aber spielen oder singen will, gibt es von Ton zu Ton Gewichtungen, Formeln, Wendungen, Innehalten, Schleifen, Ornamente. Da sollte man nichts für Zufall halten, es gehört alles „zum Raga“. Das „was unser Gemüt färbt.“ Man kann sich auf die für unser Ohr ungewöhnlichen Tonfolgen vorbereiten, indem man diese „Material-Aufreihung“ singt, dabei bedenken, dass der Ton Fis identisch ist mit dem Ton Ges, und dass unterhalb des Tones C ein H folgen kann, und dass die Folge Des – H – As durchaus nicht „schwierig“ klingt, sondern eben wie Cis – H – Gis. Wenn ihnen das vertraut ist, versuchen Sie, die Töne der Sängerin im Notenbild dingfest zu machen. Eventuell ganz kleine Abschnitte, diese auch oft wiederholend. Den Grundton C (unten und oben) im Sinn behalten, mögen auch andere Töne momentan bedeutender erscheinen.

Vom Modus spricht man, wenn wir uns außerhalb des klassischen westlichen Systems befinden, das wir auch als Dur-Moll-System bezeichnen. Modi sind z.B. die alten Kirchentonarten, aus deren Skalen sich unsere Dur- und Moll-Tonarten herauskristallisiert haben. Weiteres darüber hier. Als Modi sind auch die Tonarten des Orients aufzufassen, im indischen Sprachraum Raga, im arabisch-türkischen Sprachraum Makam bzw. Maqam (Betonung auf der zweiten Silbe), im iranischen der Dastgah. Im Raga spielt der Rahmen der Oktave eine wesentliche Rolle, nebst vorgeprägten Tonverbindungen und Ornamenten, in den makam-ähnlichen Modi der Quartraum (Tetrachord), vergleichbar der Aufteilung unserer Dur-Tonleiter etwa in die aufsteigenden Abschnitte C – F und G – C.  In den makam-ähnlichen Modi beginnt die melodische Darstellung (fast) immer im Quart- (oder Terz-) Rahmen, nebst melodisch vorgeprägten Formeln oder „Zügen“.

Website hier

*     *     *

Zugabe

Heute entdeckt: Ein „Schnellkurs“ in indischer Philosophie (Bhagavadgita) von Michel Hulin HIER

Andere Zugabe zum Raga Ahir Bhairav mit Moumita Mitra (?betr. Maqam Hijaz?)

Dank wiederum an Manfred Barthmann!

Unvergessenes Nachschlagewerk von Joep Bor, Suvarnalata Rao, Wim van der Meer, Jane Harvey / Nimbus Rotterdam Conservatory of Music 1999

Was ist Musik?

Vorläufige Notizen zu Fernsehsendungen (keine Rezension)

1) scobel – Die Macht der Musik

Musik ist tief in der Evolutionsgeschichte der Menschheit verankert. Das Geheimnis der Rhythmen und Melodien beschäftigt nicht nur Forschende aus Neuro- und Musikwissenschaften.

Hier

Der Film, auf den Scobel gleich zu Anfang rückverweist ist der hier im Artikel als zweiter verlinkte. Ab 1:06 die Aufreihung der Inhalte: Musik als elementarer Bestandteil der menschlichen Kultur. Ihre Kraft: begleitet uns durchs Leben von Geburt bis Tod. Überwindet ethnische Grenzen. Wer ein Instrument spielt, lernt sich zu konzentrieren, zu improvisieren, im Team, allein oder in einer großen Gemeinschaft. Musik beeinflusst unsere kognitiven und sozialen Fähigkeiten, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. Hat eine gewaltige positive gemeinschaftsfördernde Kraft. Kann aber auch für zerstörerischen Zwecke missbraucht werden. Als politisches Instrument, als Foltermethode. Wie wird sich Musikpartizipation in Zukunft verändern? KI-Modelle sind in der Lage, im Stil bestimmter Komponisten neue Musik zu kreieren. Bericht Ramona Sirch. Brauchen wir noch Musiker aus Fleisch u Blut? Ab 3:06 Gäste: Melanie Wald-Fuhrmann, Eckart Altenmüller, Till Brönner (über die dramatische aktuelle Lage) bis 7:16, dann M W-F., E.A. ab 9:18 (Präsenzunterricht etc), Wirkung von Musik auf Gehirn: ab 11:23 Stefan Kölsch: „Good Vibrations“ Evolutionsforschung zu Musik u Sprache, Experiment Musik im Film, Wirkung von Musik: durch 4 Affektsysteme: 1 das Vitalisierungssystem im Hirnstamm, 2 im Zwischenhirn: Schmerz- und Belohnungszentrum, Dopaminausschüttung, Gehirne von Musikern jünger als dem biologischen Alter entsprechend,14:40, 3 Glücksystem im Hippocampus, entstehen bindungsbezogene Emotionen, mit andern, gemeinsames… Musik wird in Glück u Freude umgewandelt, 4 das Unterbewusste, wo Intuitionen entstehen, auch das Immunsystem stärkende, auch irrationale Ängste, positive Effekte nach Erkrankungen. Rätselhaft, dass Musik so universal wahrgenommen wird. Stimme, Kölsch dazu,15:50, Musiktherapie, aber keine Pille, individuelle Prägung, Hassmusik? Melancholie u Musik: das Sich-draufeinlassen ist eine Form der Verarbeitung (Melanie Wald-Fuhrmann) 18:30 Was wissen wir neurophysiologisch Neues? Altenmüller ab 18:35 Gehirne von Musiker/innen unterscheiden sich, Netzwerke größer, weil sie beansprucht werden, klar, aber wie individuell? Jedes Musikergehirn anders! Jazzmusiker anders als Klassiker! Frauen anders: individualistischer ausgeprägt. 20:20. Östrogen oder Testosteron, Gehirnkorrelate…Heute bessere Methoden als vor 15 Jahren. 21:00 an Brönner: Trompete, Lippen, Stimmung: viel Erfahrung mit Aufregung (Adrenalin), keine Belächelung, Trompete mit Sprache? 23:25 „Klang findet im Kopf statt“ SPRACHE Wald-Fuhrmann: unterschiedliche Konzepte versch. Kulturen, Ursprungsmythen, „bei Kindern ist das, was wir Sprache u Musik nennen, noch nicht getrennt“. Erwachsene singen mehr beim Sprechen mit Kindern. Genetisch. Nur scheinbar distinkte Kategorien. Bei Kindern Sprachstörungen mit Musik behandeln? 25:00 E.A. Auditive Mustererkennung, musikalische Gestalten besser klassifizieren können, b und p, t und d, Aufmerksamkeitslenkung. „Olivo-kochleäres Bündel“ = Nervenbahn, die vom Gehirn aus das Innenohr angesteuert, Haarzellen für bestimmte Klänge, Kinder musikalisch therapieren, 27:07. W.-F.: „Es ist nicht die Musik mit ihrer Wundermacht, sondern ein spezifisches Element, was zu diesen Effekten führt… und drumrum ist dann eben noch Musik. Wahrscheinlich machts den Kindern auch noch Spaß…“ 27:30 Religion und Musik – dieselben Wurzeln? Zugang zu einer Wirklichkeit, die wir nicht sehen können. – Gemeinschaft – SINGEN. 28:00 unerklärliche Wirkungen – Knochenflöte 40.000 Jahre alt. Der Homo Sapiens musizierte. Musik muss also evolutionär bedeutsam sein! Für eine bessere Kooperation, für stärkeren Zusammenhalt, fördert die Gesundheit, reguliert Emotionen und kann Konflikte mindern. Weltweit eine Vielzahl musikalischer Systeme. Ziel ist der Aufbau von gemeinschaftlichen Beziehungen. Ist Musik also eine universelle Sprache, über die sich die Menschen weltweit verstehen? Feldstudien in Nord-Kamerun. Thomas Fritz (über Universalien siehe hier) 29:25 bei den Mafas mit Klavierstücken (!). Universalsprache. Aber auch kritische Stimmen, die eher das betonen, was trennt. Melanie Wald-Fuhrmann will mit Klischees aufräumen. Wird Musik missbraucht, lassen sich die positiven Merkmale ins Gegenteil verkehren, machen Menschen unter bestimmten Bedingungen sogar krank. 32:00 Es wäre natürlich schön, aber es stimmt einfach nicht. 18. Jahrhundert, und immer an europäischer Musik nachgewiesen, die übliche Argumentation. Kritisch auf T.Fritz bezogen. Kolonialismus. Fröhlich u traurig wird verwechselt. Es gibt z.B. kein Moll in Kamerun. „Musik ist eine Sprache, die wir genau so lernen müssen wie eine Wortsprache“. 35:20 „Das heißt jetzt nicht, dass nicht Menschen über Länder und Kulturen hinweg erfolgreich miteinander musizieren können, also beim Musizieren in der Form der Interaktion, da scheint mir vieles eher möglich zu sein. Aber Musik verstehen in ihrer Bedeutung, das funktioniert nicht.“ Scobel-These, dass Jazz alle Stile miteinander verbindet. Alles möglich. Ideologie? Brönner: Viel unterwegs gewesen. Musik ist in erster Linie eine Haltung, eine Bereitschaft, nicht abhängig von einer Sprache, die wir vorher im Labor, über einen Lehrer oder ein Lexikon lernen müssen. Instrumente! Ähnliche Ausbildung überall. Funktion des Jazz immer eine verbindende. Scobel: universale Grammatik? Esperanto? Wo alle sich irgendwie einklinken können. Altenmüller: Widerspruch! In Musik Häufigkeitsabfolgen, Kadenzschemata, das ist ja eben gelernt. Es ist nicht, wie z.B. Chomsky sagt, dass wir feste Strukturen im Gehirn haben, diese hochkomplexen Verknüpfungen zwischen den Anteilen der verschiedenen Elemente in der Sprache, das haben wir in der Musik sicher nicht. Aber es gibt schon universale Anteile in vielen musikalischen Werken, die Affektsprache, wie Seufzen, Lachen, Stöhnen, was ja schon lange vor der Erfindung der Sprache da war, wir hatten mal einen Forschungsbereich: „the evolution of emotion and communication in animal and man“ – was können Tiere und Menschen in gleichem Maße kommunizieren? seufzen, knurren (drohen), als Affektgestaltung. Also auch Barockmusik, Renaissancemusik… Scobel: heute Filmmusik. Töne für Angst, der weiße Hai. In gewisser Weise universell, aber: aus dem Brotkorb der Universalienen einige Universalien herausgepickt und die dann künstlerisch gestaltet. 40:15 Wald-Fuhrmann über indische (arabische) Gesangsästhetik („supertraurig“), Scobel an Brönner: China-Oper u über arabische Vierteltonabweichungen, Ibrahim Mallouf, Jazzfestival in den Emiraten schwierig, – Japaner kennen fast jedes Volkslied aus Deutschland – 42:20 Globalisierung  Vielfalt gleichzeitig existierender Formen Musikbeispiel beginnend mit Lohengrin, „Musik ist Sprache der Leidenschaft“, Streaming Spotify, Lukas Linek, Künstliche Intelligenz, Juke Box Mix, 45:00 Beethovens 10. Sinfonie mit KI vollendet, klingt (demnach) vielversprechend – was übrigens Quatsch ist (JR). Matthias Röder: „eine neue Tür geöffnet“. Augmented Reality… Online-Spiele-Welt… Henrik Opperman 3D-Audio-Spezialist, 48:00 „sich aus der Sitzposition im Publikum befreien“, Bericht: Ralph Benz, Scobel: „wenn Musik rel. schematisch ist, kontrapunktisch, kann ich mir vorstellen, dass ne KI das macht…“ Wald-Fuhrmann: „da verspricht man mehr, als man halten kann“ – „hinterm Kunstwerk steht ein Mensch, der ein Problem lösen will oder der etwas kommunizieren will darüber hinaus – und eine KI hat keine Probleme und will mir nichts sagen, also warum…“ – Musikrezeption Musiker verdienen überhaupt nichts durch Streaming Dienste – Till Brönner über Spotify u.a. … nicht adäquat bezahlt. Es muss eine Vergütung gemäß den Abrufen geben! Altenmüller zur 10. Sinf. Beethoven KI-Komposition:. „schrecklich. Ich fand die stink-langweilig! „Kunst muss irritieren, muss Regeln brechen, KI kann nur Regeln erfüllen!“ 54:30 (!!) Scobel: „Der nächste Schritt ist natürlich: untersuchen, wann ich denn als erfahrener Musikhörer/in jetzt einen Bruch erwarte, statistisch, nach wieviel Minuten muss der kommen, die Melodie irgendwie transponiert werden oder was auch immer, und das baue ich dann in meine KI ein“. Altenmüller: Nehmen Sie den einfachsten Bach-Choral – Bach verletzt die Regeln! … nicht vorhersagbar! Und das ist der Punkt: dass Sie nämlich im richtigen Moment Nicht-Vorhersagbares produzieren… (Brönner nickt)  Scobel nochmal zu 3D im Wohnzimmer… Brönner: früher: das einzige, was nicht bestechlich war: der Arsch auf der Bühne. Der eigene nämlich. In Pandemie-Zeiten ist das offenbar anders. Und die Menschen konsumieren weiter Musik… Ende bei 57:00

https://idw-online.de/de/news752530 (Frühgeborene Kinder: Musiktherapie fördert die Gehirnentwicklung Nathalie Plüss) hier

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2 Die Kraft der Klänge – Musik als Medizin

HIER

https://amiamusica.ch/author/friederike/ (Haslbeck) hier

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3 Die Kraft der Musik

HIER

Planet Wissen 25.04.2017 58:29 Min.  UT Verfügbar bis 25.04.2022 WDR

Sie rührt zu Tränen, tröstet und weckt Erinnerungen: „Musik ist das Faszinierendste, was die Menschheit je hervorgebracht hat“, sagt der Musikneurologe Stefan Koelsch.

[ https://www1.wdr.de/mediathek/video-die-kraft-der-musik-100.html hier ]

https://www.tu-chemnitz.de/tu/pressestelle/aktuell/7704 hier

https://en.wikipedia.org/wiki/Glenn_Schellenberg hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Urs_Nater hier

https://klinische-gesundheit-psy.univie.ac.at/ueber-uns/urs-nater/ hier

https://www.planet-wissen.de/kultur/musik/index.html hier (darin: „Macht der Musik“)

https://www.mdr.de/wissen/warum-gemeinsames-singen-gluecklich-macht-100.html hier

https://www.buecher.de/shop/musikpsychologie/warum-singen-gluecklich-macht/kreutz-gunter/products_products/detail/prod_id/40838219/ hier

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Und von all diesen Sendungen abgesehen: was ist denn nun eigentlich MUSIK?

Ich würde noch einmal bei Schopenhauer beginnen. Es geht zunächst einmal um den „Willen“ als Kern der Sache. Aber nicht ohne fremde Hilfe, – es gibt ja hervorragende Interpretationen, die einem helfen, den Philosophen nicht misszuverstehen. Neuerdings sah ich eine plausible Einführung bei Andreas Luckner:

Das Phänomen, dass die Musik zu uns spricht, dass sich in ihr etwas uns mitteilt, was wir zudem in größter Klarheit verstehen könnten, was sich aber eben
nicht in Worte fassen lässt, war für den schon zitierten Schopenhauer Grund,
in seiner Metaphysik der Musik zu behaupten, dass wir mit der Musik einen
direkten Zugang zur Welt besäßen, wie sie »an sich« ist, also jenseits unserer
Vorstellungen bzw. Repräsentationen von ihr. Bekanntlich nannte Schopenhauer das, was die Welt an sich, in ihrem Innersten, ausmacht, »Wille«. Dies
hat viele Irrtümer produziert; bei »Wille« handelt es sich zunächst einmal um
einen Namen für das, von dem wir aus notwendigen Gründen keinen Grund
mehr angeben können, weil es als der Grund von allem gedacht werden muss,
ein Name des Absoluten also (Anmerkung). Das Absolute, der Grund von allem, den Willen darf man sich natürlich nicht als einen Gegenstand vorstellen, man kann
und sollte das Absolute eben überhaupt nicht vorstellen, weil eine jede Vorstellung schon in diesem Absoluten gründet.

Die Anmerkung dazu:

Wir können hier freilich nicht in Tiefen und Untiefen der Schopenhauer’schen Willensmetaphysik einsteigen, nur so viel: Die Welt als Vorstellung, also im Prinzip alles das, was wir von ihr systematisch wissen können, steht nicht für sich, sondern hat einen Sitz im Leben, von dem aus diese Welt als Vorstellung zuallererst ihren Sinn bezieht. Dieses Leben, das »An sich« der Welt, ist uns an einer Stelle zugänglich, wo wir nicht nur eine vermittelte Vorstellung von einem Weltgegenstand haben, sondern selbst dieser Gegenstand (und dann eben nicht mehr als Gegenstand, sondern als Subjekt) sind: unsere leibliche Existenz. Unsere jeweils eigene leibliche Existenz können wir gleichsam von zwei Seiten erfahren: einerseits vergegenständlicht als Weltding in der Vorstellung bzw. Repräsentation des Körpers, andererseits als gefühlter Leib, sozusagen »von innen«.
Daher kommt es, dass Schopenhauer die Welt, wie sie jenseits oder vor jeder Vorstellung ist, »Willen« nennt. Dies ist nicht der Wille im Sinne einer Intention qua Gerichtetheit auf einen Zweck; denn insofern Zwecke schon identifizierte (und gewünschte sowie für realisierbar erachtete) Sachverhalte sind, handelt es sich hierbei schon um Vorstellungen. Der »Wille« darf also nicht mit dem Willen in der Vorstellungswelt verwechselt werden; was Schopenhauer mit »Wille« meint, ist vielmehr ein ungerichteter, intentionsloser, blinder Lebensdrang, eine Art vitales Energiefeld, die Quelle möglicher Bewegung. »Wille« ist aber hier genauso der Name des Absoluten wie in anderen Philosophien »das Sein« oder »die Lebensform«.

Ich überspringe einiges im Text, um auf das zu kommen, was mich überhaupt WAS IST MUSIK fragen lässt, z.B. dort, wo niemand mich auf irgendwelche Emotionen verweisen kann. Sagen wir in einer Bach-Fuge, die ich durchaus mit der Emotion „Begeisterung“ spiele, ohne dies als Argument anführen zu wollen… (sie bedeutet etwas – aber was???).

Musik als »Sprache der Gefühle« darf also nicht in dem Sinne verstanden
werden, dass Musik Gefühle darstellen würde, so dass der Inhalt der Musik
Gefühle seien. Das ist offensichtlich nicht der Fall, denn es gibt unzählige Beispiele hochstehender Musik, die mit bestimmten »Gefühlen« gar nicht in
Zusammenhang zu bringen ist, nehmen wir etwa eine Fuge von Bach oder ein
serielles Stück des frühen Stockhausen. In solchen Stücken stellt die Musik
nichts dar außer sich selbst. Ihr Inhalt ist nichts anderes als die Form, freilich
die tönend-bewegte Form, wie Eduard Hanslick gegen die Gefühlsästhetiker
und Programmmusiker seiner Zeit völlig zu Recht einwandte, d.h. die sich
immer erst bildende Form. Wer den Inhalt einer Musik jemandem darstellen
wollte, müsste ihm die Musik vorspielen. Komponieren ist daher auch nicht
die Übersetzung eines Stoffs in Töne; vielmehr sind die Töne selbst die »unübersetzbare Ursprache«.

Quelle Andreas Luckner: Musik – Sprache – Rhythmus / Bemerkungen zu Grundfragen der Musikphilosophie / in: Musik-Konzepte Sonderband Musikphilosophie 2007 ISBN 978-3-88377-889-1 (Zitate Seite 38f)

Zur Erinnerung: das ist noch lange nicht alles. Zu reden wäre – scheinbar im Widerspruch – auch davon, dass wir Musik eigentlich immer „als spezial bedeutsame Präsenz einer anderen Person hören“ , die eine „virtuelle Person“ ist.  Und damit zitiere ich aus der Arbeit eines anderen Musikphilosophen, der wiederum an andere Philosophen oder Psychologen anknüpft, und da kann ich die Emotionen nicht ausklammern:

Musikalische Gesten werden wie Gesten der Körpersprache als Verkörperung affektiver, emotionaler und kognitiver Inhalte (etwa in Bezug auf soziale Zugehörigkeitsformen) verstanden. Im Falle eines kontemplativen Zuhörens ist diese Interaktion normalerweise offline: Sie ist imaginär und interpretativ. Da Zuhörer jedoch emotional auf Handlungen und Emotionen reagieren, die durch Musik akustisch dargestellt werden, ist das Musikhören eine Ausübung von Geselligkeit, etwa eine Simulation unserer Sozialisierungsfähigkeit. Die dynamischen Eigenschaften von Musik spezifizieren Prozesse, die wir normalerweise Lebewesen zuschreiben, mit denen wir interagieren. Es ist also plausibel, dass wir Musik als expressiv und bedeutungsvoll hören, wenn wir in der Dynamik der Musik persönliche Merkmale erkennen, d.h. wenn wir Musik als akustisches Zeigen von Lebewesen hören, die sich bewegen, handeln, interagieren, sich ausdrücken und sowohl miteinander als auch mit den Zuhörern kommunizieren.

Quelle Allessandro Bertinetto: Musikalische Bedeutung / Eine pragmatische Perspektive / in: Musik & Ästhetik Heft 99 Juli 2021 Klett-Cotta Stuttgart (Zitat Seite 29f)

Nachwort (noch einmal zu Schopenhauers „Wille“, jedoch nach Dahlhaus)

Quelle Carl Dahlhaus: Musikästhetik / Musikverlag Hans Gerig Köln 1967

Zu Universalien der Musikwahrnehmung etwas Grundlegendes in Wikipedia HIER

Vorschau

Noch etwas für den Merkzettel, herausgegriffen aus dem obigen Wiki-Artikel:

  1. Frühkindliche Einflüsse. Um Sprache verstehen zu können, muss ein Kleinkind lernen, die Fülle von Nervenimpulsen, die das Innenohr und die dahinter liegenden Gehirnareale liefern, zu analysieren, um auf diese Weise die Muster von sprachrelevanten Lauten zu erkennen. Die dazu gelernten Analysetechniken bilden die Grundlage des Hörens und werden für die Musikwahrnehmung genutzt. Einige grundlegende Sprachkomponenten werden von den meisten Kulturen verwendet (stimmhafte und stimmlose Laute, Tonhöhen- und Lautstärkeveränderungen), sodass einige Grundzüge des Hörens sicherlich kulturübergreifend sind. Kulturelle Unterschiede kann es in Details geben.
  2. Erkennendes Hören. Später werden Hörerfahrungen gesammelt, die zur Einordnung und Bewertung des Gehörten dienen. Dazu zählen z. B. die Herausbildung des persönlichen Geschmacks oder die Verknüpfung von Hörereignissen mit persönlichen Erfahrungen. Diese Einflüsse sind hochgradig individuell, bestenfalls noch gruppenspezifisch. Die dadurch geprägten Wahrnehmungen können nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden. Individuen-übergreifende Aussagen lassen sich in diesem Bereich nur über statistische Verfahren erzielen. Für allgemeingültige Aussagen müssten möglichst heterogene Gruppen befragt werden.

Als „universell“ können nur die Aussagen gelten, die in physikalischen Gegebenheiten, der menschlichen Anatomie, grundlegenden Signalverarbeitungmethoden des menschlichen Gehörs/Gehirns, sowie gruppen- und kulturübergreifenden Aspekten begründet sind.

(Quelle: Wikipedia)

Unbehagen & Tagesgeschehen

Zuckerkandl

Die Ausgangslage

Wohltemperiertes Klavier I BWV 863 Quelle Victor Zuckerkandl: Vom musikalischen Denken / Begegnung von Ton und Wort / Rhein-Verlag Zürich 1964 / Zuletzt studiert 2006/2007

Die Lage des Tages 25. Juni 2021

Im Tageblatt über Beuys (sein Lob auf Lehmbruck) gelesen: größtes Unbehagen. Wieder einmal scheint mir alles verdächtig, was nach wohlfeiler Esoterik riecht. Zufall: auch Zuckerkandl lag wieder auf dem Tisch, den ich als unverdächtig und inspirierend in Erinnerung habe. Das Bach-Praeludium BWV 863 habe ich am Klavier (d.h. nicht nur auf dem Papier) wiederholt und kann es „besser denn je“.  Über dem vor Jahren (nach Bergner) in der Studienpartitur analysierten Stück steht mein Hinweis von damals, der nun diesen (voraussichtlich – unfreiwillig –  kritischen) Artikel auf den Weg bringt. Doch zunächst das aktuelle Motiv:

Quelle Solinger Tageblatt 25. Juni 21 Seite 7 „Der Mann, der Beuys zum Künstler machte“ von Christoph Driessen

„Steiner war das große Idol von Beuys“ (was einen nur skeptisch stimmen kann), er führte „die Katastrophe des Ersten Weltkrieges darauf zurück, dass man der Kultur zu wenig Raum gegeben habe.“ (Schwachsinn: die größten Künstler waren mit Begeisterung gerade in diesen Krieg gezogen). Die Rede vom „Innenton, den jede Skulptur in sich trägt“, ist metaphorisches Gesäusel. Und die dauffolgenden Worte von der Synästhesie sind keine Erklärung, sondern ebenfalls Gesäusel, „vor allem ganz intuitiv und emotional“. Die Begabung der Synästhesie ist ebensowenig eine künstlerische Auszeichnung wie etwa das absolute Gehör, erst recht kein Kriterium für Urteilskraft.

Motivation gis-moll Mitte Juni

Mein ältestes Buch zum WTK wirkt zuweilen immer noch „verstärkend“ (Hermann Keller Bärenreiter 1963 Seite 94):

Das Präludium ist, ebenso wie das nächstfolgende, eine dreistimmige Invention, die erste im W.Kl. Was das Wesen einer Invention ausmacht, nämlich die Durchführung eines Themas (einer „inventio“) ohne Dazutritt weiterer Motive oder Themen , das ist hier in beispielhafter Weise erfüllt. Das Thema ist ein charakteristisches aus Sechzehnteln und Achteln gebildetes Taktmotiv. Es wird im Sopran aufgestellt, vom Baß nachgeahmt, dann mit seiner ersten Hälfte im Sopran sequenzmäßig weitergeführt und leicht umgebildet (T. 3/4). Dann wiederholt sich das Spiel zwischen Alt und Baß (T. 3/4), so daß damit alle drei Kombinationen ausgeschöpft sind. In Takt 10 tritt das Thema in der Umkehrung auf, in T. 14 schließt der erste Teil.

Das ist interessant, in meiner Partitur habe ich das übersehen (s.o.), ich war (mit Christoph Bergner) anderer Meinung, weil der Triller als Abschluss doch ziemlich viel Gewicht hat. Ich vermute allerdings, dass ich damals z.B. die Umkehrung in Takt 10 noch nicht erkannt habe, zumal sie Bach durch Überbindung des AIS bewusst versteckt hat. Dafür habe ich etwas anderes entdeckt, das mich an meinen älteren Bruder erinnert hat: ein Motiv, das sich nicht als bloße Abwandlung erklärt, sondern als „Wink“, der … ja was? es ist ein abfallender Dreiklang oder nur ein Quintfall, der durch einen vorhergehenden Zeitlupentriller auffälliger wird: Übergang Takt 6/7 und Übergang 7/8. Es ist lediglich eine Mikroassoziation, der ich aber aus familiärer Sentimentalität Raum gebe: Mein Bruder „musste“ damals nach den zweistimmigen Inventionen mit den Bachschen Sinfonien anfangen und schimpfte beim Üben über die vertrackte Dreistimmigkeit, bis er sich in diese eine Stelle verliebte und mich drauf aufmerksam machte, indem er sie gefühlvoll mitsang, – er war stolz auf seine Entdeckung! Für mich schlägt die Stelle bis heute eine anachronistische Brücke zu Mozarts wunderbarem Cantabile-Thema des zweiten Satzes der „Sonata facile“, die wir natürlich längst gespielt hatten, – obwohl sie keinem von uns „facile“ vorkam, wohlwissend, dass sie genau so klingen sollte: und nicht nur „facile“, sondern auch „semplice“.

das grüne Motiv

Was das Praeludium angeht, fährt Keller a.a.O. fort: „Der Spieler erinnere sich, daß für Bach der Hauptzweck der Inventionen war, eine cantable Art im Spielen zu erlangen. So erfordert dieses anmutig alle starken Akzente vermeidende Stück doch einen kantablen, alle Stimmen beseelenden Vortrag, dessen Voraussetzung wiederum eine ruhig gehendes Zeitmaß mit Achteln als Zählzeit ist.“

Hinsichtlich der Form, dem dynamischen Aufbau des Ganzen, wäre für mich allerdings wesentlich, dass neben dem kantablen Fluss auch in diesem Stück – wie schon in der vorhergehenden Fuge angemerkt – ein Höhepunkt vor der Coda herausragt (ohne dass man ihn besonders hervorhebt): Takt 24. Gern sehe ich darin eine Vorahnung der resoluten Tonrepetition im Ausgang des nachfolgenden Fugenthemas, – eigentlich ein Problem für die unauffällige Verzahnung der Stimmen. Oder gerade ein willkommenes Strukturmerkmal? – Der Alltag schafft eigene Kontrapunkte, und so begleiteten mich diese Überlegungen und Motivrelikte zum Zahnarzttermin, der wiederum eine kleine Reise nach Remscheid heraufbeschwor.

Homunkulus und Dentaltechnik (Erinnerung an vorgestern)

SG: Remscheid: Von hier aus kann man den Kölner Dom sehen, wenn das Wetter es zulässt.

Analyse

Eine Million Zahnformen – Leibniz exemplifizierte seine Monaden an Blattformen.

… geniale Apparaturen, mit und ohne Menschen funktionierend, sympathische junge Leute aus Aleppo, Bagdad, aus dem Iran, der Türkei, Argentinien, das Digitale verbindet sie alle. Für mich spielte an Remscheids Eingang wie vor 40 Jahren (Jugend musiziert) das elektronisch ausgelöste Blitzlicht eine Rolle, S-Kurve, Tempo 30, jäher Schreck, Protokoll folgt. Ich bin aus der Zeit gefallen, ein Restbestand. Alles nur für einen streng analogen Zahnfarbenabgleich, als sei ich der Mann der Zukunft. Ich werde sorgenfrei lächeln können. Ausfahrt in Richtung SG mit präzisen 30 km/h, – leichter Druck im linken Unterkiefer, fast ohne Schmerz, grundlos glücklich.

Rückfahrt nach SG, wachsendes Unbehagen, Gedanken über Automatisierung kreisen unabweisbar weiter, künstliche Intelligenz, soviel Feintechnik für die Funktion unserer Kauwerkzeuge, Ästhetik der Formen und Farben ins Unendliche aufgefächert, reduziert auf Homunkulus in Faust II, über die unzureichenden Mittel des bloßen Geistes, über den Film „Ich bin dein Mensch“. Ein Roboter. Darin „steckt eine jahrtausendealte Diskussion um Menschlichkeit und Künstlichkeit, um Natur und Kunst, um den menschenbildenden Prometheus und die technischen Raffinessen des Mängelwesens Mensch. (…) Und so wie für Alma ein Roboter zum Menschen wird, so wird uns der Film mit all seinen doch nur vorgespielten Gefühlen und Gedanken zur täuschend echten Gegenwart. Diese traurige, ernste Komödie ist ein Fest der Kunst und der Künstlichkeit, und manchmal fällt ja beides in eins.“ (Adam Soboczynski in DIE ZEIT „Tänzchen mit Frankenstein“ 24.6.21 Seite 55)

Zur Musik

Ich mag den Anfang des Bach-Praeludiums nicht so groß sehen, wie es Zuckerkandl nahelegt, ausgehend von einem melodischen „Urphänomen“, den ersten drei Tönen der Oberstimme. Ein Einfall? … auf den die Arbeit folgt. Und dann die Relativierung (S.115 vorletzte Zeile):

Eine solche Überleitung, Verlegung des Schwerpunktes der Tonbewegung von einem Klang zum anderen, ist eine simple Aufgabe, die nach den Regeln der Kunst durchzuführen ein Kompositionsschüler im zweiten Studienjahr fähig sein muß.

Das galt für mich, seit ich das Stück kennenlernte, ich wollte es nie üben, – zu simpel, der Wechsel zum verminderten Septakkord und das schwächliche Zurückgleiten in der zweiten Takthälfte. Kein Wunder, dass der kleine Reuter bei „Jugend musiziert“ gedächtnismäßig versagte und sich die Noten holen musste: es sind keine Artikulationen, die sich ins Hirn eingraben. Es ist ein Schema; jeder kann es benutzen, ein leichtes Unbehagen auch hier:

Es ist die gleiche Polarität (A), die das Thema der „Kunst der Fuge“ prägt, oder das komplexere „Thema regium“. Erst in Bachs jeweiliger Metamorphose lädt es sich auf. Es steht nicht, wie ein anderes Praeludium, etwa das in cis, mit der ersten Geste groß vor uns, aber jenes, mit verdoppelten Proportionen (2+2 statt 1+1), fährt ganz ähnlich fort mit einem Sequenzgang, nur gesteigert, groß und pathetisch ausholend ab Takt 5, unvergesslich:

cis-moll BWV 849

Wie erwähnt, folge ich bei der oben in die Noten eingezeichneten Gliederung – wie so oft – den hervorragenden „Studien zur Form der Präludien“ etc. von Christoph Bergner (Hänssler 1986). Alfred Dürr (Bärenreiter 1998 Seite 196f) hat eine ganz andere Skizze zum Formverlauf gegeben, die ich vielleicht ein andermal diskutieren möchte, was aber letztlich nicht weiterführt. Es geht nicht nur um die Frage, ob Takt 13 das Ende eines Formteils darstellt (Indiz: der eindeutig abschließende Triller) oder den Anfang eines neuen (Indiz: Themeneinsatz im Bass, dem der Sopraneinsatz Takt 14 nur folgt). Davor und danach spielt die Umkehrung des Motivs eine Rolle…

Man soll die Idee der Symmetrie, die mit Hilfe des verminderten Sextakkords und der Technik der Umkehrung entsteht, nicht strapazieren. Als Warnung und Anreiz zugleich gebe ich die folgenden Seiten wieder:

1

2

Quelle 1Hanns Heinrich Eggebrecht: Bachs Kunst der Fuge / Serie Piper 1984 / 2 Walter Kolneder: Die Kunst der Fuge Mythen des 20. Jahrhunderts Bd.I Heinrichshofen 1972

(Fortsetzung folgt)

Wozu Musikwissenschaft?

Ein erster Hinweis

Ein weiteres Beispiel:

MGG Online

(Dank an Gisa Jähnichen über fb!)

Was und wozu Musikwissenschaft gut ist? Man verschafft sich einen schnellen Überblick mit Hilfe des Wikipedia-Artikels, der in etwa dem Artikel des MGG-Lexikons (1997) im Sachteil Band 6 entspricht: HIER (Wikipedia).

Bemerkenswert ebenso im MGG-Artikel die Rolle der Musikethnologie und auch die Bewertung der Musikrezeption, die heute besonders im Bezug auf die Repräsentation der Musiksparten in den Öffentlich-Rechtlichen Medien zu relativieren ist. (Meine private Einschätzung, kein weiteres Wort, JR).

Interessant der im folgenden Scan enthaltene kritische Satz:

Die Historische Musikwissenschaft wies aber auch den Anspruch der Musikethnologie zurück, in ihrer soziologischen und anthropologischen Ausrichtung grundlegend auch für die Historische Musikwissenschaft zu sein. Was für Musikkulturen ohne Schrift und Theorie von zentraler Bedeutung sei, würde dem notierten Werk, dem primären Gegenstand der abendländischen Kunstmusik, nur sehr bedingt gerecht.

Autor: Heinz von Loesch

Ebenso das folgende Zitat:

Zurückgewiesen hat die Historische Musikwissenschaft auch den Anspruch der Systematischen Musikwissenschaft, mit dem statistischen Verfahren der Hörerbefragung – der empirischen Rezeptionsforschung – über die einzige einem heutigen Wissenschaftsverständnis genügende Methode der Werkbetrachtung zu verfügen, während die Historische Musikwissenschaft in einer dogmatischen Sicht auf den notierten Text befangen sei. Nach Ansicht der Historischen Musikwissenschaft ist vielmehr die statistische Hörerbefragung in ihrer Reichweite begrenzt: Die oftmals geringe Vorbildung der Hörer, aber auch die zur Quantifizierung unabdingbare Vereinfachung der Fragestellungen reichten an das komplexe Phänomen Kunst nicht heran. Der Vorwurf des Dogmatismus wurde mit dem Reduktionismus pariert. Musiksoziologie, -ästhetik und -theorie reklamiert die Historische Musikwissenschaft als Teilbereiche ihrer eigenen Disziplin. Carl Dahlhaus (1928-1989) stellte seiner Musikästhetik den provozierenden Satz voran: »Das System der Ästhetik ist ihre Geschichte« (K.1967; ³1976, S.10).

In der Kölner Originalausgabe (1967) – einem meiner studiertesten Lesefrüchtchen aus der Musikwissenschaft – steht der Satz noch nicht, – oder? Jetzt sehe ich ihn doch auf dem eingelegten Lesezeichen, das einmal zum Schutzumschlag gehörte; vielleicht ist er in der 3.Auflage als Motto an den Anfang der Schrift gewandert:

Carl Dahlhaus Musikästhetik (Köln 1967)

Die neue Nähe „von fremden Ländern und Menschen“!

Serien unerhörter Klangreisen

Zugabe (1 Minute live)

Was ist eine Kamancheh? Zum ersten Kennenlernen siehe hier.

Als Robert Schumann die wunderbare Einleitung seiner „Kinderszenen“ op.15 mit dem Titel versah „Von fremden Ländern und Menschen“, hat er wohl nur ein Gefühl unbestimmter Sehnsucht gemeint, ohne die Fremdheit wirklich musikalisch darstellen zu wollen. Hier haben wir nun Gelegenheit, die andere, fremde Seite der Musik aus eigenem Herzen reden zu hören, und das kann vielleicht ganz ähnliche Gefühle auslösen. Wenn der Künstler dabei die Erkundung seines Instrumentes in den Vordergrund stellt, tut er nichts anderes, wenn wir seine Worte recht verstehen: Er spricht von den Geheimnissen der iranischen Musik, von der verzweigten Theorie des Dastgah (Modus) und den Formen der Improvisation, die sich im Daramad einer Tontraube aus wenigen Tönen manifestiert. Äußerlich betrachtet, spricht er zwar von den Techniken seines Instrumentes, alten und jetzt von ihm neu erfundenen, aber, so hebt er hervor, „es versteht sich von selbst, dass [sie] nicht an sich das Ziel des Musizierens darstellen. Sie sind […] notwendige Mittel für die Entstehung neuer musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten.“ Und am Ende findet er sie „in einer unaussprechnlichen Sehnsucht nach etwas Unbekanntem […], das dennoch dem Künstler seelisch so nah ist. Er möchte diese unbekannte Nähe berühren.“ Misagh Joolaee : Unknown Nearness.

UNKNOWN NEARNESS

IDENTIGRATION

(und – eben angekommen: dieses Foto)

Post von Hans Mauritz aus Assuan

Zu dem Namen Parviz Meshkatian, der oben in der CD „Unknown Nearness“ in Tr.5 erscheint, kommen mir unauslöschliche Erinnerungen, die sich mit dem folgenden Link hier verbinden. Und in der Wiki-Biographie von P. Meshkatian taucht ein weiterer Name auf, der mich in meine Kölner Studienzeit bei Prof. Marius Schneider und Prof. Josef Kuckertz zurückversetzt; lebendige Gespräche und die ersten Begegnungen mit lebendiger iranischer Musik im WDR (Khatereh Parvaneh, Faramars Payvar, Hossein Tehrani,1972), eine Atmosphäre der Sympathie, die bis heute nachwirkt: Mohammad Taghi Massoudieh.

und darin folgendes Daramad:

Was für eine Gelegenheit, die Liebe zur iranischen Musik nun auch von der Verpflichtung zur universitären Theorie zu lösen und in neuen, intelligenten Erscheinungsformen wirklich zu genießen! Im bloßen Hören! Wobei ich keineswegs den Gebrauch der Notenschrift kritisieren möchte, der hier im Umgang mit einer vor allem mündlich und in realer Spielpraxis überlieferten „Musik des Orients“ wichtig wird. Es ist ein dialektischer Prozess (geworden).

    *    *    *    *    *

Der Begriff „Identigration“ ist ein Kunstwort, sicher kein besonders schönes, aber die Bestandteile Identität und Integration sind heute in aller Munde und geben Stoff für härteste Diskussionen. Hier  scheinen sie versöhnt; oder sie sind es sogar. Mit den Worten des Booklets:

Alle Musiktitel machen Mehrfachidentitäten hörbar und sind von Orchestermitgliedern maßgeschneidert komponiert bzw. arrangiert für die einmalige Besetzung von Instrumenten und Musiker*innen-Persönlichkeiten. Aufgrund ihrer unterschiedlichen musikalischen Ausbildung vermitteln die Orchestermitglieder europäische, arabische und persische Klassik sowie Jazz, Folklore und zeitgenössische Musik. Damit trägt das Bridge-Kammerorchester einen eigenen Beitrag zur Erweiterung.

Das Bridge-Kammerorchester entstand 2019 als Klangkörper der transkulturellen Frankfurter Musikinitiative Bridges – Musik verbindet, die seit 2016 Musiker*innen mit und ohne Flucht- und Migrationsgeschichte zusammenbringt.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein, aber jedes einzelne Stück der CD erzählt vom Gelingen des Projektes. Es entstand keine leicht konsumierbare  World Music, wie sie in den 80er Jahren vielfach zusammengerührt wurde, indem man Gitarren-Akkorde untermischte und Pop-Rhythmen einbezog, und tatsächlich ist es wohl auch die Verschriftlichung, die eine musikalische Professionalität garantiert. Der hörbare Erfolg beruht nicht einfach auf einer cleveren Management-Idee. Man liest und betrachtet auch das Booklet mit Freude. Kein Wort zuviel, keine Farbe zu wenig, keine humanitäre Aufschneiderei, es geht um nichts als Musik. Und während ich bei mir ab Tr. 8 relativierende Tendenzen beschwichtigen musste (Achtung – karibisch-gefällige U-Musik), rate ich heute manchen Freunden, lieber bei Tr. 8 zu beginnen und dann erst auf Anfang zu gehen. Und bitte sie, nicht von Vierteltonmusik sprechen, das klingt fast so abschreckend wie einst Zwölftontheorie. „Die persische Vierteltonskala Chahargah“, so zu „Silk Road“ Tr.1, die „auf europäische Harmoniekonzepte von Dur- und Molltonalität“ trifft, gibt es nicht; es gibt darin einzelne Töne, deren Intonation von westlichen Skalen um etwa einen Viertelton abweicht. Und das ist von einer wunderbaren Wirkung, wenn man es weiß – und nicht für ungenau intoniert hält. Auch wenn man einen Grundton hört, dem nicht ein Leiteton vorausgeht, sondern die kleine Terz darunter, sagen wir: wie bei einem umgekehrten Kuckucksruf, aber eben nicht die „korrekte“ kleine Terz, sondern der um einen Viertelton tiefere, abweichende Ton, eine sog. neutrale Terz. Man hört es auf Anhieb in dem folgenden kleinen Lehrbeispiel, passen Sie nur auf: Sie verstehen die iranische Sprache!

Ich liebe diese Skala bzw. diesen Dastgah, seit er mir 1972 in der ersten iranischen „Nachtmusik im WDR“ so unglaublich expressiv entgegentrat, im kleinen Sendesaal des Funkhauses (später füllte ein iranisches Konzert spielend den großen Sendesaal, und dann ebenso die Kölner Philharmonie).

WDR-Karteikarte mit Kopie aus dem Buch von Ella Zonis „Classical Persian Music“ Harvard 1973.

Wie schön eröffnet dieser Dastgah auch die CD mit einem großen Thema, das zu dem Stück SILK ROAD gehört, komponiert von Pejman Jamilpanah: „Seidenstraße“; das ist also der alte Handelsweg, der für den jahrhundertelangen Austausch von Waren und Kultur zwischen Orient und Okzident steht. Hier wird am Anfang der Grundton umkreist, und der höhere Ton (von dreien) klingt ebenfalls „neutral“, es ist keine kleine Sekunde und keine große, sondern ein 3/4 -Tonschritt. Und die von mir hervorgehobene, zum Grundton aufspringende Terz ist so – kadenzierend – erst ganz am Schluss zu hören. Aber er ist als Ton natürlich fortwährend in der Skala präsent, in diese ist er ja oft genug melodisch eingebunden. Es wäre gar nicht dumm, an einem so gut gelaunten Stück auch das genaue Hören bzw. das Hören einer klaren Skala zu üben. Ausgangsmaterial einer wohlgeformten Melodie. Ich habe sie mir provisorisch notiert und wundere mich, dass sie nicht symmetrisch ist. Wahrscheinlich stimmt meine Takteinteilung nicht. Aber so kann ich synchron mitsummen und eine korrekte Intonation üben auf den Tönen d und a, die in Chahargah eben einen Viertelton tiefer intoniert werden, daher in den Vorzeichen die Striche durch den „b-Hals“.

Dann setzt der Rhythmus ein, und die Melodie wird auf verschlungenen Pfaden fortgeführt, unberechenbar, ein fragiles Miteinander, feine Kontrapunkte, und darin immer wieder diese süßen Intervalle, die eine Missdeutung in Richtung Dur oder Moll unterbinden. Ich spiele die CD selten ohne solche Stücke sofort zu wiederholen, und wenn ich mich unterwegs daran zu erinnern versuche, habe ich zuerst diese Töne und ihre besondere Farbgebung im Ohr.

Das nächste Stück, dem die CD ihren Titel verdankt, enthüllt erst ganz allmählich seinen Jazz-Hintergrund, in dem Peter Klohmann zuhaus ist. „Gleichzeitig entstehen durch die Verwendung von Fusion-Skalen und Harmonien mit uneindeutigem Geschlecht tonal-heimatlose, schwebende Klänge und eine stilistische Breite, die von Klassik über Jazz mit Einflüssen indischer und orientalischer Couleur bis zu Disco- und Funk-Sounds reicht.“ So steht es im Booklet, Werbeslang denke ich und bin vom ersten quasi improvisierten, rufartigen Flöten-Einstieg gefesselt, dann von den parallel geführten Clusterakkorden, komplexen Mixturen aller Art, Tablarhythmen, werde fortwährend sinnlich und irgendwie sinnvoll beschäftigt: im Nu sind spannende 11 Minuten vorüber. Die Neugier bleibt.

Tr. 3 erinnert auf Anhieb an den Orchesterklang der großen Aufnahmen mit Oum Kalthoum, der „eingetrübte“ Dreiklang, das folgende Streicher-Unisono, – schwierig für ungeübte westliche Hörer aus heiklen Gründen… es bedarf einiger Worte. Mit meiner Begeisterung für arabische Musik bin ich in den 60er Jahren oft auf Unverständnis gestoßen, selbst gute Freunde haben mit verlegenem Kichern reagiert. Und ich wusste warum! Aber ich konnte die Ursache nicht „weg-erklären“. Eine frühe WDR-Sendung, in der ich es versuchte, hieß „Trivialität und Finesse“. Denn meine musikalischen Freunde lachten nicht über „Fremdheit“, sondern über scheinbar „Triviales“ oder sogar Banalitäten. Z.B. über Sequenzen, das allzuleicht Vorausberechenbare (mit kleinen „Fremdheitspartikeln“ darin), die „schmalzigen“ Tonübergänge. Ich wusste, da hilft nur eins: Hören, immer wieder und noch einmal: Hören. Dann verändert sich die Musik in unseren Ohren. Ich hatte arabische Musik aufgeschrieben und dabei jede Wendung 10mal, 20mal und öfter vom Tonband abgehört. Ich vergesse nie das Lautensolo „Taksim Souba Bouzk“, – und noch keine Ahnung hatte, dass der Aufdruck bedeutete: „Vorspiel im Maqam Saba auf dem Bouzok (Zupfinstrument)“, und dass Saba mein Lieblingsmodus werden sollte, – bis ein libanesischer Musiker behauptete, das sei die Hure unter den Maqamat. In der vorliegenden Komposition kommt er auch vor, wenn ich mich nicht irre (obwohl das Stück insgesamt im „Bayati“ steht):

Und wenn die Terzparallelen in Flöte und Klarinette auftauchen, könnte ein Kind sagen: sowas  kenne ich doch aus unserm Kanon „O wie wohl ist mir am Abend“. Die Mutter stimmt zu: Nein, das kann nicht echt arabisch sein!  Als ich klein war, staunte ich auf Schulbusfahrten, wenn lauthals „Hoch auf dem gelben Wagen“ angestimmt wurde und die Mädchen es immer fertigbrachten, die Schlusszeile in Terzen hinzukriegen! Ich sage das nicht, um mich lustig zu machen. In andern Weltregionen hat diese Zweistimmigkeit eine andere Bedeutung. Und ich traue mir selbst nicht, wenn ich sage, dieses „Sama’i Bayati“ auf der CD „Identigration“ gefällt mir besser als die „authentische“ (?) Version des Syrischen Nationalorchesters, die lange vor dem furchtbaren Krieg entstand:

Und ich wünschte, ich hätte Gelegenheit, eine liebevolle Beschreibung dieser Komposition, ihrer Substanz (!), von einem syrischen Musiker zu lesen; schon das neue Arrangement erzählt einiges, z.B. dass trotz des ersten Taktes in „d-moll“ keine Harmonik im westlichen Sinn zur Kolorierung verwendet wird. Sie würde die melodische Charakteristik des Maqam Bayati zerstören:

 ©Walid Khatba

Ich liebe dieses Stück. Aber warum – bleibt mir ein Rätsel. Ich höre es mit Vorliebe zweimal hintereinander, genieße die Nuancen der verschiedenen Melodieabschnitte, samt Terzenparallelen. Ich liebe aber auch den Übergang zum nächsten, einem der berühmtesten Stücke „unseres“ Barock-Zeitalters. Ich selbst habe oft die Corelli-Variationen darüber gespielt, aber immer in dem Bewusstsein, dass die Melodie (als feierlicher, stolzer Tanz) aus Spanien stammt. Ebensogern identifiziere ich mich mit dieser neuen Version, genieße die phantasievoll angereicherten Variationen, die Rolle der orientalischen Instrumente, die Oud-Terzen, die wunderschöne Bläser-Kombination in der langsamen Variation, in der darauf folgenden das herrliche Gewimmel, das Blech, die Mandoline (?) usw.usw. – darf man das Stück so vertändeln? Gewiss doch, mehr denn je! Und vor allem das Ensemble als Ganzes in Aktion zu erleben.

An dieser Stelle sei ganz kurz erläutert, worin musikalisch gesehen des Problem einer Ost-West-Fusion liegt: Die Vielfalt der orientalischen Skalen – Maqam, Dastgah, Raga, wenn man dafür überhaupt das Wort Skala anwenden darf – findet ihren westlichen Widerpart nicht in der Dualität von Dur und Moll, sondern in deren Harmonik, die nicht von ihrer Geschichte ablösbar ist. Die entsprechenden Skalen gibt es im Orient, wenn man sie so pauschal bezeichnen darf, unter hundert anderen auch. (Samt ihren „Vierteltonabweichungen“.) Aber deren feine Abstufungen kann man mit den 3 – 4 Kadenzakkorden nach den Regeln des Generalbasszeitalters leicht zugrunderichten. Und das ist vielleicht implizit im folgenden Text mitgedacht, der nur von Skalen handelt, oder von den tonalen Mustern, die sie bilden. Harmonik oder Kontrapunktik – gegenläufige Stimmen – gibt es nur andeutungsweise, mit Vorsicht und Geschmack eingesetzt.

Termeh ist eine typische persische Webkunst mit traditionellem Bothe-Muster, das in Europa als Pasley-Muster bekannt wurde. Jamilpanah vertont die Farbenvielfalt des Temeh in der typischen Vierteltonskala Afshari und thematisiert am Ende des Stücks die Begegnung von Orient und Okzident, indem er das Stück in einer Dur-ähnlichen Skala enden lässt.

Zu den erwähnten Mustern siehe hier und hier  Zur Biographie des Komponisten/Instrumentalisten hier, über eine andere „Bridges“-Formation hier.

Ein im Westen ausgebildeter Gitarrist wie Dennis Merz hat selbstverständlich eine enge, professionelle Beziehung zur westlichen Harmonielehre und wird sie auch anwenden, wenn er Musik arrangiert. Im Fall der Bulgarischen Volksmusik gibt es bereits eine Tradition, dass sie innerhalb der Kunstmusik von bulgarischen Komponisten so eingesetzt wird, dass ihre besondere Charakteristik respektiert wird, ähnlich wie es Béla Bartók mit der ungarischen Bauernmusik gehalten hat. Der von B.B. oft behandelte und so genannte „Bulgarische Rhythmus“ im 7/8 (aus 4 + 3) ist, wie er natürlich wusste, nur einer von vielen asymmetrischen Rhythmen, die gerade in der bulgarischen Musik besonders geläufig sind, was ein kurzer Blick in den MGG-Lexikon-Artikel „Bulgarien“ von Lada Braschowanowa zeigt. Davon sollte eigentlich jeder musikalische Mensch eine gewisse Kenntnis haben. Und der Track 6 unserer CD, „Bucimis“, gibt dazu attraktiven Stoff. Man versuche einmal, das Hauptthema einzuordnen. Die Takbezeichnung ist 15/8, bestehend aus 8 + 7 Achteln, darin die 8 in 4mal 2 gruppiert, die 7 in 3 plus 4 .

Oben: Anfang der Partitur von Dennis Merz

MGG Art.Bulgarien

In dem zweiten der auf der rechten Seite gegebenen Rhythmen müsste also in die Reihe der Zweier-Gruppen nun noch eine weitere eingefügt werden, so hätten wir den 15er-Takt (statt 13). Um einen Fachbegriff zu erwähnen: man nennt diese Rythmen additiv (statt divisiv wie in klassischen Taktarten). Kleiner Tipp, dieses Thema beim bloßen Hören recht zu verstehen (Musiker*innen versuchen gern mitzuzählen): Der allererste Ton ist kein Auftakt, sondern der Taktbeginn. Man beginne das Stück so oft von Anfang, bis man es genau erfasst hat. Das ist keine private Pedanterie, es macht uns alle musikalischer, und man spürt das bereits beim bloßen Zuhören, noch besser: es physisch nachzuvollziehen.  Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem WDR-Konzertmeister Paraschkevov, der mir einen Rhythmus demonstrierte, indem er die Tanzschritte ausführte. Das gehört bei uns zum Musikunterricht der Streicher und Pianisten, sagte er, und als ich eines Tages ein Kammermusikfestival in Plovdiv besuchte, kaufte ich mir dort die täglichen Studien von André Stoyanov, die ich heute noch übe. Leider bin ich weit davon entfernt, ein Meister zu werden; ich bin allenfalls ein – Liebender. Ein Dilettant im besten Sinne des Wortes. Ich liebe diese Übungen:

Die bulgarische Tanzfolge, die Dennis Merz erarbeitet hat, ist natürlich trotzdem nicht als Etüde für ein gelehriges Publikum gedacht: sie erzählt eine Geschichte. Sie beginnt „folkloristisch“und „migriert“ im zweiten Satz in die europäische Klassik.

Später stoßen Elemente aus andern Kulturen wie Flamenco und Latin hinzu, bis letztlich alle Stile in einem Schluss-Kanon verschmelzen: Inklusion. Die bewusst gewählten Satzbezeichnungen Herkunft – Migration – Inklusion zeigen im übertragenen Sinne die Bereicherung von Kultur durch Migration.

Ein optimistisches Programm also, das vielleicht reichlich  didaktisch wirken würde, wenn es nicht so hinreißend interpretiert wäre; zudem auch eine schöne gedankliche Brücke zu dem übernächsten, lateinamerikanisch inspirierten Werk darstellt, „La Suite“ von Andrés Rosales. Allerdings lauert nach den bulgarischen Rhythmen eine ganz andere Gefahr für Leib und Seele: „Spiegelung in der Ferne“, eine melodische Vision sondergleichen, angeblich ein bekanntes mongolisches Volkslied, aber sobald man begreift, was für eine gewaltige Melodie diese Sängerin da über den ruhenden Haltetönen ausspannt, in den Himmel zeichnet, aus der gurgelnden Tiefe lockt, es ist fast nicht zu begreifen. Vielleicht ist es für mongolische Ansprüche ganz normal und seit alters vertraut, – von ganz anderer Wirkung jedoch, wenn man diesem offengelegten, kraftvoll zelebrierten „Naturpathos“ zum ersten Mal begegnet , – man braucht sich der Tränen nicht zu schämen! Es ist wirklich ein Wunder. Vielleicht irre ich mich und bin doch durch Hörerfahrungen mit Musik aus Tuva, dem winzigen Nachbarland der Mongolei vorgeprägt, zuletzt hier. Aber zum Glück ist es nicht nur ein „Intro“, es dauert, eine wunderbare 5-Minuten-Spanne, und man nimmt ebenso dankbar noch den angehängten Tanz mit dem Rhythmus der Pferdehufe entgegen…

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Man kann sich leicht vorstellen, dass ein solch bunt gemischtes CD-Programm auch Widerspruch erzeugt. Als würde hier auf Biegen und Brechen etwas zusammengebracht, was nicht zusammen gehört, als sei süffiges Lateinamerika die Belohnung für befremdende Asiatica. Und die allzu eiligen Versöhner – das eine wir das andere missverstehend – erwiesen sich doch als die Grobiane, die von den feinen Unterschieden nichts begreifen. Aber da macht man es sich zu einfach und sieht nicht die Arbeit, die in einem solchen Unternehmen steckt, die scheinbar heillosen Diskussionen, die vorausgegangen sind, die gescheiterten Zwischenlösungen, die Skizzen und Vorstudien, aus denen am Ende eine akribisch notierte Partitur hervorging. Und dann kommt jemand und sagt: die Notation ist das Ende aller wildwüchsigen künstlerischen Hoffnungen, die Figur des Dirigenten da vorn erübrigt den Traum einer Gemeinschaft von Individuen und autonomen Künstlern. Wissen wir denn, wie strikt die Regeln der Tradition den Einzelnen bevormunden, welche rhythmischen Freiheiten ein 15/8-Rhythmus dem bulgarischen Trommler überhaupt noch einräumt?

Es sind übrigens gerade die besonders engagiert Musikbeflissenen, die kaum je mit „echter“ Volksmusik zu tun gehabt haben und dann doch als erstes „Authentizität“ einklagen. Auch wenn man den Verdacht hegt, dass sie im Leben nicht eine halbe Stunde opfern würden, um einem bulgarischen Schäfer, der Kaval oder Gajda spielt, aufmerksam zu lauschen. Und gehört nicht die Einsamkeit, die Stille, die Schafherde, der Dorfplatz, die Kenntnis der Tanzschritte dazu? Hat Béla Bartók seine geliebten Bauernweisen etwa einem westlichen Publikum einfach so vorgepfiffen, wie er sie in aller Präzision im Gedächtnis bewahrte? Genau so, wie er sie aufgezeichnet hatte? Nein, er hat sich an den Steinway im Konzertsaal gesetzt, oder ein ganzes Orchester bemüht, um gerade die städtisch geprägten Ohren zu erreichen und zu überzeugen.

Ich habe viel über Bartók nachgedacht, nachdem ich aufgehört hatte, „von fremden Ländern und Menschen“ nur zu träumen und eines Tages sogar in die glückliche Lage kam, für den WDR in die entlegensten Dörfer Rumäniens oder Ostserbiens reisen zu müssen. Oder auch 1974 zum Frühlingsfest in Mazar-e-Sherif, dem heute vielgenannten Ort, der damals noch am Ende der Welt lag, und als ich zurückkehrte, war das für mich die schönste Volksmusik, die ich je gehört hatte, und zwar von Menschen, die mir weniger fremd erschienen als die meines westfälischen Heimatdorfes, wo die Welt noch einfach gewesen war, – nur eben ohne Musik. Bei meinen Großeltern gab es nach dem Krieg immerhin ein von Mäusen zerfressenes Harmonium und eine Fabrikgeige mit dem Zettel „Stradivarius me fecit“. Musik als Rätsel des fernen Vaters.

„Bucimis“ Letzte Seite (51) Fine 9:25 Partitur von Dennis Merz (Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis)

©Dennis Merz

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Ein Versuch zu erklären, weshalb ich in dieser Form über eine so rühmenswerte und schöne Serie von Aufnahmen schreibe, statt den Text auf genau das zu beschränken, was zur Sache gehört. Ich arbeite ja nicht für eine Schallplatten-Revue, verteile keine Noten, mache kein Ranking, würde mir nicht erlauben, den Track 8 negativ zu beurteilen, weil er mich an Operettenstil erinnert; natürlich würde es mich ärgern, wenn jemand eine afghanische Melodie ins Hip-Hop-Genre überträgt, diese Art von Fusion hat eine Null-Bedeutung. Es ist zu leicht, das eine dem andern zu überstülpen, ohne es verstanden zu haben, wenn also nur ein gewisser Wiedererkennungswert ausgenutzt wird. Es kommt auch immer drauf an, wer sich was „unter den Nagel reißt“. Und ich bin nicht prädestiniert, die Reinheit der Musikkulturen zu überwachen, weiß allerdings, dass es angreifbar ist, von einer Kultur in die andere zu switchen, als sei das ein Leichtes, es ist Mangel an Respekt. Wenn jemand den bulgarischen Rhythmus 12 12 123 so interpretiert, dass die 123-Gruppe eine Triole ergibt, so kann ich mich ohne Hochmut distanzieren. Es würde ja bloße Simplifizierung bedeuten, die auf einem Missverständnis beruht. Da hat die Aufklärung immer Vorrang. Andererseits kann ich mich auf einen gewissermaßen egozentrischen Standpunkt zurückziehen: es geht nicht um Schweigen, Abschließen und Verbieten, sondern um Öffnen, Lernen und Kommunizieren. Niemand verlangt die absolute Nachahmung jeder nur möglichen, anderen Kultur, was auch bedeuten würde, eigene Bräuche und Fertigkeiten zu eliminieren oder zurückzudrängen. Daher sage ich lieber: es geht um die Erweiterung der eigenen Musikalität, nicht um die Reduzierung. Daher rede ich von mir, statt allein von anderen Künstlern zu reden, die ich bewundere. Und hier schreibe ich eher ein Logbuch von eigenen Klangreisen, zugleich als einen Kommentar der Reisen, die von anderen real und imaginativ geleistet wurden und die ich letztlich nur indirekt nachvollziehen kann. Nochmal: es geht um Musikalität, – und wie immer und überall: um lebenslanges Lernen.

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Die in diesem umfassenden Sinne anregende und weiterführende, kluge und hochmusikalische CD „Identigration“ …

… kann man natürlich auch bestellen für 22 € (plus Versandkosten) und zwar unter folgender Mailadresse: bestellung@musikverbindet.de /  – dabei nicht vergessen: die eigene Postanschrift für Versand und Rechnung.

Und nochmals sei die anfangs erwähnte CD hervorgehoben: UNKNOWN NEARNESS s.a. hier

Meine Arbeit hat – wieder einmal – keinen Abschluss gefunden, der Mai-Anfang wäre eine günstige Gelegenheit gewesen. Der Frühling macht ernst. Aber wieder einmal gab es die fatale Kollision von Öffentlichem und Privatem, Außen und Innen, das jeder kennt, in meinem Fall quasi symbolisch angezeigt mit einem roten Auge am 1. Mai, der Begegnung mit Zakir Hussain im Internet am 2. Mai (Thema Percussion Global Celebration) und der Lektüre des Tageblattes am 3. Mai (Thema „Identitätspolitik“, es geht „um Kultur, Würde und Anerkennung“ und es ist Internationaler Tag der Pressefreiheit, aber „noch nie gab es so viel Aggression“) und um 9:05 h hatte ich meinen zweiten Impftermin in Solingen-Mitte, der Arzt dort gab Entwarnung bzgl. meines roten Auges. In einer Woche ist das vorbei. Aber morgen könnte Schüttelfrost kommen. Bis jetzt (4.Mai 9:45 h) habe ich Glück gehabt.

Tag der Pressefreiheit

Banalität des Alltags

Identität

„In der Gesellschaft tobt eine Debatte“ s.a. WAZ hier

Passend dazu: eine neue Erinnerung, die Druck macht – zweifellos, es ist Goethes „Faust“!

Aktuelles am 17.5.21 vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik

Diese CD stand übrigens auch in der Jury „Traditionelle ethnische Musik“ zur Debatte, dort wurde letztlich – mit gutem Grund – die folgende Sammlung ausgezeichnet:

Weiteres hier – hören Sie dort z.B.

35.

oder

98.

Helmholtz der Klavierspieler

Erstbegegnung

Warum ich dieses Buch seit Ende der 60 Jahre besitze, ohne dass es viele Lesespuren enthält, weiß ich nicht. Wahrscheinlich nur, weil ich erfahren hatte, dass darin sich schon einiges über das arabische Tonsystem befindet, also im Zusammenhang mit den „Grundlagen der antiken und orientalischen Musikkultur“ von Heinrich Husmann, veröffentlicht 1961 (erworben 28.VI.68), in dem allerdings nur 1 Mal (Seite 25) Helmholtz erwähnt wird, und zwar im Zusammenhang mit dem Phänomen der Schwebung (erst später entdeckte ich die Schwebungsdiaphonie der Bulgaren, dank Gerald Florian Messners Dissertation 1976). Zumindest studierte ich gründlich das Vorwort und das ausführliche Inhaltsverzeichnis und daraufhin besonders die letzten Kapitel, während die Beilagen mich sozusagen in meine Grenzen wiesen.

Bemerkenswert, dass er im Zusammenhang mit „fein ausgebildete[r] Musik ohne Harmonie“ [Harmonik] die außereuropäischen Völker nicht vergisst!

Helmholtz Wiki hier

„Helmholtz hat sehr genau gesehen,

dass es zwischen den Zeichen und dem,

wovon die Zeichen handeln,

keiner Art von Ähnlichkeit

bedarf.“

(NB Hier ist von der visuellen Kunst die Rede, nicht von Notenzeichen)

Weiterlesen:

HIER

Dank an JMR !

Ich erinnere mich, als mein Vater begann, mit mir Harmonielehre zu arbeiten und ich mit leisem Misstrauen das Verbot der Oktav- und Quintenparallelen „hinnehmen“ musste; ich war vielleicht 12. Und entdeckte dann, in Erinnerung an eine Probe mit dem Schulorchester, die Partitur (Joh. Christian Bach?) auf dem Flügel, schaute den Anfang scharf an und fand bestätigt: alles in Oktaven!!! Also darf man das doch?! Jaja, natürlich, unisono, sagte mein Vater, der solche Besserwisserei sowieso nicht liebte, das Verbot gilt doch nur im strengen Satz. Ich wollte aber komponieren lernen, nicht „strengen Satz“.

Mein Vater und ich (1953)

Weiteres (mit Bezug zu Orgelartikel „Mixturen“ und Quintenverbot z.B. hier)

Sehr interessant auch, wenn Helmholtz von dem Experiment mit Joseph Joachim berichtet (ein Faktum betreffend, mit dem heute jeder Geigenschüler vertraut sein dürfte).