Archiv der Kategorie: Klavier

Angela Hewitt und Bachs Goldberg-Variationen

Eine Jahrhundert-Einspielung

https://www.arte.tv/de/videos/100767-000-A/angela-hewitt-spielt-die-goldberg-variationen/

Noch abrufbar bis 9. Juli 2021

Hier

Über Angela Hewitt hier (Wikipedia) und hier (eigene Website)

Was mich am Werk immer schon faszinierte, ist die äußerst rational ausgearbeitete Gestalt des Ganzen und der unglaubliche Gestaltenreichtum, der sich in der Bewegung von Teil zu Teil manifestiert. Und genau so in der Wiedergabe, im Gestenreichtum, in den Klangfarben, den Spieltechniken und zuletzt in der Gestalt der Interpretin, die widerständig zu allen Moden der Moderne erscheint und durchaus nicht dem Typus des klavierspielenden Models entspricht. Und alles, was man über die quadratische und quadratisierte Binnenstruktur des Ganzen sagen könnte, dürfte man auch im gleichen Atemzug mit Verweis auf das Wohltemperierte Klavier relativieren: die späte Bachschen Tendenz, allzu gleichmäßig proportionierte Urfassungen durch Einschübe zu ergänzen und in ein labileres Gleichgewicht zu versetzen. (Siehe die schöne alte Arbeit von Christoph Bergner über die Praeludien.)

Empfehlenswert der Wikipedia-Artikel Goldberg-Variationen, deren anekdotischen Titel (19. Jhdt.) man gewiss nicht mehr los wird. Sei’s drum, Hauptsache, das wunderbare Gebilde hält uns weiter wach und lebendig. Auch der großartige Titel Clavier-Übung erinnert uns daran, dass wir – so sehr wir uns auch bemühen – nie fertig werden.

Der Gesamt-Bau des Werkes (nach Dammann)

Beginn TEIL II (Variation 16 Ouverture) bei A.H. ab 39:50

Ein unfassbares Wunderwerk der Melodik und des „harmonieverfremdenden“ Denkens: Die erste Hälfte der Variation 25 bei A.H. ab 1:00:15

Quelle Rolf Dammann das Buch über die Goldberg-Variationen:

1986

Inhalt: Goldberg-Buch + derselbe Autor über den Musikbegriff im deutschen Barock:

Ist der Ausdruck „Jahrhundert-Einspielung“ nicht übertrieben? Ja. Es fehlen noch 79 Jahre. Aber wenn man die Aufnahmen Glenn Goulds – welche auch immer – als solche bezeichnet und andere über Jahrzehnte ignoriert, darf man eine wirkliche Alternative, nach Jahren der Götzenanbetung, wohl mit entsprechenden Vorschusslorbeeren versehen. Nebenbei: ich habe immer, wenn ich auf der Suche nach Klang-Belegen für meine Analysen des Wohltemperierten Klaviers gesucht habe, mit Vorliebe solche mit Angela Hewitt ausgewählt. Ohne zu verhehlen, dass man zum Lernen mit Bach nicht unbedingt die stilistisch sichersten studieren muss. Selbst eine Computersimulation mit korrekten Notentexten könnte genügen. Anders als bei Mozart oder Beethoven.

Mozart-Effekt

Kleine Stoffsammlung

Vielleicht hilft es ja doch?

Sonate D-Dur für zwei Klaviere, KV 448 hier (Villa Musica Text) hier (Henle Vorwort etc.)

Aufnahme (unterwegs zu mir) hier (M.Perahia + Radu Lupu, aufgr. dieser Beispiele)

In der folgenden Aufnahme ist der Abstand zw. 1. u. 2. Satz katastrophal kurz! Stopp bei 7:30!

https://de.wikipedia.org/wiki/Mozart-Effekt HIER

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https://www.psychosozial-verlag.de/2374 HIER Vollstedt Gießen 2014

Tobias Vollstedt

Tiefenhermeneutische Analyse des ersten Satzes der Sonate für zwei Klaviere in D-Dur (KV 448/375a) von Mozart

Eine musikpsychoanalytische Studie zum sogenannten Mozarteffekt

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https://core.ac.uk/download/pdf/11583791.pdf HIER Rameder Wien 2008

Eva-Maria Rameder

AUF DER SUCHE NACH DEM MOZART-EFFEKT

Der Einfluss von Komposition, Musikgeschmack und musikalischer Vorerfahrung auf die räumliche Vorstellung Eva-Maria Rameder

ZITAT Seite 78 ff

Tomatis (1995) stellte in seinen musiktherapeutischen Forschungen fest, dass durch die Musik Mozarts die besten und langanhaltensten Therapieerfolge zu erzielen sind. Er meint, dass die Rhythmen, Melodien, und hohen Frequenzen seiner Musik die kreativen und motivierenden Gehirnregionen stimulieren und kräftigen. „Mozarts Noten klingen alle so rein und einfach, seine Musik wirkt aber mit einer Wucht, die andere Komponisten nicht haben (Tomatis 1995, zit. nach Campell, 1997, S.42). Durch die sehr frühe Konfrontation und Auseinandersetzung Mozarts mit Musik wurde sein Nervensystem auf größtmögliche Empfänglichkeit für Musik sensi-bilisiert und seine neurovegetativen Reaktionen auf Musik vorbereitet. Die dadurch entstanden inneren Rhythmen spiegeln sich in den charakteristischen Kadenzen, die sein gesamtes Werk kennzeichnen, wider. Harris (1991) beschäftigte sich mit der Musikstruktur und betonte Besonderheiten in der musikalischen Bauweise in Mozarts Kompositionen. Seine Melodien bestünden aus kurzen Phrasen, welche immer in Kombination mit anderen, ähnlichen Sätzen zu hören sind. So würden im Sinne eines Mosaiks einzelne Teile miteinander verbunden, um ein wundervolles Ganzes zu erzeugen. Bei romantischen Komponisten, wie z.B. Tschaikowsky, finden sich im Gegen-satz dazu großatmige Melodiebögen. Nach Harris gelang es Mozart durch die Raffiniertheit und Komplexität seiner Kompositionen, Einheit und Vielfalt zu erfüllen. Die aneinander gereihten musikalischen Abschnitte werden sowohl als verschieden, als auch aufeinander bezogen erlebt. Weitere Begründungen, die für Mozart sprechen, finden sich bei Hughes & Fino (2000) und bei Jenkins (2001). Sie glauben, mit der Entdeckung der Langzeit-Periodizität in Mozarts Musik dem Geheimnis seiner Wirkungsweise auf der Spur zu sein (siehe Kapitel 5.3.3.). Ein Zusammenhang zwischen diesen Langzeit–Periodizitäten und der normalen Kodierung im Gehirn wird vermutet. Nelson (2002) fasste die Überlegungen von Rauscher (1999) bezüglich Musikwahl zusammen. Demnach wurde die Mozartsonate deshalb ausgewählt, weil sie aus einer beschränkten Zahl von musikalischen Motiven komponiert ist, welche symmetrisch mehrere Male auftreten. Sie ist eine extrem organisierte Komposition und durch die Tatsache, dass sie für zwei Klaviere ist, ergeben sich mehr Gelegenheiten für die Entfaltung der Motive im Raum. Die Komposition hat eine sehr klare rhythmische Struktur. Vor allem am Beginn des ersten Satzes treten musikalische Abschnitte in regelmäßigen und vorhersehbaren Intervallen auf. Aus meiner Sicht vermittelt gerade die Klavier-Sonate für zwei Klaviere in D-Dur KV 448 ein ausgesprochen räumlich-plastisches Hörerlebnis. So entsteht durch Echoeffekte und durch Ineinandergreifen und Verweben von komplexen Phrasen ein sehr räumlich strukturierter Höreindruck. Der räumliche Effekt wird durch das Spiel zweier Klaviere noch verstärkt.

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https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/mozart-gegen-epilepsie-100.html hier

Es ist nicht in erster Linie der räumliche Effekt, sondern der Eindruck der Dichte: der Linien, die quer zueinander laufen; die z.B. bei bloß vierhändigem Spiel an einer Tastatur nicht möglich wären. Vgl. auch den Unterschied zwischen Cembalo mit einem Manual gegenüber dem zweimanualigen am Beispiel bestimmter Goldberg-Variationen.

die CD ist da! (15.4.21)

Nicht irreführen lassen durch andere Aufnahmetechnik (80er Jahre), die zugleich eine softere Auffassung suggeriert. Noch bin ich auch nicht darüber hinaus, die mir besser bekannten 4-händigen Sonaten Mozarts (C-dur und D-dur) in der Substanz höher zu stellen als diese. Den Text von Philipp Ramey habe ich wiedergegeben, weil da zum erstenmal kritische Töne zur Mozartsonate laut werden: von einem „oft gehörten Vorwurf“ ist die Rede, die Sonate sei kaum mehr als Unterhaltungsmusik, so dass Albert Einstein zuhilfe gerufen wird. Ich finde diese Kennzeichnung nur deshalb interessant, weil man nun ihre Sprache rechtfertigen muss. Es genügt nicht, auf einzelne, unwiderstehlich bezaubernde Themen hinzuweisen. Es klingt halt mehr nach perfektem Mozart-Stil als nach einem unverwechselbaren Individuum. Ich muss oft nach Gründen der Mozart-Schönheit suchen, wenn die Melodiebildung von Dreiklangsmotivik geprägt ist. Beispiel: Sonata facile, für deren Haupthema dies gilt, ohne dass ich auch nur einen Moment lang an der Genialität zweifele. Der von Dreiklangselementen geprägte langsame Satz gehört für mich zum Schönsten, was es überhaupt in klassischer Prägung gibt, nicht erst dank des Mollteils, sondern vom ersten bis zum letzten Ton.

À propos Mozart

Bei dieser Gelegenheit sei ein Thema festgehalten, bei dem ich mich frage, ob Mozart oder Michael Haydn die Vaterschaft beanspruchen kann; darüberhinaus denke ich an die ersten beiden Zeilen der „Deutschland“-Hymne, also an Joseph Haydn. Ich habe das Thema vorgestern bei unserer Duo-Probe fotografiert, 1. und 2. Zeile jeweils (Vorder- und Nachsatz), – die 3. und 4. (in der Violine) sind bereits Variation der 1. Zeile:

Ich werde es noch säuberlich notieren (samt Hymne und „Facile“-Version), denn es ist eine wunderschön erfundene (konstruierte?) Melodie.

16.04.21 Da sind die drei (JR – in aller Kürze und auf D-dur gesetzt – ein Topos eben):

Noch etwas ganz anderes: Wie improvisierte Mozart? (Eine Anregung, Robert Levin zu verstehen):

Levin spricht über ein Detail der Skizze Detail: es geht um den Bass-Übergang

Ab ca. 7:00 Besprechung der improvisierten Ornamentik im Adagio der Sonate C-moll KV 457 (hier der Anfang in meiner Urtext-Ausgabe Henle):

(Fortsetzung folgt)

Horowitz-Notizen

Was war damals?

Um auf den Stand der Dinge zu kommen: ich persönlich habe mich nie brennend für diese Virtuosen interessiert, anders als meine zwei Kommilitonen, die ich dann nach einer unvermeidlichen Entfremdung mitsamt ihren Präferenzen lebenslang gemieden habe. Wie oft hatten wir vorher die Rachmaninoff-Konzerte gehört, untermalt mit den schmachtenden Bemerkungen des Freundes Elmar, steten Hinweisen auf interpretatorische Feinheiten. 15 Jahre später fühlte ich mich durch dieses Interview bestätigt, – der Meister schien mir allzu kindisch. Und nur eine Bemerkung von Zoltán Kocsis ließ mich stutzen:  seine haltlose Bewunderung für die Bassgänge, also: wie sie bei Horowitz klingen, und das schien mir aus dem Mund eines solchen Klangzauberers beachtenswert, anders als einst bei Elmar, der den typischen Klassikphrasen-Jargon pflegte.

Ab 5:46 Wanda

Rico Kaufmann Wikipedia hier

Mir ist es kürzlich folgendermaßen ergangen: Beim Gespräch in meiner Stamm- Buchhandlung wurde mir ein Buch von Lea Singer („kennen Sie doch sicher!?“) empfohlen, hat mit Musik zu tun, mit Horowitz. Das kam mir zupass, Geburtstagsgeschenk für meinen Freund, guter Tipp, und auch Milstein kommt drin vor? Das passt genau. Und ich werd’s parallel lesen, um sicher zu sein… Und dann wurde ich total verunsichert, das kann nichts sein, da versteht man ja seitenlang gar nichts. Und außerdem sind wir ja nicht schwul. Wenn ich hier auch kürzlich ein Buch erworben habe, das ein gewisses Interesse bekundet. (Bruno Gammel: ANDERS FÜHLEN). Ich muss ihm dazu einiges sagen (er ist ja kein notorischer Leser), man sollte auf Seite 32 beginnen, um sich sofort in bekanntem Gelände zu bewegen, und dann irgendwann den Anfang nachholen. Unmöglich diese Frau, ohne Vorwarnung eine Rätselgeschichte für absolute Insider aufzutischen. Ich will gefesselt werden, aber nicht durch highbrow Pseudo-Kunst. Zugegeben: ich hatte versucht, sofort einzutauchen, in Erwartung „leichter Literatur“, heute angefangen, übermorgen fertig. Jetzt empfehle ich, sorgfältig das rückwärtige Cover zu lesen. Und Rezensionen bei Perlentaucher. Oder meinetwegen aus dem Schwulen-Umfeld. Hauptsache: sympathisch und leichtfüßig. Keine Arbeit, – die sich aber nun doch nicht vermeiden lässt. Machen Sie mit? Ich musste ja auch den eigenen Widerstand überwinden. Dem Freund zuliebe.

Aus bestimmten Gründen will ich zunächst etwas im eigenen Blog nachschlagen: …über Mozarts Orgelwalze, hier ist es. Ich bitte um Geduld!

Zurück zum Buch: die NZZ Rezension hier

Und eine ausführlichere, sehr schöne Inhaltsangabe:

https://schwulenkram.wordpress.com/2019/11/03/der-klavierschueler-lea-singer/

Es hat einige Zeit gedauert, ehe bei mir der Groschen fiel (ich hätte es auch längst irgendwo gelesen haben können): Lea Singer ist identisch mit Eva Gesine Baur.

Ehrlich gesagt: die Lektüre ist etwas mühsam geblieben. Wie in Krimis, die mit ständigen Rückblenden arbeiten und so den gutwilligsten Zuschauer der Spannung berauben. Man spürt den Willen zur Kunst, der einen aber nicht in dieses Genre gelockt hat. Auch hier und da unnötig irritierende Wendungen, die nicht von der Sache her motiviert sind. Jedenfalls weniger vergnüglich als – sagen wir – Felix Krull, obwohl man sich an ihn erinnert fühlt.

(Fortsetzung folgt)

Es ist über eine Woche vergangen. Und ich notiere hier den Text, die Seite, die Zeilen, die – nach unregelmäßigen Lektürezeiten – für mich die Schlüsselstelle des Romans repräsentieren. „Der Klavierspieler“ erkennt, welche Rolle Wanda Toscanini, die Tochter des Dirigenten, als Frau für Horowitz spielt:

Zwei Tage später kam am Seefeldquai ein Brief an, den Horowitz an diesem 30.  Januar 1939 aus Lyon an mich geschrieben hatte. Drei Mal musste ich ihn lesen und konnte es nach dem dritten Mal noch immer nicht glauben, was da stand. Wie immer kein Wort über die politische Situation. Aber plötzlich ging es um Wanda und nur um Wanda.

Meine Frau weiß alles über mich. Meine Frau gibt mir absolute Freiheit, aber sie erlaubt in keinem Fall eine Verbindung. Meine Frau weiß über uns beide schon ein Jahr Bescheid, aber sie wollte es nicht sagen. Meine Frau hat deshalb gelitten. Ich liebe meine Frau tief und ernst, und ich will nicht, dass meine Frau leidet. Meine Frau will dich auch mit deiner Familie nicht sehen. Ich kann meine Frau verstehen, dein Vater ist unangenehm und arrogant gewesen. Du stehst zwischen mir und meiner Frau.

Dann kam der Schlag ins Gesicht: Du bist berechnend und kannst nichts mehr von mir haben.

Das war seine Schrift, aber das war nicht er.

Irgendetwas stimmte nicht. Der Brief endete mit dem Bekenntnis: Ich muss Dich sehen, aber es ist unmöglich. Ich fühle für Dich, was ich immer für Dich gefühlt habe. Ich bin traurig.

Mir sei übel, Magendarmverstimmung, redete ich mich am Abend heraus. Ich schloss ab, legte mich aufs Bett, nackt, nur seine dunkelblaue Lanvin-Jacke am Leib, paffte Zigaretten von seiner Marke und trank den Wodka, den er mit Rachmaninow trank.

Erst in der Müdigkeit leuchtete ein Lösungswort auf: Amerika.

Wir werden alle Amerikaner, hatte Horowitz verkündet, der Maestro, seine Frau, meine Frau, meine Tochter und ich. In drei Monaten reisen wir nach Amerika, stehen sofort unter amerikanischem Protektorat, und in drei Jahren werden wir einen amerikanischen Pass bekommen. Dieser Kontinent gehörte, was die klassische Musik anging, derzeit bereits einem einzigen Mann: Arturo Toscanini. Kein anderer konnte ihm das Wasser reichen, was Ruhm und Macht und Prominenz anging.

Ohne Toscanini würde es hart werden, mit Toscanini als Feind eine Katastrophe. Volodjas Frau nannte sich Toscanini-Horowitz. Sie wollte beide Namen haben und musste beide haben, der eine stand für das Geerbte, der andere für den aktuellen Besitz, denn sonst hatte sie nichts. Ihr Vater hatte ihr die Musik geraubt, obwohl sie laut Wally das einzige der drei Kinder war, das sich begabt zeigte. Toscanini hatte ihr Klavierspiel als schändlich bezeichnet und ihr das öffentliche Singen untersagt.

Doch wie hatte sie ihren Mann besiegt? Ich habe sie nie geliebt, hatte er allen seinen Freunden gesagt.

Vier Tage später kam die Aufklärung per Post, verfasst am 5. Februar 1939 in Paris. Wieder ging es nur um Wanda. Meine Frau findet, dass du trotz deiner Begabung keinen Horowitz [als Lehrer] brauchst, ein Zürcher X oder Y wird die genügen. Meine Frau ist ein hochanständiger Mensch mit moralischen Qualitäten. Meine Frau ist der Führer meines Lebens! Meine Frau versteht einige Seitensprünge, aber sie versteht wie jede Frau nicht, dass man ein Gefühl für einen Mann haben kann und darf. Für meine Frau ist es eine Krankheit, die man heilen soll. Meine Frau geht, wenn ich mit dir verkehre. Meine Frau hat furchbar gelitten, sie ist fast nervenkrank geworden.

Und dann der entscheidende Satz: Meine Frau wollte ohne mich nicht mehr leben.

Wanda hatte mit Suizid gedroht.

Der Krieger kennt keine Skrupel, sagte mein Großvater.

Wanda hatte gesiegt, weil sie gekämpft hatte, mit allen Mitteln.

Ich war ein Feigling. Ich hatte zu Recht verloren.

Kaufmann sank auf dem Küchenstuhl entkräftet in sich zusammen.

Donati stand auf und küsste ihn.

Quelle Lea Singer: Der Klavierschüler / dtv München 2021 ISBN 978-3-423-14793-4 (S.150f) [Es folgen noch 70 Seiten.]

An einem grauen Frühlingstag

Was nicht vergehen kann

Wann habe ich all diese Bände der alten Ausgabe Bachscher Orgelwerke von Peters erworben? Diesen jedenfalls am 31.Okt.1984. Und warum höre ich gerade diesen Choral jeden Morgen und gleich anschließend – jahreszeitlich noch unpassender – „Nun komm der Heiden Heiland“? (Ostern steht vor der Tür). Aus klanglichen Gründen, Klavierklang, ja, und wegen des enigmatischen Charakters, die Orgel hätte das wahrscheinlich nicht vermocht. Seltsamerweise „Bonustracks“ – was soll das heißen? Sie waren der Kaufgrund, hier habe ich hineingehört: hier.

Ich höre den Ton a – und ein zweites Mal den Ton a – und den gleichen in der Tiefe, chromatisch aufwärts führend. Das muss ich haben. Was gibt es denn sonst noch? Schubert f-moll, wunderschön und oft gehört und auch selbst gespielt (zuletzt immer mit Konrad Burr, der leider verstorben ist), Mozart D-dur – auch, das haben schon die Kinder im Konzert gespielt, nein, das ist die andere in D-dur, die vierhändige für 1 Piano, und diese wirkt wie ein Double. Der Sache muss ich nachgehen. Aber jetzt: „Das alte Jahr vergangen ist“ – wie neu – kommt das durch Kurtágs Bearbeitung? Ich wette, kein einziger Ton ist verändert; es ist eine rein klangliche Bearbeitung, natürlich. Von dem Piano-Duo Scholtes & Janssen habe ich noch nie gehört, sehr schön, das Booklet ist spartanisch ausgestattet, im Text konzentrieren die beiden sich merkwürdigerweise auf Mozart und dann auch noch auf eine – wie mir scheint – etwas obskure Mozart-Psychologie-Literatur, ich weiß nicht, ob ich noch etwas über den Mozart-Effekt erfahren will, und offenbar immer nur anhand dieser Sonate. Das macht einer dem anderen nach; es gibt keinen musikalischen Grund, die andere (an einem Klavier) täte garantiert den gleichen Dienst, wenn man nur an ihn glaubt. Und Schubert erst recht…

Aber hier zunächst der zweite Choral, zugegeben in einer recht grau geratenen Kopie: und sein Geheimnis ist, dass er hier wie ein Kommentar zum vorhergehenden Choral klingt, zumal man die Melodie kaum dingfest machen kann; sie beginnt tatsächlich mit dem ersten Ton. Aber man empfindet das neue Motiv wie eine Abwandlung des zuletzt gehörten Schlusstaktes. Und es klingt nun wie der verhaltene Anfang einer Fantasie oder Toccata.

Zurück! Was habe ich vom bloßen Klang gesagt? Der niederländische Organist Bart Jacobs liebt das Choralvorspiel und speziell den ersten Ton auf seine Weise, – und wie er recht hat! Aber könnte ich eigentlich die Melodie auch ohne Bachs Ornamentik wiedergeben? Sie steht nicht mehr in unserem Gesangbuch der 50er Jahre. (Da ist derselbe Text mit „Vom Himmel hoch“-Melodie versehen.) Erfasse ich sie leichter In der Orgelfassung? Hier (Achtung: nach 3 Minuten das Ausschalten nicht vergessen, sonst knallt’s!)

Oder mit Erläuterungen des sympathischen Organisten Bart Jacobs. Zu beachten die Orgel in Haarlem St. Bavo von Christian Müller aus dem Jahre 1738.

Derselbe Choral mit einfacher Melodie (in der C.P.E.Bach / Kirnberger Sammlung BWV 288); sie ist tatsächlich von unglaublich einfacher, um nicht zu sagen eintöniger Struktur. Immer wieder der Zug zum Ton E (phrygisch), die Modulation zum A und zurück zum E, alternativ auch zum F, der Schluss aber merkwürdigerweise auf der Terz Gis. Mehrere Verlegenheiten? (Vielleicht gerade passend zur Grundstimmung der Traurigkeit.)

(Fortsetzung folgt)

Zu Mozart: Notentext repetieren, am besten anhand der Version Kocsis/Ránki hier.

Wer ist Komitas?

Wer ihn nicht kennt, sollte diese CD besitzen. Und vielleicht vorweg den Wikipedia-Artikel lesen (s.u.). Aber es ist eben auch dieser Klavierklang, der einen in Bann schlägt, vielleicht sind es zugleich die wunderbaren Stücke von Béla Bartók, die den Ohrenöffner spielen, – immerhin kennt man am Ende 35 Minuten Komitas-Musik, unterscheidet sie und wird in Zukunft nicht mehr schweigen, wenn von armenischer Musik die Rede ist. Wen hat nicht schon  das armenische National-Instrument Duduk in Filmen mit Wehmut erfüllt, – man wird vielleicht sogar den Namen Djivan Gasparyan gelernt haben, um seinen Klangspuren weiterhin zu folgen, – aber hat man deshalb auch schon den gewaltigen Hintergrund dieser Musik wahrgenommen, der fast im Orkus der Geschichte verschwunden wäre? Der Schlüssel dazu ist Vardapet Komitas. Und vielleicht finden wir im Klavierklang eher einen grandiosen Vermittler der Substanz armenischer Musik als in einer vibratogesättigten Melodie, die wir gern beliebigen Naturfilmen zuordnen, statt der Seele eines Volkes.

Zudem ist der Pianist auch verbal ein großartiger Vermittler, den man gern Wort für Wort zitieren möchte, um alles im Werk wiederzufinden. Ebenso lesenswert sind die Bemerkungen zu Bartóks Folklore-Verständnis. Und nicht zuletzt interessiert die Biographie des Interpreten. Mehr davon hier und hier:

Text ©Steffen Schleiermacher / Das Coverbild der CD stammt von dem ungarischen Maler Tivadar Kosztka Csontváry (1853-1919)

Bei jpc findet man die CD (alle Titel zum Anspielen) hier

Anmerkung zu Tr.15 „Scherzo“: ein Druckfehler hat sich fortgeerbt, siehe meinen Blogbeitrag Notiz zu Bartóks Bauernliedern.