Unerhört, aber gut besucht
Die Überraschung war, wie unterhaltend der Ablauf des „Klavierkonzertes“ sich gestaltete, manches grenzte zweifellos an „Unterhaltungsmusik“, obwohl dieses Wort innerhalb der „Neuen Musik“ schon vor Jahrzehnten obsolet war (um es mit einer Lieblingsvokabel der Adornoadepten von einst zu belegen). Schon der Weg zur Kirche und aufwärts in deren Konzertetage ist ein Erlebnis, für das Luisenviertel in Wuppertal sollte man sich Zeit nehmen, selbst wenn man mit den karnevalsbedingten Polizeikontrollen im Umfeld nichts zu tun hat.
Alle Fotos: JR / Letztes Bild: Susanne Kessel in der Reihe der Komponisten, davor, ganz unten links: der Kopf des Veranstalters Martin Stürtzer, in der Mitte unterm Kreuz Jan Kopp, neben ihm Martin Wistinghausen. Ganz links Dietmar Bonnen, dann Eberhard Kranemann; ganz rechts Heinz-Dieter Wilke.
Das Projekt ist also weitergelaufen, über die Grenzen Bonns und Beethovens hinaus; ich hatte damals die Dimensionen nicht geahnt: nicht 250 Stücke sind es geworden, sondern 261, aber nun sollte auch Schluss sein, sehr respektabel. Und live für mich eine nachträgliche Bestätigung: die Komposition von Jan Kopp (siehe im Blog hier) hat auch nach drei Jahren ihre Faszination behalten, ja sie ist gewachsen. Leider ist das Stück auf der ersten CD des Klavierprojektes noch nicht enthalten:
Aber was auch immer man hört, gerade in der Zusammenstellung des Wuppertaler Konzerts: es ist – wie gesagt – ein ungemein kurzweiliges Programm, ohne stilistische Grenzen, zwischen wilden Ausbrüchen, Rätselcharakter, Pop, Ironie und Schmalz. Am Ende natürlich „Für Elise“. Sehr angenehm: die unprätentiöse Art der Darbietung durch Susanne Kessel, gleichwohl höchst virtuos, eine uneitle Künstlerin, deren Empathie für jedes einzelne Werk unverkennbar ist, auch wenn es aus dem (fälschlich) vermuteten Rahmen fällt, – gute Idee, auch schon mal drei Stücke aneinanderzufügen, die Einführungen der anwesenden Komponisten signalisierten Respekt vor dem Hörvermögen Nichteingeweihter, – so dürften Konzerte sein, durchaus heiter, was dem klassischen Ritual nicht schaden kann. Einerseits mit eingebauten Überraschungen, etwa als amüsante Performance, so zum Beispiel nach der Pause, – per Zufallsfund oder per Stichwahl: hinein in einen Band Beethoven-Sonaten, die Seite herausgerissen – zum Glück keine Urtext-Ausgabe -, auf den Kopf gestellt und vom Blatt gespielt – das war „Beethovenamstück“ von Harald Muenz, ganz zuletzt als Zugabe noch einmal: ein anderes Blatt, ein anderes Stück.
Andererseits ist alles, was man gehört hat, zuhaus am Computer perfekt nachvollziehbar. Nehmen wir das erste Stück des Konzertes nach dem einleitenden ersten Satz der Mondschein-Sonate: „A little moonlight music“ von Kai Schumacher. Im Programm steht dahinter „Vol.3“, d.h. Sie gehen Sie auf die Website www.250-piano-pieces-for-beethoven.com , vielleicht klappt’s auch schon hier, Sie sehen dort das folgende Bild und klicken oben links auf „audio/video“ (dort „Vol.3“) oder auf „Komponisten“.
In jedem Fall stoßen Sie auf Informationen und eine Möglichkeit, das Stück ihrer Wahl im Vimeo zu hören, ohne es gleich downloaden zu müssen oder eine CD zu kaufen. Ein wunderbares Angebot. Einzigartig (glaube ich) auch in der Webtechnik als Einführung in die Vielseitigkeit der Neuen Musik – mithilfe eines einzigen Instrumentes, des Wunderkastens Klavier.
Im Fall Peter Michael Hamel (in der Ansage ließ mich der Name Tyagaraja aufhorchen) hätte unter „Vol. 9“ zum Beispiel folgendes erfahren:
Peter Michael Hamel über sein piano piece „Freude für Beethoven“:
„Umrahmung mittels des klassischen indischen Tala RUPAK 7/8.
Zitat aus der karnatischen Musik des Beethoven Zeitgenossen Tyagaraja aus Madras am Anfang und am Ende.
Zwischendrin: Beethoven Allusionen Anklänge an die seit der Kindheit erinnerten Melodien.“
„Ich liebe dich so wie du mich
am Abend und am Morgen
Noch ist kein Tag wo du und ich
nicht teilten unsere Sorgen“
Und dann – mehr über Hamel als über Beethoven:
Über Ludwig van Beethoven:
„In Kindheitstagen die Gesangsstimmen der Eltern noch vereint: „Ich liebe dich, so wie du mich, am Abend und am Morgen…“ Die knackende LP: der 10-Jährige hört bei der Oma die Siebte unter Furtwängler. Unvergesslich. op.10 Nr 1 cmoll, wenigstens den ersten Satz erlernt, fast alle Klaviervariationen auf das c-moll Thema. Und dann die letzten Streichquartette als Lebensessenz …“
(Peter Michael Hamel, 20.10.2019)
* * *
Es hat mich gefreut zu sehen, dass der WDR die ganze Sache unterstützt, lauter Leute, die ich aus meinem früheren Leben kenne und schätze:
Nachwort 24.02.2020
Ich habe keine Kritik geschrieben, sondern subjektive Gedanken zu einem Konzert wiedergegeben, – leicht zu erkennen, was hätten sonst Fotos aus dem Wuppertaler Luisenviertel damit zu tun: für mich gehörten sie dazu. Ebenso die nicht erwähnte, kurze Begegnung mit dem Kollegen Michael Rüsenberg, der sich wunderte, dass ich nicht gehbehindert bin. Wie kam er darauf? Vielleicht weil ich seit dem Besuch seiner Veranstaltung am 4. Mai 2017 in Bonn bei ihm nicht mehr aufgetaucht bin? (Siehe hier). Vielleicht nur weil ich fürchtete, dass ich es dort wieder so interessant finden würde, dass ich mich zu ganz viel Nacharbeit bemüßigt fühle? Dabei muss man nämlich lange am Schreibtisch sitzen, während ich in Wirklichkeit sehr gerne laufe, vor allem am Strand einer Nordseeinsel oder bei Domburg. Es gibt im täglichen Leben viele kleine Missverständnisse, die der Rede nicht wert sind. Zum Beispiel in der Zeit, als ich noch für den WDR Festivals auf der Kölner Domplatte oder auf dem Marktplatz in Bonn betreute. Weltmusik, wertvolle (welthaltige) Musik verschiedenster Regionen oder Kulturen. Und immer wieder geschah es, dass Ensembles oder Solisten – bevorzugt aus dem Ostblock – nachfragten, wann denn Preisverleihung sei. Leichte Enttäuschung, wenn sie erfuhren, dass es hier um Nebeneinanderstellung des ideell Gleichwertigen gehe, verbunden mit bewussten Kontrasten, auch im Niveau oder in der Komplexität.
So kommt es, dass ich lieber auf (subjektive) Vertiefung des Verständnisses ziele, und Kritik mit Vorliebe an Kritiken übe, ohne damit eine Art Gutmenschentum hervorkehren zu wollen. Deshalb würde ich auch gern über die Wuppertaler Besprechung meckern, die ich aber nur teilweise mit Hilfe eines Screenshots mehrere Momente lang vor der niedergehenden Leseschranke retten konnte.
Da werden die spektakulären Dinge herausgegriffen, die auch von musikfremden Besuchern auf der nächsten Party erzählt werden könnten. Wenn das Ereignis ausschließlich in den Tönen stattfindet, ergibt das halt ein blasseres Narrativ als wenn der Pianist unter dem Flügel liegt. Das bekannteste Klavierstück von Cage (oder überhaupt, wenn man von „Für Elise“ absieht) ist dasjenige, in dem kein einziger Klavierton erklingt, sondern Stille. Warum auch nicht?
Was mich besonders positiv beeindruckt hat, ist übrigens die Art und Weise, wie Susanne Kessel mit dem Stück eines philippinischen Komponisten umgegangen ist.