Archiv für den Monat: Juni 2023

Begeisterndes aus Stuttgart

Saint François d’Assise

von Olivier Messiaen
Rezension von Roland H. Dippel in NMZ hier
ZITAT

Es stimmt nicht, dass das Publikum bei extrem langen Aufführungen generell schlappmacht. Das beweist neben den Bayreuther Festspiele und den Passionsspielen Oberammergau jetzt auch die Staatsoper Stuttgart. Die Neuinszenierung von Olivier Messiaens Jahrhundert-Heiligenoper „Saint François d’Assise“ dauert acht Stunden, inbegriffen die Wanderung auf dem Killesberg und die Vogelpredigt unter freiem Himmel mit echten Vogelstimmen-Interventionen. Anna-Sophie Mahler distanziert sich vom katholischen Mysterienspiel und rückt Messiaens spirituelle Schärfe in den Vordergrund. Großer Jubel für alle.

Gräser, Unkraut, Moos

Ein anderer Fokus: in Bodennähe

Es fing an damit, dass mich die Geschichte aus Santiago de Compostela ansprach, ohne eine Wallfahrt heraufbeschwören zu wollen. Oder doch? Auf die Knie, in der spanischen Sonne, auf den heißen, unkrautbewachsenen Steinplatten vor der Kathedrale!

Das Thema hatte ich doch heute schon mit meiner Enkelin? Sie legte mir gleich danach einen Link ans Herz gelegt. Danke an Titus Arnu, der dem Thema gleichzeitig Gewicht verlieh.

SZ 10/11.06. 2023 Seite 10

Der Link allerdings führte zur FAZ ( ohne Bezahlschranke) HIER. Zitat:

Die kanadische Biologin Robin Wall Kimmerer, einem großen Publikum bekannt geworden durch ihren Bestseller „Geflochtenes Süßgras – Von der Weisheit der Pflanzen“, verfolgt deshalb mit ihrem neuen Buch ein hochgestecktes Ziel. Es gilt, den Ruf der Moose aufzupolieren. Das Buch, in moosgrüner Farbe gedruckt, führt den Leser auf verschlungenen Erzählpfaden zu der Frage, wie es kommen konnte, dass man diese Pflanzen so konsequent übersehen und ihnen nicht schon immer höchste Wertschätzung entgegengebracht hat.

Wer ist diese Frau? Siehe Wikipedia hier

Alte Erinnerungen werden wach, ein schmales Buch, das ich Ende der 80er Jahre kaufte und dann doch nicht las, von Klaus Modick,1984 bzw.1987. Ich habe es jetzt nachgeholt.

 

Wer hat es warum eine Novelle genannt? Seite 92 Eine Handlung schimmert durch, besonders wenn recht spät eine Liebesgeschichte samt Akt (im Moos) angedeutet wird (S.107f). Oder die zeitnahe Anspielung auf die Rolle der Grünen, Verwunderung, „daß man aus der größten Selbstverständlichkeit der Erde eine Partei machen könne“ (S.92). Wer bei dieser Gelegenheit einen Ausflug in deren Geschichte machen will: siehe hier. Es lag auch ein übler Verriss des Schriftstellers K.M. von Hubert Winkels (Stern)  hinterm Cover, anlässlich des späteren Romans „Weg war weg“, unter dem Reißertitel „Postmoderne Windelwitze“.

Moos und Geflochtenes Süßgras hier oder saure Gräser dort?

Von meinem Großvater habe ich ein Buch verwahrt, das aus dem Jahr 1935 stammt. Darin lag als Lesezeichen, von ihm beschriftet, ein Kalenderblatt vom Montag 22. Januar 1951: „Saure Gräser“. Ihm ging es um die kostbare Nahrung seiner Kühe auf der Lohe, für die er eine Wiese in der weit entfernten Flutmulde der Werre (Bad Oeynhausen) betrieb. Mein Bruder und ich haben ihm manchmal in den Sommerferien dabei geholfen, man musste sehr sorgfältig mit seinen Gräsern umgehen. Ein harte Arbeit.

  Opa bei der Arbeit (Blick auf die Porta Westfalica)

„Wo wir auch in unserem Vaterlande wandern“ – überall dieser verführerische Ton (→ „Ernting“).

Hauptberuf: Holzverarbeitung (meine Bäume spiegeln sich)

Unten: Ausblick (JR in die Bäume, Eos in der Spiegelung, ein bei Lichteinfall dirigierender Miniatur-Beethoven, nebenbei im Fernsehen: André Rieu)

↓Eos bei der Arbeit, etwa 20 Jahre vorher, Foto in gleicher Blickrichtung wie heute ↓

Ich erinnere mich und hole die Bücher von Emanuele Coccia hervor, lasse ein Zitat über „Dinglichkeit“ auf mich wirken:

SOLINGEN Müngstener Brücke

Ein Kapitel in Heimatkunde

HIER der WDR-Film 11.06.23

Wikipedia über die Müngstener Brücke

Daraus das Zitat:

Weltkulturerbe

Seit 2012 gibt es Bemühungen, die Brücke als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. Die Bewerbung erfolgt seit 2021 zusammen mit den Brücken Ponte Maria Pia und Ponte Dom Luís I in Portugal, der Ponte San Michele in Italien und dem Garabit-Viadukt in Frankreich. Alle fünf Brücken wurden im 19. Jahrhundert als beeindruckende Großbogenbrücken gebaut.

Wikipedia (Stefan Kemmerling)

„Denn hier ist viel Natur zerstört worden“

Biologische Station Mittlere Wupper

Quelle: ST Solinger Tageblatt 12.06.23 über Bezahlschranke hier

Interessanter Film über die Wupper

Eine bildstarke Reise und eine erstaunliche Geschichte über die Kraft der Natur. Die Dokumentation von Clemens Gersch und Michael Wieseler ist eine filmische Reise über die Wupper. Sie führt durch eine vielfältige, lebendige Region, üppige Natur und mehr als hundert Jahre Industriegeschichte.

Bild: WDR/ Clemens Gersch

Vom Lachen

Eine glücklicherweise nicht zu kurze Philosophie des Humors

Ich habe mich schon oft mit Komik beschäftigt: wie entsteht sie, wozu brauchen wir sie, warum verstehen manche Leute keinen Spaß, haben Mühe, über einen Witz zu lachen, erkennen keine Doppeldeutigkeit? Worauf beruht die erlösende oder beleidigende Wirkung der Pointe? Was ist heute anders als früher? Bei Yves Bossart wird uns manches klarer. Ich zitiere:

Wir haben gesehen, wie wichtig der jeweilige Kontext für die Beurteilung von Komik und Satire ist. Dieser Kontext wird nun aber durch die Digitalisierung zunehmend aufgelöst. Mithilfe des Internets und der Sozialen Medien kann ein blöder Spruch, eine Anspielung oder ein Witz ohne Weiteres aus dem ursprünglichen Kontext gerissen und in Sekundenschnelle über den ganzen Erdball transportiert werden. Die Pointen hängen damit im leeren Raum und laufen Gefahr, falsch oder feindselig interpretiert zu werden. Hinzu kommt eine verstärkte Polarisierung durch die vielzitierten Filterblasen, also durch die Tatsache, dass uns Soziale Netzwerke gern mit Information und Desinformation versorgen, die in unser Weltbild passen. Dadurch verlieren wir zunehmend die Toleranz für andere Weltsichten ebenso wie für Zwischentöne und neigen immer mehr zu einem empörungsgetriebenen Freund-Feind-Denken.

Hinzu kommt ein Phänomen, das man gerne als »Tocqueville-Paradox« bezeichnet. Der französische Publizist Alexis de Tocqueville machte Mittte des 19. Jahrhunderts die Feststellung: Ja geringer die gesellschaftlichen Missstände, desto höher ist die Empörung über die verbleibenden Missstände. Ähnliches beobachten wir heute. Es ist kaum zu leugnen, dass wir sensibler geworden sind gegenüber Ungleichbehandlungen in Alltag und Sprache. Begriffe und Phänomene wie »Political Correctness«, »Safe Space«, »Triggerwarnung«, »Mikroagression« und »Wokeness« sind auch hierzulande angekommen. Wir sind wacher geworden, was Diskriminierungen aller Art betrifft, nicht nur handfeste Ungleichbehandlungen wie etwa die Lohnungleichheit zwischen Mann unf Frau, sondern auch subtilere Formen der Abwertung. Man denke etwa an die Phänomene »Mansplaining« oder »Manspreading« – also daran, dass Männer gerne mehr Platz einnehmen als Frauen, sowohl beim Reden als auch beim Sitzen. Oder an die vielen Debatten über gendergerechte Sprache. Die entscheidende Frage lautet meines Erachtens: Wann kippt der wichtige und verdienstvolle Kampf gegen Diskriminierung in ein Gerangel um bloße Empfindlichkeiten?

Mit Blick auf die Komik stellt sich also die Frage: Wer bestimmt eigentlich, was noch geht und was bereits zu weit geht? Ist ein Witz bereits dann moralisch schlecht, wenn es einzelne Personen gibt, die sich davon verletzt, beleidigt oder herabgewürdigt sehen?

Quelle: Yves Bossart a.a.O. Seite 83 f – s.a. hier

Es geht nicht immer lustig zu, in diesem  Buch über das Trotzdemlachen, zum Glück. Es ist ja nebenbei eine kleine Philosophie des Humors, und jede Zeile ist ein Lesevergnügen.

Für mich ein Anlass, den bisherigen Stand der Komik im Blog zu sichten, bierernst, fürchte ich:

Lachen mit Schopenhauer?

Kein Witz für Kinder (warum?)

Wie war denn Ciceros Witz?

Witze verstehen

Künstliche Intelligenz – entspannen Sie sich

Sonderbeitrag Satire

Humor und Virus

Humor und Tragik

Der Effekt des Zeitunglesens

Nicht lachen wollen

Scherzverwandtschaft

Lachen – worüber?

Osterlachen – mit Vorsatz

Comedians

Zu guter Letzt wenden wir uns noch einmal an den Schweizer Autor Yves Bossart, mit dessen Buch der heutige Blog-Artikel begann. Er hat einmal in einer der „SFR Kultur Sternstunden“ in aller Kürze erläutert, was es mit dem Humor auf sich hat:

Koinzidenz ZEIT 7.6.2023 Seite 46 Ein Gespräch mit der Philosophin Rosi Braidotti: »Ich halte das westliche Denken für überholt« Zitat:

Apotheose des Streicherklangs

Reinhard Goebel und das Brandenburgische Nr. III

  Die neun Musen???

Der alte und der neue Blick in die Partitur

Was das Dritte Brandenburgische in meinem Leben bedeutete, habe ich einmal beschrieben, als ich mich in einem Vortrag an den Cembalisten Fritz Neumeyer erinnerte:

Für mich begann eine neue Dimension, als ich Albert Schweitzers Bach-Buch aus der Stadtbücherei entlieh, wodurch die Kleine Chronik der Anna Magdalena Bach im Handumdrehen entthront war. Ich hörte vom Bach-Bogen, den ich glaubte eines Tages besitzen zu müssen, wenn ich die Solosonaten ordentlich spielen wollte. (Ein Mythos, den Schering und Schweitzer aufgebracht haben.) Und irgendwann hörte ich eine Aufnahme mit Emil Telmanyi, der einen sogenannten Bach-Bogen verwendete, und dachte: so möchte ich nie spielen. Dann begeisterte mich eine Aufnahme des dritten Brandenburgischen Konzertes, ganz besonders der Mittelsatz, da wusste ich noch nicht, dass es den gar nicht gibt: Bach hat ja zwischen die beiden schnellen Sätze nur eine Überleitung von zwei Akkorden geschrieben, die man – so glaubte man – zu einer kleinen Kadenz erweitern kann. Und hier hörte ich nun eine riesige Cembalo-Kadenz, hochromantisch, wie ich fand, gewaltigster Bach, dachte ich, – aber es war – Eduard Müller aus Basel (siehe hier). Jahrzehnte habe ich geglaubt, es müsse Fritz Neumeyer gewesen sein, aber aufgrund der modernen Internetrecherche kann ich mit Bestimmtheit sagen: es war die Archiv-Produktion Februar 1954, Schola Cantorum Basiliensis, Leitung August Wenzinger, und auf dem Cover stand sogar: Cembalo-Kadenz Eduard Müller, aber das besagte für mich nichts, – er war halt der Interpret. (Zu seinen Schülern gehörte übrigens Gustav Leonhardt.) Jedenfalls hörte ich zum erstenmal ein Cembalo, das mir gefiel. Vermutlich habe ich den Klang des Cembalos beim damaligen Stand unserer Wiedergabetechnik gar nicht recht beurteilen können, mir hat die ungewöhnliche Machart gefallen, der Ausbruch aus dem barocken Schema. Vielleicht das, was man später Agogik nannte. Ich habe die Aufnahme wieder aufgetrieben und werde dies Beispiel nachher noch anspielen. Wenn man rückblickend feststellen will, was eigentlich revolutionär war an der Aufführungspraxis alter Musik, wie sie seit den 30er Jahren umgesetzt wurde, war es vor allem der Klangkörper, nicht die Spielart, am auffälligsten bei den Cembali und später bei den Hammerflügeln. Das Verteufelte war: es gab ja dem Namen nach jede Menge Cembali, sogar in jedem Theater, aber nur solche der Firma Neupert, und die waren dem modernen Klavierbau angepasst. Und allgemein war man wohl der Ansicht, „der typische Cembaloklang offenbare sich vor allem in der klanglichen Differenzierung durch die verschiedenen Registrierungsmöglichkeiten“. (Gutknecht S.128). Was ein Irrtum war.

Die Partitur kannte ich noch nicht, ich begann ja erst zu sammeln, wie die folgende Titelseite zeigt; wiederum war es die Cembalo-Kadenz (des ersten Satzes) , die mich in ihrem schieren Ausmaß zum Staunen brachte, und sie stammte zweifellos von Bach selbst.

Ein weiteres Zeugnis stammt aus der Zeit um 1963, während des Schulmusikstudiums in Köln: die Frau meines Freundes Klaus Giersch hat mir ihre 1959 erworbene Partitur überlassen, damit ich die Redeteile darin kennzeichne: den Analysetext habe ich einer Vorlage entnommen, deren Quelle ich nicht mehr weiß. Hilfreich immer noch, frühzeitig bezog sich auch Goebel sich auf diese inzwischen recht bekannte barocke Formbildung bezieht, ich nahm sie ganz ernst seit Harnoncourts Buch „Musik als Klangrede“ (1983); prompt möchte ich meine Einzeichnungen zeitlich relativieren; ich fühlte mich erst auf sicherem Boden, seit ich von Jacobus Kloppers „Die Interpretation und Wiedergabe der Orgelwerke Bachs“ gelesen hatte (Frankfurt a.M.1966) . – [Am Anfang ist die Angabe: „1-8 Exordium“ verdeckt.] Es empfiehlt, die Noten mit den analytischen Bemerkungen zu der recht gemütlichen Youtube-Aufnahme mitzulesen, die um 1966 mit dem Collegium Aureum entstand, Leitung Franzjosef Maier (der mein Lehrer war, übrigens auch der von Reinhard Goebel, welcher zwei Jahrzehnte später für eine Präferenzaufnahme sorgte, die zumindest tempomäßig alles Vorherige in den Schatten stellte).

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2003 kam ein neuer Schub durch Peter Schleuning, der mir wichtig war durch die Monographie über die „Kunst der Fuge“ (1993). Jetzt wundert es mich, wie sein Buch über die „Brandenburgischen Konzerte“ von Unsicherheiten geprägt ist, speziell über die Semantik des Dritten. Keine 9 Musen treten auf, so bleibt manches an Bachs Schreibweise rätselhaft (3 fast identische Bass-Stimmen in der Partitur notengetreu ausgeschrieben – fürs Auge des „musischen“ Markgrafen). In der historischen Einordnung stimmt er bereits (nach Elmar Budde, Heinrich Besseler und Martin Geck !) mit Goebels Ansicht überein, dass es sich um so etwas wie einen Abgesang auf die italienische und deutsche Ensemblemusik des 17. Jahrhunderts handelt. Wobei Goebel noch weitere Namen in Betracht zieht und vor allem ein Werk, das Bach seit Jugendzeiten kennt: Canon & Gigue von Pachelbel.

P.Schleuning (2003) Goebel (2023)

Reinhard Goebels Buch wächst einem ans Herz, wo sich Gelehrsamkeit mit Begeisterung mischt. Selbst wenn man das Wort Noema noch nie gehört hat (siehe hier).

Die einzigartige Geschlossenheit des Concerto III, die sich dem Hörer insonderheit dann erschließt, wenn die Tempogleichheit [Anm.: Aus Vierteln werden punktierte Viertel. Der Schlag bleibt im Tempo gleich, die Bewegung innerhalb des Schlages ändert sich, wird schneller.] beider Sätze realisiert wird, ist letztlich die Folge der ständigen Rückbesinnung und Bezugnahme auf die überschaubare Menge der Einzelmotive des Exordiums und der Narratio und ihrer Verarbeitung in Noema, Kanon, sowie verschiedenen Arten von Divisio.

Dabei beziehen sich größere Formteile aufeinander, wie z.B. im ersten Satz das „nachgeholte“ Solo der driten Violine, welches Bach im vorderen Satzteil, wo es nach den Soli von erster Violin (Takt 47) und zweiter Violine (Takt 51) hätte erscheinen müssen/können/sollen, ausgespart hat, um uns Takte 67 augenzwinkernd mitzuteilen: „Nein. ich habe die dritte Violine nicht vergessen: Voilà!“

Einen ähnlichen Scherz hören wir im ersten Satz auch in der Confutatio Takt 78, deren aus den Hauptmotiven entwickelte Oberstimmen mit dem aus Takt 5 stammenden stufenweise gehenden Bass – eben dem Widerspruch zur ansonsten omnipräsenten Dreiklangsbrechung – unterlegt sind. Pflichtgemäß, aber in der sich anbahnenden Catastrophe kaum noch hörbar – hat man sie nicht längst vergessen? – meldet sich in Takt 86 die dritte Violine unisono mit dem Soggetto der Confutatio zu Wort, bevor ab der Mitte von Takt 87 dann die ereignisreichsten Takte des Satzes vom forte in dreimaligen Abstieg (absteigend und insofern decrescendierend) in ein piano begleitetes Solo der ersten Violin zu diffundieren beginnen.

[JR: Takt 78 siehe in der hier wiedergegebenen Partitur oben s. ab Seite 14 (Blatt 8)]

Bewundert man am ersten Satz die grandiose Erfindungsgabe und die diffizile Kleinarbeit in der Verteilung auf die drei Instrumentengruppen, so lebt der vergleichsweise ereignisarme Schluss-Satz von der generösen Zusammenfassung großer Ereignis-Felder im vor allem richtigen Tempo.

Quelle Reinhard Goebel: a.a.O. Seite 73 f , s.a. hier

Die Vorstellung vom richtigen Tempo, den beiden Akkorden statt des langsamen Satzes, von der präzisen Tempo-Relation zwischen den beiden schnellen Sätzen hatte Reinhard Goebel in seiner Aufnahme dieses Concertos für die Gesamt-CD der Brandenburgischen Konzerte 1986 in atemberaubender Weise realisiert. Und es lohnt sich auch, seine damalige Auffassung von Bach-Interpretation im Booklet nachzulesen:

Die Aufnahme von damals ist als CD dem Buch beigefügt (allerdings ohne die C-dur-Suite, bei der ich mitwirken durfte…), hier ist die alte Liste der Tracks und der Mitwirkenden:

und das CD-Cover:

Für mich gehört diese „alte“, nicht alternde Produktion ebenso wie das aktuelle Buch von Reinhard Goebel zu den Meilensteinen der Alte-Musik-Renaissance unserer Zeit. Dem unerhörten, ewig jungen Bach zweifellos angemessen.

Gleichwohl liebe ich das abschließende, irgendwie auch wieder historisch relativierende Resümee des Kapitels vom Brandenburgischen Konzert Nr. III:

Letztlich aber ist das Concerto III auch und vor allem ein Musée sentimental, Bachs später Gruß zurück ins 17. Jahrhundert und zusammen mit dem Concerto VI sein Abschied von den Klängen der Ensemblemusik seiner Kindheit und seiner Adoleszenz. Es ist der im 18. Jahrhundert nachgelieferte Zenit, das Summum opus aus der Kunst eines David Pohle, Johann Pezel, Johann Pachelbel, eines Dieterich Buxtehude und eines Heinrich Ignaz Franz Biber.

Man glaubt es nicht, wenn man das Herren-Ensemble in Perücken auf dem Gemälde betrachtet. Aber es hat keinerlei Beweiskraft. So ist der virulente Faktor Moderne nicht auszuschalten…

Wer war Leibowitz?

Michael Schwalb

vorweg: musica reanimata

Deutschlandfunk 6. Juni 2023 hier 22:05 Uhr NACHHÖREN HIER

  • Musikszene

    musica reanimata

    Der Komponist René Leibowitz, ein Überlebender aus Warschau
    Am Mikrofon: Georg Beck

    Der 1913 in Warschau geborene René Leibowitz gehört als Dirigent, Komponist und Theoretiker zu den prägenden Persönlichkeiten der Musik des 20. Jahrhunderts. Nach kurzem Berlin-Aufenthalt zog er Ende der 1920er-Jahre nach Paris. Hier weihte ihn Rudolf Kolisch in die Interpretationspraxis der Wiener Schule ein, Erich Itor Kahn in die Zwölftontechnik. Dirigierunterricht erhielt Leibowitz von dem ebenfalls nach Paris geflüchteten Paul Dessau. Die enge Partnerschaft der drei dokumentiert sich in mehreren Widmungskompositionen. Unter der deutschen Besatzung Frankreichs bekannte sich Leibowitz verstärkt zu Arnold Schönberg. Nach dem zweiten Weltkrieg gerät Leibowitz zusehens in Vergessenheit. Ein musica reanimata-Gesprächskonzert im Konzerthaus Berlin lotete am 12. Januar Möglichkeiten der Wiederentdeckung aus. Moderator Albrecht Dümling sprach mit dem Dirigenten Walter Nußbaum und dem Pianisten Marc Reichow.

22:50 Uhr Sport Aktuell
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René Leibowitz in Wikipedia hier
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Martin Tchiba!

Neue Klänge am Klavier
im ungarischen Rundfunk (Bartók Radio)
Martin Tchiba, piano solo recital (s.a. hier)
Aufgenommen am 26. April 2023 in Budapest
Noch 2 Wochen abrufbar (ab 3. Juni)
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HIER (1. Musik beginnt bei 2:40, 2. Musik fast ohne Pause bei 3:30, 3. bei 5:03 etc.)
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PROGRAMM (die Links führen u.U. nicht weiter, siehe weiter unten)
[22:02:40] Martin Tchiba, 010616
[22:03:30] Gerhard Staebler, Music Box – jerkily, „Budapest Version“
[22:05:03] Kecskés D. Balázs, Prelude for Martin Tchiba
[22:07:35] Helmut Zapf, KME
[22:09:00] Bence Kutrik, 10100 – 10000 – 110 – 1
[22:11:30] Mateo Soto, Silent Music
[22:14:22] Peter Gilbert, Etching: Merged Reflection
[22:15:16] Michael Denhoff, Klangkreis(el)
[22:18:34] Karola Obermüller, fusion – femmage à Ruth Crawford
[22:19:21] Peter Michael Hamel, Aus dem Klang des Lebens für WIReless
[22:20:20] Johannes Sandberger, Erster Dezember
[22:22:01] Linna Zhang, … irgendwo dahinter …
[22:23:12] Jean-Jacques Dünki, Moderato für Martin Tchiba
[22:24:24] Gerhard Stäbler, now.here – here? / Akkordfetzen
[22:24:55] Bank Sary, Szivárvány
[22:26:37] Christian Banasik, Retweet K.
[22:27:33] Rainer Rubbert, restriction – meditation
[22:28:37] Martin Daske, exercise – meditation
[22:30:18] Bánkövi Gyula, Meggyőződés nélküli harangszó
[22:31:07] László Sándor, Offertorium musicum II. – Bells and Chimes
[22:32:52] Miro Dobrowolny, Kontrafaktur
[22:33:57] Lars Werdenberg, Glockenstück
[22:35:13] Norbert Laufer, in an instant
[22:38:38] Péter Tornyai, Variations for Martin Tchiba
[22:43:44] Martin Tchiba, 3 zongoradarab / 3 Piano Pieces
[22:51:58] Martin Tchiba, après – avant (world premiere)
[23:22:17] end
#ArsNova radio program by Gyula Bánkövi – #ArTRIUM concert series
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Hinweise zu Web-Informationen über die einzelnen Komponisten: 
(JR These: zum Hören gehört Hintergrundwissen, Ahnungen zum „Ernst der Lage“, Stilistik = Neuanfänge = Übergang von Stück zu Stück erkennen…)
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Gerhard Staebler https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_St%C3%A4bler hier

Kecskés D. Balázs https://kecskesdbalazs.com/en/ hier

Helmut Zapf https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Zapf hier

Bence Kutrik https://bencekutrik.com/en/home/ hier

Mateo Soto https://www.mateosoto.es/ hier

Peter Gilbert https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gilbert_(Komponist) hier

Michael Denhoff https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Denhoff hier

Karola Obermüller https://de.wikipedia.org/wiki/Karola_Oberm%C3%BCller hier

Peter Michael Hamel https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Michael_Hamel hier

Johannes Sandberger https://johannessandberger.de/ hier

Linna Zhang (???)

Jean-Jacques Dünki https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_D%C3%BCnki hier

Bank Sary (???)

Christian Banasik https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Banasik hier

Rainer Rubbert https://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Rubbert hier

Martin Daske https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Daske hier

Bánkovi Gyula https://gyulabankovi.com/en hier

László Sándor https://static1.squarespace.com/static/582a4ade440243c12b2ac30b/t/5be1e4756d2a73dfb3fe0f12/1541530742391/LASZLO_SANDOR.pdf  hier

Miro Dobrowolny http://mirodobrowolny.de/ hier

Lars Werdenberg http://www.larswerdenberg.ch/wordpress/ hier

Norbert Laufer https://www.dohr.de/autor/n-laufer.htm hier

Péter Tornyai http://petertornyai.com/en hier

Das dritte Brandenburgische – anders

Zu Pfingsten (nachträglich)

Kennen Sie die Musik?

Auf YouTube das Hörer-Statement:

Read chapter 8, „Cantatas or Coffee?“ from „Bach: Music in the Castle of Heaven“, by John Eliot Gardiner, for an interesting discussion of why this piece was written, with its top-heavy and brilliant sinfonia, and relatively simple vocal sections, especially the recitative and choral. Better yet, read the whole book.

Jawohl, auch die deutsche Fassung des Buches ist sehr empfehlenwert! Dies ist die Geschichte zu BWV 174 (Kantate „Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüte“):

Quelle John Eliot Gardiner: BACH Musik für die Himmelsburg / Carl Hanser Verlag München 2016

Hier aus derselben Aufnahme wie oben nur der erste Satz, die Sinfonia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ich_liebe_den_H%C3%B6chsten_von_ganzem_Gem%C3%BCte hier

Bachs Autograph, in Eile …

… nach der Original-Partitur, die klingt wie folgt:

Gulda 1976

Ohne Cecil Taylor, leider mit Ursula Anders

Ich erinnere mich zwar an das Konzert, in dem wir in einer der vordersten Reihen saßen, nicht aber an diesen Handzettel, den ich von JMR erhielt: er interessierte sich damals wahrscheinlich noch mehr für Cecil Taylor als für Friedrich Gulda. Von diesem gab es später ähnliche Auftritte im Fernsehen zu sehen (er selbst angeblich nackt hinter dem Flügel stehend, ein Krummhorn blasend). Ursula Anders mit Schumann fand ich peinlich, für manche hohen Töne begab sie sich auf die Zehenspitzen. Gulda u.a. mit Gulda („für Paul“) durchaus beeindruckend. Nach der Pause (damit niemand das Konzert verließ?) begann er mit Mozart A-dur, unglaublich schön, – nachhaltig wirkend auch durch sein Performing: er begann zu spielen und zugleich das Publikum eindringlich ernst zu mustern, von einem zum anderen; ich dachte an Rilke: „da ist keine Stelle, die dich nicht sieht: du musst dein Leben ändern“, man fühlte sich persönlich gemeint und – einer schweren Prüfung unterzogen.

Der verantwortliche Redakteur Schubert berichtete in einer späteren Musiksitzung nicht ohne Erschütterung über Guldas „rein musikalische Seite“.

Ich lese durchaus mit gemischten Gefühlen den folgenden Augenzeugenbericht (?) 2016:

https://kultur-online.net/inhalt/der-friederich-der-friederich-und-dar%C3%BCber-hinaus HIER

Noch etwas habe ich in Erinnerung: die Schwester der Gulda-Sängerin, Sylvia Anders, beide Töchter des berühmten Tenors Peter Anders, war in jenen Jahren auf Tournee mit ihrem Lebensgefährten Justus Noll, und am Flügel saß nicht immer dieser, sondern auch im Wechsel mit ihm – mein Bruder. Ob in der folgenden Aufnahme, vermag ich nicht zu beurteilen. Ist es Klassik oder Jazz?

Es gab noch einen anderen Auftritt Friedrich Guldas im Kleinen Sendesaal des Funkhauses mit Paul & Limpe Fuchs, wobei er zwischendurch mit Vehemenz eine Bach-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier vortrug. Die anderen Mitwirkenden veranstalteten ein Happening mit einer Art Feuerwerk, was nicht ungefährlich wirkte. Paul Fuchs habe ich Jahrzehnte später in der Toskana (durch Vermittlung von Hans Mauritz) wiedergetroffen, in seinem „Garten der Klänge“. War es 2010 oder 2012? Es lebe die Kontinuität! Zwei Beweis-Fotos sollen folgen…