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Trump und die Zukunft

Erkenntnisgewinn aus der furchtbaren Wahl

Ja, es ist weiß Gott schon genug geschrieben worden über dieses Thema, da muss ich nicht ein zweites Mal nachhalten. Ich tue es nur im eigenen Interesse, nämlich um einen beeindruckenden Artikel zu verinnerlichen: bald wird er zwar im Internet nachlesbar sein, aber wer weiß, ob dann die Bereitschaft, Historisches zu exzerpieren, nicht wieder durch Musikthemen verdrängt ist. Also: der Autor ist möglicherweise kein ausgewiesener Musiker, jedoch außerordentlich vielseitiger Feuilleton-Chefredakteur der ZEIT, Thomas Assheuer. Autorität ist er aber nicht so sehr durch diese Tatsache, sondern weil er große Zusammenhänge erfasst und plastisch darstellen kann. Ich beschränke mich darauf, Kernsätze zu sammeln, im Vertrauen darauf, dass sich der Zusammenhang wieder „von selbst“ einstellt. Die Internetquelle wird folgen, sobald sie erreichbar ist, einstweilen hilft die aktuelle Ausgabe der ZEIT, – wieder einmal ein Artikel, der allein den Preis des ganzen Blattes wert ist. Insbesondere bin ich froh, dass am Ende der Bogen zu Max Weber geschlagen wird, dessen Werk immer wieder eine Rekapitulation verdient. Auch in dieser Richtung will ich Lese-Motive zusammenstellen. Vorweg aber ein schnell geschossenes Handy-Motiv, als Dank beim Abschied im November, keine Kunst, einfach weil es mich an schöne warme Sommerabende auf der jetzt verwaisten Terrasse erinnert, unser Refugium zwischen Solingen und Haan. (Nur für den Fall, dass man mir vorhält, die regelmäßig rettende Muße nur mit Lippenbekenntnissen zu bedenken. Siehe dazu das „Nebenergebnis“ hier.)

heidberger-muehle-a  heidberger-muehle-b November 2016

(Zitat-Auswahl folgt)

Natürlich muss man fragen, welchen Grad an soziomoralischer Zerrüttung eine Gesellschaft erreicht hat, die knapp drei Jahrzehnte nach ihrem Sieg über den Kommunismus einen klassischen Spekulanten zum Präsidenten wählt. Tatsächlich konnte Trumps Revolte nur erfolg haben, weil er zum Putsch aufrief und die rebellischen Energien einer gespaltenen Gesellschaft auf seine Mühlen lenkte. Trump betrieb Ideologiekritik von rechts und traf damit einen Nerv. Er hämmerte dem Wahlvolk ein, die liberale Kultur mit ihrem gottverdammten Kosmopolitismus, mit diversity und Multikulti-Aroma sei nichts anderes als die Ideologie einer politischen Klasse, die die hart schuftenden Arbeiter um ihren gerechten Anteil betrüge. Die herrschende Moral sei die Moral der Herrschenden – die Moral der vaterlandslosen Globalisten, die ihre eigenen Kinder in Privatschulen in Sicherheit bringen, die Wasser predigen und Wein trinken.

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Es gibt eine neue Konvergenz der Systeme, nämlich eine Konvergenz der Autoritären. Trump fühlt sich Putin nah, und wer weiß, wen er noch so alles bewundert. Denn bei allen Unterschieden verkörpern Trump wie Putin einen neuen Politikertyp, der mit identischem Profil auf die Anarchie der Weltgesellschaft reagiert mit einer toxischen Mischung aus Größen- und Verfolgungswahn. Nachdem die Globalisierung eine Raumrevolution ausgelöst und Grenzen durchlöchert hat, setzen die neuen Autoritären auf den geschlossenen Maßnahmestaat, während sie gleichzeitig eng mit dem Weltmarkt verbunden bleiben.

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(…) Der neue Typ des Autoritären weiß, dass es allein auf a few dollars more nicht ankommt. Deshalb verspricht er nicht nur Arbeitsplätze (Trump: „Ein Anruf bei Ford Mexico, und die Autos werden wieder bei uns gebaut); er verspricht ein Mehr an Leben, eine existenzielle Intensität jenseits des neoliberalen „Tugendterrors“, der den Leuten einbläut, sie sollen sich gefälligst wettbewerbsfähig halten, mit dem Rauchen aufhören und nicht so fett werden. In Trumps Schmährhetorik verkörpern Liberale wie Hillary Clinton das leblose leben, das sich mit kitschigen Phrasen („hope“) auf eine Zukunft vertröstet, die sowieso nicht kommt.

Mit diesem reaktionären Vitalismus stößt die Neue Rechte in das liberale Sinnvakuum vor und verspricht dem „Volk“ ein Leben, das mehr ist als die Vermeidung von Fehlanreizen, mehr als Investment, mehr als „Werde schlau, dann kannst du es schaffen“ – und mehr als Sozialpolitik sowieso. Rechte Politik ist aktive Schizophrenie. Sie intensiviert den Konkurrenzkapitalismus und verspricht gleichzeitig die Erlösung von seinen Zwängen, und das nicht erst morgen, sondern schon heute. Deshalb erlaubt sie das obszöne Genießen, sie gewährt den kurzen bewachten Ausstieg aus dem gesellschaftlichen Rattenrennen, die kalkulierte Übertretung – wenngleich nur so lange, wie es nicht politisch und gefährlich ist, denn sonst kommt, leider, leider, der Große Bruder und schaut nach dem Rechten.

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Selbst wenn Amerika unter Trump als treibende ordnungsstiftende Kraft ausfällt: Die einmal errungene Freiheit vergisst sich nicht, sie kommt wieder, sie kann nicht anders. Bis dahin könnte Europa der Welt vormachen, wie man den Kapitalismus zähmt und auf diese Weise den Rechten das Wasser abgräbt. Oder, um Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen: „Will man jetzt über Amerika hinausschicken, so kann es nur nach Europa sein.“

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Der Soziologe Max Weber hat in seiner Protestantischen Ethik bereits 1904 durchgespielt, was es bedeutet, wenn der Amerikanische Traum als Perversion in Erfüllung geht und sich der kapitalistische Markt ohne Rest in eine kapitalistische Kultur verwandelt: Die „äußeren Güter dieser Welt“ werden eine „unentrinnbare Macht über den Menschen gewonnen“ haben. Der kulturelle Geist der Geschichte ist „aus diesem Gehäuse gewichen, der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf dieser Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen. (…) Auf dem Gebiet seiner höchsten Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines religiös-ethischen Sinnes entkleidete Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziieren.“ Dann allerdings könnte für die „letzten Menschen“ dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: „Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.“

Das war Max Weber Antwort auf Hegels Spekulation über den Gang des Weltgeistes. In Amerika kommt er zur Ruhe, aber nicht in Gestalt von Vernunft und Freiheit, sondern in Gestalt von Zwang und Ökonomie. Doch wie gesagt: Wer glaubt schon an den Weltgeist.

Quelle DIE ZEIT 17. November 2016 Seite 45 Der Dealer als Leader Wenn Donald Trump wahr macht, was er seinen Wählern versprochen hat, dann endet der Liberalismus dort, wo er begonnen hat: In Amerika. Von Thomas Assheuer.

Empfehlung

Es kann nicht ganz falsch sein, jetzt einmal bei Max Weber selbst nachzulesen. Eine der empfehlenswertesten Arbeiten des vergangenen Jahrhunderts: Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus [1904/05; 1920] als pdf  HIER abrufbar. Vielleicht eine drucktechnisch fragwürdige Wiedergabe. Zu vergleichen mit einer anderen Version HIER. (Assheuers Zitat findet sich hier auf den Seiten 83/84.) Aber auch diese Wiedergabe enthält unangenehme, übertragungstechnisch bedingte Druckfehler, z.B. „assozüeren“ statt assoziieren, „Aufsaties“ statt Aufsatzes u.ä.

NEIN, der beste Weg per Internet: über Wikipedia HIER – schon um eine inhaltliche Vorstellung zu bekommen -, dann zum Volltext über die dort am Ende angegebenen Weblinks.

Neues über Trump

Im Tagesspiegel ein Interview mit seinem Biographen David Cay Johnston HIER !

Noch einmal zu Max Weber

Wenn man es ganz genau wissen will, geht man an die Quellen:

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Oder auch an den sehr gründlichen Sekundärtext „Max Weber Handbuch / Leben – Werk – Wirkung / Herausgegeben von Hans-Peter Müller und Steffen Sigmund WBG : Seite 105 zum Stichwort „Protestantismus, asketischer“; Seite 245 bis 255 Zu „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904-05; 1920)“. Darin unter Fazit (Seite 255):

Die Protestantische Ethik ist entschieden nicht nur eine historische Abhandlung, die eine begrenzte These entfaltet. Sie ist vielmehr eine Summa, ein Ausdruck von Webers Ansichten zu praktisch allen Themen, die ihn interessierten. (…) Wenn wir uns also fragen, von welcher Bedeutung die Protestantische Ethik für das zeitgenössische Denken ist, dann muss die Antwort so lauten, wie Weber diese Arbeit konzipierte und ihre Leser sie kollektiv rezipieren: als offen und praktisch grenzenlos.

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Regional – global – fatal

Wie sich „das Ganze“ vom Geist ins Geld begab

ZITAT Rüdiger Safranski:

Man muß sich den epochalen Politisierungsschub um 1800 als eine Vorform des heutigen Globalismus vergegenwärtigen. Damals wurde das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen neu konfiguriert. Die Sinnfragen, für die einst die Religion zuständig war, werden jetzt an die Politik gerichtet: ein Säkularisierungsschub, der die sogenannten ‚letzten Fragen‘ in gesellschaftlich-politische verwandelt: Robespierre inszeniert einen Gottesdienst der politischen Vernunft, und im Preußen der Befreiungskriege von 1813 zirkulieren zum erstenmal die Gebetsbücher des Patriotismus, der sich anschickt, zum Nationalismus zu werden.

Die Politisierung war die erste dramatische Einengung in der Wahrnehmung des Ganzen. Mitte des 19. Jahrhunderts vollzieht sich die zweite: die Ökonomisierung. Den Anspruch auf Schicksals- und Deutungsmacht erhebt jetzt der Ökonomismus, für den das Gelten von Werten zum Geld und die Wahrheit der Welt zur Ware wird. Tatsächlich verbinden ja das Geld und der Warentausch alles mit allem und dringen in die verborgensten Winkel der Gesellschaft und der Individuen ein. Wenn das Geld für so verschiedene Dinge wie Bibel, Schnaps und Sexualverkehr einen gemeinsamen Wertausdruck schafft, dann kann man darin eine Verbindung zum Gottesbegriff des Nikolaus von Kues entdecken, für den Gott die coincidentia oppositorum, den Einheitspunkt aller Gegensätze bedeutet. Indem das Geld zum Äquivalent aller Werte wird, erhebt es sich, wie einst Gott, über die Mannigfaltigkeit der erscheinenden Welt. Es wird zu einem Zentrum, wo das Unterschiedene und Entgegengesetzte ihr Gemeinsames finden. Die Zirkulationsmacht des Geldes hat den Geist überflügelt, dem man einst nachsagte, er wehe, wo er will…

Quelle Rüdiger Safranski: Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? Frankfurt am Main 2004 (S. 66f)

[Nachzutragen: die private Globalisierung meiner Musikwelt]

Global brutal  Global brutal Covertext Frankfurt am Main 2002

Aus einer Besprechung von Hans Martin Lohmann am 22.7.2002 im Deutschlandfunk:

Man zerschlage eine lokale Selbstversorgungsökonomie im Namen des „freien Marktes“, degradiere den Staat zum Empfänger von Weltbankkrediten (die natürlich an strenge Auflagen im Sinne eines globalen Marktliberalismus gebunden sind), zwinge den Staat zu einem permanenten Schuldendienst, der nur mit immer neuen Krediten, also neuer Verschuldung, aufrecht erhalten werden kann, zwinge ihn weiterhin zur Deregulierung staatlicher Daseinsvorsorge und zu deren Privatisierung – und nenne das Ganze „Marktreform“, Demokratisierung und good governance. Chossudovsky spricht angemessenerweise von „Marktkolonialismus“ und „ökonomischem Völkermord“, der nebenbei von enormen Umweltzerstörungen begleitet und im Bedarfsfall – die Ereignisse des 11. September 2001 lieferten den geeigneten Anlass – um den Modus des Krieges ergänzt wird.

Inzwischen gibt es ein neues Referenzdatum, wie man weiß, oder mehrere, seit 2008. Aber schon in diesem Buch von 2002 (engl. Version 1997 !) gab es in Teil VI („Die Neue Weltordnung“) das Kapitel „Die globale Finanzkrise“. Und heute verkleidet sich das Problem als „Handelsabkommen“ oder TTIP. ZITAT:

In der Tat: Regionalität ist für den Welthandel kein Ziel, man will ja gerade mehr Austausch zwischen den Kontinenten. Davon hat der kleine Milchbauer aus dem Schwarzwald nichts – seine Produktion in die Vereinigten Staaten zu liefern rentiert sich nicht. Umgekehrt lohnt es sich hingegen für amerikanische Großfarmen durchaus, Rind- und Schweinefleisch nach Europa zu schicken, weil sie eben billig genug produzieren können, billiger als jeder Kleinbauer irgendwo in Europa.

Die neue Form des Freihandels wird also zwangsläufig auch unsere Ernährung verändern. Das Höfesterben wird weitergehen, weil die Kleinen dann noch weniger konkurrenzfähig sind. Alle Welt redet zwar davon, wie wichtig regional erzeugte Lebensmittel sind, weil sie Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen nützen – aber mit dem Freihandelsabkommen wird genau diese regionale Produktion bekämpft. Denn an ihr haben jene Konzerne von Nestlé und Danone über Bayer und Pfizer, die besonders eifrig Lobbyarbeit zu TTIP betrieben haben, einfach kein Interesse. Im Gegenteil: Vielfalt an Lebensmitteln und Geschmäckern ist ja geradezu Gift für sie. Sie leben davon, Massenware in großem Stil herzustellen, die sich überall verkaufen lässt.

Quelle Süddeutsche Zeitung 1./2. August 2015: Das große Misstrauen Handelsabkommen schaffen es selten in den öffentlichen Diskurs. Dafür sind sie zu kompliziert. Das ist beim TTIP anders. Der Plan, mit Europa und Nordamerika den größten Freihandelsraum zu schaffen, versetzt viele Menschen in Alarmstimmung. Warum? Vielleicht weil dem freien Markt zu viel geopfert wird. Von Franz Kotteder.

Das ist natürlich dramatischer als das Schwinden der Vielfalt in der Musik, in den Medien, in den Kulturprogrammen. Fatal genug, dass kein Unglück allein kommt. Aber selten so klar angekündigt und offenbar von so vielen gewollt oder hingenommen. Ich erinnere mich an die Zeit vor 10 Jahren, was hat sich an der Besorgnis geändert? War ich vielleicht noch zu naiv? Siehe hier: Was wird von der Vielfalt bleiben? Ein Vortrag über Globalisierung und musikalisches Bewusstsein.

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