Krimskrams im Kopf

Thomas Metzinger

Metzinger Titel

Kaum zu glauben, dass es schon 20 Jahre her ist, dass mich dieses Buch (792 Seiten) sehr beeindruckt hat, – und oft genug, wenn ich es aufs neue zur Hand nahm, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sah. Und jetzt sehe ich, dass es sich doch irgendwie trifft mit den Tendenzen, die mich seit mindestens 1960 bewegten, ohne dass ich den Eindruck hatte, mich auf dem rechten Weg zu befinden. Es war nie genug. Nicht methodisch und praktisch genug. Zu sehr abseits vom tätigen Leben. Zugleich gezeichnet von den Phänomenen, die heute erstmals genauer beschrieben werden.

Sivananda Titel

Inzwischen ist also der neue Ansatz da und fasst den Ist-Zustand ins Auge, ohne dass wir uns „erwischt“ fühlen. Es ist die Realität unseres Bewusstsein, die uns hart ankommt. Ich zitiere:

Wer ihn [Thomas Metzinger] fragt, wie das Denken funktioniert, bekommt zunächst den Eindruck, er beschreibe eine Horde Besoffener. Zwei Drittel des Tages torkelt der Mensch laut Metzinger  mit einer Menge Krimskrams im Kopf durchs Leben.

Offenbar ist der menschliche Geist die meiste Zeit in ein inneres Geplapper verwickelt. „Alles vermengt sich zu einem Hintergrundrauschen aus Erinnerungen, Bewertungen und kleinen Geschichten“, sagt Metzinger. Was gerade tatsächlich passiert, verschwinde hinter diesem Getöse wie hinter einem Schleier. „Wir haben nur manchmal das Erlebnis, beim Denken innerlich Handelnde zu sein“, sagt Metzinger. Die Liste dessen, was einen Menschen nebenbei beschäftigt, ist lang: spontan aufbrechende Erinnerungen, mehr oder weniger zwanghaftes Planen, wiederkehrende traurige Gedanken. Gern auch: neurotisches Denken, Schuldgefühle, die Beschäftigungen mit früheren Verfehlungen. Dazu kommen noch: Tagträume, sexuelle Fantasien.

Es gibt gute Gründe, warum man nicht ständig im Hier und Jetzt leben kann. Metzinger bezeichnet das Gewaber im Kopf als den „narrativen Ruhezustand“ des Geistes: die fortlaufende innere Erzählung dessen, was wir für unser eigenes Selbst halten und wie wir hoffen, einmal zu sein. „Sobald wir die Gelegenheit haben, versinken wir in diesen Selbstgeschichten, planen die Zukunft, verknüpfen die Vergangenheit.“ Erst dadurch, so Metzinger, entstehe das Gefühl, dauerhaft dieselbe Person zu sein.

Quelle Der Spiegel Nr. 11 / 7.3.2015 Seite 104-112 Dranbleiben, bitte! (Psychologie) Nur noch schnell die Mails checken: Immer mehr Menschen klagen über zu viel Ablenkung. Psychologen sprechen von dem Phänomen des „wandernden Geistes“. Doch Konzentration und Durchhaltevermögen lassen sich trainieren. (Kerstin Kullmann)

Man kann die Lektüre nur beherzigen und für sich selbst passend ausarbeiten. Es ist besser als sich – wie es oft geschieht – voreilig ein Burn-out-Syndrom attestieren zu lassen. Als Einführung diene der am Ende des Spiegelartikels angegebene Link, ein Statement von Thomas Metzinger im O-Ton:

http://video.spiegel.de/flash/88/80/1560888_1024x576_H264_HQ.mp4

Noch ein Zitat:

Der wandernde Geist, sagt Metzinger, produziere aber keine Gedanken. Er liefere nur ein angenehmes inneres Handlungsangebot, das immer wieder dazu verführt, darin abzutauchen. „Um uns konzentrieren zu können“, sagt Metzinger, „müssen wir die Fähigkeit besitzen, dieses Angebot abzulehnen.“

(a.a.O. Seite 109)

Kleine Sonderaufgabe

Vergleiche das, was der SPIEGEL hier mit großer Titelblatt– Geste anbietet („Kontrenzier dich!“ 11/2015), mit dem, was BBC schon im Oktober 2014 herausgebracht hat: „Concentrate! How to tame a wandering mind“ http://www.bbc.com/future/story/20141015-concentrate-how-to-focus-better

Interessant der neue Begriff Prokrustination, früher auch als „Bummelei“ bekannt, zuweilen als „Aufschiebeverhalten“, „Schreibblockade“, „Versagensangst“.