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Durchs Rohr schauen

Erinnerung an Adalbert Stifter

anlässlich des Planes, ein neues Fernrohr zu kaufen, nachdem ich zur Probe einmal hindurchgeschaut hatte…

da ist es ! 11.11.2023

… erinnere ich mich zuerst an Goethe, der diese künstliche Vergrößerung des Gesichtsfeldes abgelehnt haben soll, und lese stattdessen folgendes:

Der 11. Februar 1800 war in Weimar ein herrlicher, aber kalter Wintertag. Trotz des schönen Wetters saß Friedrich Schiller in seiner Stube, in der es wie üblich nach fauligen Äpfeln roch. Gerade schrieb der 40-jährige Dichter an der Bühnenfassung von Shakespeares »Macbeth«, als eine kurze Nachricht seines Freundes Goethe eintraf: »Um sieben Uhr, da der Mond aufgeht, sind Sie zu einer astronomischen Partie eingeladen, den
Mond und den Saturn zu betrachten; denn es finden sich heute Abend drei Te-
leskope in meinem Hause.«

Siehe auch hier. ZITAT:

Dass ohne instrumentelle Technik die neuzeitliche Naturwissenschaft nicht auf die
Bahn gekommen wäre, wusste Goethe genau, auch wenn er gegen sie seine eigene,
am Phänomen orientierte Naturforschung aufbot. So heißt es:
Aus dem Größten wie aus dem Kleinsten (nur durch künstlichste Mittel dem Menschen zu vergegenwärtigen) geht die Metaphysik der Erscheinungen hervor; in der Mitte liegt das Besondere unsern Sinnen angemessene worauf ich angewiesen bin, deshalb aber die Begabten von Herzen segne die jene Region zu mir heranbringen.
(Ma XVii, 922) Anm.1
Von der oft behaupteten Abneigung Goethes gegen Mikroskope und Teleskope ist
hier nicht die Rede. Von Jugend an benutzte Goethe beide Instrumente, die im 17.
Jahrhundert den Gang der Naturwissenschaften, der Astronomie, der Biologie,
der Mineralogie und Medizin nachhaltig initiierten. Besonders das Mikroskop hat
Goethe in seinen botanischen, zoologischen und mineralogischen Studien eifrig zu Rate gezogen. Anm.2

Beide, Fernrohr wie Mikroskop, sind trotz ihrer Ablehnung durch Thomas Sydenham und John Locke längst selbstverständliche Forschungsinstru- (…)

1 Goethe: Über Naturwissenschaft im Allgemeinen. Einzelne Betrachtungen und Aphorismen. Nr. 47, Fa i, 25, 100.
2 Vgl. z.B. Brief an Jacobi vom 12. Januar 1785: „Eh ich eine Sylbe μετ τ φυσικά schreibe muß ich nothwendig die physika absolvirt haben. […] Ein Mikroskop ist aufgestellt um die Versuche des v. Gleichen genannt Rußwurm mit Frühlings Eintritt nachzubeobachten und zu kontrollieren.“ (Wa iV, 7, 7-8) – Goethe kaufte 1785 das Buch des Botanikers von Gleichen (1717-1783): Gleichen, Wilhelm Friedrich von (gen. Russworm): Abhandlung über die Saamen- und Infusionsthierchen, und über die Erzeugung: nebst mikroskopischen Beobachtungen des Saamens der Thiere und verschiedener Infusionen; mit illuminirten Kupfertafeln. Nürnberg 1778. – Vgl.: ders.: Auserlesene Mikroskopische Entdeckungen bey den Pflanzen, Blumen und Blüthen, Insekten und anderen Merkwürdigkeiten. Nürnberg 1771. – Vgl. auch Goethe an Charlotte von Stein am 27. Juni 1785: „Mein Mikroskop bring ich mit, es ist die beste Zeit die Tänze der Infusionsthiergen zu sehen.“ (Wa iV, 7, 72) und an Jacobi am 14. april 1786: Botanick und Microscop sind ietzt Hauptfeinde mit denen ich zu kämpfen habe. […] Wenn dir mit Infusionsthiergen gedient wäre könnte ich dir einige Millionen verabfolgen lassen. (Wa iV, 7, 295f) Goethe arbeitet also immer noch auf den Spuren von Gleichens. Er notiert seine mikroskopischen Infusionsuntersuchungen in Fa i, 24. 46-61. – Goethe benutzt das
Mikroskop sowohl in seinen zoologisch-anatomischen wie in seinen botanisch-morphologischen Studien regelmäßig (…)

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… dann erinnere ich mich an Adalbert Stifter, dessen „Hochwald“ (1841) ich auf JMRs dringendes Anraten im Oktober 2020 gelesen hatte, – und wieder gestern, als ich die lange Wartezeit in der Klinik (vor der Erstellung eines MRT) mit dem betreffenden Reclamheft verkürzte und darin auf folgende Stelle stieß (rote Kennzeichnung im Text von mir): zitiert hier aus Projekt Gutenberg.

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So war diese Stelle nicht umsonst von dem Vater »wundersam lieblich und anmuthsreich« geheißen, eine warme windstille Oase, geschützt von Felsen und See, und bewacht von der ringsum liegenden heiligen Einöde der Wildniß.

Das Haus war, wie man sie noch heute in jenen Gegenden sieht, aus Holz, hatte ein Erdgeschoß und ein Stockwerk, eine ringsum laufende Brüstung und ein flaches Dach. Sonst war es viel geräumiger, als die, welche die heutigen Walddörfer bilden. Gleich neben dem Eingange lag Gregor’s Stube, der auch die Schlüssel führte, weiterhin die der Knechte, und die Kammern der Vorräthe. Im ersten Stocke war ein Speisezimmer, und zwei Zimmer der Mädchen, nebst einem Vorzimmer für die Mägde. Alles war auf das Vorsorglichste eingerichtet, nicht die kleinste Kleinigkeit, von Männern oft selten beachtet, aber für Mädchen von großem Werthe, fehlte hier, und täglich entdeckten sie neuerdings, daß der Vater oft dahin vorgesehen hatte, wohin sie selbst bisher noch nicht gedacht. Der Schmerz, die Furcht, das Ungewohnte ihrer Lage in den ersten Tagen stellte und fügte sich allgemach, und somit begannen sie schüchtern und vorsichtig nach und nach die Entdeckungsreisen in ihrem Gebiete und fingen an, für dasselbe Neigung und Herz zu gewinnen.

Ihr erstes Unternehmen über die Gränze ihres Besitzthumes hinaus und zwar über den See, war, um den Blockenstein zu besteigen, und mit dem Rohre gen Wittinghausen zu sehen. Gregor und die drei Knechte, alle bewaffnet, mußten mitfahren, dann, als sie ausgestiegen, einer mit dem Floße zwanzig Schritte weit vom Ufer harren, die übrigen sie begleiten. Gregor lächelte gutmüthig über diese kriegerischen Anstalten und ließ sie gewähren. Er führte sie um den Seebusen herum, und von rückwärts auf den Blockenstein, so daß sie, als sie nach einer Stunde seinen Gipfel erreichten, meinten, ihr Haus liege ihnen gerade zu Füßen, und ein losgelassenes Steinchen müsse auf sein Dach fallen. – Das Fernrohr wurde ausgepackt und an dem Stumpfe einer verkrüppelten Birke befestiget – – Aller Augen aber waren schon vorher in die Weite gegangen – wie eine glänzende Wüste zog der heitere Himmel hinaus über alle Wälder weg, die wie riesenbreite dunkle blähende Wogen hinauslagen, nur am äußersten Gesichtskreise gesäumt von einem Hauche eines fahlen Streifens – es waren die bereits reifenden Kornfelder der Menschen – und endlich geschlossen von einem rechts in das Firmament ablaufenden Duftsaume – – – – siehe, der geliebte kleine Würfel, wie ein blauer Punkt schwebt er auf seinem Rande! Johanna’s Herz wogte in Freude und Schmerz. – – Clarissa kniete mittlerweile vor dem Rohre und rückte und rückte; das sah sie gleich, daß es ein ungleich besseres sei, als das des Vaters, jedoch finden konnte sie damit nichts. Bis zum Erschrecken klar und nahe stand alles vor sie gezaubert, aber es war alles wildfremd. – Abenteuerliche Rücken und Linien und Vorsprünge gingen wie Träume durch das Glas – dann farbige Blitze – dann blau und blau und blau – – sie rührte die Schraube, um es zu verlängern – dann führte sie es dem Saume eines dunklen Bandes entlang – plötzlich ein schwacher Schrei – zitternd im Runde des wunderbaren Glases stand das ganze Vaterhaus, klein und zart, wie gemalt, aber zum Staunen erkennbar an Mauern, Erkern, Dächern – ja die Fenster meinte man durchaus sehen zu müssen. Johanna sah auch hinein – blank, unversehrt, mit glänzendem Dache stand es in der Ruhe des Himmels. O wie schön, wie freundlich!

Auch der alte Gregor sah durch das zaubernde, ihm unerklärbare Rohr, und in seinen Mienen war erkennbar, wie er höchlich darnach rang, das Ding begreifen zu können. Auch die Knechte ließ man hineinsehen, und freute sich an ihrem Erschrecken und Staunen. Man getraute sich fast nicht, etwas zu rücken, aus Furcht, das theure Bild zu verlieren, aber Clarissa zeigte ihnen bald, wie man es machen müsse, um es immer wieder zu finden. Sie konnten sich nicht ersättigen, immer das Eine und das Eine anzusehen. – So wie es ihren Augen, schien es auch ihrem Herzen näher, und sie waren fast zu Hause – so ruhig und so lieb stand es da, und so unverletzt. – Freude, Wehmuth, Sehnsucht stieg so hoch, daß man sich das Versprechen gab, sehr oft, ja jeden ganz heitern Tag heraufsteigen und durchsehen zu wollen. Endlich fing man doch an, auch Anderes zu suchen und zu prüfen. Der fahle Streifen am Gesichtssaume war das Erste, und deutlich zeigte sich, daß es angebautes Land mit Erntefeldern war – dann wurden die Waldberge, dann der See und endlich gar das Haus versucht. Alles war gar so schön und gar so reinlich.

Nach langem Aufenthalte auf dem Felsen beschloß man die Rückkehr, und das Rohr wurde von Gregor mit Achtsamkeit und sogar mit einer Art Scheu in sein ledernes Fach gepackt und mit der größten Obhut getragen. Auf dem Rückwege trug sich nichts Merkwürdiges zu. Sie fanden ihren Floß warten, stiegen ein, fuhren über, und der Tag endete, wie alle seine bisher erlebten Vorgänger mit einer glühenden Abendröthe, die sie nie anders, als auf den gegenüber liegenden Wäldern flammen sahen, während der See eine ganz schwarze Tafel vor ihre Fenster legte, nur zeitweise von einem rothen Blitze durchzuckt.

Dieser ersten Wanderung folgten bald mehrere und mehrere, die immer kühner und weitschichtiger wurden, je mehr sie die Ruhe und Sicherheit des Waldes kennen lernten. Von dem Vater war bereits zweimal beruhigende Botschaft gekommen; auch, wenn sie den Blockenstein bestiegen, und durch das Rohr sahen, das ihnen das liebste Kleinod geworden, – stand immer dasselbe schöne, reine, unverletzte Bild des väterlichen Hauses darinnen, so daß Johanna einmal den kindischen Wunsch äußerte, wenn man es doch auch von der anderen Seite sehen könnte. Zuweilen, wie Kinder, kehrten sie das Rohr um, und freuten sich, wenn ihr Haus, winzig, wie ein Stecknadelkopf meilenweit draußen lag, und der See wie ein kleines Glastäfelchen daneben.

Ein paar Gewitter hatten sie erlebt, denen einige traurige graue Regentage folgten. Sie brachten dieselben im Zimmer zu, an all ihren Stoffen und Kleidern schneidend, und nähend und ändernd, und da schon Tage und Wochen vergangen waren, ohne daß sich das mindeste Böse einstellte, ja da draußen Alles so schön und ruhig lag, als wäre nirgends in der Welt ein Krieg, und sogar nach des Vaters letzter Nachricht der Anschein war, als würde über Wittinghausen gar niemal etwas kommen: so erheiterten und stillten sich wieder ihre Gemüther, so daß die Erhabenheit ihrer Umgebung Raum gewann, sachte ein Blatt nach dem andern vorzulegen, das sie auch gemach zu verstehen begannen, wie es ihnen Gregor oft vorhergesagt. –

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Zur Rehabilitierung Stifters s.a. Blog http://s128739886.online.de/das-unbehagen-an-der-klassik/ hier

Aber auch Wikipedia zu Adalbert Stifter hier, zu „Der Hochwald“ hier .

Zum Erwerb des Fernrohres: