Archiv der Kategorie: Musik

Verzaubert durch Traurigkeit?

Materialsammlung einer anderen Musik (anders: aus meiner Klassik-Sicht)

Vorweg gefragt: Wer oder was ist „Coldplay“? Siehe hier. Reinhören? (bei MTV) hier.

SZ 19. September 2016 „Heiter bei Moll / Warum manche Menschen melancholische Musik lieben“. Von Christoph Behrens. HIER

Ehrlich gesagt: ich finde solche Artikel beliebig, wenn nicht gesagt wird, welche Leute mit welcher Vorkenntnis wie befragt wurden, woran man überhaupt eine Aussage über Gefühle oder Stimmungen festmacht usw., Zweifel, ob hier überhaupt Tonarten oder -geschlechter wahrgenommen werden; auch der Klassikkenner, der darauf geeicht sein könnte, wird nie ein „Mollstück“ per se als melancholisch einstufen. Er wird vermuten, dass der alles beherrschende, penetrant gleichmäßige Grundschlag in der Pop-Musik zu allererst für Verlässlichkeit und Ordnung sorgt, – jenseit aller musikalischen Qualität. Oder wenn der Grundschlag ausnahmsweise fehlt („ein klassisch instrumentiertes Stück“), dann genügt vielleicht der große schwärmerische Gestus, um die gewünschte Wirkung zu bestätigen. 

ZITAT: „Die Probanden hörten ein klassisch instrumentiertes Stück aus dem Soundtrack der amerikanischen TV-Serie „Band of Brothers“, die im Zweiten Weltkrieg spielt – achteinhalb Minuten in getragenem Moll, ein tieftrauriges Stück.“

Ich vermute, dass der zweite Teil des folgenden Trailers den Kern dieser Musik wiedergibt: zweifellos soll sie pathetisch und sehnsüchtig wirken, kontrastierend zu den Kriegsbildern, die eine brutale Realität spiegeln, jedoch dank der hymnischen Musik weniger real als vielmehr imaginiert und überhöht wirken. Ich kann sagen: das ist schrecklich, aber Gottseidank betrifft es mich nicht wirklich, mich gruselt, aber ich kann mich davon distanzieren, ich kann mein Gruseln sogar genießen, selbst wenn ich mich anschließend schäme und ausrufe: „Nie wieder Krieg!“ –  Trailer Band of Brothers.

100 repräsentativ ausgewählte Personen? Und jeder Fünfte empfand dies oder das? Kannten sie den Film? Und ohne den Film, ohne den Weltkrieg: erkannten sie nicht sofort, dass es – für sich genommen – eine Schnulzenmusik aus dritter oder vierter Hand war? Keinerlei Grund zur Traurigkeit. Und erst recht nicht zum Glücksgefühl. Aristoteles und seine Theorie von der reinigenden Wirkung der antiken Tragödie hat mit alldem nichts zu tun.

Und der Proband müsste nur einen realen Todesfall erleben, der ihn also persönlich bis ins Mark trifft (er erfährt, dass sein Kind unheilbar krank ist), so will er von keiner ausgleichenden Musik mehr getröstet werden. Es wäre wie Verrat.

Und einer, der dies über sich weiß, wird sich auch von Filmmusik nicht täuschen lassen. Er wird allerdings wahrnehmen, wie sie gemeint ist…

S.a. HIER

Psychologie „Musik im Kopf / Hören wir unbewusst Stücke, die zur Stimmung passen? Oder beeinflussen Lieder unsere Gefühle? Forscher erkunden das Zusammenspiel von Musik und Emotion.“ Von Boris Hänßler

Initiative zum Thema

Eine Liste mit 40 Stücken Pop et cet. soll folgen. Sie ist repräsentativ für einen bestimmten jugendlichen Geschmack, wie repräsentativ, kann ich im Augenblick nicht sagen, dazu müssten Recherchen vorliegen. Aber nicht viele Jugendliche wären voraussichtlich willens oder in der Lage, eine solche Liste herzustellen und zu kommentieren. Möglicherweise bin ich auch der ungeeignete (zumal befangene) Adressat, da der Altersunterschied eklatant ist. Andererseits kann dieser gerade für eine besondere (übrigens sympathiegetragene) Herangehensweise sorgen. Die Liste soll allmählich mit weiterführenden Links versehen werden, vor allem zu den Musiktiteln selbst, zu den Texten und zu ersten Informationen über die Interpreten. Die Frage ist, ob es nicht eine völlig andere Art der Begegnung ist, wenn man nicht mit dem Video beginnt, sondern, wie ich, mit der Kopie aller Stücke auf CD. Übrigens bleibt die „Traurigkeit“ ohnehin nicht das Thema, sondern im Gegenteil: die wechselnden Emotionen und vor allem die Machart der Musik. Was vermitteln diese Strukturen?

Zunächst zwei Dokumente zum Beweis, dass die Kollektion authentisch ist:

lieblingslieder

e-liste-1 e-liste-2

(CD Nr.1)
1 Hunger of the Pine / Alt-j Text (orig. und deutsche Übers.) hier mitlesbar
2 Breezeblocks / Alt-j Text hier
3 Taro / Alt-j /// Text unter youtube-Video (ab 2:39 – von 5:06 – ohne voc.)
4 Exxus / Glass Animals Text hier auch Bdtg. des Wortes Exxus
5 Pools / Glass Animals
6 Love Me / The 1975
7 UGH! / The 1975
8 A Change of Heart / The 1975
9 Antichrist / The 1975
10 Harold Bloom / Cold War Kids
11 Drive Desperate / Cold War Kids
12 Hear My Baby Call / Cold War Kids
13 Snap out of it / Arctic Monkeys 
14 Crying Lightning / Arctic Monkeys 
15 505 / Arctic Monkeys 
16 Trouble / TV on the Radio 
17 Love Dog / TV on the Radio
(CD Nr.2)
18 Car Radio / Twenty Øne Piløts
19 We don’t believe what’s on TV
20 Not Today
21 Goner
22 How To Disappear Completely 
23 Burn The Witch / Radiohead
24 Copy of A / Nine Inch Nails
25 Hurt / Nine Inch Nails
26 Right Where it belongs V2 / Nine Inch Nails 
27 Surrender / Billy Talent
28 Viking Death March / Billy Talent
(CD Nr.3)
29 Nothing Else Matters / Metallica
30 Low Man’s Lyric / Metallica
31 Planet Caravan / Black Sabbath
32 Sabbath Bloody Sabbath / Black Sabbath
33 God id Dead? / Black Sabbath
34 Wir /  K.I.Z. 
35 Hurra die Welt geht unter (ft. Henning May) / K.I.Z.
36 Das Kannibalenlied / K.I.Z.
37 Welt verhindern / Susanne Blech
38 I see fife / Ed Sheeran
39 Video GirlFka Twigs
40 Water Me / Fka Twigs

*********************

1 Dieses Video ist fast 26 Millionen mal abgerufen worden! Pulsierender Einzelton, d“, glöckchenartig, wie ein Insekt oder eine Unke, hypnotisch. Der Ton, später: der Klang, von vielen Stimmen erfüllt, bleibt und überlagert das ganze Stück, am Anfang klar erfassbare, pendelnde, pentatonische Melodie, leidenschaftslos gesungen, „somnambul“. „I’ll hum the song the soldiers sing As they march outside the window“. Poetische Sprache, unzureichend übersetzt. Den Film zunächst ignorieren, er läuft (auch ER: der flüchtende Mann, von mehr und mehr Pfeilen durchbohrt) läuft auf einer zweiten Bedeutungsebene, kontrapunktisch. Text aus Perspektive der Frau („I am a female rebel“).

2 Einfache Melodie, männl. solo + Chor, repetitiv, auf Grundton – ebenfalls d“ – bezogen, dazu breaks und Einwürfe. Ostinati, schnelles Pochen. Film: schattenhaft, Badezimmer, Mann u Frau, Auseinandersetzung, Gewalt, Tatort Badewanne, Mund zugeklebt, Frauengesicht + Hand unter Wasser, wie im Sarg. Kontrapunktisch zur emsig arbeitenden Musik, zynischer, leichtfertiger, zugleich bohrender Charakter. Verrückt & banal, das ewige „I love you so“,  Besessenheit. In der Tradition der Balladen vom Schlage „Wie ist dein Schwert vom Blut so rot, Edward“. Die Kommentare zum Textverständnis in youtube beachten. Das Rätsel(raten) gehört dazu!

3 Anfangsklang = Indochina, Falsett-Beginn, die Melodie geht absichtsvoll über die grammatische Struktur des Textes hinweg, expressive close-harmony-Welle vor  „very yellow white flash“, später vor „From you Taro“. Film: lauter exotische, ethnische Szenen des Lebens. Lächelnde Kinder, Menschengruppen, Fremdes verfremdet. Rituelles, das Meer, die rote Sonne. Aufschlussreiche Kommentare: „Simply I cannot explain and understand what makes me feel, it is a duality between sadness and joy that is surprising, the video and the music is a perfect combination (…)“ Perfekte Überraschung, wenn man die deutsche Übersetzung mit dem einleitenden Kommentar des Übersetzers liest: hier.

4 Anfangsklang (changierend, aber „ewig“ präsent), rhythmisches Bett ausgebreitet, ungerührte, naive Stimme (männl.) mit Melodie, zusammengesetzt aus einfachen wiederholten Formeln, Zw.spiel repetiert melod. Kurzformel.

(Fortsetzung folgt)

Vom Ziel des Crescendos

Was bedeutet es, wenn der Höhepunkt fehlt?

Ich meine es ganz naiv: eine Lautstärkesteigerung, die in einem Forteschlag oder einem Akzent kulminieren müsste. Dramatisch aufgefasst: jemand spricht immer heftiger und schreit das letzte Wort heraus, schlägt vielleicht sogar dabei auf den Tisch. So, wenn es mit Wut verbunden ist. Auch wachsende Inbrunst wäre denkbar, gipfelnd in einem Bekenntnis („Fräulein Kunigunde, ich kann nicht länger schweigen, es muss heraus: ICH LIEBE SIE!!!“). Aber wenn nun das entscheidende Wort, der Akzent, die Liebeserklärung, der Wutschrei, der Aufprall der Hand fehlt? Wie nennt man das?

Wenig passend finde ich den Terminus, der von manchen Klavierpädagogen verwendet wird, nämlich „negativer Höhepunkt“, denn alles, was ihm an Lautstärke vorenthalten wird, gewinnt er an innerer Intensität. Man kann es unmöglich mit dem Wort negativ charakterisieren.

Ich wage mal eine Behauptung, die nicht durch lange Recherchen abgesichert ist: bei Chopin gibt es diese Art von „crescendo interrupto“ (kein offizieller Terminus, sondern meine Erfindung) nicht. Ebensowenig wie bei Mozart.

Übrigens hat mir das Phänomen in jungen Jahren widerstrebt, sowohl beim Spielen als auch beim Hören. Ich habe es nicht verstanden; es kam mir affektiert vor (um nicht zu sagen: affig). Bei Mahler habe ich es akzeptieren gelernt, wenn auch zuweilen mit dem Verdacht, es könne als Masche um sich greifen. „Mein Ziel ist so kostbar, dass ich kaum wage, es Klang werden zu lassen.“ Vielleicht wird es deshalb selten intensiv ausgeführt, es wirkt ja auch als „Bremse“. Man höre nur den Anfang des Adagiettos, – nach den Harfenklängen drei Töne Auftakt der Ersten Violinen im Crescendo. Und dann der Zielton – um es respektlos zu sagen – angefasst wie eine heiße Herdplatte. Z.B. hier. (Die Aufnahme ist klanglich defizitär. Sie ist hier nur verlinkt, weil der Notentext beigegeben ist und so der Phantasie auf die Sprünge helfen kann.)

Ich habe den Vorgang sehr verkürzt beschrieben und ziehe die Analyse eines gründlichen Musikwissenschaftlers vor, die vielleicht manchem Leser umständlich oder gar unverständlich erscheint. Aber sie macht kenntlich, dass es sich in Wahrheit um einen komplexen psychologischen Vorgang handelt. Es geht um den Beginn eines unvergleichlichen langsamen Satzes von Beethoven, Lento assai, dritter Satz des Streichquartetts op.135 (Klangbeispiel mit Noten hier Gegenstand der Analyse ist die Zeitspanne 0:00 – 0’14“):

Der Sinn dieses Verfahrens liegt in der Zusammenzwängung von zwei verschiedenen Spielarten von Ruhe, Ruhe als Erreichtem (Ende) und Ruhe als Ausgangsposition (Anfang). Das crescendo vor einem Taktschwerpunkt ist Bewegung, Unruhe auf ein Ziel, eben auf den Schwerpunkt hin. Durch das crescendo erscheint der Schwerpunkt, sowie er eintritt, als etwas Erreichtes (Ende). Indem aber nun im Augenblicke des Eintretens die natürliche Begleiterscheinung des Erreichtseins, die dynamische Unterstreichung, unterbleibt, indem also sozusagen der Triumph des Das-Ziel-Erreicht-habens nicht ausgekostet wird, entsteht so etwas wie eine Verwandlung des Zeitbewußtseins. Der durch crescendo gekennzeichnete zurückgelegte Weg, der zu diesem Ziel führte, wird aus dem Gedächtnis getilgt. Durch die dynamische Zurücknahme gibt das Subjekt sich selbst einen Stoß, tritt es zur Situation, in der es steht, in Distanz, macht es sich frei für neue Aufgaben, wendet es den Blick um, vom Vergangenen weg auf die Zukunft hin. An die Stelle der Ruhe infolge des Ankommens tritt dadurch – und zwar plötzlich, im selben Augenblick – die Ruhe des Anfangens.

(JR) Ich sage vorsichtshalber: das ist nicht leicht zu verstehen, aber es lohnt sich dabei zu verweilen. Es geht tatsächlich nur um ein paar Sekunden klingende Musik, und sie scheint sich durchaus unmittelbar zu erschließen. Wenn ein Spieler sagt: nein, ich brauche diesen Text nicht, ich spiele, wie ich es fühle und wie es dasteht, könnte vielleicht kein Mensch der Welt feststellen, ob er die Essenz ohne jedes Wort erfasst hat oder nicht. Trotzdem würde ich ihn dazu anhalten, dem Text weiterhin Zeit zu widmen und in eigenen Worten wiederzugeben, was er liest. So schulmeisterlich das klingt.

Sehr wesentlich ist es, zu begreifen, daß die Dynamik hier nicht isoliert betrachtet werden kann, nicht ein von den anderen Satzfaktoren unabhängiger ‚Parameter‘ ist. Es handelt sich nicht um den bloßen Effekt, daß nach etwas Lautem plötzlich etwas Leises eintritt. Entscheidend ist vielmehr die Koppelung, die Wechselwirkung mit der Satzstruktur, d.h. daß die plötzliche Zurücknahme ins piano auf einem Taktschwerpunkt erfolgt und daß es eine Konsonanz, ein Ruheklang ist, dessen dynamische Hervorhebung unterbleibt. Kadenzgeschehen und Taktrhythmik bilden für die dynamischen Vorgänge und also auch für deren Verständnis die sinngebende Voraussetzung.

Den plötzlichen Umschlag des musikalischen Zeitbewußtseins wirklich zu vollziehen, also: wenn in diesem Beethoven-Satz nach einem crescendo ein plötzliches piano eintritt, wirklich zu erfahren, was da geschieht, das erfordert Kraft, Entscheidungsfähigkeit. Denn gänzlich Disparates wird in einen einzigen Augenblick gezwängt.

Quelle Rudolf Bockholdt: Über das Klassische der Wiener klassischen Musik. Seite 225 – 259 (Zitat S. 252 f). In: Über das Klassische Herausgegeben von Rudolf Bockholdt / suhrkamp taschenbuch materialien / Frankfurt am Main 1987.

***

Um die andere in diesem Sinne aufschlussreiche Stelle des Beethoven-Satzes mit Rudolf Bockholdt zu betrachten, gehe man zunächst auf 2:32 im angegebenen youtube-Beispiel. Tonartwechsel, Vorzeichenwechsel. Doppelstrich. Es ist der Beginn der dritten, der cis-moll-Variation. (Es versteht sich, dass man den ganzen Satz schon gründlich kennt, als Aufnahme oder im Konzert gehört, günstigstenfalls schon selbst mitgespielt hat!)

In dieser Variation haben wir mehrfach Gelegenheit, das kleine crescendo zu studieren, dessen dynamischer Zielpunkt ‚fehlt‘. Es geht aber letztlich um die Stelle bei 3:35, der 3-Sechzehntel-Auftakt zu Takt 32, die Rückkehr nach Des-dur (Vorzeichenwechsel).

Bockholdt sieht hier „das Nonplusultra der Zusammenzwängung von Disparatem“. (Achtung: man muss wirklich jedes Wort als bloßes Zeichen für etwas nehmen. Wenn jemand sich veranlasst sieht zu sagen: nein, ich höre da keine Zusammenzwängung, so hat er zwar auch irgendwie recht, kommt aber nicht weiter, – und müsste dazu verdonnert werden, den Aufsatz als Ganzes zu studieren, mit Bezug auf ein Haydn- und ein Mozart-Beispiel. Ich will hier niemanden überzeugen, sondern referiere, was ich selbst gerade erst eingesehen habe und dessen Überflüssigkeit ich keinesfalls diskutieren möchte.

***

Nun zu Takt 32, wie schon im letzten youtube-Beispiel betrachtet. Hier Bockholdts Analyse (S.253f):

Es ist der letzte Takt der dritten, der cis-moll-Variation; mit Takt 33 (‚Tempo I‘) beginnt die vierte Variation, wieder in Des-Dur. In jeder Variation erscheint der Tonika-Schlußklang auf der zweiten Hälfte ihres zehnten, letzten Taktes (siehe die Takte 12, 22, 42 und 52). Demgemäß müssen wir auch  den Schlußklang der cis-moll-V ariation in der zweiten Hälfte des letzten Taktes suchen. Wir betrachten Takt 32: die mit pianissimo bezeichneten Sechzehntel bilden einen Dominantklang (Gis-Dur), und die Auflösung dieses Klanges in die Tonika erfolgt, nach Vorzeichenwechsel und Achtelpause, mit dem darauffolgenden Klang (siehe Beispiel 10, Pfeil).

Verglichen mit den Schlüssen der übrigen vier Variationen ist diese Auflösung aber in höchstem Grade problematisch. Was soll der Vorzeichenwechsel vor der Auflösung, was die Achtelpause ausgerechnet an der Stelle, an der sonst der Auflösungsakkord steht, warum ist der Auflösungsakkord ein Sextakkord? Um den Vorgang zu erfassen, ist es nötig sich zu vergegenwärtigen, daß der materiell gesehen kleine Tonbestand zum Zerplatzen gefüllt ist mit verschiedenen Sinnmomenten:

(Fortsetzung folgt, – um es kurz zu machen und mich zu entlasten: ich gebe die beiden folgenden Seiten als Foto, sie sind unentbehrlich, und geben Anlass zu Ausblick und Rückblick.)

folgt… vorläufig (?) nur so:

bockholdt-1 bockholdt-2  (und weiter im Text als Zitat:)

musikalisch zu vollziehen, bedeutet eine äußerste Anforderung. Die von Beethoven im späten Werk gezogene Summe stellt daher nicht so etwas wie eine knappe, abstrakte Formel, die gelernt werden kann, sondern konzentrierte Substanz, die erfahren werden muß, dar.

Der kritische Akkord in Takt 32 ist nichts als ein simpler Sextakkord, zu Beethovens Zeit schon viele hunderttausendmal verwendet: das Allgemeinverständlichste von der Welt. Aber ihn als das, was er an dieser Stelle ist, begreifen zu können: das stellt an das Auffassungsvermögen den allerhöchsten Anspruch. Das Elementarste paart sich mit der größten Bedeutung. Einem musikalischen Satz, mit dem dies möglich ist, gebührt das Prädikat: höchste Reife.

Quelle (wie oben schon angegeben): Rudolf Bockholdt: Über das Klassische der Wiener klassischen Musik. Seite 225 – 259 (Zitat S. 252 f).

Nachwort

Der wissenschaftliche Text selbst läuft gewissermaßen in einem Crescendo aus, dem ein Schweigen folgt: Habe ich alles verstanden? Geht es nicht einfacher? Muss ich noch einmal von vorn anfangen? Der Satz: das stellt an das Auffassungsvermögen den allerhöchsten Anspruch steht weiter im Raum wie ein Fanal. Hat Beethoven das gewollt? Er hat natürlich nicht mein Fassungsvermögen im Auge gehabt, und ich bin es ja nun, der seinen Quartettsatz gewissermaßen noch weiter verschlüsselt hat, in der Vorschaltung dieses Textes. Als Sisyphus-Arbeit für mich selbst, nicht als Schikane für andere.

Was tun? Hören!

Zunächst (mit allem Vorbehalt, aber mit Rücksicht auf diesen Blog-Artikel) ab 12:20 bis 19:54 – der Wendepunkt zurück nach Des-dur befindet sich hier bei 16:38.

Bockholdts bedeutender Aufsatz wurde hier nur zu einem Bruchteil zitiert, man muss ihn ganz lesen, gerade auch den ersten Teil, der Haydn und Mozart betrifft. Notwendig ist auch die genaue Kenntnis der formalen Anlage dieses Satzes (das gleichbleibende metrisch-harmonische Modell und seine 5 Varianten, deren erste das Thema ist). Und dann darf man mit Bockholdt (Seite 250) sagen:

Die simple äußere Anlage des Stückes und die scheinbare Schlichtheit des ‚Themas‘ täuschen sehr. Den Satz so zu spielen und zu hören, daß er selbst statt eines Schattens zum Vorschein kommt, gehört zu den schwersten Aufgaben.

Darum halte ich es auch für notwendig, die Künstler beim Spiel, bei ihrer ernsten Arbeit, zu beobachten. Ein Glücksfall, wenn sich diese Konzentration auf die zuhörenden Menschen überträgt. Größeres gibt es nicht.

Zur Diskussion: Varianten bei Bach

D-moll-Partita, Sarabanda

Auf youtube veröffentlicht am 05.03.2013

Pekka Kuusisto performs J.S. Bach’s Partita in D minor for Solo Violin, BWV 1004: Sarabande in the WQXR Café.

Zur Person siehe HIER. Zum Ort siehe HIER (mit weiteren Beispielen).

bach-sarabanda

Zugabe „Als Russland noch ein Teil Finnlands war“

Ich kenne das Lied aus einem der Offenen Singen des WDR (der die beliebte Sendereihe 2004 nach fast 40 Jahren einstellte), ich glaube unter Prof. Herbert Langhans (unvergessen). Pekka Kuusisto ist der erste Geiger, der die Idee des Offenen Singens umstandslos in den Konzertsaal trägt…

Freund Berthold Seliger brachte mich auf diesen Geiger, und er schrieb an einen größeren Verteiler folgende Mail, der ich mich anschließe, ohne genau das gehört zu haben, was er gehört hat:

Ich mach jetzt hier nicht den Konzertkritiker, aber wie
Pekka Kuusisto das geniale Violinkonzert von Ligeti gespielt hat, war
schlicht weltbewegend. Und als Zugabe dann das schwedische
Emigrantenlied aus den 1850er Jahren, ein bewegender Folksong,
eingeleitet mit einer politischen Ansprache des Geigers, der den
Zusammenhang zu heutigen Migrationsbewegungen hergestellt hat. Und daß
nach der Pause noch Beethovens revolutionäre Eroica sehr gut aufgeführt
wurde (auch wenn ich dazu ein paar Anmerkungen hätte...), sollte nicht
unerwähnt bleiben.
Bitte, liebe Musikfreund*innen - wenn ihr diese
Woche Zeit habt und ein paar Euro übrig, versucht alles, die Junge
Deutsche Philharmonie mit Pekka Kuusisto und Jonathan Nott und Ligeti
und Beethoven zu sehen! Ihr werdet es nicht bereuen, versprochen.
Die restlichen Tourneedaten:
 MO 12.09.2016 / 20.00 Uhr Wiesbaden, Kurhaus, Friedrich-von-Thiersch-Saal
 DI 13.09.2016 / 20.00 Uhr Fulda, Schlosstheater
 DO 15.09.2016 / 20.30 Uhr Aix-en-Provence, Grand Theatre
 SA 17.09.2016 / 20.00 Uhr Dresden, Frauenkirche
 SO 18.09.2016 / 18.00 Uhr Köln, Philharmonie und Kölner Philharmonie.tv

Mehr von und über Pekka Kuusisto siehe im VAN-Magazin : HIER !

Musik mit Kunst, Kitsch und Konvention

Ich erinnere mich an die Initialzündung eines Buches, das 1957 herausgekommen war und mit manchen romantischen Träumen aufräumte. Wahrscheinlich liegt hier der Grund, weshalb ich nie Hermann Hesse gelesen habe, aber mich frühzeitig für Robert Musil interessierte. Andererseits weiß ich, dass man mit dem Kitsch-Argument die schönste Kunst fragwürdig machen kann, ohne viel nachdenken zu müssen.

deschner-cover

Wie dem auch sei: kürzlich kam uns beim Vierhändig-Klavierspielen eine Melodie von Gabriel Fauré merkwürdig bekannt vor. Hören Sie selbst, und missdeuten Sie mich nicht: die Attraktivität der jungen Leute übertrifft uns tausendfach; es geht hier nur um Musik bzw. um die Anfangsmelodie, 40 Sekunden genügen:

Nun? Erinnert Sie das an etwas? Ich frage nur die Älteren, aber noch mehr deren Kinder.

Ist es Sandmännchen? Oder nicht? Wenn Sie fragen „Welches Sandmännchen?“, sind Sie reif für diesen Schnellkurs in Sachen Kunst, Kitsch und Konvention.

Übrigens: wenn Sie bei „Dolly“ auf youtube nachsehen, was druntersteht, finden Sie dort auch den Namen Claudio Colombo – wer ist das? Ein Komponist? „Dolly, op. 56: i. Berceuse von Claudio Colombo“.

Schauen Sie noch einmal auf den Titel  unseres Blog-Beitrags und dann auf die Website dieses Urhebers – fast zu schön um wahr zu sein. Ich empfehle insbesondere den Link zur Aria der Goldberg-Variationen. Vermutlich spielt er selbst. Nicht die Spur von Kitsch, das muss man zugeben.

Ist es das „Original“?

Alles Wissenswerte über „Unser Sandmännchen“ in Wikipedia HIER.

Ist es ein Plagiat? Hören Sie doch noch einmal die Berceuse von Gabriel Fauré (oben).

Es ist in beiden Fällen ein Gang von der Quinte des Durdreiklangs über die Terz zum Grundton, und die roten Verbindungslinien im Notenbeispiel suggerieren den Eindruck der Ähnlichkeit, die vielleicht auch durch die freundlich lullende Begleitung unterstützt wird. Natürlich auch durch die gleiche Wiegenlied-Assoziation „Berceuse“ bzw.  „Sandmann“.

sandmann-vergleich

In Wahrheit kann von einem Plagiat keine Rede sein: abgesehen vom Unterschied der Taktarten 2/4 bei Fauré, 3/4 im Sandmann-Lied, ist das Fauré-Thema schön durch das „Baden“ im Klang des einen Einfalls, während das Lied sich erst danach ganz sonderbar entfaltet: es will keinen Ruhepunkt akzeptieren. Seit ich es kenne, also etwa seit Ende 1966, fühle ich mich – trotz 1oofacher Wiederholung in jenen Jahren – immer noch gezwungen, der Melodie aufmerksam zu folgen: in einer Art Hassliebe zu beobachten, wie die Einzelmomente sich stückweise aneinanderfügen. Es muss durch den vorgegebenen Text erzwungen sein und hat etwas ziemlich Dilettantisches. Aber man könnte auch eine Eisler-Ästhetik herauslesen, die eine allzu glatte Periodik als schlechte Schablone betrachtet, Ausdruck von Unwahrheit, den aber dieses Lied trotzdem ausstrahlt: schöne heile Kinderwelt. Und deshalb hängen wir daran, als ob wir es liebten. Ein Freund, der damals noch nicht Vater war, behauptete, dass ihm bei dieser Musik und dem Auftritt des „Tupper-Sandmännchens“ (wie wir es nannten) das Grausen packte, wie beim Rattenfänger von Hameln. Aber für uns hatte das Kind längst die Entscheidung getroffen: „Sandmännchen kommt!“ – und soll ewig wiederkommen.

***

Der Notenleser erkennt schnell, dass ich im Melodiebeispiel „Fauré“ ziemlich gepfuscht habe, indem ich das Melodiezitat vom Schluss des Stückes verwendet habe. Am Anfang aber wird es nicht einfach wiederholt, sondern in eine andere Tonart geführt, in der es dann wiederum erklingt und nunmehr bei der Wiederholung zurückgeführt wird in die Anfangslage.

Das besagt nichts für den Vergleich und die Analyse eines möglichen Plagiatverdachts. Aber so viel Zeit muss sein, gerade, wenn es um Gabriel Fauré geht und einen möglichen Kitschverdacht.

So beginnt der Seconda-Spieler:

faure-berceuse-sec

Und so geht die Melodie auf der ersten Seite des Prima-Spielers:

faure-berceuse-prima

Ob Sie es kitschig finden oder nicht, eins steht fest: vergessen werden Sie es nie mehr!

Und deshalb darf hier noch eine Version folgen, die vor allem eines ist: süß.

Zum Ausgleich aber darf auch noch die ganze Dolly-Geschichte folgen: HIER.

Nach der Chaconne

Zehetmair in Stuttgart

Es steht noch immer die Frage im Raum: wer hatte die zweite Karte für die Stiftskirche? (Siehe hier – gegen Ende – und hier). Per Mail kam in Bezug auf ein privates Nachgespräch die folgende Mail:

Was mich übrigens bei Brahms' Bearbeitung immer störte,
ist der Akkordwechsel vom G-dur (mit Quinte) zum e-moll in T.187.
Irgendwie komisch und ungewohnt, wenn  man Busoni im Ohr hat, der genau
das nämlich vermeidet. Und jetzt habe ich mal Bachs original angesehen:
keine Quinte, aber vor allem: kein Terzfall im Bass.

Hier irrt Brahms für mich. Es klingt banal.

Geradezu genial übrigens - und das hatte ich eben im Ohr... - ist hier
Busoni: er legt einen oszillierenden Orgelpunkt ums D herum drunter und
schreibt auf der bewussten Eins rechts den Akkord h-fis-g-h (über D),
dann e-moll...

Dazu die folgenden beiden Scans, die ich durch die erwähnten Busoni-Takte ergänze:

bach_chaconne_t185f_brahms 1 Brahms

chaconne_original_t185 2 Bach orig.

bach-chaconne-busoni 3 Busoni

Stimmt genau, war mir nie aufgefallen. Gerade der erste Akkord im 3. Takt des Bachschen Originals ( h – g – h ) mit seinem prekären Klang der verdoppelten Terz h ist einem als Geiger lieb, man möchte ihn nicht durch den Grundton monumentalisiert haben, der Wert des kompakten e-moll-Dreiklangs, grifftechnisch nicht einfach, würde gemindert. Großartig bei Busoni, diese Akkordfolge dissonantisch zu „präzisieren“, wenn auch der kompakte e-moll-Dreiklang nunmehr auf das letzte Achtel verlagert ist.

Dank an JMR!

zehetmair-eintritt

Nachfrage zu Zehetmairs Verzierungen in Takt … („ist das original?“). Er hat es genau so schon in der Aufnahme von 1983 gemacht, vielleicht hat Harnoncourt das angeregt (oder ihm „durchgehen“ lassen). Die Begründung, dass in Bachs Zeit Wiederholungen nach Belieben oder Geschmack des Interpreten verziert werden konnten, würde ich in diesem Werk, das gewissermaßen von Anfang an (ab Takt 9) Variationen des Modells liefert, nicht gelten lassen. Bach geht bereits an die Grenze des Möglichen, – es ist nicht nötig (wenn auch möglich), ihn virtuos zu übertrumpfen.

(Fortsetzung folgt)

Abschreiben, um Arbeit zu sparen?

Oder weil es an Einfällen mangelt?

Man könnte sagen, dass die Reprise des Kopfsatzes einer großen Sinfonie dem Komponisten manche Arbeit erspart. Er lässt das Werk so enden, wie es begonnen hat, indem er den Ablauf der Exposition nachher wieder übernimmt oder nur leicht abwandelt. Varianten können sich ergeben, wenn Tonarten geändert werden müssen, damit sich das Werk zum Schluss hin in Richtung Tonika abrundet.

Nehmen wir die größte Sinfonie von Schubert, also die in C-dur, und konstatieren, dass in der Reprise des ersten Satzes im Komplex des ersten Themas von 76 Takten 60 die Exposition genau wiederholen, im Komplex des zweiten 54 von 72, im dritten 50 von 52; insgesamt also brauchte Schubert von 200 Takten 164 nur „abzuschreiben“.

Habe ich hier etwas Triftiges ausgesagt? Sicher, aber viel zu wenig. Keinesfalls dürfte gemeint sein, dass Schubert sich selbst plagiiert (das ist sein gutes Recht, wenn es ihm geboten scheint): aber ist Ihnen nicht aufgefallen, dass die entscheidende Taktzahl fehlt? Die Taktzahl des ganzen Satzes, wir wissen doch bisher nichts über die Anzahl der Takte zwischen dem Ende der Exposition und dem Anfang der Reprise, – erst danach könnten wir abwägen, ob er es sich „zu leicht“ gemacht hat.

Aber es ist in mehrfacher Hinsicht Unsinn.

Vor allem bin ich selbst der Plagiator: im zweiten Absatz oben habe ich den Satzteil von „in der Reprise“ bis „abzuschreiben“ einfach von Peter Gülke abgeschrieben, und könnte damit ein bisschen brillieren, auch wenn ich sonst nichts verstanden habe. Ich könnte sogar noch zugeben, dass ich das von Gülke habe und nur verschweigen, was er damit sagen wollte oder was die Aussage in seinem Kontext bedeutete.

Und dabei belasse ich es für heute und kläre gar nichts. Erwähnen könnte ich nur noch, dass es doch bekannt sei, dass Schubert nach Modellen von Haydn, Mozart und Beethoven gearbeitet hat, ohne dass dies zu seinem Nachteil ausgelegt wird.

Da muss nicht erst ich kommen, oder?

***

In allen Fragen zu Schubert weiß ich keinen besseren Anwalt als Peter Gülke. Gerade weil in seiner großen Monographie (Laaber-Verlag 1991) auch ein Kapitel vorkommt mit der Überschrift „Verlegenheiten ums Dörfchen und der ‚mittelgute‘ Schubert“. In diesem Sinne kritisch aufklärend ist auch der abschließende Beitrag in Rudolf Bockholdts Sammelband „Über das Klassische“ (Suhrkamp 1987, Seite 299), nämlich: „Klassik als Erbe / Fragen an den ‚plagiierenden‘ Schubert.“ Ich zitiere den Anfang:

Die Unbefangenheit, mit der Schubert, ganz und gar der junge, mit den Traditionen umgeht, die er vorfand, er scheint bestenfalls mit der des jungen Mozart vergleichbar – oft nahezu rätselhaft in der Arglosigkeit, mit der er Modelle kopiert und, ohne – modern gesprochen – einen Identitätsverlust zu fürchten, ausgiebig tut, was anderen als Epigonentum und Plagiat angekreidet werden müßte. Gerät er dabei in diejenigen Bereiche des Komponierens, die diskursiven Verfahrungsweisen am nächsten stehen, so schlägt die Verwunderung der Betrachter zumeist in Kritik um; daß Schubert keine Durchführung zu schreiben imstande gewesen sei, wurde lange genug fast als communis opinio gehandelt; darüber hinaus aber tadelt z.B. Charles Rosen, daß „the structures of most of his large forms are mechanical in a way that is absolutely foreign to his models“. Hier freilich muß man gegenfragen, ob „Struktur“ dabei nicht allzu eng gefaßt sei, und im weiteren: inwiefern der Tadel vom Betrachteten auf die Betrachtung zu wenden wäre, zum Beispiel als Zweifel hinsichtlich der Angemessenheit von Maßgaben der diskursiven Logik, welche fast unausweichlich bei der Erörterung klassischer Formen mitspielen.

Die musikalische Welt, in die der junge Schubert komponierend eintrast, war ausabonniert, die Terrains verteilt, die Genres definiert. Wenn im Kanon der gegebenen Mittel und Formen noch Neues herauszuschaffen war, dann im Bereich des Liedes – eine Aussage, die dem Verdacht ausgesetzt ist, bequem von der Kenntnis auszugehen, was Schubert danach leistete. Eine Definition der Bresche indessen, in die er sprang – sensationell genug mit der „Initialzündung“ am 19. Oktober 1814 -, wäre eine lohnende Aufgabe, wichtig auch für die Klärung der Frage, inwieweit hier individuelle Begabung und musikgeschichtliche Konstellation zusammentrafen. (Peter Gülke)

Schuberts „musikgeschichtliche Konstellation“ nach Thr. Georgiades

Georgiades Schubert Schema

Quelle Thrasybulos Georgiades: SCHUBERT Musik und Lyrik / Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1967 / 2. Auflage 1979

Das hier wiedergegebene Schema (Schubert als Angelpunkt der Musikgeschichte) bedarf zweifellos ausführlicher Erläuterung, und Georgiades bleibt sie nicht schuldig. Ich frage mich jedoch, warum Georgiades gewissermaßen in der Versenkung verschwunden ist, so bedeutend seine Funde und Forschungen auch sind (oder mir scheinen). Möglicherweise entbehren seine Schriften jeder auftrumpfenden Brillanz, und nur sein Buch „Musik und Rhythmus bei den Griechen“ wird immer wieder herbeigerufen (s.a. hier), weniger weil es tatsächlich einzigartig ist, sondern auch weil es ihn in seiner Rolle als Grieche und Außenseiter zu bestätigen scheint. Man hütet sich, auf ihn zu verweisen.

Peter Gülke ist zweifellos erhaben über Verdächtigungen aller Art, dennoch interessiert mich, wer eigentlich die verborgenen strukturellen Bezüge bei Schubert – über die völlig offensichtlichen hinaus – als erster zum Thema genommen hat:

Derlei Bezüge begegnen bis zuletzt bei Schubert, u.a. zwischen dem Finale der späten A-Dur-Sonate D 959 und denjenigen von Beethovens Sonate op. 31/I oder, zuvor schon, zwischen dem h-Moll-Rondo für Violine und Klavier D 895 und Beethovens Kreutzersonate; und der Beginn des C-Dur-Quintetts D 956 mutet an wie eine Radikalisierung des Introduktionshaften in der Eröffnung von Haydns erster Londoner Sinfonie (=Nr.97 in C-Dur). Der Nachweis solcher Bezüge müßte fast den Beigeschmack des Denunziatorischen bekommen, führte er nicht auf zentrale Fragen, wenn nicht auf Rätsel – abgesehen davon, daß Schuberts Musik im befürchteten Sinne nicht denunzierbar ist; weder steht er in derlei Verfahrungsweisen als Epigone da, noch sind sie ihm als einem über alles begreifbare Maß hinaus Naiven versehentlich passiert.

Quelle Peter Gülke a.a.O. (1987) Seite 302

Die Jahreszahlen sagen genug über die Prioriät der Entdeckung, noch mehr sagt die erhellende Behandlung der Ähnlichkeit durch Georgiades auf den diesem Beispiel folgenden Seiten.

Georgiades Schubert Haydn Vergleich Georgiades a.a.O. S.158

Siehe auch den Blog-Artikel „Musik lesen und erfassen“ HIER.

Nun könnte ich – quasi aus freien Stücken – hinzusetzen, dass Schubert durchaus nicht erfreut war, wenn Freunde ihn auf eine Beethoven-Parallele aufmerksam machten, so als sei ich es, der das in in den dokumentierten Zeugnissen der Freunde entdeckt hat. Nein, auch diesen Hinweis verdanke ich der Schubert-Literatur, genauer: dem genannten Gülke-Aufsatz. Es geht um ein paar Takte in dem Lied „Die Forelle“ – „und ehe es gedacht, so zuckte seine Rute, das Fischlein, das Fischlein zappelt‘ dran“ – , die Freunde fühlten sich an ein Motiv aus Beethovens Coriolan-Ouvertüre erinnert. Und – so heißt es – Schubert habe sich geärgert. Wir als seine viel besseren Freunde hätten sofort hinzugefügt: aber das macht doch nichts, es ist ein völlig anderer Ausdruck, niemand wird je bei der einen Stelle an die andere denken. Es könnte auch ganz anders gewesen sein: denken wir uns eine Schubertiade, man sang und spielte verschiedenste Stücke, Lieder und auch Klavier vierhändig, darunter eine Bearbeitung der Coriolan-Ouvertüre, die Stelle mit dem Unruhe-Motiv (ca. 2 Minuten nach Beginn) misslingt, muss ein bisschen geübt werden, die Schuldfrage ist schwer zu klären, und dann sagt einer: das ist doch genau wie vorhin in Deiner Forelle, wenn die Angelrute zuckt. Plötzlich ist es ein Faux-pas, der junge Meister fühlt sich veranlasst, etwas zu sagen. Und für die anderen klingt es wie eine Ausrede. Sie werden später erzählen, Schubert habe sich geärgert.

Das ist meine beiläufige Deutung, bitte nie zitieren, ohne mich als Urheber zu nennen!

P.S.

Wenn es mir aber nun gar keine Ruhe lässt und ich nach einer Quelle suche, die ganz nahe bei Schuberts Freundeskreis angesiedelt ist, habe ich bei Walther Dürr eine ganz unfehlbare Adresse:

Dürr Schubert Forelle

Quelle: Reclams Musikführer / Walther Dürr und Arnold Feil:Franz Schubert / Philipp Reclam jun. Stuttgart 1991 (Seite 70)

Dieser Holzapfel hatte wohl einen Ohrwurm, aber so schwach war der Anklang nun auch wieder nicht, dass man nicht wüsste, worauf er anspielte…

Zehetmair – Bach – Stuttgart

Zehetmair Cover Foto: Karin Foerster

Ich besitze die Doppel-LP seit 1983, damals war sie gerade bei Teldec erschienen, und soeben habe ich sie mir als CD-Version neu bestellt. Merkwürdigerweise hat Thomas Zehetmair nie eine weitere Gesamtaufnahme herausgebracht, was bei seiner dynamischen Entwicklung ja noch plausibler gewesen wäre als z.B. bei Sigiswald Kuijken und Christian Tetzlaff, die es getan haben. Außerdem habe ich mir Karten für die Stuttgarter Stiftskirche bestellt, wo er die Sonaten I und III sowie die Partita II (mit der Ciaconna) spielen wird: Konzert am 7. September, 13 Uhr, was für mich günstig liegt, wenn der ICE funktioniert: morgens hin, abends zurück. – Ich wusste schon einiges über den Interpretationsstand der Bach-Solissimo-Werke, für die in meiner Studienzeit der 60er Jahre Szeryng als  Nonplusultra galt, für mich eher Milstein, Grumiaux oder Gidon Kremer. Und bereits im August 1981 hatte ich mir die Kritik der Süddeutschen Zeitung beiseitegelegt, die bis dahin, was die Interpretation der Alten Musik anging, noch penetrant rückwärtsgewandt war, plötzlich aber einen erstaunlichen Ton anschlug:

Zehetmair SZ 1981

Es war eine historisch bedeutsame Kritik, sie wurde in der Ära des Groß-Kritikers Karl Schumann – für den zeitlebens Karl Richters Bach-Auffassung maßgeblich blieb – von Wolf-Eberhard von Lewinski für die Süddeutsche Zeitung geschrieben, heute kaum noch auffindbar, weshalb ich mir das Recht herausnehme, sie „im O-Ton“ wiederzugeben (soweit sie Zehetmair betrifft).

Zehetmair SZ 1981 Zehetmair SZ 1981 f SZ 14./15./16. Aug.1981

Nicht umsonst ist nun von Harnoncourt die Rede, das heißt von einer neuen Ära der Alten Musik, die in München im übrigen noch lange auf sich warten ließ. Ähnlich wie in Stuttgart, wo erst in der aktuellen Saison, nach der Ablösung Helmuth Rillings, auch im Forum der Bach Akademie ein anderer Stil eingezogen ist. Da ist es fast als zeit- und stilgemäßes Omen zu werten, dass der Geiger Thomas Zehetmair wieder zur Stelle ist: vielleicht setzt er nach genau 35 Jahren aufs neue mit „seinem“ Bach ein Signal.

Jedenfalls liest man heute in Stuttgart:

„Ich komme aus der historischen Aufführungspraxis und das prägt natürlich mein Klangideal“, bekundete Rademann in einer seiner ersten Stellungnahmen.

Klug aber riskierte er nicht gleich den Bruch mit Gepflogenheiten und Bräuchen der Bachakademie. Das Engagement seines Vorgängers Helmuth Rilling, des Gründers der IBA, für das Gesamtschaffen Johann Sebastian Bachs fand seine Bewunderung. Andererseits hatte der neue Akademieleiter deutlich als Ziel gesetzt, da weitergehen zu wollen, wo Rilling sich nicht entschließen konnte, einen konsequenten Schritt zu machen.

Quelle Forum der BACHAKADEMIE „Reichtum“ August 2016 Seite 4

Im umfangreichen Programmheft, das man als pdf herunterladen kann, finde ich allerdings diesen aus dem gedruckten August-Heft zitierten Text nicht mehr. Aber es gibt viele neue Texte, auch im Begrüßungs- und Vorwortbereich, etwa den besonders einprägsamen aus der Feder des Daimler-Vorsitzenden Dr. Dieter Zetsche:

Ich weiß nicht, ob Carl Benz Bachliebhaber war. Aber sein Motto passt auch perfekt zur Arbeit des Komponisten: Das Beste oder nichts. Kein Wunder, dass unsere Soundingenieure auch heute noch Bachkantaten zum Test der Musikanlage einer S-Klasse abspielen. Noch schöner als im Auto ist Bachs Musik natürlich live. Ich freue mich daher sehr, dass das Musikfest Stuttgart uns in seiner Reihe Unternehmen Musik im Mercedes-Benz Museum mit zwei Festivalkonzerten beehrt. Klassische Musik und klassische Autos – schöner geht’s kaum!

Ich darf hinzufügen, dass Zehetmair für den Vortrag seiner Bach-Werke mutmaßlich einen Mercedes der Violingeschichte vorgesehen hat, wenn auch eher italienischer Provenienz. Und sein Fahrstil entspricht durchaus nicht der Glätte der Außenpolitur, bei Bach so wenig wie bei Paganini.

Ich empfehle die Lektüre der ganzen Rezension, aus der die folgenden Sätze stammen:

Schon wenn er den Bogen zur Caprice Nr.1 ansetzt, mischt sich ein irritierendes Schmirgeln und Knirschen in seinen Ton, das sich durch die gesamte Aufnahme zieht. Wäre Zehetmair noch ein Student, würde der Geigenprofessor sofort mit dem Ölkännchen herbeieilen, um das Quietschen in den Scharnieren zu beseitigen. Denn das gängige Paganini-Ideal verlangt bis heute nach Makellosigkeit, nach einem ungefährdeten, triumphalen Ton, wie ihn Jascha Heifetz am brillantesten beherrschte.

Quelle DIE ZEIT, 08.10.2009 Nr. 42 Verzweiflungsknirschen Mit seiner grandiosen Aufnahme der 24 Capricen von Niccolò Paganini porträtiert der Geiger Thomas Zehetmair den Virtuosen als Freak / Von Claus Spahn

***

Einen Hinweis der Stuttgarter Zeitung samt Stadtplan (vom HBF. durch den Schlosspark) und Webseiten der Stiftskirche sowie der Bachakademie findet man HIER.

***

Die CD ist eingetroffen (26.8.2016) – ist die Aufnahme identisch mit der von einst? Ich weiß es sofort, wenn ich die C-dur-Sonate auflege (CD II Tr. 6), gewiss, auch andere Interpreten könnten die Glockenschläge des Adagios so überirdisch leicht nehmen, aber niemand würde wohl wagen, in der 51. Sekunde so dreinzuschlagen… Außer Zehetmair, – ermächtigt durch Harnoncourt…

Zehetmair CD 2007

In meiner kleinen Studienpartitur, die ich in den 70/80er Jahren verwendete, ist die gerade erwähnte Stelle links in der dritten Zeile eingekreist:

Bach Violine C-dur

Beim Wiederhören: durchweg nach wie vor bewundernswert, agil und jugendlich alles, von A bis Z überragend die Partita in h-moll, ideal in Ton, Ausdruck und Tempo. Im Grunde gibt es heute nur ein Stück, bei dem ich mich innerlich distanziere, wahrscheinlich unwiderruflich – und vielleicht auch damals schon, ich weiß es nicht mehr -, es ist die Chaconne (Ciaccona). Zu viele kleine Einfälle, Preziositäten, Einsprengsel, aber auch schon das Tempo, die Doppelpunktierung und die Varianten der Bariolage-Auflösung, zwar alles klar durchdacht, aber nicht „überwältigend“: ich will nicht die Geige und den Geiger bewundern, sondern im Werk „aufgehen“: wie immer noch bei Janine Jansen. Sonst ziehe ich die Brahms-Bearbeitung für die linke Hand oder die Busoni-Fassung vor.

Kein Wunder, dass er damals in Ansbach die Ciaccona als „Zugabe“ gespielt hat… Vielleicht sollte sie ihren Weihrauch verlieren, und das war gut. Aber jetzt – in Stuttgart – sind 35 Jahre vergangen. Der blondgelockte Knabe von damals hat eine große Entwicklung hinter sich.

Übrigens wüsste ich keinen anderen Geiger, für den ich – in Sachen Bach – eine solche Reise machen würde. Auch keine Geigerin.

Die Stiftskirche

stuttgart-stiftskirche-160907-nachher stuttgart-stiftskirche-160907-mit-nebenhaus

Draußen gleißende Helle, brütende Hitze, und beim Nach-Gespräch im Café tritt eine kesse, vielleicht nicht ganz nüchterne Frau von außen an die geöffnete Tür und ruft den Versammelten instinktsicher zu: „Andrea Berg und Helene Fischer!!!“ Zweifellos hat sie das Wort Musikfest gelesen. Verblüfftes Schweigen, Zehetmair schaut prüfend, ob der Zuruf aus dem Interessentenkreis kam, der Moderator sagt: „Ein treffender Beitrag zur Aufführungspraxis!“ Augenblicke der Erheiterung. Gar nicht ungelegen inmitten eines ernsten und angenehmen Zwiegesprächs nach einem einstündigen Konzert in der nahgelegenen Kirche: Die gewaltige Ciaccona war mit einer ins Nichts zurückgenommenen Kadenz zuendegegangen, der fahle Klang der leeren D-Saite blieb unbegreiflich im weiten Raum. Man wusste, danach folgt lange Stille, ergriffener Beifall und keine Zugabe, vielleicht der Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Zugabe …. und sie kam doch, erstaunlich früh und mit überzeugendster Wirkung: der erste Satz aus Bernd Alois Zimmermanns Solosonate.

(Übrigens: der oben angesprochene Mercedes der Violingeschichte stammte aus der Werkstatt des großen Guadagnini.)

Zehetmairs Gesprächpartner ist Dr. Henning Bey, der Chefdramaturg der Bachakademie Stuttgart.

Sie beginnen mit dem Hinweis, dass man Bach als das Alte Testament der Musik bezeichnet habe (genau, Hans von Bülow tat es, indem er Beethovens Sonaten als Neues Testament dem alten des  Wohltemperierten Klaviers gegenübergestellt hat), dann folgen hier aber überraschenderweise die Namen Paganini und Ysaÿe, was wohl nur konsequent violinbezogen gedacht ist. Der Anspruch an den Hörer sei sehr hoch, ebenso die darauf bezogene Verantwortung des Interpreten: nämlich die Stimmführung im Linien- wie im Akkordspiel der Violine bewusst werden zu lassen. Und noch etwas ganz anderes: ein Zuhörer habe ihn einmal gefragt, was eigentlich der Unterschied zwischen Sonaten und Partiten sei. Das habe ihn verblüfft. Fugen natürlich einerseits, Tanzsätze andererseits. Aber tatsächlich seien ja auch in den Sonaten sehr tänzerische Sätze enthalten, in der ersten (g-moll) die Siciliana, und auch der letzte Satz mit den laufenden Sechzehnteln könne zur Not als Gigue verstanden werden. Erwähnenswert innerhalb der Partiten der Tempo-Unterschied etwa zwischen Corrente (ital.) und Courante (frz.), was in anderen Sätzen weniger krass sei.  Er selbst sei ja 1981 in Ansbach für den erkrankten Salvatore Accardo eingesprungen. Habe vorher schon mit den Bachschen Werken einen Kurs bei Nathan Milstein besucht (der ihn damals neben Szeryng am meisten beeindruckt hatte), und dieser Meister des klanglich Schönen habe seine Studenten als erstes aufgefordert, das Vibrato zu reduzieren. Dies beherzigend habe er, Zehetmair, dem großen Harnoncourt in Salzburg drei Bach-Soli vorgespielt, und der stellte als erstes fest, dass sie beide „auf einer Wellenlänge“ seien, – und dann „hat er alles umgekrempelt“. Es habe damals ja so einen Konsens gegeben, was ein Bach-Strich sei, und dagegen setzte man nun die Regel, bei Tonleiterläufen mehr Strich zu nehmen, bei Sprüngen und größeren Intervallen aber kürzere. Im übrigen sei Harnoncourt ganz undogmatisch verfahren, es sei z.B. ein Vorurteil, das jede lange Note mit Bauch zu versehen sei. Der junge Zehetmair durfte damals als Konzertmeister im Concentus Musicus Wien mitwirken, sogar mit seinem eigenen, modern mensurierten Instrument, das allerdings mit Darmsaiten bespannt wurde, nur der Bogen musste original „alt“ sein [bzw. eine genaue Kopie]. Später macht er das Beethoven-Konzert mit Frans Brüggens „Orchestra of the Eighteenth Century“. Spielte auch ohne Schulterstütze, wobei also die linke Hand die zusätzliche Aufgabe hat, die Geige mit zu halten, was den Lagenwechsel beschwerlicher macht. Wodurch der Einsatz des Vibratos aber sofort bewusster erfolgt, nicht als Dauerbebung. Dr.Bey erwähnt die höchste Stelle eines Albinoni-Konzerts, der 3 Viertel Pausen recht unmotiviert folgen. Sie sind allein für die Rückbewegung eingebaut, den schwierigeren Lagenwechsel abwärts… [das gibts auch bei Biber!] Und die Bogentechnik? Alles mehr zum Frosch hin verlagert? Nein, man nutzt den Barockbogen auch an der Spitze.

Der Rest des Gespräches dreht sich um das Schumann-Violinkonzert, dessen Rezeptionsgeschichte völlig verrückt sei. (Ich übergehe diesen Teil des Gesprächs, man kann das im Wikipedia-Artikel nachlesen. Am Ende auch mit Bezug auf Zehetmair!)   Zehetmair: der erste Satz wurde völlig missverstanden, Kulenkampff habe in der ersten deutschen Aufführung das meiste eine Oktave höher gemacht. Erst Menuhin habe gespielt was dasteht (und dafür an anderen Stellen geändert). Der zweite Satz, so Zehetmair, sei „eines der göttlichsten Stücke, die es gibt“. Der dritte Satz, eine Polonaise, sei noch von Gidon Kremer ganz falsch aufgefasst und viel zu schnell gespielt worden. [Nicht mehr in der Aufnahme mit Harnoncourt! siehe hier.]

Zehetmair äußert sich dezidiert über das Spielen im Vergleich zum Dirigieren und die Möglichkeit, beides miteinander zu verbinden. [Man kann ihn selbst in der Doppelfunktion beobachten, mit Schumann zum Beispiel: Hier.] Heute trennt er diese beiden Funktionen lieber. Beim bloßen Dirigieren hört man besser zu und kann die Balancen besser kontrollieren. Beim Geigespielen hört man nun mal die eigene Geige am Ohr, und kann dieses Ohr nicht gleichermaßen bei den Holzbläsern haben…

(Fortsetzung folgt)

7. August 2020 Zehetmairs neue Aufnahme der „Sei Solo“ sind heute bei mir eingetroffen. Alte Geigen, alte Bögen. Habe eine Lobeshymne bei Klassik.info gelesen (hier) und bin auf Opposition geschaltet. Da sollte ich erstmal abwarten…

Die dort herangezogenen Vergleichsaufnahmen halte ich auch schon mal bereit:

Amandine Beyer hier

Giuliano Carmignola hier

Musik / Philosophie

Es begann heute damit, dass ich mir einen Zugang öffne oder präsent halten wollte, der dank des Online-Magazins Faustkultur greifbar wurde. Der Anreiz bestand darin, dass er mit Erinnerungen oder alten Erlebnisquellen verknüpft ist, auf die ich immer wieder gern eingehe:

Trio-Probe Königswinter 1961

Darmstadt JR

Studienbeginn 1960 mit Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ und Ferienkurs Darmstadt 1965, durchaus verbunden mit Alter Musik. Beispiele innerhalb dieses Blogs etwa hier (Hindrichs) und hier (Rifkin). Zunächst also geht es mir nur darum, der neuen Form von Veröffentlichung im Internet nachzugehen.

Veranstaltung (und Umfeld) siehe hier.

Der aktuelle Link:

Darmstädter Ferienkurse 2016 https://voicerepublic.com/talks/abschlussdiskussion

mit Jörn Peter Hiekel, Dieter Mersch, Michael Rebhahn, Fahim Amir und Teilnehmer*innen / Bernhard Waldenfels 3:48 „ein ritardando in der Musik hat natürlich mit dem Zögern zu tun, das auch zur Handlung gehört und zum Sprechen“, Pausen, hoch und tief, gehört zur Leiblichkeit, der aufrechte Gang, oben und unten = qualitative Differenzen nicht bloß formale, „Musik ist immer mehr als Musik und weniger als Musik“, der Begriff des Überschusses, Momente der Fremdheit und Andersheit in der Musik, Leiden, Pathos, Ausgangspunkt: das, was uns widerfährt, Komponieren = Antworten, – eine Erfahrung, die nicht reine Musik ist. Überschuss: des Ereignisses über den Gehalt (schon in der Aufführung gegenüber der bloßen Partitur), „es gibt etwas Vor-Musikalisches, aus dem die Musik schöpft“. 8:15 Christian Grüny (?) „In jeder Theorie steckt immer auch etwas Ästhetisches drin.“ 13:00 (Fortsetzung folgt bei Gelegenheit)

Dank an:

http://faustkultur.de/index.php?article_id=2777&clang=0 (Gute Zusammenfassung)

Mit einem recht unkonventionellen Bericht von diesen Darmstädter Ferienkursen möchte ich mich vom Thema verabschieden: Stefan Hetzel –  zu Gast im Bad Blog of Musick hier.

In einer lesenswerten Rezension des Stuttgarter „Éclat“-Festivals 2016 erwähnte Max Nyffeler

die Ratlosigkeit einer unzufriedenen Komponistengeneration, die an den Bedingungen eines übersättigten Marktes ebenso leidet wie am System als Ganzes.

Wir leiden mit.

Kleine Barthes-Recherche

Die bürgerliche Singstimme

Nur um das Ergebnis einer Irritation und einer Suche festzuhalten: in dem Magazin Musik & Ästhetik Heft 79 Juli 2016 las ich einen erhellenden Text von Ferdinand Zehentreiter mit dem Titel „Warum Musik keine ‚Sprache der Gefühle‘ darstellt / Eine erfahrungstheoretische Kritik“ (Seite 54 -68). Ins Stocken geriet ich bei Anmerkung 5: Hat denn Roland Barthes wirklich über Gérard Souzay geschrieben? Ich erinnere mich nur an die Gegenüberstellung Fischer-Dieskau / Charles Panzéra.

Barthes zitiert bei Zehentreiter Musik & Ästhetik Heft 79

Allerdings ist hier ausdrücklich von der vollständigen Sammlung der Mythen des Alltags die Rede, und im Nachwort meiner Suhrkamp-Ausgabe entdecke ich jetzt die Notiz:

Unser Band enthält eine Auswahl aus dem 1957 in Paris erschienenen Buch Mythologies. Fortgelassen wurden in der deutschen Ausgabe einige kürzere Texte des ersten Teils, deren Thematik und Bedeutung einem mit den Verhältnissen in Frankreich wenig vertrauten Leser nur unzureichend sich erschlossen hätten.

Der Name Gérard Souzay hätte mich allerdings elektrisiert, da ich um 1964 noch ein Konzert mit ihm Kölner Gürzenich erlebt hatte. Das Internet führt weiter: Zumindest der Anfang des Originaltextes von Barthes ist offenbar zuverlässig auf der Website eines Stimmphysiologen wiedergegeben:

Les principaux signes de l’art bourgeois. Cet art est essentiellement signalétique, il n’a de cesse d’imposer non l’émotion, mais les signes de l’émotion. C’est ce que fait précisément Gérard Souzay : ayant, par exemple, à chanter une tristesse affreuse, il ne se contente ni du simple contenu sémantique de ces mots, ni de la ligne musicale qui les soutient : il lui faut encore dramatiser la phonétique de l’affreux, suspendre puis faire exposer la double fricative, déchaîner le malheur dans l’épaisseur même des lettres; nul ne peut ignorer qu’il s’agit d’affres particulièrement terribles. Malheureusement, ce pléonasme d’intentions étouffe et le mot et la musique, et principalement leur jonction, qui est l’objet même de l’art vocal. Il en est de la musique comme des autres arts, y compris la littérature : la forme la plus haute de l’expression artistique est du côté de la littérature, c’est-à-dire en définitive d’une certaine algèbre : il faut que toute forme tende à l’abstraction, ce qui, on le sait, n’est nullement contraire à la sensualité.

Das hilft mir auf die Sprünge und gibt Gelegenheit, ein etwas anderes Umfeld wahrzunehmen, außerhalb des gewohnten der Musik und der Ästhetik, nämlich hier [ http://www.revoice.fr/Pages/RolandBarthesetlavoix.aspx ]

Ich erinnere mich übrigens an eine Aufnahme der „Jahreszeiten“ von Haydn (Neville Marriner 1980) mit Dietrich Fischer-Dieskau, wo dieser ebenfalls (vor Ausbruch des Gewitters, Simon: „O seht! Es steigt in der schwülen Luft am hohen Saume des Gebirgs von Dampf und Dunst ein fahler Nebel auf.“) versucht, dem Adjektiv des Nebels eine gespenstisch fahle Färbung zu geben, – lächerlich, ein „pléonasme d’intentions“, genau wie ihn Barthes beschreibt. In diesem Fall wohl eine der Manieriertheiten, die „Fi-Di“ im Laufe seiner Entwicklung eher mehr als weniger pflegte. (Unvergesslich die frühen Interpretationen, etwa der „Lieder eines fahrenden Gesellen“ unter Furtwängler.)

Erinnerung an die Gegen-Kultur

Patti Smith 2016 (s.a. hier)

Patti 1 Patti 2 Patti 3 Patti 5 Patti 5 Patti 6 Handy JR

oben: Lichtburg Essen 10. August 2016 / unten: Damrosch Park NYC 20. Juli 2016

Patti a Screenshot Patti b Screenshot

Siehe z.B. ab 13:20 („Holy“)

Assoziationen

Roszak Gegenkultur Cover Roszak Gegenkultur Inhalt ZEN

Der rezitierte Text in geschriebener Form , das vollständige Gedicht in deutscher Sprache, der Wikipedia-Artikel über den Hintergrund des Gedichtes.

Über Patti Smith: ZEITmagazin 11. März 2010 Christoph Amend: Die Überlebende / Sex, Drogen, Rock’n’Roll: Die Sängerin Patti Smith hat alle Extreme überstanden. Aber wie? HIER.

Einzeltitel „Ghost Dance“ ab 26:25 bis 31:13 Text hier. Youtube Studio hier. Live 2006 hier.

Einzeltitel „When Doves Cry“ ab 37:05 bis 43:46 Text hier. Youtube hier.

Einzeltitel „Southern Cross“ ab 52:02 bis 1:00:59 Text ?. Youtube ?.

(Fortsetzung folgt)