Der folgende Text stammt von Yogendra (Jens Eckert), veröffentlicht in seinem Newsletter India Instruments (es ist nur der Anfang, Fortsetzung zum Weiterlesen am Ende dieses Artikels). Ich habe lediglich einige Links eingefügt und ein paar farbige Markierungen vorgenommen. (JR)
Ideal und Wirklichkeit – The Disciple
– Eine Filmbesprechung von Yogendra –
International erfolgreiche Spielfilme, in denen klassische indische Musik eine zentrale Rolle spielt, gibt es nur alle paar Jahrzehnte. In Jalsaghar (Das Musikzimmer) zeigte Oscarpreisträger Satyajit Ray 1958 einen elegischen Abgesang auf die untergehende indische Aristokratie als Patronin von Musik und Tanz [Musikauswahl: Vilayat Khan]. Die klassisch indische Musiktradition selbst war dagegen schon erfolgreich den Weg vom höfischen Patronat in die demokratische Öffentlichkeit gegangen und stand in hoher Blüte. Mit Begum Akhtar, Roshan Kumari, Wahid Khan und Bismillah Khan waren herausragende Künstler*innen dieser Zeit in Jalsaghar in phänomenalen Performances zu sehen und zu hören.
Szenen des Filmes hier Mehrere Einzelszenen hier – auch hier (Junge singt + Esraj)
Als 1997 Rajan Khosas Film Dance of the Wind erschien, hatte die klassische indische Musik einen atemberaubenden Höhenflug der Instrumentalstile erlebt und gleichzeitig eine erstaunliche weltweite Popularität gewonnen. In Dance of the Wind weigert sich eine junge klassisch indische Sängerin rituell Schülerin ihrer Mutter und Lehrerin im Sinn der alten Guru-Shishya-Parampara Tradition zu werden. Nach dem Tod ihrer Mutter verliert die junge Sängerin ihre Stimme – und findet sie wieder, indem sie für ein Straßenmädchen selbst zur Gesangslehrerin wird. Der Film erzählte indische klassische Musik als Medium seelischer und spiritueller Heilung durch die erneuerte Anbindung an die alte Tradition.
In The Disciple, seit April 2021 auf Netflix und davor auf internationalen Filmfestivals zu sehen, schildert Chaitanya Tamhane jetzt in 4 ineinander verschachtelten Zeitebenen über etwa 30 Jahre den Lebensweg des fiktiven Khyal-Sängers Sharad Nerulkar. Als kleiner Junge wird Sharad von seinem Vater genötigt, Gesangskompositionen zu lernen statt draußen mit seinen Freunden zu spielen. Mit Anfang 20 ist er einer von drei Schülern eines renommierten Gesangsgurus. Einige Jahre später schlägt er sich als Gesangslehrer und mit kleinen Konzerten durch. Und am Ende sehen wir ihn als Familienvater und Pressesprecher eines Musikverlags. In Sharads Ringen mit sich selbst, mit seinem familiären Umfeld und mit den hehren alten Idealen der klassischen Musiktradition und schließlich in seinem Scheitern an den Bedingungen des kommerziellen Konzertbetriebs zeichnet der Film ein gnadenlos realistisches Bild der klassischen nordindischen Musiktradition im modernen Indien.
Weiterlesenhier (India Instruments Newsletter Übersicht Punkt 5.) Siehe dort auch den Link „Raga-Player“ zum Einhören (oder gleich hier.)
The Disciple ist außer bei Netflix auch bei mega.nz abrufbar.
Wo? Beim Körper. Beim physiologischen Körper also, kombiniert mit dem dinghaften Geigenkörper. Ich setze voraus, die Geige „sitzt“ (bei Anfängern kostet das natürlich Geduld und Zeit – Kinder kann man damit verrückt machen – dies nur im Hinterkopf – es wären Lektionen für sich). Wie funktioniert eigentlich das „Streichen“? Also, – nicht irgendwie, sondern eine Gerade ziehen, statt eines Kreises. Keine Ausrede („mein Englisch ist nicht gut genug“, auch das kommt). Das Auge genügt (und der gute Wille, der da ist, aber dich nicht unter Druck setzt). Sag nicht: dieser Lehrer gefällt mir nicht. Tu was er meint – und gefalle dir selbst. (No „unnecessary tension“!)
Wer ist unser You-Tube-Tutor? Bio (zitiert von seiner Web-Seite hier):
Eddy Chen has appeared as a soloist with the Queensland Symphony, Queensland Conservatorium Symphony, Queensland Youth, and Corda Spiritus of St Andrews orchestras. In 2010 he was awarded top prize in the Queensland Young Instrumentalist Competition and was a finalist in the prestigious National Youth Concerto Competition. In 2014 he was the Queensland finalist of the National Young Virtuoso Award. Eddy received his Bachelor of Music at the Queensland Conservatorium in 2014, where he studied under the guidance of Michele Walsh. While there, he won several scholarship prizes, including the Brisbane Club Award and the Ronald Clifford, Basil Jones Sonata, Owen Fletcher and Paganini prizes. As an orchestral musician, Eddy has been a casual violinist with the Queensland Symphony Orchestra since 2011 and with the Melbourne Symphony Orchestra since 2014. He was concertmaster of the Queensland Conservatorium Opera Orchestra in 2012 and 2014. Eddy suffers from a severe fear of cockroaches*, also known as katsaridaphobia.
*Kakerlaken
Und nun? Wenn ich alles ordentlich geübt habe, mit Fingern, Armen und Verstand, – lege ich dann los?
Nein, ich habe mir vor einiger Zeit noch eine kniffelige Übung zurechtgelegt, die ich nur in Zeitlupe und mit sorgsamer Andacht ausführen mag. Und erst, wenn ich damit nach geraumer Zeit fertig bin, – das weiß ich – , gehe ich auch gern ans Klavier und übe dort nur die linke Hand, und zwar notengetreu (oktavversetzt) genau das, was ich vorher auf der Geige verinnerlicht habe. Es ist nämlich nicht mein anmaßendes Werk, sondern die Grundlage einer Etüde von Chopin, die ich faszinierend finde. Wenn ich die linke Hand endlich zufriedenstellend erfasst habe, kann ich mich der rechten zuwenden, und ich bin mit mir und der Welt EINS. Oder irgendsoetwas. Aber: wir sind bei der Violine! (Mir ging es bei der Bearbeitung auch darum zu lernen, wie vollkommen bei Chopins Etüde schon der bloße Begleitpart ist.)
Und erst wenn wir über unseren Schatten springen und die verschiedenen Übe- und Hörweisen studieren wollen, die sich am anderen Instrument ergeben, wenden wir uns dem folgenden Hörbeispiel zu – es kann auch notorischen Geiger(erinne)n nicht schaden. Irgendwann werden sie von einem Klavier begleitet, daran geht kein Weg vorbei. Man beginnt beide Parts zu bedenken, alle Stimmen, das Ineinander der Harmonien und Rhythmen.
Sollte ich vielleicht die rechte Hand auch einmal für Geige bearbeiten, als überfälliger Hummelflugersatz?
Linke Hand ab 8:30, nächste Stufe 9:27, nächste 10:36. Dann rechts dazu, ab 11:05…
Letzte Stufe: ab 15:34, links und rechts zusammen, alles im Tempo und auch noch musikalisch…
Warum ich als Geiger überhaupt lernfreudig auf Pianist(inn)en schaue? Ich habe das Thema ja schon früher einmal behandelt, auch dieselben Noten vorgezeigt (siehe hier). Weil ich unterstelle, dass Menschen am Klavier (notgedrungen) bewusster Musik machen. Sie haben kein Vibrato als musikalisches Allheilmittel. Z.B. habe ich mir kürzlich eine CD mit Aufnahmen von vorwiegend kleinen Stücken besorgt, gespielt vom Idol meiner frühen Geigenzeit, Christian Ferras. Und es gefällt mir fast nichts (abgesehen von „Tzigane“). So dahingesagt klingt das vielleicht arrogant, aber es tut eher weh, und ich möchte dieser Frage „cool“ nachgehen. Geiger haben nichts anderes als ihre eine Stimme, – warum kann das nicht vollkommen sein, wie etwa in vielen Gesangsinterpretationen, die uns doch auch immer als höchstes Vorbild melodischen Spiels empfohlen werden? All diese Titel, von denen ich einige schon kenne aus „Die goldene Geige“, dem geliebten Vortragswerk meiner frühen 50er Jahre, wer weiß, wie das gekratzt hat. Und heute? – natürlich erkennbar dürftiger als dieser zweifellos ganz große Geiger… das Meckern habe ich allerdings gut gelernt. Durch die Schule der Alten Musik. Und der Neuen, durch Rudolf Kolisch und sein böses Wort von der Religion der Streicher.
Wieviel Üben?
Die Mühelosigkeit des Spiels, die der Anblick virtuoser Geiger:innen suggeriert, ist nicht selbstverständlich, beruht nicht auf „Naturbegabung“ und ist nicht ein für allemal abrufbar. Julia Fischer erzählt (7.6.22 SAT1 Bayern 17.30 h):
Wenn man drei Tage nicht übt, dann merkt man das ja schon. Und – ich hab das nie genossen, die Zeit ohne Geige, ich hab das auch nie gemacht tatsächlich, weil mich das unfassbar nervt, wenn ich mich dann wieder in Form bringen muss. Dann übe ich lieber ne halbe Stunde in den Ferien, ich übe eigentlich immer.
Alles zum Staunen. An Tieren sonst nur Insekten und freifliegende Vögel.
Alle Fotos: Lumix E.Reichow
Der große Ausblick und die Kleinigkeiten. Ordnung und Unordnung.
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Am Abend mehr über Farbensehen im Fernsehen bei Terra X mit Dirk Steffens HIER
Zeigt er uns hier die Farbe Blau, Lila oder – Purpur?
Über Schnecken, die Farbexplosionen auslösen, Vögel, die Feuer legen, Eisflächen, die singen, und Holzstämme, denen plötzlich scheinbar Haare wachsen.
À propos „Eisflächen, die singen“ – die Filmmusik, die den Naturphänomenen ansonsten hinzugefügt wird, ist grauenhaft, dem phantastischen Thema völlig unangemessen.
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Nach dem Botanischen Garten das obligate Mittagessen in der Heidberger Mühle nicht zu vergessen, einer der besten Punkte zwischen Solingen-Wald und Haan. Siehe Fotos und Infos oben im Link. Unten der Blick von der Terrasse, am 1.8. im Foto festgehalten von E.Reichow, – eine eigenartige Stimmung, der Karpfenteich steht noch entleert, die angrenzende Itter hatte neulich in ihrem Bett getobt, wie alle Bäche und Flüsse in der Region Solingen (und anderswo). Siehe auch hier.
Ich habe keinen Augenblick gezögert, um gewiss zu sein, um welchen Marcuse es sich handelt. Natürlich steht dort auch Ludwig und nicht Herbert, der mich ebenfalls fasziniert hat, aber das war damals ja üblich. Rund um die 68er Jahre eben. Als man plötzlich den „Muff unter den Talaren“ wahrnahm. Und nun bin ich froh, daran erinnert zu werden, welchen Eindruck damals zwei seiner Bücher auf mich gemacht haben: „Pessimismus“ und „Obszön“. Ein ganz großer Aufklärer!
wer war ich 1963?
. . . . . . . . . . auch in Radiosendung! die falsche Einschätzung, dass dies privat, anderes aber gesellschaftlich gelte…
Was in meiner Erinnerung eng dazugehört (lebhafteste Diskussionen):
Der andere Marcuse 1969 (was ist Wahrheit?)
Es lohnt sich, diese Literatur zu reaktivieren und mit dem heutigen Stand in Beziehung zu setzen (siehe z.B. „Die Gesellschaft der Singularitäten“ hier). Es wäre dumm zu sagen, das spiegelt eine abgetane Gesellschaft des Ost-West-Konfliktes, hängt einer kommunistischen Utopie an, das eigentliche Problem war damals schon die Zerstörung der Ressourcen im weitesten Sinne. HM beginnt mit der atomaren Bedrohung, heute wird man mit der realen Gefahr der Klimakatastrophe beginnen, aber die andere besteht nach wie vor! Prinzipiell gleich ist aber auch die Verweigerung eines Umdenkens: die Ideologie des Wachstums wird gesellschaftlich einvernehmlich nicht in Frage gestellt. Die mentalen Mechanismen gelten nach wie vor.
Stopp! – Wüssten Sie, wie etwa der Gedanke weitergeführt wird?
S.23
Quelle Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch / Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Insustriegesellschaft / Luchterhand Neuwied und Berlin 1967 / s.a. Wikipedia hier
Hier (Dirk Steffens ab 55:13) Laschet… Merkel… „Beredte Inkompetenz“ – 25 Jahre zu spät u.a.
Auch zu empfehlen die Sendung vom 21. Juli (gestern) HIER , angefangen etwa mit dem Statement von Luisa Neubauer am Schluss der Sendung (ab 1:14:05), um sich dann rückwirkend die konkreteren Auseinandersetzungen „zuzumuten“:
Ich weiß gar nicht, ob es so hilfreich ist. Oder ob … es sind ja große, zum Teil auch psychologische Fragen, und natürlich ist vieles unvorstellbar, wir hätten uns auch nicht vorstellen können, dass so eine Flut so schlimm wird, wir hätten uns auch nicht vorstellen können, dass wir uns als Menschheit in den wenigen Jahrzehnten an einen Punkt manövrieren, dass man über Massensterben spricht und sich fragt, wir lange können wir auf diesem Planeten noch leben, das sind alle unvorstellbare Sachen! Und das Schöne ist ja, wir sind in einem Land, in dem wahnsinnig gute Wissenschaft am Start ist, d.h. was man mittlerweile ja sehr gut machen kann, man kann Berechnungen anführen, und da ist es hilfreich, darauf zu gucken, – es gibt seh sehr gute Studien, in „Friday for future“ haben wir eine eigene in Auftrag gegeben, die berechnen, wie funktioniert das, wie kommen wir auf null CO² oder auf null Emissionen, und da sind großartige Pfade aufgezeichnet, das muss ich ehrlich sagen, und da bin ich bei Ihnen, wir müssen anfangen darüber zu sprechen, was für ein krasser Aufwand das ist, aber auf der andern Seite darüber sprechen, was die Alternative ist, also – Klimakrise, das heißt: Nichthandeln ist eben das Teuerste von allem und das Unbequemste von allem, und ich glaube, wir müssen anfangen, uns darüber im Klaren zu sein, es mangelt uns nicht an Ingenieursleistung, es mangelt uns nicht an innovativen Ideen,es mangelt uns ganz konkret an politischem Willen. Und das Schöne ist ja, in diesem Jahr haben alle Menschen, die über 18 sind und wählen können, die Wahl, man kann sich entscheiden für oder gegen politischen Willen, und die Wahlprogramme sprechen da schon auch eine relativ klare Sprache, darüberhinaus z.B. mobilisieren auch jetzt : es braucht jetzt auch konkrete Veränderungen mach dieser Katastrophe: DAS IST WÄHLBAR.
Es ist kein Zufall, dass wir nicht in die Pötte kommen mit 1,5 Grad-Politik, dahinter stehen eben bisher mehrheitliche Entscheidungen auf politischer Seite, die sagen: „Das wollen wir nicht“, – das ist wichtig so festzuhalten: es gibt Alternativen, wir können das hinkriegen, das Projekt Klimaneutralität, es gibt politische Vorschläge dafür, es gibt da Ideen auf psychologischer Seite, es gibt auch in der Bevölkerung einen ganz ganz großen Willen, dass wir das anpacken, und jetzt geht es eben ums Politische.
Von der ebenfalls teilnehmenden CDU-Politikerin Wiebke Winter hier nur ein Zitat aus anderem Zusammenhang (t-online-Artikel, Tim Kummert) – und Sie wissen schon warum:
Während Winter über die Folgen der Klimakrise spricht, werden die Auswirkungen bereits im Rheinland spürbar: Ganze Landstriche gehen unter, in den nächsten Tagen werden Dutzende Menschen sterben. Winter schüttelt den Kopf und sagt: „Wieso hat die Politik in den letzten 30 Jahren nur so wenig versucht, was zu ändern? Ich fühle mich ein wenig wie bei der Titanic, das Leck ist da! Momentan tanzen viele jedoch nur und spielen die Geige!“
Stichworte: Haiti Geschichte hier / Anténor Firmin s.a. hier / Paul Broca 19:15 Kongo Kautschuk Alice Sealey Harris Fotos 25:10 Deutsch SW-Afrika HERERO 26:27 Mengele 28:00 Sport in Brit. Kolonien / Calcutta Mohun Bagan 30:00 Fußball (1911) / La Force Noire (1916) 33:00 Senghor / Kenia Nairobi Harry Thuku
* * *
HEUTE: Afrikanische Kunst im europäischen Museum?
ZITAT
So landete die Schau just in jenem Museum, das von seinen Beständen her am tiefsten in der Klemme sitzt. Denn unweigerlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage von Kulturgutbesitz und eventueller Rückgabe in die Ursprungsgebiete. Ein im Katalog dokumentiertes Begleitprogramm zur Ausstellung befragte alle beteiligten Künstler nach ihrem Verhältnis zu Afrika und zur Restitutionsproblematik. In der Vielfalt der Antworten spiegelt sich die Komplexität dieses Themas. Er sei gegen die Rückgabe, erklärt unumwunden der plastische Künstler Calixte Dakpogan aus Benin, denn die Werke hätten außer Landes einen größeren Wert. Eher, als museale Kunsträume in ihrem Land zu schaffen, sollte man die dort noch lebendigen Kulturoasen der Dörfer und Regionen vor zerstörerischen Entwicklungsprogrammen schützen, erklärt ihrerseits die Gabunerin Myriam Mihindou.
Quelle Süddeutsche Zeitung 29. Juni 2021 Die Epoche Post-Primitivismus / Eine Pariser Ausstellung will mit den Klischees über das afrikanische Kunsterbe aufräumen / Von Joseph Haniman / abrufbar SZ online hier.
Vorab ein Hinweis: Der elektroakustischen Klänge wegen empfiehlt sich die Nutzung von Kopfhörern.
„Splendid Isolation?“ besteht aus einer persönlichen und einer statistischen Ebene. Zunächst schilderten im April 2020 vier Mitglieder des ensemble aisthesis in kurzen Handy-Videos, wie sie denjenigen Lockdown erleben, von dem wir nun wissen, dass er nur der erste war. Einzelne Sätze daraus, analysiert nach Sprachmelodie und -rhythmus, bilden die Grundlage von vier Vokalsoli. Diese wurden von Mitgliedern der Schola Heidelberg zuhause geprobt und ebenfalls per Mobiltelefon aufgenommen.
Die zweite Ebene besteht aus Statistiken zur Corona-Epidemie, abgerufen von ourworldindata.org, sowie den Kursverläufen wichtiger Wirtschafts-Indizes. Vertont durch ein vierstimmiges analoges Modularsystem, rücken sie den zeitgeschichtlichen Hintergrund der gesprochenen Texte ins Bewusstsein.
Mitwirkende:
Jörg Deutschewitz
Matthias Horn
Barbara Ostertag
Kirstin Maria Pientka
J. Marc Reichow
Svea Schildknecht
Nikolaus Schlierf
Peter Sigl
Idee, Komposition und Schnitt:
Ekkehard Windrich
Gesungene Texte:
Peter Sigl: Homeoffice ist Scheiße. Beim Kochen denke ich die noch unfertige Arbeit zuende und beim Arbeiten überlege ich das Kochrezept für den Abend.
J. Marc Reichow: Wieder waldwandernd, Ostbayern oder Böhmerwald, weiche Wege unter Kiefern. Ich will oder soll Waldstücke ordnen, als wären es große Stücke Moos. Allein weiß ich nicht für wen. Ich suche das auch damals leere Ausflugslokal, Pilsner war sehr günstig.
Nikolaus Schlierf: Draußen schreit der Frühling, die Natur explodiert. Die Welt im Stillstand, Shutdown, entschleunigt.
Kirstin Maria Pientka: Es war gar nicht so schwer, nichts zu essen und es war ein erfüllendes Moment, Tage zu haben, in denen es um nichts ging, in denen ich eigentlich nichts denken musste, nichts tun musste und bei mir sein durfte.
Ich habe sofort Partei ergriffen. Als alter Herr, der ich natürlich nicht sein will. Da wird gerade erzählt von einem unschönen Erlebnis: Mila, eine junge „Asian American“ bekam von einem Mitschüler zu hören, „sein Vater habe gesagt, er solle sich von Chinesen fernhalten. Sie sei Chinesin, entgegnete sie. Darauf wich er von ihr zurück. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Mila Rassismus erfuhr, und das Erlebnis beschäftigte sie so sehr, dass sie es in einem Song verarbeitete.“ (Sie war Mitglied einer Band.)
Es ist wohl klar, für wen ich Partei ergriffen habe, – aber das Gegenteil ist der Fall. Nämlich nicht für das süße kleine Mädchen, sondern für den bestimmt auch sehr süßen kleinen dummen Jungen. Wie gern hätte ich in der Umgebung der Kinder aufklärend gewirkt, wenn das nicht nach plumper Annäherung ausgesehen hätte, suspekt auf jeden Fall. Bedenken Sie: in der heutigen Zeit, wo kein Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ungestraft Birnen verteilen dürfte!
Ein neunjähriger Junge macht die Erfahrung, dass ein gleichaltriges Mädchen nicht einfach ein nettes Mädchen ist, sondern mit einer gewissen Berechtigung (Vater!) als Chinesin bezeichnet werden könnte, – eine allerdings böse gemeinte Bezeichnung, und das Mädchen hatte noch nie davon gehört. Und nun wird die Wut des Mädchens gelobt und groß inszeniert, vermutlich halfen ihr Erwachsene dabei. Millionen haben die Lektion kapiert und geklickt. Große Emotionen kommen weltweit gut an. Darf ich nun, als alter, weißer Mann, von Toleranz und Intelligenz reden? Und dran erinnern, dass Kinder (9-Jährige sind Kinder, auch wenn man sie auf die Bühne stellt!) letztlich durch Beispiel, wachsende Denkfähigkeit und Wahrnehmungsschulung zu jungen Erwachsenen werden, die ihre Wut und Streitlust unter die eigene Kontrolle gebracht haben.
Z.B. wenn der eine das Wort „Rassist“ noch nicht kennt, aber es womöglich verdient, dann darf man auch noch „Sexist“ dazusetzen, damit die verständliche Wut noch deutlicher wird. Und vor allem die Musik in Richtung Lautstärke missbrauchen, damit man weitere Töne nicht zu entdecken braucht. Und dann vor allem eine Pressekonferenz geben, indem das eigene Seelenleben lustig als recht zerbrechlich zelebriert wird.
Man muss den Jungen weiterhin von seinem Vater lernen lassen, ihn bloßstellen, lächerlich machen, statt mit ihm zu reden, ihm etwas zum Lesen zu geben oder die Eltern miteinander reden zu lassen. Wie bürgerlich wäre das denn!!!
Man dürfte als alter weißer Mann daran festhalten, wie süß die Wut wirkt, wenn kleine Göhren sich aufregen und dies möglichst einfältig, um auf der Gegenseite Fremdscham und Beißhemmung auszulösen. Ja, das funktioniert doch!
Ich habe also die SZ relativ aufmerksam gelesen, mit einem Anflug von Wohlwollen. Aber unwiderstehlich stieg das Verlangen, ein millionenfach angeklicktes Musik-Video auch zu erleben. Bitteschön: HIER. Oder auch eine Art Pressekonferenz: HIER.
Also gut gemacht, der Schaumschlag-Journalismus. Es wirkt. Jetzt klicken auch Sie und ich. (Die Schreiberin könnte exakt meine Tochter sein. Und ich, ich könnte exakt mein Vater sein, kombiniert mit meiner Mutter, die ständig von Vererbung sprach. Man kam nicht drauf, dass das auch etwas mit Rassismus zu tun haben kann. Oder man ergänzt es durch eine Milieu-Theorie.)
Quelle Süddeutsche Zeitung 19./20. Juni 2021 Seite 17 An alle Idioten Man kann ja nicht immer nur betroffen sein, manchmal braucht es einfach Wut, „The Linda-Lindas“ machen Kinnhaken als Musik. Von Johanna Adorján.
Guter Journalismus
Ich finde es gut, wenn ein Zeitungsartikel es fertig bringt, lesende Menschen zu bannen und zu aktivieren, und zwar so, dass sie sich nicht nachträglich schämen müssen („niedere Instinkte“!). Denn auch das gibt es, und ich muss dabei nicht auf andere zeigen. Ich glaube, dass auch die Schreiberin des Linda-Linda-Artikels dazugehört, dass sie sich nur hat überrumpeln lassen durch das bevorzugte Syndrom „mutige kleine Frau“ + „Kinder haben immer recht“ kombiniert mit den Klischees „es gibt keine primitive Musik“ + „Hauptsache Emotion“.
Möglich wäre allerdings: „keine Musik ist zu primitiv, analysiert zu werden“.
Heute 21.6.21 las ich einen Artikel in den mir täglich aufgedrängten t-online-Nachrichten über das Thema „Russland-Krieg“ vor 80 Jahren, über das ich schon genug gelesen zu haben glaubte. Ich dachte an den Bruder meiner Mutter, der an der Ostfront umgekommen ist, an die Mutter meines Vaters, die vor den Russen aus Pommern geflohen ist (wo übrigens die Nazis mehrheitlich gewählt worden waren) und vieles andere. Auch an die Russen, die ich als Kind erlebt habe, als sie in Greifswald einmarschierten („Sie sind lieb“).
Und nun der Artikel, – „Sie sind unter uns“ – , der mich veranlasste, nach weiteren Arbeiten desselben Autors Ausschau zu halten, bemerkenswert auch der zu Carolin Emcke und dem auf sie bezogenen Shitstorm. Alles HIER.
[Dieser Text ist – zunächst – nicht zu ernst zu nehmen: er soll mich vor allem verleiten, den Faden gedanklich weiterzuspinnen, bis er etwas Plausibles zum Gegenstand aussagt. Er begann beim Widerspruch zu dem ZEIT-Artikel, der weiter unten angegeben ist.]
Man könnte sagen, sobald wir verallgemeinern, beginnen wir zu lügen. Wir lösen die Unterschiede auf, damit die Dinge vergleichbar werden. Das gelingt umso leichter, je weniger dinghaft sie sind. Wenn wir zum Beispiel nicht Wörter vergleichen, sondern deren Bedeutungen. Wenn ich eine starke Erfahrung beim Musikhören mache, beginnt der Fehler damit, dass ich sage: Musik ist das Größte für mich. Entscheidend ist doch, welche Musik ich höre. Ich muss es dazusagen: war es eine Trompetenfanfare oder ein Schlaflied? Wenn ich einen Menschen kennenlerne und wir entdecken, dass wir beide uns für Musik interessieren, kann ein Gespräch über Musik schnell zu der Erkenntnis führen, dass uns Welten trennen. „Über Musik“ bringt gar nichts, es ist ein Abstraktum, zu klären ist: welche? Und das Problem ist sehr einfach, wenn wir bei der konkreten Sache bleiben. Man muss bei der konkreten Sache ansetzen (und bei Bedarf abstrahieren können, z.B. vom eigenen Musikgeschmack). Niemand der von einem Veilchen entzückt ist, wird als seelenverwandt empfinden, wenn ich einwende, dass mich Eichenwälder begeistern. Schon der Volksmund weiß: man soll Birnen und Äpfel nicht miteinander vergleichen.
Ich habe gedacht, diese Fragen seien allmählich geklärt, da entnehme ich der Wochenzeitung DIE ZEIT, die doch so vieles weiß, dass im Reich der Musik immer wieder alles von vorn beginnt. Musik ist NICHT die Sprache, die jeder Mensch versteht. Sie ist ihm so fremd wie der Tonfall jeder beliebigen Sprache, die er nicht versteht, etwa einer afrikanischen Klicksprache, wie auch die begleitende Mimik und Gestik, obwohl die Vergleichbarkeit im physischen Bereich offensichtlich ist, Gesichter, Arme, Beine. Nur im Sport scheint alles vergleichbar und messbar, weil die Leistungen auf Vergleichbarkeit getrimmt sind. Selbst die Wissenschaften, die sich professionell mit den Unterschieden befassen, erwecken leicht den Eindruck, dass die Verbindungen auf der Hand liegen. Etwa wenn von der Liebe geredet wird. Es ist wie mit dem halb vollen Glas Wasser, das man auch als halb leer betrachten kann.
Diskussion 2009
Universalien der Musikwahrnehmung?
Der Reihe nach Dieser ZEIT-Text besteht aus acht Kapiteln:
1 Steinzeit / Fazit: „dass ausgerechnet sie [die Steinzeitmenschen] sich die Zeit zum Musizieren nahmen, ist von existenziellem Wert, es hat der Spezies Homo sapiens einen unschlagbaren Vorteil verschafft und ihr, so vermuten einige Wissenschaftler, vielleicht sogar das Überleben gesichert. Es hat ihr ein Bindemittel geschenkt, das sie bis heute zusammenhält.“
Kritik: das Wort Musizieren führt irre. Bindemittel ist angemessener. Es könnte lebensnorwendig gewesen sein, muss aber nicht Vergnügen bereitet haben.
2 der Chorsänger H.R. / „die Lieder sind ihm über die Jahre zu treuen Gefährten geworden. Und der Chor bietet ihm mehr als Geselligkeit, mehr als ein Skatclub oder ein Kegelverein.“
3 Musik in der Pandemie, im Krieg oder angesichts anderer Katastrophen / „Sie spielten Tuba und Cello, trommelten auf Pfannen und Töpfen – ein Volk, das sich nicht mehr umarmen durfte, fand in der Musik Zusammenhalt.“ „Zwei verfeindete Truppen[stimmten ein Weihnachtslied an], ein und dieselbe Melodie.“ Gemeinsame Musik – nach Eckart Altenmüller – wirkt über den „Nucleus accumbens“ – Belohnungssystem – Dopamin – einige bekommen Gänsehaut, die evolutionsbiologische Funktion der Musik, sagt E.Altenmüller: „die unentwegte Schulung der Fähigkeit, soziale Laute zu erkennen, sie richtig zu deuten und abzuspeichern. ‚Musik ist die Spielwiese, auf der wir all das üben.‘ Weil Dopamin die Verschaltung der Synapsen fördert, ist der Lernerfolg besonders groß – und eine Erinnerung, die an Musik gekoppel ist, besonders lange abrufbar.“ Gemeinschaft. Die komplexe Arbeitsteilung verschaffte dem modernen Menschen einen evolutionären Vorteil – und stellte ihn vor ein Problem: Je größer die Gruppe, desto schwieriger wurde es, Konflikte einzuhegen. Damit die Gemeinschaft nicht auseinanderfiel, brauchte es etwas, das über die Sprache hinaus Identität und Verbundenheit schuf. Dieses Etwas (… ) war die Kultur. Kunst, Religion – und Musik. (…) Musik als kollektive Selbstvergewisserung.“
4 In der Pandemie werden Interpreten weltweit zusammengeschaltet, um in einer Aufführung der Bachschen H-moll-Messe zu kooperieren. „Sie singen, flöten, geigen mit und filmen sich dabei. Die Videos werden einige Monate später zusammengefügt und auf dem Leipziger Marktplatz gezeigt.“
5 Bach im Weltraum: „ein beinahe universeller Komponist“, Datenplatte in Raumschiff Voyager 1. 1977. Eine „Botschaft an mögliche außerirdische Zivilisationen“. Sie dient „noch immer als Symbol für die alles transszendierende, ätherische Kraft der Musik.“ Fragwürdig! – Musikwissenschaftlerin Melanie Wald-Fuhrmann sucht „herauszufinden, ob es so etwas wie eine universelle Musiksprache [auf der Erde!] tatsächlich gibt.“ Bach und die weltweiten Unternehmungen? „All das „habe nicht nur mit der Macht der Musik zu tun – sondern vor allem mit der Macht derer, die den Kanon der europäischen Musikkultur in den vergangenen Jahrhunderten verbreitet haben.“ Frühe musikethnologische Sammlungen in Berlin. Beispiel: Aufnahmen von Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg. Das Koreanische Lied Arirang. Heute verwestlicht, in Dur verpackt. „Das ist ein bisschen exotische Oberfläche, aber darunter liegt das westliche Tonsystem.“ – „Die abendländische Musikkultur hat sich, spätestens seit dem Aufkommen moderner Tonträger und dem Boom der westlichen Musikindustrie weltweit breitgemacht.“
Kritik: Man sollte es nicht verallgemeinern, – Arirang erscheint immer noch in verschiedensten Versionen, auch traditionellen. Siehe das folgende Video. – In Südindien z.B. sucht man Produkte der westlichen Popkultur vergebens, die eigene Klassik steht weiterhin hoch im Kurs. Die Überlagerungen sind viel komplizierter.
6 Im Westen gibt neue Versuche der kulturellen Begegnungen: ein Beispiel (unter vielen!) wird hier herausgegriffen: der Schlagzeuger Ketan Bhatti und sein Orchester, 15 Musiker und Musikerinnen aus sieben Ländern. „Sie nutzen traditionelle Spieltechniken ihrer Heimat, bedienen sich aus Jazz, Zwölfton- und serieller Musik. Sie improvisieren, suchen, finden und verlieren sich, ein babylonische Sprachverwirrung auf musikalischem Spitzenniveau. „Die universelle Sprache der Musik, in der Welt von Ketan Bhatti gibt es sie. Aber sie ist eine, die man gemeinsam erschaffen muss.“
Kritik: dieser Versuch wird herausgegriffen und wahrscheinlich überbewertet. Es gibt andere, die überzeugender sind, aber eben auch nur Einzelfälle. Siehe z.B. in diesem Blog hier, Stichwort „Identigration“.
7 „Tanzen ist etwas, das es in allen Kulturen gibt.“ Hier fehlt eine Differenzierung: die Möglichkeit, dass Tanzen in einem anderen Areal als die Musikalität beheimatet ist (z.B. vom Gehen/Wandern abgeleitet ist, während die Musikalität von Mund/Atmen/Sprechton). Es wird behauptet: „Und auch bei Tieren. Kakadus, Schimpansen, Seelöwen, sie alle haben in Experimenten ein zumindest rudimentär ausgeprägtes Taktgefühl bewiesen. Einige sind sogar in der Lage, ihre Gesänge in wiederkehrende Strukturen zu gliedern.“ Hat eine Wiederkehr von Strukturen zwingend mit „Taktgefühl“ zu tun, also mit einer regelmäßigen Folge oder wird das hier bewusst verundeutlicht?
8 Wiegenlieder als Archetyp der musikalischen Kommunikation – „Eine Urform der Musik, die sagen soll: Du bist nicht allein.“
Kritik: Effektvoller Abschluss des Dossiers, aber nicht von grundsätzlicher Aussagekraft
Die am Ende des Wiki-Artikels gesprochene Textfassung unterscheidet sich im Wortlaut von der gedruckten , und zwar folgendermaßen:
Die Universalien der Musikwahrnehmung sind die Elemente der Musikwahrnehmung und -verarbeitung, die als angeboren, d.h. kulturunabhängig betrachtet werden.
Vielfach begegnet uns die Ansicht, Musik sei eine universale Sprache. Dies impliziert die Annahme, dass Musik universale Merkmale besitzt, also Merkmale, die nahezu allen musikalischen Systemen auf der Welt gemeinsam sind und dass es universale mentale Strukturen für die Verarbeitung von Musik gibt. Von einem universalen Merkmal spricht man, wenn das Merkmal nicht gelernt wird, sondern spontan erscheint, latent in allen normalen Personen vorhanden ist oder angeboren ist.
Hinsichtlich der Unterscheidung angeborener oder universaler Prozesse von erworbenen, ist die Überlegung hilfreich, dass Prozesse, die schon bei der Geburt funktionieren, sehr wahrscheinlich angeboren und damit unabhängig von Erfahrung sind. Infolgedessen könnte man aus Vergleichen von Säuglingen und Erwachsenen oder von Personen aus verschiedenen Musikkulturen schließen, dass der Prozess vermutlich angeboren ist, wenn diese die gleichen Funktionsweisen zeigen, und dass bei Unterschieden zwischen den Populationen der Prozess durch Enkulturation erworben sein könnte. Aus dieser Perspektive ist Musik keine universale Sprache, sondern die Universalien der Musikwahrnehmung und -verarbeitung umschreiben vielmehr die Grenzen, innerhalb deren die Merkmale der Musik zwischen verschiedenen Kulturen variieren.