Vom Theater

Werke des klassischen Kanons und Event-Inszenierungen

Ich beziehe mich auf den Beitrag „Fiktion und Gefühle„, auch auf Gedanken, vielleicht nicht einmal notierte, die sich beim Opernkonsum der letzten Zeit ergaben („Tristan und Isolde“, „Fidelio“). Ein Beitrag von Peter Laudenbach in der heutigen Süddeutschen ist bemerkenswert.

ZITAT

Der Abschied vom psychologisch-realistischem Spiel, der Guckkastenbühne samt der Gewissheit, auf ihr die großen Konflikte verhandeln zu können, scheint bei der trendbewussten Fraktion der Theatermacher Konsens zu sein. Was einst der Freien Szene als Herausforderung der Klassiker-Pflege der Staatstheater begann, ist dabei, zur neuen Konvention zu werden. Es wird Zeit, die Verlustrechnung aufzumachen. Dazu gehört etwa, dass an einem mittelgroßen Theater wie dem Schauspiel Dortmund in dieser Spielzeit keine einzige Klassiker-Premiere stattfindet. Dazu gehört auch, dass kluge, in der Konzentration auf Werke des Kanons konservative Inszenierungen, die [der] Kraft und der Kunst des Theaters vertrauen, seit dem Tod Jürgen Goschs und Dimiter Gotscheffs Seltenheitswert haben.

(…)

Die Grenzen zwischen Theater und Event-Agentur verschwimmen.

Das ist kein Grund für Kulturpessimismus. Aber man kann die Entwicklung ja mal in einen breiteren Kontext stellen. Nichts anderes versucht Bernd Stegemann so angriffsfreudig wie klug in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Lob des Realismus“ (Verlag Theater der Zeit, 212 Seiten, 18 Euro). Stegemann (…) versucht auf hohem Abstraktionsniveau ästhetische und politische Ereignisse zusammen zu denken – zum Beispiel den Zwang zur konsequenten Selbstvermarktung im Neoliberalismus und die neueren Performance-Moden.

Der „Umbau des Subjekts zum Performer seiner selbst“ findet nicht nur auf der Bühne statt, sondern ist in weiten Teilen der Dienstleistungsbranchen die Kernqualifikation der Arbeitskräfte. So gesehen vollziehen die Performer, in der Regel unter prekären Arbeitsbedingungen, freiwillig nach, was in der Realökonomie unter Zwang geschieht.

Quelle Süddeutsche Zeitung 28. August 2015 Seite 12 Die Tatortreiniger Hat das Theater seine Herkunft vergessen? Klassiker sind abgemeldet, Psychologie ist uninteressant, der Guckkasten wird abgebaut – stattdessen spielen Bürger und Flüchtlinge. Ein Plädoyer für mehr Geschichtsbewusstsein auf deutschen Bühnen / Von Peter Laudenbach

Wenn ich mich nicht irre, steckt in den zuletzt zitierten Sätzen ein Gedanke von Adorno, der an dieser Stelle einmal nachzulesen sein sollte.

Da ich ohnehin mehr an das Musiktheater denke als an die klassischen Stücke des Worttheaters, fasziniert mich der ketzerische Gedanke, dass man auch in Bayreuth endlich eine geheiligte Grundlage des Illusionstheaters aufgeben müsste: das versenkte Orchester, das längst von der Funktion und Gegenwart der Musik im Film überholt wurde, endlich wieder aus dem „mystischen Abgrund“ hervorzuholen. Es würde bedeuten, Wagner die Treue zu halten, indem man das totgelaufene Dogma des unsichtbaren Orchesters „verrät“, d.h. radikal offenlegt, den wahren Klang ins Licht setzt.

So wie es ein (von der ZEIT) zum Bayreuth-Beobachter ernannter Außenseiter namens Navid Kermani vor drei Jahren begründet und gefordert hat: hier. Warum kam das nicht längst von den Musikern der ganzen Welt? Ja, „das Orchester muss aus dem Graben“ – und kann dann endlich für Fernsehübertragungen ideal mikrofoniert werden. Und die Sänger? (Was weiß ich – nicht ihretwegen hat Wagner das Orchester versenkt…).

Tristan BR Screenshot 2015-08-07 18.22.52(2) Der Guckkasten