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Was ist Populismus?

Das wahre Volk

 s.a. hier

Der Begriff „Populismus“ leitet sich vom lateinischen Wort populus (= „Volk“) ab. Aber um welches Volk geht es dabei? Damit ist nicht dasjenige Volk gemeint, das aus Staatsbürgern besteht, die ihr Wahlrecht wahrnehmen – das entspräche eher dem demos, dem Staatsvolk. Es geht auch nicht um das „Proletariat“, also nicht um eine bestimmte Schicht oder Klasse, die einen empirischen Teil des Volkes ausmacht. Um welches Volk geht es dann im Populismus?

(Rückseite des Kalenderblattes:)

Der Volksbegriff, um den es im Populismus geht, ist kein empirischer, sondern ein symbolischer: es geht dabei immer um ein „wahres Volk“, dessen legitimer Vertreter der Populist zu sein vorgibt. Jeder, der sich gegen dieses Volk stellt, gehört überhaupt nicht dazu und ist sowohl in moralischer als auch in politischer Hinsicht ausgeschlossen. Das „wahre Volk“ artikuliert nicht einfach eine Meinung unter vielen Möglichen [möglichen], sondern die wahre und authentische Volksmeinung, die sich nicht dadurch relativieren lässt, dass es empirisch gesehen nur ein Bruchteil des Staatsvolkes ist, der diese Meinung hat.

Der Populismus hat also eine antipluralistische Schlagseite: jeder, der nicht an ein „authentisches“, „wahres“ Volk glaubt, gehört automatisch nicht zum Volk, sondern mitunter sogar zu den „Volksfeinden“. Von einer Demokratie unterscheidet sich der Populismus vor allem dadurch, dass ein Demokrat akzeptieren muss, dass es andere Meinungen innerhalb des Staatsvolkes gibt, so kritikwürdig sie auch sein mögen. Für einen Populisten hingegen gibt es nur eine „Wahre Volksmeinung“, und alle, die davon abweichen, können nicht Teil des Volkes sein, sondern müssen als Gegner bekämpft werden.

Diese Meinung habe ich mir also nicht selbst ausgedacht, sondern heute Morgen abgeschrieben, weil ich sie nachts, vorm Einschlafen beruhigend fand. Zufällig aufgeschlagen – ehrlich! – nach der späten Sendung von Markus Lanz. Beim Blättern im abgelaufenen Kalender. So ähnlich habe ich es schon oft gelesen, überrascht hat mich die Betonung des Unterschieds zwischen (lat.) populus und (griech.) demos, auch die zwischen „empirischem“ und „symbolischem“ Gebrauch des Wortes. Dagegen ist meine Korrektur der Schreibung des Wortes „Möglichen“, wo es um die möglichen Meinungen geht, eine Lappalie. Also zur Quelle: der Text stammt aus dem Philosophie-Kalender 2019 (genauer Standort: 21. März), Verlag Harenberg, die Autoren sind Wolfgang Gratzl, Julius Maria Roth, Paul Schulmeister.

Was geschah also nun am Morgen danach? Bzw. am Mittag? 

21.02.2012 ARD Fernsehen, Einstieg nach 13.00 Uhr ins Mittagsmagazin mit Jana Pareigis: hier. Moderation (ab ca. 13:15):  „Wir haben Thüringer befragt, was sie von Neuwahlen halten würden“; aus den darauf folgenden Antworten, die wohl ein gewisses Meinungsspektrum erfassen sollen, greifen wir eine offenbar authentische heraus:

Berlin muss sich raushalten. Das ist ja auch wie ’ne Diktatur. Über DDR ham se geschimpft damals, und jetzt ist Berlin, spricht da soviel rein, das geht den‘ gar nichts an, was da in Thüringen ist, das Volk hat gewählt!

Wer dies nicht verstehen will und eher eine weiterführende Information über die Bandbreite des Begriffs Populismus sucht, könnte bei Wikipedia fündig werden: HIER.

ZITAT (aus dem angegebenen Wikipedia-Artikel):

Oft thematisieren Populisten einen Gegensatz zwischen „Volk“ und „Elite“ und nehmen dabei in Anspruch, auf der Seite des „einfachen Volkes“ zu stehen. So geht Populismus häufig mit der Ablehnung von Machteliten und Institutionen einher, mit Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, der Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense), und auf die „Stimme des Volkes“. In der politischen Auseinandersetzung setzen Populisten oft auf Polarisierung, Personalisierung, Moralisierung und Argumente ad populum oder ad hominem. Ebenfalls bezeichnend ist die Ablehnung traditioneller politischer Parteien. Die Funktion von Parteien, an der politischen Willensbildung der Bürger mitzuwirken (siehe Artikel 21 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland), deuten Populisten gern als eine Bevormundung mündiger Bürger und fordern stattdessen unmittelbare Willensartikulation durch direkte Demokratie.

Wie kann ich üben, unterschiedliche Meinungen einzuschätzen und gelten zu lassen? Es ist ja leicht – für den Anfang – , wenn das Gespräch auf hohem Niveau geführt wird. Man wird gefordert und gibt sich Mühe, weil das Thema einen aufwühlt und die Runde intelligenter Menschen aufklärend und beruhigend wirkt. Nicht selten gelingen Gespräche bei Markus Lanz in diesem Sinn. Allerdings sind die Teilnehmer nicht – wie manchmal in anderen Runden – unter dem Aspekt ausgesucht, dass eine leidenschaftliche Kontroverse entsteht, sondern so, dass sie einander ergänzen. Jede(r) mit dem gleichen Ernst.

Der Ausgangspunkt ist allerdings eine Wahnsinnstat mit völlig verwirrter Motivlage, ohne die Scheinlogik des Populismus. Schwer zu verstehen, dass dieser gerade hochgradig Verwirrten das blinde Sendungsbewusstsein und den Schein einer weltweiten Bedeutung signalisiert.

  Abrufbar HIER bis 21.05.2020

Vom Rechtsstaat und vom Volk

Offenkundig hat „Volk“ einen Doppelsinn

Der Süddeutschen Zeitung, dem Autor Andreas Zielcke,  verdanke ich eine klärende Analyse der Situation in Polen, wo kürzlich unter großem Beifall erklärt wurde: „Das Recht ist eine wichtige Sache, aber es ist kein Heiligtum. Über dem Recht steht das Wohl des Volkes. Wenn das Recht dieses Wohl stört, dann dürfen wir es nicht als etwas ansehen, das wir nicht verletzen und ändern können.“ – Für den Rechtsstaat „furchterregende Worte“ (Zielcke).

ZITAT

Das Volk, das die Verfassungstexte unterstellen, meint die Gesamtheit der Bürger als Souverän, der sich selbst seine Gesetze gibt. In diesem demokratischen Sinn ist ein Volk eine Rechtsgemeinschaft – eine Gemeinschaft von Freien, die sich ihre Freiheit und Würde gegenseitig unwiderruflich anerkennen. „Volk“ versteht sich hier, bei all seiner respektierten kulturellen und historischen Besonderheit, als rechtlich verfasstes Gebilde, nicht als bloß naturwüchsig zusammengewürfeltes oder auch zusammengewachsenes Kollektiv.

Das so als Rechtsgemeinschaft verstandene Volk kann sich nie über Recht und Freiheit erheben. Keiner lieferte das Veständnis der rechtlichen Selbsterzeugung und Selbstbindung von Volk und Nation so früh wie Charles de Montesquieu mit seiner Verknüpfung von Gesellschaftsvertrag und Gesetzesherrschaft. Keiner aber gab sie so früh dem Missverständnis preis wie Jean-Jacques Rousseau mit seiner Verabsolutierung der volonté générale – wenn man dieses „Gemeinwohl“, das nach Rousseau bedingungslose Unterwerfung verlangt, als „Volkswohl“ interpretiert.

Genau das tut jede autoritäre Herrschaft. Unter einer solchen Herrschaft entfaltet der Begriff „Volk“ seinen zweiten Sinn, jetzt verstanden als historisch gewachsene – ethnische, sprachliche – Einheit, die alle Partikularwillen zu einem schicksalhaften Ganzen vereint. Von Bolivien über Russland bis Singapur beruft sich jedes autokratische Regime auf ein so begründetes Gesamtwohl des Volkes, gegen das kein Widerspruch legitim ist. mit der Maxime, „über dem Recht steht das Wohl des Volkes“, hat der Redner im polnischen Parlament die absolutistische volonté générale treffend benannt.

Quelle Süddeutsche Zeitung 23. Dezember 2015 Seite 11 Der missbrauchte Souverän Über dem Recht steht das Volk, tönt Polens Regierungspartei. Nationalisten in ganz Europa sehen das genauso. Warum die „Volksherrschaft“ der grösste Feind der Demokratie ist. Von Andreas Zielcke.

Wir sind das Volk? – Wer ist das Volk?

Einen Ansatzpunkt zum Nachdenken geben die folgenden Ausführungen im Wikipedia-Artikel:

Seit Beginn der Neuzeit wird gemeinhin auch eine Gesellschaft oder Großgruppe von Menschen mit gleicher Sprache und Kultur ein Volk genannt. Dieser Volksbegriff ist emotional und politikideologisch hoch aufgeladen: Die Zugehörigkeit zu einem Volk hat dabei neben objektiven Faktoren (wie kulturelle Verwandtschaft, gleiche Sprache und politische Schicksalsgemeinschaft) auch eine subjektive Komponente im „Sich-Bekennen“ zu einem Volk. […] So haben sich viele in Deutschland lebende Juden vor ihrer Verfolgung als Deutsche gefühlt. Dieser herkömmliche Begriff des Volkes bezeichnet nicht exakt eine bestimmte Kombination der genannten Merkmale, sondern hat einen Bedeutungsspielraum, innerhalb dessen keiner der objektiven Faktoren allein ausschlaggebend und keiner unter allen Umständen unentbehrlich ist. In diesem Sinne wird Volk als populäres Synonym zum Fachbegriff der Ethnie verwendet.

In der Soziologie und Ethnologie wird die Bezeichnung Volk (im Singular) hingegen seit Mitte des 20. Jahrhunderts entweder komplett durch Ethnie ersetzt oder als klassifizierender Überbegriff für mehrere Ethnien verwendet, die sich als Gesamtgesellschaft verstehen. Ansonsten wird in der Fachliteratur nur noch von Völkern (im Plural) gesprochen, wenn spezielle Gruppierungen benannt werden (etwa Hirtenvölker, indigene Völker, sibirische Völker u. ä.).

Ein Volk im Sinne von Staatsvolk besteht hingegen aus der Gesamtmenge der Staatsbürger und ihnen staatsrechtlich gleichgestellter Personen, es bildet dessen Demos (griechisch δῆμος ‚Gemeinde, Volk‘) als Grundlage der Demokratiee. Die ethnische Herkunft von Bürgern eines Staates ist dabei rechtlich unerheblich, während ein Volk im ethnischen Sinn nicht unbedingt einen eigenen Staat haben muss, in dem es die Mehrheit der Bevölkerung bildet (Vielvölkerstaat). Diese Definition war seinerzeit maßgeblich für die Entstehung von Nationalstaaten mit ihrem Anspruch, dass jeder Bewohner des Staatsterritoriums mit Bürgerrecht seiner „Nation“ angehören müsse.

Quelle Wikipedia-Artikel „Volk“  HIER   (Im Zitat wurden Anmerkungen und Verlinkungen zugunsten besserer Lesbarkeit weggelassen.)

Der folgende Satz stammt aus dem Wikipedia-Artikel „Staatsvolk„:

Entscheidend für die Zugehörigkeit zum „Deutschen Volk im Sinne des bundesdeutschen Grundgesetzes“ ist also primär der rechtliche Status als Staatsbürger und nicht die Zugehörigkeit zu einem Volk oder Volksstamm, etwa im ethnischen oder soziologischen Sinne. Eingebürgerte Migranten nichtdeutscher Ethnie gehören somit zur bundesdeutschen Bevölkerung und können sich daher unter anderem an Wahlen beteiligen, ohne dass dadurch ein Widerspruch zum Grundgesetz bestehen würde.