Unter Dorothee Oberlingers künstlerischer Leitung wird sich das Gesamtensemble der preußischen Künste weiterhin jährlich mit Musik und Oper und wechselnden Themen, die die kulturhistorischen Verbindungen zur Stadt Potsdam und zum Land Brandenburg programmatisch fantasievoll fassen, als sommerlicher Treffpunkt internationaler Künstler präsentieren.
Dabei wird das kreative Zusammenspiel der Künste mit interdisziplinären Konzepten, die die Verbindung der Künste untereinander suchen, verstärkt ausgelotet. Der Austausch findet – ganz im universalen Geiste Sanssoucis – zwischen den verschiedenen Kunstformen statt: Malerei, Architektur, Literatur, Tanz und Theater, aber auch Mode, Gartenkunst und sogar Sport oder Zirkuswelt werden auf ihr Verhältnis zur Musik befragt und ermöglichen neue, kreative Allianzen.
Dabei bleibt die zentrale Ausrichtung auf die sogenannte Alte Musik und historisch informierte Aufführungspraxis auf höchstem künstlerischen Niveau bestehen und bietet einen fruchtbaren Nährboden für die Künste, die den Gedanken und lebendigen Geist der Aufführungspraxis in sich tragen und Impulse setzen, um die Musik aller Zeiten zu erschließen und neu zu beleuchten.
Die verborgenen Preziosen des Potsdamer Repertoires, das mehr als 450 Jahre Musikgeschichte umfasst, wiederaufzuführen, ist dabei ein wichtiges Ziel. Dennoch werden Ausflüge und Brücken zu anderen Genres wie Jazz, Pop, Elektronik, Volksmusik, ethnischer Musik, aktueller Musik etc. nicht fehlen.
In den nächsten Jahren bereichert ein Flötentag die Festspiele, naheliegend bei der großen internationalen Prominenz des Flöte spielenden Friedrich II. und seines Flötenlehrers Johann Joachim Quantz, dem Hof-Compositeur und Cammer-Musicus mit dessen „Versuch einer Anleitung die Flöte traversière zu spielen“. Hier werden jährlich renommierte Flötisten aus aller Welt, die verschiedenste Flöteninstrumente wie Traverso, Blockflöte, Csakan, Ney, Panflöte oder Shakuhachi spielen, zu Gast sein.
Die Festspiele werden ebenfalls mit der neu eingeführten Lunch-Konzertreihe junge Nachwuchs-Ensembles der Alten Musik verstärkt fördern.
Quelle: das Orchester, Zeitschrift für Musiker und Management 1_24 . Seite 40f
Siehe zum Motto „In Freundschaft“ hier. Dort auch das Panorama aller Konzerte hier. Nirgendwo – soweit ich sehe – der in der Rezension genannte Name des „Kultur-Managers“ Folkert Uhde. Doch, – hier. Konzert „Gruppenbild mit Dame“ (Film ansehen).
Zu der in der Rezension angestrichenen Stelle (betr. die drei Freunde auf dem genannten Gemälde) siehe hier im Blog. Neu ist mir der Hinweis hier, dass es sich bei dem dritten Musiker (neben der Lautenistin) wohl nicht um Johann Theile handelt, sondern möglicherweise um Johann Philipp Förtsch. Zitat:
Das Notenblatt hat einen Kanon über den Psalm 133,1: Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen, ein unbekanntes Werk, das Bezug nimmt auf die Freundschaft und Zusammenarbeit der Musiker als „gelehrte Musiker“, also nicht nur als technisch geschulte Instrumentisten, sondern als Kenner der geistigen Inhalte der Musik.
Von Flötisten habe ich gern Belehrung angenommen, seit ich mich ernsthaft für Alte Musik (und nicht nur Bach) interessiert habe, Schmitz (1955) 1966, Thieme 1984, der eine Lehrer, der andere Schüler von Günther Höller, dem unvergessenen Freund im Collegium Aureum. Aber nie hätte ich gedacht, – obwohl das Schlüsselerlebnis Monteverdi mit dem Deller-Consort schon 1965 in Saint-Maximin stattfand, später in vielen Aufführungen der Marienvesper vertieft, mit zahlreichen CDs erweitert wurde – gewiss, aber dass die Blockflöte eines Tages ohne meinen Widerspruch für Leidenschaften um 1600 einstehen darf, das hätte ich damals nicht voraussagen können. Und auch auf dieser jüngsten, luciden CD von Dorothee Oberlinger gibt es ein Werk, das ich in der Blockflöten-Version nur schwer akzeptiere.
In wenigen Sekunden schlägt einen dieses Klangbild in Bann, und ehe man bedauert, dass der erste Titel mit den zarten Echowirkungen zwischen Flöte und Violine kaum länger als eine Minute währt, wird man schon umgarnt von den wundersam-variablen Klängen der Sonate, die von demselben Komponisten stammen könnte. Und schon beginnt man zu lesen und versucht, synchron den Hintergrund zu erschließen. Gar nicht so einfach, wie man an den von mir ins Booklet geschriebenen Zahlen sieht. Und spätestens in dem Solissimo-Stück Tr. 3 der Flöte entschließt man sich zu einem Neustart oder man legt eine Denkpause ein. Es geht „nur“ um den Klang des Instrumentes, die Modi, die Kadenzen, die Lagen, die Diminutionsfloskeln, – eine Live-Anleitung, wie man mit melodischem Material umzugehen hat. Habe ich nicht gerade ein Büchlein über Improvisation durchgeblättert, – ich brauche Zeit, erst recht, wenn mir der Tr. 4 bevorsteht, „ein besonders fröhliches Ostinates Musikstück“, eine „Ciaconna“ (das Wort fast in Bachs Schreibweise), und als Tr. 5 ein Passa Galli von Vitali, dessen „Chaconne“ mir in der Kindheit als Virtuosenstück vorgesetzt worden ist, als mir zur Weihnachtszeit auch erstmalig der Kanon von Pachelbel begegnete, und dessen Bass-Ostinato wiederum zeichnet sich nun hier erinnerungsschwer in einer flotten Moll-Fassung ab, – ich muss wieder innehalten, Lesepause: was war da noch mit diesem Salomone Rossi? Der am Gonzaga-Hof in Mantua wirkte, jedoch zugleich der dortigen jüdischen Gemeinde angehörte? Das aktiviert eine andere Zelle der Erinnerung, WDR-Zeit, MGG, ich kapiere und kopiere, was ich gerade in meiner Nähe greifen kann:
MGG
Ich fahre fort und warte nun geradezu auf ein Madrigal, das sich mir vor 50 Jahren oder früher eingegraben hat: „Hor che’l ciel e la terra“ – Monteverdi mit dem Deller-Consort, eine Ungeheuerlichkeit damals, was könnte hier daraus geworden sein? Mit Blockflöte und Continuo!? Ich erkenne den Anfang gar nicht (Tr.9), ein Irrtum…? statt der düster ausgebreiteten Meeresfläche eine irrlichternde Girlandenkette, erst beim leidenschaftlichen „Veglio“-Ausruf begreife ich, was sich da in der Sopransphäre abgespielt haben soll, eine Karikatur, würde ich sagen. Die Fleißarbeit eines hochbegabten Nachwuchstalentes. Andererseits: wer verpflichtet eine Musikerin, die ein großes Stück Musik auf eigene Weise reflektieren will, mit einem Ensemble aus 6 leidenschaftlichen Sänger*innen zu konkurrieren, deren Wirkung ja gar nicht in Frage gestellt werden soll. Wie schön auch, wenn ein Geiger sich urplötzlich in einen Sänger zu verwandeln vermag, wie hier in Tr. 8, 12 und 17, obwohl er flugs mit berühmten Countertenor-Stimmen verglichen wird, während er im Konzert als kantabler und virtuoser Geiger soviel Wirkung getan hat, dass man ihm jetzt ein Sonderlob auch nicht versagt.
Ich finde, kein Instrument für sich allein klingt einsamer und rührender als die beseelte Blockflöte, während ich aus Kinderzeiten noch ihren unsäglich dürftigen Klang im Ohr zu haben glaube. Zweifellos habe ich so angefangen und dabei begonnen, von einer Geige zu träumen, die ich später auch bekam: eine gut lackierte, nach Kolophonium duftende, ganz kleine Geige. (Mein Opa, der die ersten Klangerzeugungsversuche miterleben durfte, urteilte: Wie eine Katze, der man auf den Schwanz tritt. Über die Blockflöte hat er nichts gesagt. Vielleicht erinnerte sie ihn an sein altes, von Mäusen angenagtes Harmonium, da gab es immerhin einen Registerknopf, auf dem stand: Vox humana.) Und die ersten Violinstücke, die mich wirklich begeisterten, kamen ein zwei Jahre später: die Sonatinen von Telemann. (S.a. hier) Aber die wahre Stunde der Blockflöte, treffender Flauto dolce genannt, schlägt erst dem, der Bachs Actus tragicus gehört hat. Und dies lebenslang. Und ich bin sicher nicht der einzige, der diese Sonatina auch in seiner letzten Stunde hören möchte. (Musik hier).
Adornos spöttisches Wort „Sie sagen Bach und meinen Telemann“ (Kritik des Musikanten 1957) wird heute niemand wiederholen, der Bachs Solissimo-Werke für Geige, Cello und – Flöte wirklich kennt. Und nicht nur die „Chaconne“. Georg Philipp Telemann ist auch unter diesem Aspekt ein bewundernswertes Genie. Man muss ihn nur hören! Und zwar so wie hier und heute!
In alle Einzeltitel der 3 CDs reinhören (über Saturn) reinhören hier
Eine schöne Erfahrung übrigens: eine Trio-Sonate ohne Continuo (Cembalo) zu hören, mit den „nackten“ Solisten, die man nach all den Solissimo-Stücken jetzt unwillkürlich als drei Individuen hört, nicht so sehr als Teil eines mächtigen Klangkontinuums.
Themenwechsel
Screenshot JR ZDF 27. Okt. 2017
Dorothee Oberlinger in der ZDF-Sendung Aspekte HIER ab 35:42
* * * Website Oberlinger hier * * * CD 2013 Hineinhören hier
Dorothee Oberlinger über die Telemann-Fantasien (Booklettext)
Übrigens würde ich empfehlen, die Fantasien ganz dicht an diesem schönen und informativen Booklet-Text entlang zu hören. Man nimmt einfach wesentlich mehr wahr, als wenn man die CD auflegt und sich – mit etwas anderem beschäftigt! Eine banale Ermahnung vielleicht, aber angesichts des grassierenden Hörverhaltens vielleicht auch nicht ganz überflüssig. Der Lautstärke-Rahmen ist deutlich reduziert (verglichen mit anderen Kammermusikwerken), die Musik stört nicht, sie stört zu wenig, anders als, sagen wir, eine Klaviersonate von Beethoven, die uns – wenn wir sie auf Hörbarkeit der leisesten Passagen einstellen -, im Fortissimo vom Stuhl haut. Auch wenn Sie fließend Noten lesen können, würden Sie es bei Telemann (oder „Alter Musik“ überhaupt) nicht mit einem flüchtigen Blick erfassen, was darin vor sich geht: Sie sehen in Fantasia 1 einen gehaltenen Ton und eine gleichmäßige Kette schneller Notenwerte, die Tempobezeichnung Vivace sagt auch nicht expressis verbis, ob es im Laufe der ersten Seite irgendwelche Charakterveränderungen gibt. Aber hören Sie nur, was in der Wiedergabe geschieht. Mit Recht! (Und davon hatte man zu Adornos Lebzeiten noch keinen blassen Schimmer: diese Musik lebt!)
aus: Fantasia 1
Aus dem Text von Dorothee Oberlinger (Notenbeispiele + Ergänzung JR):
Die erste Fantasie eröffnet die Sammlung z.B. mit einem offenen A-Dur, zu dessen Wirkung Quantz 1752 schreibt: „(…) um so wohl den Affect der Liebe, Zärtlichkeit, Schmeicheley, Traurigkeit, auch wohl, wenn der Componist ein Stück darnach einzurichten weis, eine wütende Gemüthsbewegung, als die Verwegenheit, Raserey, und Verzweiflung, desto lebhafter auszudrücken: wozu gewisse Tonarten, als: E moll, C moll, F moll, Es dur, H moll, A dur, und E dur, ein Vieles beytragen können.“
Tatsächlich: Gleich in die erste Fantasie hat Telemann Affekte wie Liebe, Zärtlichkeit, Schmeichelei und Traurigkeit, aber auch Verwegenheit, Raserei und Verzweiflung hineingelegt. So als hätte er mit der ersten Fantasie eine Art Überschrift komponieren wollen, die besagt: Und seht, so ist das Leben … . Und wenn eine Art „Ramage“ [Gezwitscher] mit der Imitation eines Vogelschlags die Sammlung beschließt, wird es arkadisch versöhnlich. Dann ist es, als sänge die Nachtigall an Orpheus Grab.
aus: Fantasia 12
Nach dem Kommentar zur zweiten Fantasia:
Telemann wählt für viele der 12 Fantasien die im Spätbarock gebräuchliche Form der Kirchen- oder Kammersonate, die er dann frei auslegt. So ist z.B. die zweite Fantasie in der viersätzigen Form einer Sonata da chiesa geschrieben. Sie beginnt mit einem ernsthaften Grave, dessen Sechzehntelakkordbrechungen wie „Ausbruchsversuche“ aus einer aussichtslosen Situation wirken. Nach einem fugierten Vivace, dessen eingeworfene widerborstige Oktavsprünge wieder die Ordnung zu zerstören drohen, folgt ein cantables eher empfindsam-galantes Adagio, [schließlich ein Allegro,] zu dem man sich einen imaginären repetierenden Trommelbass „dazuhört“. Dieser Satz ähnelt übrigens auffällig dem 3. Satz der Oboensonate in a-Moll TWV 41:a3 aus Telemanns getreuem „Music-Meister“.
Oboensonate TWV 41:a3
Am Ende steht eine als „Allegro“ bezeichnete Bourée anglaise im 2/4-Takt, vom flüchtigen Charakter her ähnlich der beschließenden Bour[r]ée in J.S. Bachs solo pour la flûte traversière. Auch nutzt Telemann die später gebräuchliche, von Satz zu Satz schneller werdende dreisätzige Stretta-Form der Sonate, wie wir sie z.B. in C.P.E. Bachs Solosonate in a-Moll Wq 132 für Flöte antreffen.
Korrektur zu Adorno (JR)
Der oben aus dem Gedächtnis zitierte Ausspruch Adornos „Sie sagen Bach und meinen Telemann“ steht nicht in seiner „Kritik des Musikanten“, sondern in seiner früheren Schrift „Bach gegen seine Liebhaber verteidigt“ (1951). Im Zusammenhang lautet das Zitat folgendermaßen:
Sie sagen Bach, meinen Telemann und sind heimlich eines Sinnes mit jener Regression des musikalischen Bewußtseins, die ohnehin unter dem Druck der Kulturindustrie droht.
Quellen Theodor W. Adorno: Prismen / Kulturkritik und Gesellschaft / dtv 1963 (Seite 145) innerhalb aus des Essays „Bach gegen seine Liebhaber verteidigt“, geschrieben 1951 für ‚Merkur‘.
Aus der „Kritik des Musikanten“ hätte ich aber auch noch ein schönes Zitat:
Man braucht nur den zugleich nüchternen und läppischen Klang einer Blockflöte zu hören und dann den einer wirklichen: die Blockflöte ist der schmählichste Tod des erneut stets sterbenden Pan. (Seite 78)
Aus „Zur Musikpädagogik“:
Man kann sich gut vorstellen, daß heute Violin- oder Klavierschüler neidischen Blicks nach den Kameraden mit der Blockflöte oder der Ziehharmonika schielen. Ihnen wäre an Beispielen zu demonstrieren, was mit den primitiven Instrumenten sich nicht darstellen läßt, und wozu es der Geige, des Klaviers, des Cellos bedarf. (…)
Gerade der Fanatismus, mit dem die Adepten von Blockflöte und Harmonika an ihre Werkzeuge sich klammern, ist reaktiv, Ausdruck von Trotz, der vom Ich bereits angekurbelte Wille, das höher Entwickelte, das ihnen offen wäre und von dessen Existenz sie unbewußt recht wohl wissen, sich abzuschneiden: „Ich will ja gar kein Mensch sein.“ (Seite 114)
Quelle Theodor W. Adorno: Dissonanzen / Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1957
Für meine Geschichte war Adorno („Philosophie der Neuen Musik“) von eminenter Bedeutung, was mich nicht hinderte, sein Strawinsky-Verdikt zu ignorieren, seine Haltung zu „exterritorialen“ Kulturen, zum Jazz sowie zur „Musik auf Originalinstrumenten“ indiskutabel zu finden. Man muss ihm zugutehalten, dass die Entdeckungen im Bereich der „historisch informierten Musikpraxis“ sich erst nach seinem Tod (1969) als wirklich bahnbrechend erwiesen. – Übrigens: NIE habe ich in meiner frühen Schulzeit neidischen Blicks nach den Kameraden mit Blockflöte oder Ziehharmonika geschielt. Aber die mit Gitarrenkasten waren – nach heutigen Begriffen – „cooler“ als ich. (JR)
Eine Fernsehsendung, in die ich dank der HEUTE-Show geriet und die ich sonst nur sporadisch sehe, hat mich heute vom ersten bis zum letzten Beitrag fasziniert. Und mehr noch: es war, als ob sie mich gemeint hat. Das geht einem aber oft so, wenn man bemerkt, dass man all dies möglichst bald wiederholen will, und zwar nicht nur einmal. Hoffentlich ist das weiter abrufbar, sagt man dann. Das ist wie bei einem Kind, dem man eine Geschichte erzählt: es schaut mit großen Augen, schaut und schaut, und am Ende sagt es: Nochmal erzählen! Und dann muss alles noch einmal kommen, möglichst mit genau denselben Worten!
Manches kannte ich: z.B. Jan Wagner, Dorothee Oberlinger, manches müsste ich schon viel länger gekannt haben, z.B. Mia Couto aus Mozambique, anderes wird mich noch länger beschäftigen, z.B. die Loop-Ausstellung in Wolfsburg. Es soll sich mit meinem alten Thema der Wiederholung verbinden und vor allem in genau dieser Zusammenstellung noch oft wiederholen: diese Sendung.
Die neue CD, noch ungeöffnet, der Plan: sie oft zu hören. Wie auch die Pariser Quartette mit „The Age of Passion“ (Karl Kaiser)
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Dorothee Oberlinger in der Aspekte-Sendung ab 35:43
2014
Jan Wagner in der Aspekte-Sendung ab 18:43
Die nun folgende Mail, mit der es vor zwei Jahren begann, ist nicht an ihn, sondern an mich gerichtet:
Am 16.11.2015 um 12:11 schrieb Klaus G.: Lieber Jan, meinem verbliebenen religiösen Bruder hatte ich zu seinem (und meinem) Geburtstag den Gedichtband „Regentonnenvariationen“ zukommen lassen, worüber er sich sehr angetan geäußert hat und mir, der ich den Band gar nicht selbst besitze, daraus das Gedicht „die Etüden“ in Kopie zugesandt. Nun weiß ich nicht, ob du das kennst, egal: ich schicke diese Kopie, denn das Werk ist zu schön, als dass man es nicht kennen sollte.
Ich hoffe es geht dir gut, ich kann über mich zumindest nicht wirklich klagen. Ich habe kürzlich meinen auch ziemlich alt gewordenen Geigenbauer aufgesucht, um die (neue) Geige etwas richten zu lassen, klingt jetzt schön, aber das Unwägbare alter Instrumente fehlt. Vielleicht kauft er mir einen Bogen ab, ich habe zu viele.
Sei freundlich gegrüßt von
Klaus
Immer wieder merkwürdig: der Klavierunterricht als Kindheits(alp)trauma, zumal es doch bei diesen Etüden offenbar um boogie-woogie-Figuren ging. Kinder lieben Loops, Reime, Verse, Formeln, warum nicht am Klavier? „all die zweiviertel- und dreisechstel etüden“ – kaum vorstellbar – aber vielleicht entsteht gerade aus diesem Gebräu ein Gedicht wie dieses, „jene schimmernde lampe tee auf dem tisch“. Versinkt „das schwarzlackierte ungetüm“ – der Flügel – in dem sie (die Klavierlehrerin ist angeredet) etwas hören konnte, was ich nicht verstand. Und wird hier hörbar.
Im Aspekte-Beitrag spricht Jan Wagner abschließend (ab 24:05 bis 24:40) das Gedicht „selbstporträt mit bienenschwarm“ aus dem neuen Band, der auch diesen Titel trägt:
In seiner Arbeit geht es um größtmögliche Freiheit auf dem engsten Raum! (Felicitas Hoppe über Jan Wagner)
Zitat (J.W.): Lyrik war immer schon eine Sache, die sozusagen eher im Halbdunkel stattfand. Oder in einer Nische existierte. Die gute Nachricht ist: sie existiert seit Jahrtausenden, und sie ist immer noch da! Das Wahrnehmen von Welt durch Sprache. Und das … probieren zu verstehen, was uns umgibt, indem man Vergleiche benutzt. Etwas ist wie etwas anderes. Das macht ja jedes Kind. Oder der ganz natürliche Zugang zu Metaphern. Der Donner hat große Füße. Das sagen Kinder. – Bei mir war das mit 15,16, wo ich Georg Heym und Georg Trakl zum Beispiel las, auch noch andere Dichter, und dachte: das ist unendlich faszinierend. Aber .. nein, man fällt nicht vom Himmel, und.. und .. man arbeitet sich lange ab an solchen Vorbildern, probiert sehr lange… herauszufinden, wie das überhaupt geht. Und man muss auch lange lesen, um auch Klischees zu vermeiden. Es wimmelt da von Fallen, und ein Gedicht ist so kurz, und manchmal nur 10 oder 6 Zeilen lang, es reicht ein winziger Fehler, und alles ist kaputt. (23:27)
Beitrag über (mit) Jan Wagner endet bei 24:40
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Zu klären wäre, was Dorothee Oberlinger beiläufig erwähnte, dass die Melodie, die sie spielen werde, – der Mittelsatz eines Bach-Cembalo-Konzertes, ich hätte jederzeit behauptet: „eine der schönsten Melodien von Bach“ – auf Telemann zurückgeht! Ich schaue nach im BWV-Schmieder (sicher veraltet), also BWV 1056, da steht: Den 2. Satz der Nr. 1056 (5. Konzert) übernahm Bach in die KK „Ich steh‘ mit einem Fuß im Grabe“ (vgl. Nr. 156) . Und dort steht: Der Instrumentaleinleitung liegt der 2. Satz des f-moll-Violinkonzertes, das nur in einer Klavierbearbeitung überliefert ist und dessen ursprüngliche Tonart wohl g-moll gewesen ist, zugrunde.
Also: was ist genau mit Telemann? Erster Hinweis auf Ulrich Siegele hier. Oder lieber Steven Zohn hier.
This middle movement closely resembles the opening Andante of a Flute Concerto in G major (TWV 51:G2) by Georg Philipp Telemann; the soloists play essentially identical notes for the first two-and-a-half measures. Although the chronology cannot be known for certain, Steven Zohn has presented evidence that the Telemann concerto came first, and that Bach intended his movement as an elaboration of his friend Telemann’s original.
Soviel Zeit musste sein (eine sehr beliebte Redewendung, wenn man sich thematisch verzettelt). Aber für Bach ist keine Stunde zuviel! Übrigens habe ich die obige CD vor allem bestellt, weil mich die Telemann-Interpretation im Blick auf Bachs Solissimo-Werke für Geige interessiert.
LOOP Über die Endlosschleife in der Aspekte-Sendung ab 24:45
Zur Shibuya-Kreuzung in Tokyo 29.10.2017 kurz vor 12 Uhr (s.u.) und: LIVE
ZITAT Aspekte-Text:
Dazu hören Sie eins der bekanntesten Popmusikstücke, das gänzlich aus Loops besteht: „I feel love“, gesungen von Donna Summer. (Ersatz vielleicht hier?)
Zitat Aspekte-Text:
Zusammen ergeben Bild und Ton die Quintessenz des Loops. Der Loop, die Endlosschleife, entsteht nicht durch die Menschen oder die Autos, denn es sind ja immer neue Menschen und Autos, die die Kreuzung passieren, sondern durch die sich pausenlos wiederholende und scheinbar nicht zu unterbrechende Ampelschaltung. Sie gibt den Rhythmus vor, nach dem Menschen und Autos sich richten. Für den Wechsel der Ampelsignale gibt es viele Entsprechungen: Ein- und Ausatmen, Tag und Nacht, die Jahreszeiten, Werden und Vergehen, also all das, was man den Rhythmus des Lebens nennt; etwas, das beruhigend und beunruhigend zugleich ist, wie Donna Summer’s Gesang zugleich tröstlich und nervtötend sein kann. Chaplins Film zeigt wie kein zweiter Film, worum es geht. Die endlose Schleife der Fabrikarbeit mit ihren sich wiederholenden Vorgängen, und das Individuum, das versucht dennoch seine Pirouetten zu drehen. Eine Ausstellung in Wolfsburg erkundet jetzt alle Erscheinungsformen der nicht endenden Wiederholung. Und zwar in einem ziemlich großen Bogen, der vom tibetischen Rad des Werdens mit seinem unendlichen Kreislauf der Wiedergeburt bis zu Stanley Kubricks „2001“ und zu apples neuem Hauptquartier reicht: überall sich drehende Räder, Kreise, Schleifen. Es ist als wären das harmonisch Runde und die grenzenlosen Räume Merkmale eines Jahrtausende alten Exorzismus, eine Methode, sich irgendwie gegen die Zeit zu behaupten. (Gregor Schneider, Künstler:) „Mit diesem Begriff Unendlichkeit kann ich eigentlich gar nichts anfangen. Aber woher kommt die Faszination von Unendlichkeit? Vielleicht weil wir sterben, vielleicht weil wir wissen, dass wir e-n-d-l-i-c-h sind?“ Eine Fraktion der Künstler, die in Wolfsburg zu sehen sind, geht das Problem von der anderen Seite an. Etwa ??? Norman. Sie hängen kleine und kleinste Teile aneinander, statt Harmonie: Irritation. Und vielleicht ist die zunächst simpel erscheinende Wiederholung manchmal sogar das raffiniertere Mittel, nämlich eins, das die Sinne schärft. – Im Zentrum der Ausstellung: Gregor Schneiders Installation BAD. Eine begehbare Serie, ein Parcours von 21 Badezimmern-Nachbauten, durch die man sich nahezu unbegrenzt lange bewegen könnte. Jedes Badezimmer im 70-ger, 80-er Jahre Styling, also aus der Zeit, in der Gregor Schneider Kind war, gleicht dem nächsten, sogar bis zum Schmutz in der Steckdose. (Gregor Schneider:) „Das ist meine Erfahrung, dass ich nur bestimmten Dingen Aufmerksamkeit schenke – und dass durch eine Wiederholung, also durch eine Quantität auch eine Qualität entstehen kann. In der Art und Weise, wie ich Dingen Aufmerksamkeit schenke, und für mich, der auch die Welt verrückt oder verrutscht, wahrnimmt, – es ist ein Versuch, sich diese Welt begreifbar zu machen.“ – Einer der ersten verbürgten Film-Loops aus dem Jahr 1896 von Thomas Edison. Nur aus praktischen Gründen wurde der Kürzestfilm im Kino im Dauer-Loop gezeigt. Das Publikum reagierte bei jeder Wiederholung anders. Zuerst gespannt, dann immer lauter johlend, was zeigt, dass jemand, der sich wiederholende Dinge ansieht, nicht immer denselben Gedanken denkt. (Ralf Beil, Museumsdirektor Kunstmuseum Wolfsburg:) „Es geht eigentlich um das Gegeneinander von Linearität, linearem Zeitbegriff und dann wirklich zyklischem Zeitbegriff. Das was ich mir eigentlich wünsche, dass Besucher/innen, die in die Ausstellung kommen, dass die mal nachdenken über diese Zyklen, die sie nicht ändern können, in die sie einfach eingespannt sind, und dann natürlich in die vermeidbaren negativen Loops, die sie in ihrer privaten Beziehung, die sie im Alltag erleben, und dass da etwas passieren kann.“ War der Loop, trotz seiner Allgegenwart, bisher ein unterschätztes Phänomen, dann ändert sich das vielleicht mit der Ausstellung in Wolfsburg. (Ende 28:48) (Autorin des Aspekte-Beitrags: Miriam Böttger).
Heute (29. November) in der SZ
Aufpassen, ab wann der Artikel online steht, sonst: ab zum Kiosk! Der Artikel gibt einiges an Stoff zum Denken, dazu später mehr.
Quelle: Süddeutsche Zeitung 29. November 2017 Seite 10 das digitale Walross Sounds ohne Ende und die Dominanz des Viervierteltaktes – die Berliner Software Ableton ist weltweit das Standardinstrument des zeitgenössischen Pop / Von Jan Kedves