Politisch-historische Recherche

Heute (24.02.2022) ZEIT-Lektüre

Navid Kermani ist für mich ein Mann des Vertrauens, aber es sind Tage, in denen alles, was gesagt wird oder zu lesen ist, auf schwankendem Boden zu stehen scheint. Fast: nicht wahr sein kann. Vergangene Nacht hatte ich schon Markus Lanz mit Gregor Gysi und Alexander Graf Lambsdorff zum selben Thema gehört. Ich versuche, das eine mit dem anderen zu korrigieren.

DIE ZEIT Feuilleton Seite 47 / folgender Text auf Seite 48

abrufbar HIER

Abschrift JR (nach Gehör):

LAMBSDORFF 14:58 Das Märchen von diesem angeblichen Versprechen, das hat es nie gegeben. (Gysi: Oh doch) 1990, das muss man sich mal vor Augen führen, wenn man 1990 der damals ja noch existierenden Sowjetunion versprochen hätte, die NATO würde sich nicht nach Osten ausdehnen, konnte sich das nur, und darum ging es, auf das Gebiet der damaligen DDR beziehen, denn: der Warschauer Pakt existierte ja noch! Warum sollte man in Moskau denn glauben, (da sehn wir die Karte), Länder wie Lettland, die sogar noch Teil der Sowjetunion – Estland, Lettland, Litauen – Polen, die Tschechoslowakei waren noch Teil des Warschauer Pakts, in Moskau war man fest davon überzeugt, man würde einen reformierten Warschauer Pakt organisiert bekommen, es konnte gar keine Diskussion darüber geben, und alle, die an dieser Diskussion damals beteiligt waren, sagen ganz klar, dieses Versprechen hat es nicht gegeben. Was es gegeben hat, und was bis heute eingehalten wird: es wird keine ausländischen Truppen geben, und es wird keine NATO-Einrichtung geben in den neuen Bundesländern, und die gibt es bis heute nicht, das heißt: der Westen hat hier sein Versprechen gehalten, und dieses Märchen, wir hören es immer wieder, ist einfach unwahr. (…….)

GYSI Zwei Beweise: erstens gibt es dieses Video, wo Genscher 1990, er steht neben Baker, sagt: weder die DDR noch ein anderes Land im Osten wird Mitglied der NATO werden, also nicht nur die DDR, das bezog sich auf den ganzen … (das war doch völlig unerheblich!).

Das zweite (ML ganz ganz kurz: das Argument – wir haben das Video letzte Woche gezeigt, (-unerheblich!-) ein Interview, das kann man sich ankucken), GYSI: auch als Teil dieser Sendung das habe keine Bedeutung, weils nicht im Vertrag steht, na, dann müssen sich Außenminister gar nicht mehr äußern, wenn es sowieso keine Bedeutung hat, was sie sagen. Aber das zweite ist noch was anderes: es ist jetzt ein Vermerk gefunden – übrigens veröffentlicht im SPIEGEL, und zwar gab es eine Sitzung der vier Direktoren der Außenministerien der USA, Großbritannien, Frankreichs und Deutschlands, und damals gab es ein Ersuchen, schon von Ungarn und von Polen, in die NATO gehen zu dürfen, 1991, nach Herstellung der deutschen Einheit, und alle vier Direktoren haben gesagt, das geht nicht, weil die Sowjetunion als Preis für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit versichert haben, dass der Osten nicht in die NATO aufgenommen wird. Das ist nicht von mir, das ist von den vier Direktoren dieser vier Außenminister, daran haben sie sich nicht gehalten, übrigens: und dann diese 14 Staaten aufgenommen. Nun (Gorbatschow!) dieses Dokument hat Jelzin kritisiert, und das hat Putin kritisiert, nur der Westen ist nicht darauf eingegangen. Ich hoffe, ich habe noch die Chance zu sagen, was meines Erachtens jetzt falsch gemacht wurde, wie man hätte anders reagieren müssen, um genau das zu verhindern, was Sie jetzt beschreiben, wir stehen ja tatsächlich kurz vor einem Krieg, was natürlich eine Katastrophe wäre, wenn das passierte.

LANZ Dieses Dokument [17:50] Graf Lambsdorff, wie ist das einzuordnen? Sie als Historiker, das ist son ganz interessanter Punkt, wird natürlich häufig jetzt herangezogen: die Kollegen der WELT warens glaube ich, die dieser Tage nochmal was dazu veröffentlicht haben, ein längeres Stück, in dem es sinngemäß heißt: das ist ein Papier, das in Historikerkreisen längst bekannt war.

LAMBSDORFF: So ist es! Genau (das ist kein großes Geheimnis!) es war eine interne Notiz, LANZ und der Verweis darauf, dass einzige Dokument, das relevant ist, für all diese Themen ist „Vier plus zwei“ (sic!).

LAMBSDORFF: So ist es! Also: man darf ja eins nicht vergessen: russische Diplomatie über Jahrhunderte, sowjetische Diplomatie über 70 Jahre, – hochprofessionale Leute! Also das sind ja keine Amateure, ja, man kann sagen, ich finde Ihre Entscheidung falsch oder richtig, aber das sind keine Amateure – im Zwei-plus-Vier-Vertrag, den die Sowjetunion ja mitverhandelt hat, steht nichts von einem Versprechen, dass die NATO nicht ausgeweitet wird, und dieser eine Gesprächsvermerk, Jürgen Krobock [??? gemeint ist wohl Dieter Kastrup ], der damalige politische Direktor, hat das ja selber ganz klar gesagt, das hat überhaupt nichts zu bedeuten, sei eine interne Unterhaltung gewesen, es ging um die Frage: gibt’s n NATO-Beitritt, ja oder nein, und wir haben das untereinander besprochen, es ist kein Dokument von irgendeiner rechtlichen Bindewirkung, er hat das sogar gesagt, das sind Fragen, die entscheiden wir nicht als Staatssekretäre oder politische Direktoren, das entscheiden ganze Regierungen. Damit … das Dokument ist wirklich so eine aus dem Zusammenhang gerissene… ein Schnipsel, der aber wirklich nichts zu tun hat mit dem, was damals wirklich politisch beschlossen worden ist. [19:03] GYSI etc.

Zur Ergänzung:

Sendung ARD Weltspiegel 9.3.2014

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Der Phoenix-Film „Poker um die deutsche Einheit“ hier (noch 1 Tag verfügbar!!!)

Als ich gestern begann, mir die Vorgeschichte des Ukraine-„Konflikts“ zu erklären und mich zugleich dem unbegreiflichen aktuellen Geschehen zu verweigern, wusste ich noch nicht, dass abends das Wort „fassungslos“ zu den am meisten gebrauchten des Tages gehören würde. Ich werde die entsprechende LANZ-Sendung verlinken. Nicht weil ich Lanz bewundere, sondern: obwohl er als Moderator oft seine Gäste nur stört; sie werden trotzdem all das sagen, was notwendig ist. Was kann man tun, ohne sich auf das Wort „fassungslos“ zurückzuziehen? Ich übe also Bach und Chopin, insbesondere die Mazurka h-moll (siehe Artur Rubinstein hier), wohl wissend, was sie bedeutet: dass sie wie überhaupt alle Mazurken Chopins auch als Mahnmale gegen die russische Herrschaft in Polen zu lesen sind, – auch wenn nicht extra „Mesto“ drübersteht.

Titelbild ZDF LANZ Screenshot

LANZ ZDF 24.02.2022 HIER Zu Gast: Politiker Robert Habeck, Politiker Norbert Röttgen, Diplomat Andrij Melnyk, Politiker Gerhart Baum und Journalistin Alice Bota.

Die Szene („wie sehr dieser Mann das Land im Griff hat“…) 1:16:22 mit dem Spionagechef Naryschkin – Putin „zwingt seine Clique, sich dazu zu bekennen.“ (Bota)

  Man könnte meinen: einer oben, einer unten. In Wahrheit deckungsgleich, unter ihresgleichen!

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Wie es bei LANZ am nächsten Tag weiterging: (Gäste: Politiker Jürgen Trittin, Soziologe Gerald Knaus, Journalistin Claudia Kade und Politologin Gwendolyn Sasse) am 25.02.22 hier