Wie wir Fremde sehen

Oder: Warum wir sie eher negativ beurteilen

Ein interessantes Faktum, das jetzt von der Forschung plausibel erklärt wurde. Es ist viel simpler, als man vielleicht gedacht hat. So simpel, dass man sich schämt, vielleicht selbst nach solchem Muster zu funktionieren. In meiner Volksschulzeit in Bielefeld wurden wir aus oft sehr einleuchtenden Gründen (Religionsunterricht, gemeinsamer oder getrennter Kirchgang) in zwei Gruppen eingeteilt: die evangelische und die katholische. Wenn aber auf dem Schulhof alle durcheinanderliefen, spielte diese Unterscheidung keine Rolle mehr, wichtiger war die Klassenzugehörigkeit, der Größenunterschied, die Unterscheidung, ob Junge oder Mädchen. Und doch glaubte ich eines Tages, eine Entdeckung zu machen: ich vermochte katholische Schülerinnen oder Schüler an ihrem Aussehen erkennen, dessen war ich mir ziemlich sicher. Sie sahen irgendwie dunkler aus! Heute vermute ich: es lag am Klang des Vokales o („kathool“). Sie schienen mir nicht nur äußerlich dunkler (Haare, Augen), – man konnte ihnen auch nicht trauen. Nach einer Reihe von offensichtlichen Fehlurteilen (blond, blauäugig, gut, „wie See so klar“) begann ich allerdings, die „klanglich-optische Täuschung“ zu durchschauen. Sie war nicht aus Erfahrung und Beobachtung gewonnen, sondern von meinem Gehirn produziert und nach außen projiziert. Eine typische vorgefasste Meinung, ein Vorurteil.

Es ist unmöglich vorurteilsfrei aufzuwachsen, wir übernehmen Vorurteile unserer Umgebung, und wir produzieren die Vorurteile laufend selbst – gewissermaßen als Hypothesen; aber es ist unsere wichtigste Aufgabe, sie zu durchschauen, zu verifizieren oder zu falsifizieren. Lernen zu differenzieren. Eine vielschichtige Erfahrung – diese Differenz. Zum Beispiel zu begründen, ob es falsch ist, das folgende Lied zu singen. Es nur inhaltlich abzulehnen. Klaus Groth mehr als Brahms? Als biographischen Zufall ohne besonderen Fingerzeig. Dieses youtube-Beispiel etwas altmodisch zu finden (1982). Oder bedingungslos zu lieben.

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Im folgenden Zitat müsste man vielleicht hinzudenken und betonen, dass die sogenannten „negativen“ Eigenschaften der Fremden nur so genannt werden, weil sie in unserer Perspektive so erscheinen. Es sind zunächst einmal nur distinkte Eigenschaften, die wir negativ bewerten.

Die Untersuchung (Zitat der Presseerklärung)

Andere Menschengruppen werden als negativ wahrgenommen, weil negative Eigenschaften vielfältiger und leichter zu unterscheiden sind / Kölner Sozialpsychologen präsentieren Wahrnehmungsmodell, das die Abwertung von Fremdgruppen erklärt

Wir sind gut, die anderen sind böse – das ist ja klar. Wenn man zwei Gruppen zusammenbringt, dann findet sich jede Gruppe selber besser als die andere: Fußballvereine, Mädchen und Jungen, Schulklassen. Es können in der Realität aber nicht beide besser sein. Wo liegt der Fehler? Neu ist die Erklärung von Kölner Sozialpsychologen und -psychologinnen des „Social Cognition Center Cologne“ (SOCCO): Unterscheidungen von Gruppen lassen sich am einfachsten durch negative Merkmale treffen, da negative Eigenschaften individueller sind als positive. Negative Einstellungen gegenüber Anderen entstehen also als Folge von „unschuldigen“ Wahrnehmungsprozessen. In dem Artikel „A Cognitive-Ecological Model of Intergroup Bias“ im Journal „Psychological Science“ präsentieren Dr. Hans Alves, Dr. Alex Koch und Professor Dr. Christian Unkelbach eine neue Erklärung dafür, dass Menschen Minderheiten und Fremdgruppen gegenüber oft negativ eingestellt sind.

Während die meisten bisherigen Modelle von motivationalen Ursachen ausgehen, also z.B. dem Streben nach einem eigenen Vorteil, sehen die Kölner Forscher und Forscherinnen die Gründe für eine negative Einschätzung anderer Gruppen in einem besonderen Effekt der Wahrnehmung: Gruppen definieren sich selber über positive Eigenschaften, andere aber über negative. Der Grund: Obwohl alle Gruppen ähnliche positive Eigenschaften haben, verfügen sie über negative Eigenschaften, die sehr unterschiedlich sind. So kann man alle Menschen als nett, umgänglich, zuverlässig, höflich, hilfsbereit oder fleißig beschreiben. Doch bei den schlechten Eigenschaften, gibt es ein größeres Spektrum. Die schlechten Eigenschaften sind einzigartig und werden deswegen von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen „distinkt“ genannt, sie machen die Unterschiede. Dies kann man statistisch nachweisen und folgt aus der größeren Diversität negativer Eigenschaften und aus der größeren Häufigkeit positiver Eigenschaften.

Die in dem Modell beschriebene Entstehung negativer Einstellungen gegenüber neuartigen Gruppen wurde von den Kölner Sozialpsychologen in drei Laborexperimenten nachgewiesen, in denen Versuchspersonen verschieden auf einem virtuellen Planeten „Alien-Gruppen“ begegneten und sich einen Eindruck der Gruppen bilden sollten. Waren die distinkten Eigenschaften der Gruppen negativ, bewerteten die Versuchspersonen neue Alien-Gruppen als negativer im Vergleich zu schon bekannten Alien-Gruppen.

„Wenn wir also z.B. Migranten begegnen, schauen wir immer auf die Eigenschaften welche wir von den uns bekannten Gruppen noch nicht kennen. Wir fragen uns: was ist anders an diesen Leuten?“, erklärt Alves. „Das Gleiche tun wir auch, wenn wir z.B. in eine andere Kultur reisen. Zum Beispiel beobachten wir, dass in den USA Menschen dicker sind und mehr Waffen tragen – diese Eigenschaften assoziieren wir dann mit „Amerikanern“ und sie bilden die Grundlage unserer Beurteilung.“

„Das Problem ist, dass wir dadurch die Fremdgruppen ungewollt unfair bewerten“, so Alves. Würde man seine eigenen Gruppen auch nur aufgrund ihrer distinkten und damit negativeren Eigenschaften bewerten, hätten wir auch ein negativeres Bild von ihnen – was jeder auch selber erleben kann: „Das geschieht zum Beispiel, wenn wir von einer langen Reise nach Hause zurückkehren und auf einmal unsere eigene Kultur durch eine andere Brille sehen und erkennen was an ihr distinkt ist“, erklärt der Wissenschaftler.

Quelle Dr. Hans Alves (Gabriele Meseg-Rutzen Presse und Kommunikation) Universität zu Köln idw-online Informationsdienst Wissenschaft

Heute, 2. August 2018, die neue ZEIT Seite 36

Ijoma Mangold über Rassismus / Zitat:

Offensichtlich gibt es im Leben permanent Irritation, die durch Anderssein ausgelöst wird. Das Nicht-Ähnliche muss sich seinen Gruppenzugang stets unter erschwerten Bedingungen erkämpfen. Man muss aber nicht zu einer ethnisch-kulturellen Minderheit gehören, um diese Erfahrung zu machen. Vieles spricht dafür, dass die Gesellschaft sozial unerbittlicher sortiert als ethnisch.

(…) Vieles (…) hat eher mit Xenophobie als mit Rassismus zu tun. Xenophobie indes ist eine anthropologische Konstante. Es hat sie immer gegeben, es wird sie immer geben. Der Mensch muss sich an Neues, an alles, was anders ist als er selbst, immer erst gewöhnen, er muss sich das Fremde vertraut machen, um sich nicht bedroht zu fühlen. Das ist keine schöne Charaktereigenschaft, aber Futterneid ist auch hässlich und doch aus der Evolution nicht wegzudenken.

Wir empfehlen also einen restriktiven Gebrauch des Begriffs „Rassismus“. Man sollte ihn sich für krassen Fälle aufbewahren. Erst jüngst erklärte Alice Weidel ganze Menschengruppen zu „alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen“.

Quelle DIE ZEIT 2. August 2018 Seite 36 Feuilleton Was ist Rassismus? Und was ist keiner? Unter dem Hashtag #MeTwo wird endlich über Alltagsrassismus diskutiert. Dabei gerät aber manches durcheinander. Von Ijoma Mangold.

Es ist unerhört wichtig, sich gegen die Argumente der AfD (und ihrer Verwandten im Geiste) zu wappnen, auch wenn sie ganz  offensichtlich schwachköpfig scheinen. Sie können auch in der Maske der Wissenschaft oder zumindest der Statistik auftreten und intelligente Gegner auf dem falschen Fuß erwischen. Ich empfehle das Büchlein „Geschichte des Rassismus“ von Christian Geulen (C.H.Beck Wissen München 2007), es kostet keine 10,-€.

In meinem Exemplar fand ich die sehr lesenswerte Besprechung eines großartigen Buches von Per Leo; ich will sie wenigstens im Ausriss wiedergeben. Autor: Thomas Steinfeld. (Man muss sich den Begriff „Unterscheidungslehren“ zueigen machen!)

Quelle Süddeutsche Zeitung 2. Dezember 2013 Detektivische Utopien Der Berliner Historiker und Philosoph Per Leo fragt nach geisteswissenschaftlichen Wurzeln von Rassismus und Judenverfolgung – eine große Studie, die Widerspruch herausfordert. Von Thomas Steinfeld

Zu ergänzen wäre diese unvollständige Kopie durch ein Zitat, das nun doch den im Titel angekündigten Widerspruch begründet. (folgt)

Warum aber gibt es diese Unterscheidungslehren, und warum radikalisieren sie sich in einer bestimmten Zeit und binnen sehr kurzer Frist (…)? Schwierig diese Fragen zu beantworten, ohne zugleich davon zu reden, worauf all diese Lehre[n] hinauslaufen: auf die Konstruktion eines idealen Selbst, auf Reinheit und Identität. Und selbstverständlich gibt es den Punkt, an dem es gewaltsam ernst wird mit diesen Lehren, dann nämlich, wenn der politische Souverän sich ihrer annimmt, als Sachwalter des Volkes, des angeblich identischen Gemeinsamen wider den nicht einmal mit sich selbst identischen Einzelnen.

Es ist seltsam, dass Per Leo diesem Schluss auf das Politische ausweicht: „Der Gedanke, dass Individualität und Persönlichkeit im Nationalsozialismus überhaupt eine Rolle gespielt haben könnten, mutet uns fremd an“, erklärt er. Uns aber mutet fremd an, dass ihn das fremd anmutet: Gewiss, der Faschismus kennt, weil er keine Differenz zwischen seinen Bürgern und dem Staat mehr gelten lassen will, Individualität vor allem als Dienst an der Gemeinschaft. Eine dienende Individualität ist aber etwas anderes als gar keine Individualität, und wenn der faschistische Staat seine Bürger einem radikalen Prinzip der Auslese unterwirft, dann ist ihm an einem gewissen Typus von Individualität sehr gelegen.Und deswegen stimmt es nicht, wenn Per Leo schreibt, der „charakterologische Denkstil“ habe eine „weltanschauliche Brücke“ zwischen den Nationalsozialisten und „der deutschen Bildungsschicht“ geschlagen. Eher ist es schon so, dass die Nationalsozialisten das „charakterologische Denken“ der deutschen „Bildungsschicht“ auf eine brutale Spitze trieben. (…). (Thomas Steinfeld)