Kostümkunde mit Verdi

Nicht ganz ohne Kostümzwang…

https://www.arte.tv/de/videos/120902-001-A/giuseppe-verdi-don-carlo/ hier ab 1:52:00 bzw. 1:44:00 (abrufbar bis 28.12.24)

Wenn ich mich nicht irre, sind 60 Jahre vergangen, seit ich bei meiner Freundin eine ihrer Lieblingsschallpatten hören musste oder durfte – und keinerlei Wirkung verspürte. Da ich nunmal auf Wagner eingeschworen war, hatte ich für Verdi kein offenes Ohr, erst recht nicht – nach dem Monate währenden Tristan – für solchen Gesang: „sie hat mich nie geliebt“. Womöglich angestimmt von Gottlieb Frick. Jahrzehnte später hörte ich den Folkfestival-Regisseur warnen „Kinder, singende Menschen sind nicht schön!“ und dachte „wozu denn auch? Vielleicht nur, wenn man den Ton abdreht.“

Und wiederum Jahrzehnte später hat es mich ausgerechnet an dieser Stelle gepackt, als ich mit Mühe und Ach zumindest die inhaltliche Aufarbeitung bis hier geleistet hatte. Im Überschwang glaubte ich es allein der verhaltenen Interpretation des Sängers zu verdanken: Roberto Tagliavini (Philipp II.).  Oder ich war reif, und es war womöglich die heimlich wachsende Wirkung der seltsamen Inszenierung? Regie: Kirill Serebrennikov.

Ein Mangel der Deutungsandeutungen: nicht der Konsumzwang (! nur für Minderbemittelte !) dürfte gemeint sein, sondern die Unzulänglichkeit jeglichen Charakters, Tragik der Austauschbarkeit der Differenzierung einer Schauspielerindividualität. Die unglaubwürdige Vertauschung der Frauen. Man interessiert sich vergeblich für die nackte Existenz. Keine Wahrheit. Auch die Forderung der „Freiheit“ bleibt hohl. Ebenso in der anderen Sprache, „Libertà“.  Wo bleibt Rodrigo? Etwa in Flandern? Ich sehe ihn nicht einmal sterben.

Mein Missverständnis der Sentenz „Sie hat mich nie geliebt“ bezieht sich nicht auf die gängige Diskrepanz in der unglücklichen Liebe, sondern auf die gesamte Rollenverteilung in der menschlichen Gesellschaft.

Weil dieser Sänger sich nicht, wie früher üblich, zum „hohen“ männlichen Pathos aufschwingt, dem schwarzen, sondern im referierenden Tonfall mit entsprechender Gestik verbleibt, wirkt er so überzeugend.

Daher wirkt auch – rückwirkend – die charmant schmeichlerische Moderation der allzunetten Ansagerin so passend. Auch sie gehört zur Klasse der adäquat Kostümierten. Ergreifend museumsreif, ähnlich wie das zuschauende Pubikum.

Daher wirken auch die „Bu’s“ so deplatziert: Verdis romantische Originalmusik unterstützt den schmerzlich mitleidlosen Blick auf das ganze Geschehen.

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