Archiv der Kategorie: Medien

Ach Bach! Schon wieder ein Fall!

Nur eine Kleinigkeit?

Bei Musikern geht es nun mal so: sie unterbrechen nicht gern und lassen sich nicht gern unterbrechen. Bei mir ist es nicht anders: sobald ich ein Instrument greifbar habe, spiele ich lieber als dass ich lese. Auch die Noten vor mir spiele ich so, wie es dasteht und will mir lieber nichts erzählen lassen oder ein Vorwort lesen. Aber wenn mir ein Instrument fehlt, lese ich gern, auch Noten. Und erst recht Texte mit Noten drin. So auch den übernächsten (die hier folgende handschriftliche Eintragung am Rande der Noten stammt erst von gestern):

Andererseits kommt es eben zuweilen vor, dass ein Musiker unterbricht und ruft: „da stimmt was nicht!“, ein leises Erschrecken geht durch die Gruppe („Herr, bin ich’s“?), meist geht es um einen Ton, der zum Akkord nicht passt, Druckfehler, man sucht, bis das Problem offenliegt, und korrigiert. So kann es auch gehen, wenn man bloß hört, ein Solostück z.B., von dem man jeden Ton kennt und geübt hat. „Stopp! Das kann doch nicht wahr sein!“ So ging es mir aber erst, als ich gestern in ein altbekanntes Buch schaute und auf der folgenden Seite die letzte Bemerkung las: „Das ist doch… das kann doch nicht wahr sein!“

Quelle Erwin Grützbach: Stil- und Spielprobleme bei der Interpretation der 6 Suiten für Violoncello Solo von J.S.Bach / Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1981

Jetzt erst schaute ich in den Anhang der Notenausgabe, aus der ich übe und der ich immer noch blind vertraut habe. (Bärenreiter, August Wenzinger 1950): Da steht hinten im Kritischen Bericht zur Suite I u.a. die Zeile:

T. 26, 3.Viertel Ms, Ke cis, h a b, BG cis, b a b 

MS bedeutet: Abschrift der Anna Magdalena Bach, Ke: Abschrift von J.P. Kellner, BG J.S.Bach, Werke, herausgegeben von der Bach-Gesellschaft, Leipzig, X X L, II.1

Das heißt wohl: Wenzinger hat in diesem Punkt einfach dem Herausgeber der Alten Bach-Gesamtausgabe vertraut, und die meisten historisch interessierten Musiker vertrauten Wenzinger und der Neuen Bach-Gesamtausgabe. Erst 31 Jahre später hätte man lesen können, dass Grützbach in seinem von Cellisten vielgelesenen Buch eine dezidiert andere Meinung propagierte:

Die Linie verläuft hier chromatisch. Das gefühlsbetonte cis‘ b a b einiger Herausgeber ist durch nichts gerechtfertigt.

Eine Kleinigkeit? Ich dachte, mich rührt der Schlag. Und genau aus diesen „gefühlsbetonten“ Gründen hing ich doch an der gedruckten Tonfolge. Beim Spiel auf der Bratsche habe ich sie sogar leicht jammernd herausgehoben. Wer weiß, ob mir da nicht die Erfahrung mit arabischer Musik einen Streich gespielt hat…

 Ms Anna Magdalena (Detail)

Das b kann in dem Takt nicht rückwirkend gelten, auch wenn man Anna Magdalena manche Flüchtigkeiten zutraut. In Kellners Abschrift ist alles undeutlicher, meint aber wohl nichts anderes:

Wieder ein anderer Abschreiber (Schober? Westphal?) schreibt wohl viel später, aber sehr deutlich:

Ich kann also nicht – mit Wenzinger – auf einem anderen Ton beharren!

Zur Sicherheit vergleiche ich einige youtube Aufnahmen: die ganz großen Cellisten spielen so wie ich bisher (haha! ein schwacher Trost), selbst der frühe Harnoncourt hat sich offenbar nicht die ältesten Skripte angeschaut. Anner Bylsma und Sigiswald Kuijken (mit V. da spalla) spielen „korrekt“, Jean-Guihen Queyras „nicht“ (siehe hier  bei 1:43), ohne an der cis-Stelle besonders „gefühlsbetont“ zu agieren. Da mir ansonsten Pieter Wispelwey in der Freiheit des Vortrags besonders zusagt, – wie hält er’s mit dem besagten „arabischen“ Intervall? Was sagen Sie? Hören Sie hier bei 1:24, er spielt alte Stimmung – für unser Ohr in diesem Zusammenhang eine Umstellung – aber: er spielt  den kritischen Ton so beiläufig, dass es nicht leicht zu entscheiden ist. (Man kann es „zurechthören“… ich vermute, er spielt b – aber so, dass es nichts weiter bedeutet.)

ABER: Pablo Casals spielt 1954 genau was dasteht! Hören Sie hier bei 2:11.

Eine Entdeckung nebenbei: Rachel Podger hat die Cello-Suiten (um eine Quinte + Oktave raufgesetzt) mit Geige eingespielt (siehe jpc hier), verständlicherweise befindet sich diese CD jetzt auf dem Weg zu mir.

Zwei kritische Bemerkungen muss ich bei dieser Gelegenheit hinzufügen:

Wenn ich Cello-Suiten höre (ich spreche jetzt nicht von Pieter Wispelwey!), habe ich oft ein mulmiges Gefühl, besonders am frühen Morgen: ich finde alles ziemlich unsauber. Und dieses Gefühl verlässt mich nicht nach – sagen wir – einer Viertelstunde (wie beim Erlebnis eines Schülervorspiels), sondern es gehört offenbar zum Obertongemisch der tiefen Töne…

Noch etwas: Man schaue bitte nochmal in den Artikel „Viola!“ (hier), – damals war mir noch nichts aufgegangen bezüglich des übermäßigen Schrittes cis-b, der mir eigentlich schon hätte „fragwürdig“ erscheinen müssen (ein Klage-Intervall so aus dem Nichts).

An dieser Stelle auch noch ein Hinweis in Sachen Bratsche: es gibt einen sehr lesenswerten Essay von Björn Gottstein über das Instrument, Titel „Tonschönheit Nebensache? Die Geburt der Bratsche aus dem Geist der Neuen Musik“, ab Seite 142 in dem Buch: Kammermusik der Gegenwart, das ich hier präsentiert habe.

A propos Rachel Podger (Nachtrag 4.7.2019 – die CD ist da!!!)

… und den fraglichen Ton spielt sie natürlich „wie es sich gehört“.

*    *    *

Die CD der Trauermusik von Johann Ludwig Bach ist eingetroffen, – wunderbar, großartig! Schöne Idee, das Cover mit dem berühmten Selbstbildnis von Albrecht Dürer zu schmücken, das wie ein Christusbild wirkt (dem nur die Dornenkrone fehlt). ABER: der Text des Oratoriums, den man ja neugierig nun auch mitlesen oder separat studieren will, dieser Text, den der Herzog zu Lebzeiten (natürlich, wann sonst? allerdings ziemlich früh) selbst verfasst hat, ist furchtbar, so farblos wie eine Sammlung von Aktennotizen. Ein Rätsel, wie man dazu eine solche Musik erfinden konnte. Mit Liebe erinnert man sich an die Picander-Texte der Matthäus-Passion, an unvergessliche Sprachgebilde: „Am Abend, da es kühle war, ward Adams Fallen offenbar, am Abend drücket ihn der Heiland nieder, am Abend kam die Taube wieder und trug ein Ölblatt in dem Munde. O schöne Zeit! O Abendstunde!“  Wie gern vermisst man das prosaisch-korrekte Wort Schnabel, wenn das Reimwort Abendstunde sich entfalten kann.

 Dürer Selbstbildnis Wikipedia

A propos Bach

Habe heute erst beim Bayrischen Rundfunk ein Skript zur Solosonate C-dur mit Christian Tetzlaff gelesen. Sicher ist seine Aufnahme der Sonaten & Partiten ein Nonplusultra, aber die Story dazu, die auf seinen Gedanken beruht, ist mehr als zweifelhaft: als sei das Ganze ein Erlebniswerk, das unter dem Eindruck des plötzlichen Todes seiner ersten Frau geschrieben wurde, quasi aus einem Guss, Reinschrift 1720. Unmöglich! (Bach war am 7. Juli 1720 von einer Dienstreise zurückgekehrt, und Maria Barbara war bereits beerdigt worden.) Zitat:

Bach sucht Trost in der Musik. So entstehen seine Sonaten und Partiten für Violine Solo, der Autograph ist auf das Jahr 1720 datiert. Der Geiger Christian Tetzlaff sieht in dieser Komposition eine Art Grabstein für Bachs Frau.

„Da kommt zum Beispiel noch das schöne Indiz hinzu, dass Bach diese Stücke bezeichnet mit ’sei solo‘, also was grob übersetzt heißt ’sechs Solo für Geige‘, oder es heißt tatsächlich ’sei solo“ – ‚du bist allein‘ – wäre damit so ein Titel für dieses Werk.“ (Christian Tetzlaff)

Bach wechselt in seinem Zyklus Sonaten und Partiten einander ab. Die Sonate in C-Dur steht im Gesamtwerk an fünfter Stelle und ist für Christian Tetzlaff im dramaturgischen Aufbau eine Art Wendepunkt. Hier beginnt Bach seinen Schmerz langsam zu überwinden, der die ersten vier Werke, die bezeichnenderweise alle in Moll stehen, überschattet.

Die Solissimo-Werke für Violine – ungeachtet der Frühformen (seit 1708) und jahrelanger Vorarbeit – jetzt als eine Mischung aus Trauerarbeit und Tagebuch seit Juli 1720 zu lesen: psychologisch und biographisch ein Absurdum. Weder die liebe Frau noch das eigene Ego standen damals für einen gläubigen Christen wie Bach im Mittelpunkt des Denkens und Schaffens. Das müssen wir ihm zugestehen.

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A propos Trauermusik

Hier ist die erste Seite des Booklettextes von Peter Wollny, damit klar ist, wovon die Rede ist. Bei den Autofahrten mit dieser Trauermusik (Rias Kammerchor) elektrisierte mich gegen Schluss des ganzen Werkes (Tr. 26) eine Motivverkettung, die mir vertraut vorkam. (Die Noten – schon für die erste Aufnahme des Werkes mit der Rheinischen Kantorei – schrieb Christoph Lehmann, sie liegen im WDR und waren mir nicht zugänglich. Daher an dieser Stelle meine unzulängliche Notation nach dem Gehör:)

 Tr.26 ab 1:02

Der Text an dieser fugierten Stelle (eigener Formteil bis 2:04): „und mit entbundner Zung“.

Die Motivik ist „barockes Allgemeingut“, der Passus duriusculus  und ebenfalls der Kontrapunkt dazu; Johann Ludwig Bach muss ihn 1724 also nicht aus der Fuga von Johann Sebastian Bach (Reinschrift 1720) entliehen haben. Aber interessant ist, dass hier von der „entbundenen Zunge“ die Rede ist, das Fugenthema der Sonata in C mit dem Pfingsthymnus in Zusammenhang gesehen wird und das „Zungenreden“ bekanntlich eine „Gnadengabe des Heiligen Geistes“ ist (siehe hier).

Der chromatische Passus bei Johann Ludwig auch in Umkehrung (in der Sonata nicht).

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Gestern habe ich einen Film über die Anden, der mich aufgrund der Naturaufnahmen interessiert hätte, ausgeschaltet, weil mich der Sound der Performance ärgerte. Die Musik vor allem, aber auch die Art wie der Text inszeniert war, der Duktus betulicher Zuwendung.

Die Musik macht mich wütend, was ist bloß los mit mir? Der Komponist meint es doch gut. Er beruft sich sogar auf Bach und lobt die Pause, die ich mir über die ganze Länge des Films ausgebreitet wünschte. Nein, ich übertreibe, und ich werde auch nie wieder eine Diskussion mit dem Sender anfangen, wie damals (siehe hier). Ein andermal war ich ganz glücklich, aber kein Filmkomponist hatte mir geholfen, sondern wer? Schauen Sie nur: hier.

Aber ich wollte ja den bzw. einen Filmkomponisten zitieren, den von gestern („Die Anden“ können Sie noch abrufen, bis Ende Juli 2019 hier) :

Es macht mich glücklich, gute Musik zu tollen Bildern zu komponieren. Das treibt mich an, dafür bin ich in Bewegung. Überhaupt Bewegung. Sie ist für mich Quelle der Inspiration. Auf dem Fahrrad und beim Laufen kommen mir häufig die besten Ideen. Oder am Klavier, mit der direkten Resonanz des Klangkörpers. Ich komme vom Instrument. Komponieren heisst spielen. Erst dann kommt der Computer, kommen die Sounds, Libraries und Effekte. Darüber hinaus inspiriert mich alles, was ich sehe und erfahre, sei es ein Bild von Caravaggio, ein Film von Almodóvar oder eine Partita von Bach. Er ist für mich die Quelle. Seine Werke sind logisch und emotional zugleich, wecken elementare Gefühle.
Musik sollte bewegen, mal vordergründig, mal subtil. Und manchmal sollte sie mit Pausen arbeiten. Denn Komposition ist auch eine Entscheidung darüber, wann ein Einsatz sich verzögert oder ein Bild keine Musik braucht – um desto stärker zu wirken. Ohne Pause ist Musik ein Irrtum. Denn es ist alles eine Frage von Timing und Rhythmus. Bewegung eben.

Quelle: Website Oliver Hess hier.

Notizen zum Hören

Mana (4. Mai 2019 Kölner Philharmonie)

 Blick in die Kölner Philharmonie Von hier genau der Blick

Das Programm und der Anfang des Textes von Stefan Fricke:

… und Aperghis selbst hat im Werkkommentar geschrieben: „Der Perkussionist ist sowohl der Erzähler einer epischen Geschichte als auch der zentrale Charakter des Stücks. Im einzigartigen Kampf der Fiktion spiegelt sich derjenige Kampf des Musikers mit dem Instrument und mit seinem eigenen Atem wider.“ [Das Wort „derjenige“ muss eine Fehlübersetzung sein. Wahrscheinlich ist vorher auch ein „fiktiver Kampf“ gemeint, kein Kampf der Fiktion. Ich glaube auch nicht, dass er mit seinem Atem kämpft, – auch wenn im Original vielleicht „souffle“ steht – sondern mit der Artikulation, er ringt mit den Worten. JR]

Es gibt zudem auch ein Gespräch mit dem Komponisten in der Mediathek von WDR3:

 bitte hier klicken!

Der Schlagzeuger Christian Dierstein ist ein fabelhafter Interpret der Aperghis-Stücke, ich hoffe man kann sie eines Tages in der Mediathek abrufen. (Im Beitrag kurz zu hören ab 2:53). Aber auch in einem früheren You-Tube-Video bekommt man einen starken Eindruck von „Le corps à corps“, nämlich hier ab 9:58 mit dem Interpreten Jean-Pierre Drouet.

 Das Licht ist aus.

Seit mich Susanne Langer auf neue Gedanken beim Musikhören gebracht hat, bin ich empfindlicher gegenüber Irreführungen (z.B. in Gestalt von Mystifizierungen in der Neuen Musik, nehmen wir nur das Wort „Mana“ ) und ärgere mich unnötig über Kleinigkeiten. Kleinlicherweise. Gerade in Texten, die einem behilflich sein sollen. Warum heißt das Stück „Graffitis“? Ich will nichts über den Plural sagen, der Duden erlaubt’s (siehe hier unter Wortherkunft), aber wie hätte man ohne Programmheftaufklärung darauf kommen können, dass der Titel sich nur von dem Eindruck des Notenbilds der fertigen Partitur ableitet, das ihn [den Komponisten] an Graffitis erinnerte – „deshalb der Titel“? Und wenn man vom Text des Interpreten zuerst gar nichts, dann immer deutlicher den Satz „Es war den ganzen Tag so heiß“ mitbekommt, und endlich begreift, dass sich der Hinweis des Moderators vor dem Stück auf Faust II, das enigmatische Spätwerk, bezog, da ist man auf vieles gefasst, was wenig hilft: vom Klartext und vom Dunkel ist die Rede, und trotz der virtuosen sprechtechnischen und rhythmischen Leistung des Interpreten entsteht die sinnlose Frage, ob die Schreibweise „Es war den ganze Tag“ im Programmheft vielleicht dem Mundartwitz des alten Goethe entspringt. Am PC ist es natürlich leicht, sich kundig zu machen, – leider nur vertane Zeit. Man braucht die Hilfe nicht, man muss nur hören und sehen. Nicht durchschauen und verstehen.

Und jetzt mag man die Äußerung des Komponisten zu Anfang des obigen Beitrags als authentischen Hinweis betrachten („Gerade das Nicht-Verstanden-Werden mag der in Frankreich lebende Grieche. Warum, hat er Raoul Mörchen erzählt“): „Denn es ist ja so, sagt Aperghis, wenn wir meinen, etwas zu verstehen, lässt gleich unsere Aufmerksamkeit nach. Aperghis aber möchte, dass unsere Gedanken und Sinne in Bewegung bleiben, dass sein Publikum mitarbeitet, selber kreativ ist, die Lücken schließt, die er absichtlich lässt. Und so ist die Musik von Aperghis viel, aber eines ist sie nicht: eindeutig.“ Anspruchsvoll! Ich fühle mich planvoll irregeleitet, denn seine Musik möchte ich gern als vieldeutig erleben, – und sie ist so komponiert, dass die Aufmerksamkeit keinen Moment nachlässt, es sei denn, man verleitet die Zuhörerschaft dazu, sich mit irgendwelchen Stolpersteinen zu beschäftigen.

Um es in aller Kürze zu sagen: es war ein großartiges Konzert. Insbesondere nach den  „Études I-VI“ werde ich in Zukunft Ausschau halten, – ohne verstehen zu wollen, wo nichts zu verstehen ist. Es ist bereits in der richtigen Sprache komponiert und es ist unerhört! Die Leistung des „orchesterähnlichen“ Solistenensembles: atemberaubend!

*    *    * 

Der Morgen des Tages hatte ganz anders angefangen: mit den Schubert/Schumann-Aufnahmen aus der Zeit um 1965, als die deutsche Firma Harmonia Mundi  in Schloss Kirchheim (bei Mindelheim) Fuß gefasst hatte; regelmäßige Produktionen und Konzerte veranstaltete mit dem Collegium Aureum und anderen, Kammermusik, Konzerte, Matineen, eben auch mit der „Neuentdeckung“ Elly Ameling, unvergesslich auch für die Mitglieder des Collegiums, die im Cedernsaal gewissermaßen zuhaus waren. Hinter allem stand – als treibende Kraft und Initiator der „historischen Aufführungspraxis“ – Dr. Alfred Krings aus Köln (WDR).

Die CD landete bei uns, weil es auf der Hand lag, und sie kostet fast nichts, entsprechend dürftig ist die Ausstattung, nicht einmal die Liedertexte stehen im Booklet, und doch: was für eine Kostbarkeit, die am Morgen das Wohnzimmer erfüllte. Und wenn mich der Eindruck nicht trügt, war es der Abstand der Aufnahmezeiten 1965 (Schubert) und 1967 (Schumann), der die Stimme der niederländischen Sängerin zur vollständigen Blüte brachte. Es waren Schumann-Titel, die mich so ergriffen wie noch nie. Ich könnte die Gründe genauer beschreiben. – Das Foto entspricht der dürftigen Aufmachung: wer könnte ahnen, in was für einem Prachtsaal die Aufnahmen und Konzerte stattfanden, man sieht die sonntäglich gekleidete Dame vor einer düsteren Hütte stehen, die dem Abgang in den Hades gleicht. Es handelt sich um den herrlichen Kamin, der hier um seinen schönsten Teil, den Skulpturen-Aufsatz, betrogen ist. Ich muss ihn einfach nachliefern, draußen ist Tageslicht, vielleicht sommerliche Temperaturen:

  .   .   . .   .   . .   .   .

Ich muss die Aufnahmen gesondert behandeln. Und auch die folgende, die uns nur des Themas wegen faszinierte, die Interpreten waren uns in der Entstehungszeit völlig entgangen. Für mich spannt sich wieder einmal der Bogen in die 60er Jahre, als die Musik vor Bach kraftvoll in unser Leben trat. Monteverdi mit den Madrigalen des Deller-Consorts oder in großen Aufführungen der Marien-Vesper, die man sich nicht scheute mit Bachs Magnificat zu vergleichen. Die Schütz-Psalmen mit den Regensburgern haben mich in den Urlaub nach Calpe und dort 3 Wochen begleitet (wie auch Beethovens op. 59 Nr.1 und – Udo Lindenbergs „Hoch im Norden“). Später trafen wir uns privat mit Krings (er arbeitete noch als Tonmeister für die Alte Musik des WDR) und fachsimpelten über Aufführungspraxis; ich legte eine Java-LP auf, er kritisierte den Standort des Mikrophons „irgendwo in den Kulissen“. Ich versuchte es mit der Regensburger LP, und er ließ kein gutes Haar an ihr: Lesen Sie doch die Texte! Das muss man doch mit heftigster Erregung singen. Nicht brav wie eine Schafherde!

Vielleicht hätte er sich – mit all seiner akademisch-humanistischen Bildung – lustig gemacht über den Namen „Schütz-Akademie“. Die Berliner „Akademie für Alte Musik“ (Akamus) war noch lange nicht in Sicht, als das Goldene Collegium frühe Lorbeeren erntete.

Und in dem Moment, wo ich dieses Bild eingefügt habe, trifft das Päckchen des Freundes ein, mit dem ich (bzw. der mit mir) eigentlich vorgestern das Aperghis-Konzert in Köln besuchen wollte. Die Idee und die Karten stammten von ihm, er hat sie krankheitsbedingt per Post an mich vorausgeschickt. Ja, nicht nur die Karten, sondern auch allerhand Ideen. Und nun das neue Buch:

Zugleich finde ich (das ist die Wahrheit!) einen Postzugang in der Mailbox, nichts anderes enthaltend als ein pdf., das derselbe Freund in Berlin der NZZ entnahm; ich verwende nur einen Ausschnitt (aus Copyrightgründen), empfehle einstweilen nur, den Namen Bucheli ins Suchkästchen dieses Blogs (oben rechts) einzugeben.

 Versuchen Sie es doch hier

Ich bin diesmal nicht ganz zufrieden mit seinem Artikel: wenn es schon mit dem Geigespielen nichts geworden ist – das kann jedem passieren -, aber mit den Vogelstimmen, das kann jeder lernen. Man kann ja mit den Rufen beginnen, die einem am ehesten auf die Nerven gehen! Aufgabe: unterscheiden Sie die Taube vom Zipzalp, und wenn das klappt, lernen Sie den melodischen Unterschied zwischen Türkentaube und Ringeltaube. Über des letztgenannten Täuberichs Ruf hat schon der Vater der Musikethnologie intensiv nachgedacht. Das muss uns nicht als letztes Ziel vorschweben, wir müssen das Tier eigentlich nur ein bisschen nachäffen können.

 Ausschnitt aus:

Erich Moritz von Hornbostel: Musikpsychologische Bemerkungen über den Vogelgesang (1910)

*    *    *

Dank an Berthold Seliger!

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PS:

Noch etwas erfuhr ich vorgestern, es ist nicht ganz privat, aber doch etwas – und das ist wirklich nur für ganz aufmerksame und extrem neugierige Leser (und Hörer, mehr noch „Hörspielhörer“): HIER.

PPS:

Ich wollte mich noch kundig machen, was es mit Mana auf sich hat; und empfehle wie immer, zuerst Wikipedia zu befragen. Man lese hier; es hat also – in unserer Kultur – durchaus mit Populärkultur zu tun. Siehe auch unter „Sackgassen der ethnologischen Religionsforschung“ hier. Was vielleicht nichts gegen den Gebrauch des Wortes bei Christoph Bertrand und erst recht nichts gegen seine Musik sagt.

Ausklang: Probe aufs Exempel (Erkenne ichs wieder? )

Zum Weiterstudieren: Georges Aperghis spricht über seine Etüden für Orchester, hier (ab 2:02 über „Situations“) und hier (er sagt also sehr viel mehr, auch in Worten).

Uninteressant: Radio Eigenlob

Nach außen gerichtet, aber nicht informativ, sondern recht naiv

Natürlich: Radioprogramm ist für die Ohren, nicht für die Leser, die gewohnt sind, gedruckte Reklame wegzuwerfen. Sollte man also Sendungen, die offenbar von wechselnden Inhalten leben, mit einer immergleichen Werbung versehen, die von Klischees strotzt? Vermutlich sind dafür nicht die Zulieferer der Inhalte zuständig, auch nicht die Redaktionen oder deren Bosse, sondern Agenturen von außen. „Die können das besser, wir hier drinnen sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.“

 bitte anklicken und genau studieren!

Rot umrandet: lauter Werbetexte. Kulturbeflissen. Peinlich zu lesen, vor allem täglich (oder – siehe Scala – sogar zweimal hintereinander). So wirds auch klingen, muss man vermuten. So angeberisch und selbstzufrieden. Ein Text fehlt noch, das „Lunchkonzert“ hatte wohl keinen Platz mehr. Hier ist er:

Was bedeutet nun das blau umrandete Programm? Nur ein Beispiel. Es ist spezifisch und elektrisiert jeden, der genau das sucht: Flamenco. Und schließt niemanden aus. Morgen wird da etwas ganz anderes stehen. Georgische Gesänge zum Beispiel. Oder Jazz. Und man sagt: immer interessant.

Vielleicht bin ich nicht gut informiert: genau diese Programmschiene mit den fabelhaft wechselnden Inhalten wird ab 1. April (!) gestrichen. Man (?) will keine Kästchen-Programme mehr.

Ach, da hat es wohl wieder Hilfe von außen gegeben. In den 90er Jahren hieß die Hilfe Roland Berger. Von Kritik begleitet, und das musste so sein. Und jetzt lese ich in der ZEIT eine Kritik, die sagt, dass die Zeiten der Kritik vorbei sind. Ich glaube das keineswegs, ob innen oder außen. Man muss einfach nur alles zur Kenntnis nehmen. Ab 1. April gibt es bestimmt böse Überraschungen. Aber auch ganz neue schöne Worte für alles, was da angerichtet ist. Und Leute, die es in Klartext übersetzen.

Zum Artikel DIE ZEIT 21. Februar 2019 „Gehirnwäsche in der Anstalt“ hier.

Mehr über FRAMING in 6 Minuten HIER. (ZAPP – Medienmagazin).

Ich finde es allerdings absurd, einen Beitrag über „Framing“ mit dem üblen Sprachgebrauch der AfD zu beginnen. Damit jeder begreife, dass es nicht um diese Art von Umdeutung gehen soll, sondern um eine schönfärbende. Das berühmte halbleere oder halbvolle Glas kommt wieder auf den Tisch, und wir sind natürlich für einen grundsätzlich positiven Blick darauf. (Von wegen!)

Ein lesenswerter Artikel in der Süddeutschen (23./24. Februar) „Sire, geben Sie Begriffsfreiheit!“ Von Gustav Seibt. / ZITAT über das Framing-Denken:

Es teilt die Menschen (…) in unterschiedliche Klassen ein, in die, die das Framen aktiv und bewusst betreiben, sprachliche Vorgaben untersuchen und setzen, und in die anderen, die sich angeblich „ohne dies zu merken“ bei ihren Entscheidungen von vorrationalen Frames leiten lassen. Es soll also Grade des Wissens geben: eine kleine Gruppe von Wissenden, die Sozial- und Gefühlstechnologie betreiben, und eine bestenfalls halbbewusst dämmernde Masse, die davon bestimmt wird. Damit wird Politik zu Propaganda, zur Werbeindustrie oder zum permanenten Wahlkampf, oder sie wird zur Beute der Ängste, der Wut und des Hasses.

Dass es dies als Tendenz gibt, dass Spindoktoren und Wahlkampfmanager, Produktdesigner und Kommunikationsberater oft so denken und sich danach ausrichten, ist nicht zu bestreiten. Doch was bedeutet es für eine Demokratie und vor allem für ein Medienunternehmen, sich dies programmatisch zu eigen zu machen, und zwar auf so plumpe und menschenverachtende Weise?

ZITAT-Ende

P.S. Was ich befürchte: dass mit den schönen Fächern im Radio-Programm auch das Fachwissen verschwindet, das notwendig ist, sie zu füllen. Da hilft dem Publikum keine Kommunikation, die heute so gern von den Machern angeboten wird. Der Service dient nicht der Wahrnehmung kritischer Reaktionen, was nebenbei auch zur Verbesserung der Leistungen führen könnte. Die Selbstzufriedenheit aber darf nicht in Frage gestellt werden.

Nur ein Beispiel:

Habe ich eine Antwort bekommen oder nicht? Ich glaube gern: alle sind überlastet, das gehört ja zum System…

Nachtrag 31.03.2019

Habe ich übertrieben? Morgen ist der 1. April, und ich sehe weiterhin die Sendung „Jazz & World“ im WDR3-Spätprogramm, auch noch bewährte Namen dieser Schiene, wie Babette Michel oder Tom Daun.

Es lohnt sich zuzuhören und wachsam zu bleiben.

Zweiter Nachtrag 

Ich habe mich geirrt, habe geglaubt, online das April-Programm zu sehen; aber es funktioniert nicht, man bleibt im Märzprogramm. Wenn man weitersucht, kommt man nur auf die 4 neuen Moderator(inn)en. Die Hörzu übermittelt das krasse Faktum:

  

Auch für diese Schiene haben wir nun einen Standardtext nach der neuen PR-Praxis. Und er verspricht nicht weniger als „die ganze Bandbreite der Improvisierten Musik sowie der Musikkulturen dieser Welt“; die Bandbreite erwiese sich für mich z.B. in einem indischen Raga von mindestens 45 Minuten Länge. Das wäre mein Maßstab für Weltoffenheit und Kultur. Dazu die entsprechende Einführung, das passt doch alles spielend in diese Stunde. Sollte ich eines Tages dergleichen finden, werde ich es hier mit Staunen vermerken.

Die große Erzählung

Was heute zählt

Habe ich nicht kürzlich vom aktuellen Narrativ erzählen wollen? (Siehe hier.) Vorsichtshalber hatte ich da hinzugefügt „nur für mich“, weil ich schon ahnte, dass von anderen anderes darunter verstanden wird. Das bestätigt sich in der aktuellen Ausgabe der ZEIT (22. November), die der Musik erfreulich viel Raum gibt (hatte ich mich nicht erst kürzlich beklagt? Siehe hier.) Auch dies „nur für mich“, ich fürchte, die Subjektivierung ist meine Marotte.

 DIE ZEIT 22.11.2018 Seite 46

Oder: der im ZEIT-Artikel erwähnte Film in ganzer Länge (10:12 HIER).

Levits Narrativ wirkt bescheiden im Vergleich zu dem Spektakel, das die Deutsche Grammophon mit Daniil Trifonow aufbietet. Trifonow, Jahrhunderttalent und Senkrechtstarter, wagte sich lange nicht an die Werke Rachmaninows, aus Angst, nicht reif genug dafür zu sein. Daraus baut das Label nun ein Musikmärchen, das man kitschig finden kann, in jedem Fall hat das Marketing eine ähnlich Virtuosität und Vehemenz, wie Trifonow sie am Flügel beweist.

So liest es sich in der ZEIT, ich bin anderer Meinung. Ich kann auch nicht glauben, dass Trifonow glaubt, dass man für Rachmaninows Musik besonders reif sein muss. Technisch gewiss. Aber zumindest zum Hören genügt doch die „Reife“ eines gefühlsseligen Studenten. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ein angehender Soziologe traktierte uns damals bei jedem Treffen mit Horowitz-Aufnahmen, kannte jeden Takt und konnte bei bestimmten Stellen sogar echt brillantes Klavierspiel mit hochgereckten Armen in die Luft zeichnen. Ich hielt dagegen mit Svjatoslav Richters Einspielung des Klavierkonzerts Nr. 2, das ich in bester Absicht sogar einer Freundin schenkte, um sie vom „Blockflötengeschmack“ zu lösen. Eigentlich eine Frechheit. Aber wenn ich mich nicht irre, bot das LP-Cover schon damals eine Mondnacht in Farbe als visuelles Narrativ .

Mit filmgerechten Narrativen hat Igor Levits Angebot (abgesehen vom CD-Titel „Life“) zum Glück nichts zu tun, sein intelligentes Programm spricht für sich. Andererseits, so der Rezensent:

Es ist ein andächtiges, stilles, dunkel gefärbtes Programm, in sich gekehrt statt vorwärtsdrängend, ohne rechte Höhepunkte – und das aus einem bestürzenden Grund: Levit hat es zusammengestellt nach dem plötzlichen Tod seines besten Freundes und will jetzt das Leben feiern. Ein trotziges Album mit großer Kraft, aber eines, das den Lebensmut noch nicht vollends zurückerobert hat. Wenn man dann erfährt, dass Levit die Werke in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin auf einem neuen Steinway eingespielt hat, tut einem das doch ein wenig leid. Weil es dem Programm viel mehr genutzt als geschadet hätte, mit einem Instrument konfrontiert zu sein, das selbst auch schon etwas mehr vom Leben gesehen hat.

Ach Gott, Maria, Jesu Christ! Wenn das kein Narrativum ist!!!

Ein Blick und einige Klicks führen tiefer in Igor Levits Programm, hier etwa, und fort von den journalistischen Einstiegen, die das mutmaßliche Seelenleben der Künstler flüssig in Erzählung verwandeln. Noch flüssiger im Fall der Pianistin, die für alles selber sorgt: Booklet, Cover, Werkzusammenstellung. Ihr Narrativ ist sie selbst. Das Foto zwar kann kein Selfie sein, alles andere schon, siehe hier. O-Ton Sophie Pacini in der ZEIT:

Ich hatte eine genaue Vorstellung von dem, was ich will, und ich konnte gut argumentieren. Gerade als junger Mensch hat man oft das Image, man sei noch auf der Suche und sozusagen formbares Material. Es sind jetzt 20 Jahre, die ich Klavier spiele, das heißt, ich beschäftige mich seit 15 Jahren damit, mit meinem Instrument etwas auszudrücken. Ich weiß ganz genau, wie ich wirken will. (…)

Ich bin Perfektionistin. Ich will die Musik zu 99 Prozent durchdringen. Ich beiße mich hinein in die Werke und zerlege sie, analysiere sie, bis ich das Gefühl habe, sie haben sich ganz in mir verteilt. Sie sind mit mir eins geworden. (…)

Ich habe jahrelang Cello gespielt, ein Instrument, bei dem man den Ton mit dem Finger [?] auf der Saite formt. Dieser Ton geht in dich über, du schwingst als Ganzes. Mit der richtigen Bogentechnik kann man Farben erzeugen und Spannungsbögen, die am Klavier extrem schwer nachzuzeichnen sind. Sitze ich am Klavier, stelle ich mir immer vor, ich spanne, was ich spiele, auf einen sehr langen Bogenstrich.

Quelle DIE ZEIT 20. November 2018 „Ich weiß ganz genau, wie ich wirken will“ Die 26-jährige Pianistin Sophie Pacini stürmte mit ihrer fünften CD „In Between“ die Charts. Ein Gespräch über die Zwickmühle des Erfolgs, das Problem Mendelssohn – und die Hammerköpfe des Klaviers. (Interview: Hannah Schmidt).

Motivsammler erinnern sich an die CD „Water“ von Helene Grimaud (siehe im Blog hier oder auch auf Youtube hier). Ich weiß gar nicht, ob sich das Booklet der CD „In Between“ mit dem Bade-Foto des Covers näher befasst. Meine Assoziation wäre Ophelia, – sicher nicht im Sinne der Pianistin, der ich ein langes Leben wünsche. Möglicherweise liefert aber das andere „Narramotiv“ der Eheleute bzw. Geschwister Schumann/Mendelssohn Stoff genug; es ist allerdings in der Literatur bereits hundertfach abgearbeitet. Das neue Problem Mendelssohn, das hier behauptet wird (und sich angeblich nur mit Hilfe der Schwester Fanny hat lösen lassen), habe ich beim besten Willen nicht verstanden.

Solche personenbezogenen CD-Besprechungen sind für mich eigentlich ohne Reiz, vor allem ohne Kauf-Anreiz. Zumal ein Booklet, das keine nennenswerten Informationen zu den Werken verspricht, sondern nur vage Einschätzungen durch die Interpreten, mir nicht begehrenswert erscheint.

Korrektur: Was ich mir besorgen werde, ist die Doppel-CD mit Igor Levit.

Koinzidenz

Zufall und Fügung

 Viehbach-Holzweg

Ich erwähne des öfteren Koinzidenzen, die sich aufdrängen, und fürchte, dass ich vergesse zu betonen: ich glaube keineswegs an ihre tiefere Bedeutung. Es handelt sich um irgendwie passende gedankliche Synapsen, die helfen, dem Nachdenken eine gewisse Richtung zu geben, wie dem Unerfahrenen durch das Handlaufseil  an leichteren Hochgebirgspfaden. Dadurch werde ich noch kein Kletterkünstler wie Reinhold Messner – ich überquere gewöhnlich nur den Viehbach in Solingen-Ohligs -, hätte aber gern in Höhenluft ein ähnliches Sicherheitsgefühl. Es ist bloße Autosuggestion. Würde ich meinen täglichen Schritten oder Eingebungen nicht trauen, wäre ich schon auf dem Weg in die Stadt absturzgefährdet.

Wenn mir jemand erzählt, dass er an Zahlenhinweise glaubt (Vorsicht bei Kilometerstein xy!), so fällt mir ein, dass die Kombination 754 mir in meiner Jugend eine Zeit lang bedeutungsvoll erschien, selbst in anderer Reihenfolge (wodurch sich die Begegnungen vervielfachten), und ich registriere die entsprechenden Zahlen immer noch, um dann jedoch um so stärker zu betonen, dass ich es seit damals für groben Aberglauben halte. Genauso wie die manische Takt- und Notenzählerei bei Bach.  Sobald ich eine Zahl für bedeutungsvoll oder gar schicksalhaft erkläre, tritt sie mir überall wie von selbst entgegen – so scheint es. In Wahrheit verhalte ich mich wie ein abgerichteter Hund. Welcher Vorgesetzte war es nochmal, der „zielführendes“ Handeln anmahnte?

Wenn ich also heute die ZEIT aufschlage und den Artikel „Lob der Blase“ von Jens Jessen sofort kurzschließe mit den Texten und Figuren, die mich seit Tagen beschäftigt haben, so hat das innerlich vielleicht gar nichts zu sagen. Aber dies überprüfen zu müssen, kann bereits als hilfreicher Leitfaden dienen. Man braucht Motivationen, um kontinuierlich zu denken, auch wenn diese zunächst wie unnütze Ablenkungen wirken. Kein Wort weiter.

 Ist Josefine Günschels Idee „zielführend“?

Aktuelle Quelle DIE ZEIT 27. September 2018 Feuilleton Seite 43  Lob der Blase Für die Polarisierung der Gesellschaft wird stets den „Filterblasen“ im Netz die Schuld gegeben. Aber ist wirklich die Abschottung von anderen Meinungen das Problem? Oder ist es nicht vielmehr die ständige Sichtbarkeit der Gegner?

(JR) Ich frage: wirklich die ständige Sichtbarkeit der Gegner, oder vielleicht doch ihre Unsichtbarkeit, verstanden als Anonymität? Ihre Ungreifbarkeit? Unangreifbarkeit, geschützt auch durch das latent allgegenwärtige Gebot totaler Schein-Toleranz. Sakrosankte Meinungsfreiheit! (Auch für Teufel.)

(JR) Ist es möglich, dass es keinen Unterschied macht, anonym zu sein, ein Ameisenmensch in einer unübersehbaren Menschenmasse, oder vom Räderwerk der totalen Registrierung erfasst zu sein und als einzelnes Genom-Konstrukt aufzugehen in einer Statistik.

ZITAT

Es ist kaum zehn Jahre her, aber gefühlt eine ganze Epoche, da wurde das Internet als Instrument der Freiheit gepriesen, mehr noch: der Befreiung und Demokratisierung der Welt. Im Netz gibt es keine Zensur, Anonymität schützt seine Nutzer, die Meinungsfreiheit schien unbegrenzt und das probate Mittel zu sein, lügengestützte Diktaturen und Totalitarismen zu stürzen. Man wundert sich heute sehr, wenn man die Utopien von gestern liest.

Die Hoffnung auf Weltverbesserung durch die Netzgemeinde (man dachte sie sich im Singular und ahnte ihre destruktive Pluralität noch nicht) ist gründlich verflogen. Das Internet und seine sozialen Netzwerke sind heute ein vermintes Gelände, von Schützengräben durchzogen. Jede Bewegung und Äußerung – das Emporstrecken eines Kopfes – provoziert feindliche Artillerie. Schmutzfontänen spritzen empor wie auf den Bildern des Ersten Weltkrieges. Der Begriff des Shitstorms, der sich dafür eingebürgert hat, bezeichnet die Sache im Effekt genau.

Das ist das eine. Zum anderen habe ich den im vorigen Beitrag (hier) erwähnten Artikel von Shoshana Zuboff ausfindig gemacht und empfehle ihn in der FAZ online vollständig aufzuschlagen: hier. (Überwachungskapitalismus: „Wie wir Googles Sklaven wurden“.)

Dann wurde Christian Schwägerl erwähnt mit dem Buch „Die analoge Revolution“ (München 2014) Wenn Technik lebendig wird und die Natur mit dem Internet verschmilzt. Folgender Klappentext und Rezensionen sind bei Perlentaucher nachzulesen:

Die „digitale Revolution“ hat in jüngster Zeit ihre dunkle Seite gezeigt. Droht eine Zukunft, in der jeder Mensch lückenlos von Google und Geheimdiensten überwacht wird, in der Maschinen die Natur ersetzen und Online-Konsum die Umweltzerstörung anfacht? Christian Schwägerl beschreibt konkrete Gefahren, wenn die analoge Welt von Mensch und Natur durch die falschen Kräfte kontrolliert wird. Vor allem aber entwickelt er in diesem Buch Alternativen und eröffnet neue Perspektiven. Bei der „analogen Revolution“ geht es darum, die Macht über Daten demokratisch zu verteilen und Menschen mit der ganzen Fülle des Lebens auf der Erde zu verbinden.

Zu H.G.Wells „The Invisible Man“ siehe Wikipedia „Der Unsichtbare“ hier.

(Fortsetzung folgt)

Wie tot ist klassische Musik?

Ich weiß, dass sie lebt!

Die Frage kann aus meiner Sicht also nur rhetorisch gestellt werden.

Aber es geht offensichtlich um ihre Präsenz im Bewusstsein der Gesellschaft und um die reale Teilnahme der Gesellschaft an ihrer Präsentierung in Konzertsälen und Opernhäusern, bei Festivals und in Schulen. Welche Rolle spielt klassische Musik?

Ich benutze also die Frage, die mir nicht gleichgültig sein kann, obwohl ich persönlich heute mit mehr klassischer Musik aller Genres konfrontiert bin als zu jedem anderen Zeitpunkt meines Lebens, ausschließlich um den Stand der Diskussion zu vergegenwärtigen:

Berthold Seliger hat ein aufsehenerregendes Buch geschrieben, das ich am 4. Oktober 2017 hier vorgestellt und später noch einmal thematisiert habe (hier) ; inzwischen ist man ihm in den Medien immer wieder begegnet. Mich als Fan des Autors interessiert natürlich auch, was an Gegenargumenten gebracht wird und könnte im folgenden FAZ-Artikel ein Beispiel gefunden haben:

 nachzulesen HIER

Ein willkommener Anlass für Berthold Seliger, noch einmal ins Detail zu gehen:

10.08.2018. Fragen Sie mal Abiturienten, was eine Sonatenform ist, oder versuchen Sie, sich von diesen eine Bach-Fuge erklären zu lassen. Und Kinder aus ärmeren Haushalten haben kaum je Chancen, die klassische Musik überhaupt kennenzulernen. Es hat keinen Sinn, die Klassikkrise mit Schönungen der Statistik zu kaschieren.  Antwort auf einen Artikel des FAZ-Kritikers Jan Brachmann. –

Den ganzen Essay NEUE ZÄHLWEISE von Berthold Seliger lesen Sie HIER oder Sie gehen, wenn Sie zugleich einen Überblick über weitere Texte des Autors gewinnen möchten, direkt auf seine eigene Website: HIER.

Brand an Land, Müll im Meer

Ein Memento in der Lanz-Sendung

 Sendung HIER

Die Sendung ist weiterhin abrufbar (bis 14. November) und auch verständlich, sofern wir Ohren haben. Nur die in der Live-Sendung eingespielten Bildsequenzen fehlen. Zusätzlich an dieser Stelle nur die Chance, das Gehörte genauer zu bedenken.

Es folgt also der nach Gehör niedergeschriebene Text (noch nicht abschließend  korrigiert), d.h. in dieser Form ohne Gewähr. Ein paar Links zur Ergänzung wurden eingefügt (JR.)

Ab 4:00 [Plastik im Meer: Manilas Strände siehe hier in GEO]

Markus LANZ: Ein paar Bilder müssen wir mal so aufarbeiten, z.B. diese hier: Waldbrände in Deutschland. Haben Sie in Erinnerung, dass wir die in der Dimension schon mal gesehen haben?

Harald LESCH: Nein! Also das ist jetzt ne ganz neue Entwicklung. Wir haben ja in diesem Jahr eben ne Wettersituation gehabt, wo sehr sehr lange überhaupt kein Regen gefallen ist, was wir da sehen: gerade Ostdeutschland, Brandenburg, haben ja über Monate hinweg überhaupt keine Niederschläge gehabt. Dann passiert eben das, was passieren muss, wenn es warm ist, wenn es trocken ist: dann reicht ein Funke aus, und es muss gar kein Zigarettenraucher gewesen sein, sondern einfach nur ne Scherbe oder sowas, und dann fängt es eben an zu brennen, und wir sehen es ja eben auf der ganzen Welt, also nicht nur hier bei uns, sondern auf der Nordhalbkugel ist es enorm heiß geworden, und es ist ein Zeichen dafür, und – um es gleich in einen größeren Zusammenhang zu stellen – da unsere Atmosphäre also viel mehr Energie speichern kann. Sie kann mehr Energie speichern, weil entsprechende Gase da sind, die dieses Speicherphänomen beschleunigen, und wir sind daran beteiligt. Was wir jetzt sehen – so wie letztes Jahr wenn wir an letztes Jahr denken wollen, da gabs ne Hitzewelle, die hatte den schönen Namen „Luzifer“ (wie passend, ja, der Vorhof zur Hölle), ja, und das ist ausgelöst worden durch „Ophelia“, das war ein Sturm, ein Hurrikan, der eben diesmal nicht in Richtung der USA weggezogen sind, sondern auf die Iberische Halbinsel gezogen ist und die Iberische Halbinsel in Flammen gesetzt hat, ja, das was wir einfach erleben, ist eine hochdynamische Atmosphäre, die wir dynamisiert haben dadurch, dass wir seit rund 200 Jahren Treibhausgase emittieren wie die Weltmeister und das eben weiter und weiter beschleunigen.

LANZ Wir werden darüber noch ausführlich sprechen, was das bedeutet, dass was das für uns konkret bedeutet, was wir heute schon unternehmen, um die Folgen des Klimawandels in den Griff zu über die aber kein Mensch offensichtlich spricht (Genau, genau!)

LESCH Also gerade die Länderregierung, die Regierung der Bundesländer, müssten viel häufiger der Öffentlichkeit mitteilen, was muss jetzt bereits getan werden, um mit den Folgen des Klimawandels klarzukommen. Das betrifft die Landwirtschaft, das betrifft aber auch den Tourismus, das in vielerlei Hinsichten… (läuft das schon? Also was passiert denn da konkret?) Also da wird z.B. Wasser transportiert, es gibt Bereiche z.B. in Bayern, gibt’s Bereiche, wo das Grundwasser sehr niedrig ist, das Grundwasser kann sich ja nur erneuern, wenn es im Winter genügend Niederschläge gibt, im Sommer und im Frühling nimmt die Vegetation das Wasser auf, also es verdunstet, also wenn die Winter zu trocken werden, dann bleibt das Grundwasser niedrig, also muss Wasser dahingepumpt werden. Oder man denke nur an die Probleme, die wir im Alpenraum haben, also dass tatsächlich die Berge instabiler werden, d.h. es gibt mehr Erdrutsche, das Auftauen… das bisschen Permafrost, das es noch gibt, die Verluste an Gletscherflächen innerhalb von Deutschland hat man gerade. Was die Wasserwirtschaft betrifft, große Anstrengungen muss man unternehmen, um das einigermaßen noch in der Balance zu halten, und wenn jetzt z.B. die Bauern danach rufen: wir brauchen Unterstützung, dann kann ich eigentlich nur sagen, das ist genau bei der ganzen Diskussion über Klima sollte man eigentlich mit den Menschen sprechen, die davon leben, was aus dem Boden kommt. Das sind diejenigen, die seit Jahrzehnten ganz genau merken, wie sich das allmählich verändert, also selbst wenn man uns Wissenschaftlern gar nicht glauben würde: Glaubt den Winzern! Glaubt denjenigen, die in den Bergen leben, denjenigen, die davon leben, was da aus dem Boden herauskommt (Beifall), und das sind diejenigen, die uns eben mitteilen: das Klima hat sich dramatisch verändert, und vor allen Dingen: es hat sich sehr sehr stark beschleunigt, und wenn dann noch die entsprechende Wetterlage dazukommt – denn das muss man unterscheiden: Klima ist das über 30 Jahre ermittelte Wetter, – wenn dann noch die entsprechende Wetterlage dazukommt, dann werden die Anstrengungen, die wir von der Infrastruktur her machen müssen, auch die finanziellen Anstrengungen, die werden immer größer. Und im Grunde genommen schreibt uns jedes Jahr die Natur das Menetekel immer deutlicher und deutlicher an die Wand.

LANZ So das ist jetzt sozusagen die eine Seite, die wir grad gesehen haben, die andere Seite, die Kehrseite der Medaille, sind Bilder, wie diese hier. Unglaublich, welche Starkstromregen plötzlich aus dem Nichts kommen; ist das die andere Seite, mit der wir in Zukunft häufiger zu tun haben?

LESCH Ja klar. Das was wir da sehen… das Wort Starkregen gibts ja noch gar nicht so lange in der deutschen Sprache, das haben wir noch nicht so lange, … da lohnt es sich mit 90-Jährigen zu sprechen, und die sagen dann so Sätze wie „Das habe ja noch nie erlebt“, also die Leute mal aus ihrer Lebenserfahrung erzählen zu lassen: „Wann hast du denn das letzte Mal sowas mitgekriegt? Denn solche Ereignisse bleiben tatsächlich im Gedächtnis, es gibt ja aus den letzten Jahren noch so wunderbare Bilder… ja … ja, das sind einfach … die volle Wucht des Sturmes sozusagen, und sowas kennt man im allgemeinen eher aus so amerikanischen Twisterfilmen (Tornado!), ja, das ist doch auch mal ganz nett, wie das Wasser da so stehen bleibt, die Kanalisation es nicht mehr aufnehmen kann. Es gab im letzten Jahr mal son Film, so ein Feuerwehrwagen, der mit Blaulicht an der Kamera vorbeigerauscht ist, der hat noch versucht zu retten, aber die Flut hat ihn mitgenommen, das hat damit zu tun, dass eben diese enorme Wucht der Atmosphäre führt eben nicht nur zu langen Dürreperioden, sondern auch dazu, dass sich eben die Luftmassen sehr sehr stark mit Wasser aufladen, und dann kann ich nur sagen – braucht man kein Physikstudium für – ja, Regen ist Wasser, das von oben nach unten fällt. Ja. Und dann kann man fragen, wie kommt Wasser da oben hin? Erstens – wir wissen alle, dass es durch Verdunstung da hinkommt, aber wann verdunstet mehr Wasser? 1. wenns wärmer wird, b) es wird kälter oder c) Sie möchten jemand anrufen? Ja? Gibt ja so … Sieht man ganz klar: es wird einfach wärmer, dadurch werden auch diese Starkregenereignisse dramatischer. Und son Ereignis wie in Simbach am Inn, [Info siehe hier], das kostet den Freistaat Bayern ne halbe Milliarde, um das wieder hinzukriegen, das sind also auch enorme volkswirtschaftliche Kosten, die da (ist aber immer ein Symptom, im Grunde…) ja, wir glauben ja nicht, dass es so ist, – jetzt muss ich mal so nach links kucken, ich muss nicht mal… ich könnte irgendwohin kucken, (aber SPD ist bei links noch richtiger) ich meine jetzt: in der Politik geht es ja um Interessen, und in den Wissenschaften geht’s um Inhalte. Wenn wir also Inhalte präsentieren, und die werden von den Interessenverbänden … und die werden von den Interessenverbänden, die im politischen Raum tätig werden, nicht akzeptiert, sondern man diskutiert noch darüber, dann kann ich nur sagen: das eine ist Meinung, und das andere ist Ahnung, ja? Ahnung im Sinne von Sachkompetenz. (10:02) (Beifall) Und was wir … wenn ich mich vor meine Studenten stelle und sage: Meine Generation hats total vermasselt, dann meine ich damit, dass wirs nicht geschafft haben, im politischen Raum so stark zu werden, mit dem ökologischen Knowhow, das wir haben, dass Politik sich in Deutschland an dem orientiert, was das Schicksal derjenigen ist, die noch gar nicht da sind. Nämlich ne Ethik, ne moralische Dimension in die Politik einzubauen, die darüber spricht: wie wollen wir, dass Deutschland in 10, 20 oder 30 Jahren aussieht? Was wird mit den Kindern, was wird mit unsern Enkeln, in welchen Lebensräumen sollen da eigentlich dastehen, wir reden über Quartalsberichte in Deutschland, also über Renditeerwartungen, wir reden darüber, dass z.B. Ministerpräsidenten in Deutschland sagen: „Kohle? Aus der Kohle kommen wir vor 2045 nicht raus!“ Dabei geht es um 20.000 Arbeitsplätze, in der Erneuerbaren arbeiten 380.000 Menschen. Das heißt: die Dimensionen, der Art und Weise, wie wir mit dem Klimawandel umgehen müssen, was die Energiewende z.B. betrifft, die haben wir politisch in keiner Weise wirklich verstanden. Es gibt zwar Parteien, die sich dem ökologischen Thema zugewandt haben, aber die großen Volksparteien haben, was das betrifft, meiner Ansicht nach total versagt (wenn sie …), sonst sähe die Bundesrepublik ganz anders aus. (Beifall)

LANZ Wenn Sie so sagen „Volksparteien“ (lacht mit Blick auf Lars Klingbeil), meinen Sie auch noch die SPD, nehme ich an…

LESCH: die Sozialdemokraten genau so wie die CDU und CSU, ja. Mir geht es ehrlich gesagt so etwas auf die Nerven: wir haben seit Ewigkeiten das Thema Klimawandel auf der Agenda (seit wann, Herr Lesch, ist es eigentlich von dem wir sagen, das müssten führende Politiker … und ich bin immer wieder überrascht, was Leute auch wie Sie auf dem Radar haben. Also Ihr wisst wirklich ne Menge, bis ins letzte Detail hinein, ab wann konnte man das eigentlich wissen, global betrachtet, dass da irgendwas in Bewegung geraten ist, 70er Jahre?)

LESCH Also es gibt eine interessante Geschichte: die Münchner Rückversicherung hat 1972 zum erstenmal in einem kleinen Zeitungsartikel auf die Risiken des Klimawandels hingewiesen. Und auch da kann ich nur immer wieder sagen: Wenn Sie uns Wissenschaftlern nicht glauben, – vielleicht glauben Sie den Unternehmen, die Geld verdienen damit, dass eben solche Risiken für die eine große Bedeutung haben, (1972 war das…) 1972, also kurz nach dem Club-of-Rome-Bericht (also; Grenzen des Wachstums, dieser berühmte Bericht) genau! und dann fing die Münchner Rück an und hat also ne Geo-Risikoabteilung gegründet, – wo also die Risiken abgeschätzt wurden… ist ja klar, ne Versicherungsgesellschaft hat n großes Interesse daran.[Info siehe hier] Risiko im Sinne einer Zukunft, die nicht stattfinden soll. Das ist eine Risiko, das ich vermeiden will. Das heißt, dann haben die angefangen, das eben zu sammeln, das ist eine der tollsten Datenbanken für Naturkatastrophen, unheimlich toll, und seitdem ist es alo immer und immer wieder in der Agenda, und man kann dann in der Historie der Klimaforschung kann man sehen: Am Anfang wurde noch gefordert, na so genau wisst ihr das ja noch gar nicht! Da warens nur 75 Prozent Wahrscheinlichkeit, dann warens 95, dann hieß es, ja das sind ja immer noch 5 Prozent, die Politik hat eigentlich, obwohl die Lücken immer kleiner und kleiner wurden, einfach nicht hinreichend schnell reagiert. Ich würde mal gern das Gedankenexperiment nur mal anreißen: was wäre eigentlich gewesen, wenn die Bundesrepublik Deutschland sich 1955 statt für die Kernkraft für die Windkraft entschieden hätte? Denn Wind, das ist keine wissenschaftliche Erkenntnis, gab es schon, bevor es die Windräder gab, ja? Das ist also schon sehr lange in der menschlichen Geschichte da, und man hätte sich sehr wohl überlegen könne, eine Technologie zu entwickeln, die mit dieser ganz einfachen Art und Weise Energie verteilt. Stattdessen haben wir uns bei der Kernkraft völlig verhoben, denn – das habe ich meinen Studenten übrigens auch gesagt – ihr werdet zweistellige und möglicherweise noch weit höhere Milliardenbeträge dareinsetzen, denn wir bieten euch kein Endlager an, wir haben noch keins, ihr werdet es mit der Asse möglicherweise mit einem Lager zu tun haben, da werdet ihr 15 Milliarden reinstecken müssen, um den ganzen Dreck wieder an die Oberfläche zu holen [Info siehe hier]. Das heißt: das ist ja auch ne Sackgassentechnologie gewesen, die von vornherein, nicht einen Moment mal wirklich drüber nachgedacht hat, wohin mit den strahlenden Abfällen! (Warum eigentlich nicht!?) Und das kann ich nicht verstehen!

 Harald Lesch s.a. Wikipedia hier

Tja, das fragen Sie mal die Herrschaften von damals… die sich ja offenbar ne große Sicherung des Energiebedarfs der Bundesrepublik versprochen haben durch die Kernkraftwerke, und die Volksparteien waren alle sehr beteiligt daran, die Kernkraft in Deutschland auszubauen, aber was das Endlager betrifft, da sind ja zum Teil haarsträubende Entscheidungen gefallen. (Bevor wir gleich über das Politische weitersprechen, rein zur physikalischen, – der Hobbyphysiker in mir stellt sich grad eine wahrscheinlich verwegene Frage: wenn wir Wind benutzen, um Energie herzustellen, gibt’s irgendwann den Punk, an dem Schluss ist?)

LESCH Die erneuerbaren Energien sind keine unerschöpflichen. Die erneuerbaren Energien sind ja alle Energien, die letztendlich damit zu tun haben, dass der Planet Erde sich unter der Sonne dreht, und da kann man sich natürlich die Frage stellen, wenn wir weiter 4 Prozent Steigerung habe, wann wäre denn der Zeitpunkt, wo wir den gesamten Planeten Erde mit Photovoltaik bekachelt hätten? Ja? Wie lange wird es dauern? 823 Jahre. Ja, dann wärs erledigt. Ja, wir sind … in wenigen Jahrhunderten hätten wir das Maximum der Erneuerbaren erreicht… (Und wie ist es mit Wind? Hört der irgendwann auf?) Na klar, wenn wir richtig viel Windpower, na da sind wir noch weit entfernt, wenn wir richtig viel Windpower da reinstecken, dann würden wir auch die atmosphärischen Strömungen verändern, und das ist ja im übrigen (und irgendwann kommt der Wind zum Stillstand) …kommt nicht zum Stillstand, aber nehmen dann soviel Energie raus, dass die Windströmung sich auf der Erde nennenswert verändern werden. (So, diese Windströmungen, über die wir grade sprechen, da gibt’s ja diese berühmten Jetstreams, das sich ja diese starken – atmosphärischen – Strömungen hoch oben in der Luft, die uns sozusagen helfen, sehr schnell von Amerika Richtung Europa zu fliegen, ) ja… (BILDER ?) diese Erwärmung über dem Äquator, d.h. die Ludtströmungen fließen nach Norden und Süden ab, und dann gibt es eben oben in der Arktis dieses große Windsystem, das sind die Jetstreams, und die werden, natürlich auch angetrieben durch den großen Temperaturunterschied zwischen der Arktis und der Umgebung und jde geringer dieser Temperaturunterschied ist, um so langsamer werden diese Windströme. Jeder der zu Hause im Garten, ,an kann das mit dem Gartenschlauch austesten: wenn der Wasserstrahl sehr schnell ist, dann ist der ziemlich schwierig in Schwingung zu setzen, wenn der aber langsam ist, dann braucht man den nur son bisschen zu bewegen, und genau das passiert bei den Jetstreams eben aktuell auch: Je wärmer die Arktis wird, um so geringer sind die Temperaturunterschiede zwischen Arktis und Nichtarktis, die Jetstreams werden langsamer, werden instabiler, das Resultat kann man sehen, sowohl an Starkregenereignissen als auch an solchen Perioden (die dann so lange dauern) die dann so lange dauern, die Strömungen werden nicht schnell genug weggeschoben sozusagen, und es bleibt so lange bei der Wetterlage, die dann so katastrophal endet, wie wir das in diesem Sommer hatten.

LANZ: Interessant. (16:43) Claudia Kade, warum tut sich Politik da so schwer? Das wäre doch eigentlich ne Riesenchance für die SPD etc.

*   *   *

Meldung von HEUTE, 16.08.2018

Wie Deutschland sein Klimaziel noch erreichen kann

Die neue Fraunhofer-Studie HIER

Noch etwas zur Öko-Hoffnung: Vortrag von Dr. Michael Kopatz „Ökoroutine – Damit wir tun, was wir für richtig halten“,  gehalten am 09. Februar 2017 im Rahmen des Münchner Forum Nachhaltigkeit.

Wer lieber liest als hört, kann das zum gleichen Thema  hier tun (ZEIT online).

Und weiter in DIE ZEIT am 23. August 2018

 Über die Autorin Petra Pinzler hier.

Sehr lesenswert auch der andere (große) Artikel. Zitat:

Die Hoffnung auf die Politik hat Berthold inzwischen aufgegeben. „In der Landwirtschaft lässt sich das Rad nicht zurückdrehen. Die gesellschaftlichen Strukturen lassen das nicht zu“, glaubt er. „Ändern würde sich nur etwas durch eine Art Mais-Aids oder die Afrikanische Schweinepest oder eine Geflügelseuche oder am besten alles drei.“ Darauf wartet Peter Berthold. Auf den großen Knall.

Bis der kommt, engagiert er sich selbst.

Quelle DIE ZEIT 23. August 2018 Seite 6 POLITIK Tschüss, Lerche Heimatverlust: In Deutschland gibt es kaum noch Feldlerchen. Wer den Vogel retten will – und wie die Politik das verhindert / Von Merlind Theile /

Über Peter Berthold: Wikipedia hier.

(Fortsetzung folgt – z.B. hier)

Baum Gehirn Musik

Ein Titel als Tentakel

Ich will diesen Film festhalten (wie früher die Bücher über Bäume), abrufbar bis 1.9.2018, jetzt wieder neu bis Juli 2020 —- meine eilige Suche hat neue Links ergeben, oder immer denselben???? s.u.!

https://www.arte.tv/de/videos/065298-001-F/ein-traum-von-baum/ ODER HIER

Korrektur 21.06.2020 die Artefilme jetzt HIER, derselbe HIER, Hier und HIER !!!! oder HIER  

Wikipedia zu Araukarien HIER  /  Wikipedia zur Chilenischen Araukaria Hier

Wikipedia über den Afrikanischen Affenbrotbaum (Baobab) Hier

Über Flughunde als Baobab-Blüten-Bestäuber im Film bei etwa 30:00

Über Animismus und die Griots ab 42:00

In einer Talkshow gestern hörte ich einen betagten Gast über Kindererziehung reden: „…auf jeden Fall soll das Kind Klavier lernen. Das ist gut fürs Gehirn.“ Ich will seinen Namen nicht nennen, es geht nicht um das Persönliche, sondern um den in der Gesellschaft verbreiteten Schwachsinn: wesentlich ist nicht die musikalische Substanz, man wirbt halt nicht mit Kunst, Intensität, Vielfalt, Perspektive, sondern mit Nützlichkeit. Nützlich wofür??? Für irgendwas, an dem auch Gehirn beteiligt ist. Etwas Komplexes zu handhaben oder auseinanderzupflücken. Mit Messer und Gabel essen, per Smartphone einen ganzen Freundeskreis zuzutexten. Es geht nicht um Deutung, um Weltverständnis. Das Innenleben eines Baumriesen jedenfalls hat mit Gehirn im utilitaristischen Sinn nichts zu tun. So wenig wie eine Fuge von Bach mit der akustischen Tapete der Filmmusik, die zur Untermalung von Naturfilmen geschaffen wird.

Der Organismus ist nur die Erfindung einer neuen Möglichkeit, sich mit der Welt zu mischen und es der Welt zu erlauben, sich im Inneren zu mischen. Atmen bedeutet hier unten [in der Umwelt der Wurzeln], sich einen tentakulären Körper zu geben, der sich dort einen Weg bahnen kann, wo er von Gestein versperrt ist, Fortsätze und Arme zu mehren, um so viel Erde wie möglich zu umfassen, sich ihr auszusetzen wie das Blatt dem Himmel.

Quelle Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt (Hanser 2016, Seite 111f)

Vier Baumbücher. So könnte es ewig weitergehen. Bis hierher etwa:

Aber ist es nicht still geworden um diese Pflanzen- oder Baum-Philosophie? Gewiss, es hat ja auch mit Stille zu tun und nicht mit dem Markt der Moden. Nicht einmal mit Förster Wohlleben.

Zitat Fernsehsender ARTE:

Altehrwürdige Bäume, die Leben spenden – die Chilenische Araukarie und der Afrikanische Affenbrotbaum haben eines gemeinsam: Sie sind Teil einer jahrtausendealten Kultur und spielen in den lokalen Traditionen eine wichtige Rolle. Als Refugium für mystische Wesen oder Verkörperung von Geistern sind sie eng mit der animistischen Auffassung von Natur verbunden.

Die Araukarie wächst schon seit Millionen Jahren an den Ausläufern der chilenischen Anden. Die Dokumentation führt in den Nationalpark Villarrica nahe der kleinen Ortschaft Curarrehue. Ihren Spitznamen „Monkey Puzzle Tree“ verdankt die Araukarie dem Kommentar eines Engländers um 1800, der meinte, diesen Baum mit seinen dolchartigen Blättern zu erklimmen, sei selbst für einen Affen eine kaum lösbare Aufgabe. Die Früchte des Baums, die Piñones, sind essbar. Die einheimischen Indiovölker, insbesondere der Mapuche-Stamm der Pehuenche, deren Bezeichnung sich vom Namen des Baumes herleitet, haben durch Ernte und Lagerung dieser Früchte als ihrem praktisch alleinigen Nahrungsmittel die rauen Winter in den Bergen überlebt.
Im Senegal, südlich von Dakar, in einem kleinen Dorf namens Nianing, hat der Affenbrotbaum die Bewohner und ihre Kultur geprägt. Früher dienten die heiligen Bäume mit ihren kegelförmigen Stämmen dazu, die Griots, die traditionellen Geschichtenerzähler, in ihnen zu bestatten. Heute finden zahlreiche Tiere in dem kleinen Ökosystem des ausladenden Baumes Unterschlupf; die Dorfbewohner finden unter den schattigen Baobabs einen Ort der Geselligkeit. Die besondere Aura, die von den bis zu 600 Jahre alten Bäumen auszugehen scheint, hat sie bis heute vor der Rodung bewahrt.
Die Chilenische Araukarie und der Afrikanische Affenbrotbaum spielen in den lokalen Traditionen seit Jahrtausenden eine wichtige Rolle: Als Refugium für mystische Wesen oder Verkörperung von Geistern sind sie eng mit der animistischen Auffassung der Natur und dem Ahnenkult der indigenen Völker verbunden.

Emanuele Coccia:

Bereits Platon verglich unseren Kopf mit einer „Wurzel“: Der Mensch, so schreibt er, sei „ein Gewächs, das nicht in der Erde, sondern im Himmel wurzelt“, die Wurzeln nach oben, eine Art umgekehrte Pflanze. Die kanonisch gewordene Version aber lieferte Aristoteles in seiner Abhandlung De anima: „Oben und Unten sind ja bei allen Wesen und beim Weltall nicht dasselbe, sondern was der Kopf der Lebewesen, das sind die Wurzeln der Pflanzen, wenn man doch die Organe als verschiedene oder gleiche nach ihren Leistungen bezeichnen muß.“

Quelle Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt (Hanser 2016 Seite 102)

Die Welt als Eintauchen zu betrachten, wirkt wie ein surreales kosmologisches Modell, und doch machen wie diese Erfahrungen häufiger, als man meinen möchte. So erfahren wir die Welt des Fischs zum Beispiel jedes Mal, wenn wir Musik hören. Wenn wir das Universum, das uns umgibt, nicht ausgehend von dem Stück Wirklichkeit konstruieren, zu dem der Sehsinn uns Zugang gibt, sondern die Struktur der Welt von unserer Erfahrung ableiten, dann müssen wir die Welt als etwas beschreiben, das nicht aus Objekten besteht, sondern aus Strömungen, die uns durchdringen, aus Wellen unterschiedlicher Intensität und in ständiger Bewegung.

Stellen Sie sich vor. Sie sind aus derselben Substanz gemacht wie die Welt, die Sie umgibt. Sie sind von derselben Natur wie die Musik, eine Folge von Luftschwingungen, so wie eine Qualle nur eine Verdichtung des Wassers ist. Damit hätten Sie ein sehr präzises Bild von dem, was Eintauchen wirklich ist.

Quelle Emanuele Coccia a.a.O. Seite 49f

Bleibt nur noch, den Film von der qualligen Musik zu abstrahieren, die ihn unterläuft, und – den Sehsinn sowie einen vernünftigen Text samt menschlichem Gehirn musikalisch zu nobilitieren.

https://www.arte.tv/de/videos/065298-005-F/ein-traum-von-baum/  HIER

https://www.arte.tv/de/videos/065298-004-F/ein-traum-von-baum/ HIER

https://www.arte.tv/de/videos/065298-003-F/ein-traum-von-baum/ HIER

https://www.arte.tv/de/videos/065298-002-F/ein-traum-von-baum/ HIER

Von all diesen Filmen hatte ich vor 10 Jahren noch nicht den geringsten Schimmer. Andererseits: Neigte ich nicht immer schon dazu, mich selbstbewusst dem mächtigsten verfügbaren Baum zu assimilieren, wie vor genau 10 Jahren auf Teneriffa? Nein, es war nur dem Übermut geschuldet, eine urlaubsbedingte Pose. Heute fühle ich mich eher wie das Röhricht oder der Strandhafer. (Aber auch das ist nicht wahr!)

Der Tiefpunkt im eigenen Garten Dezember 2017

(Fotos: E.Reichow)

Musik der Gegenwart

Wie immer in völlig neuen Perspektiven!

Und falls man darüber weiter nachdenken will: Essays Essays Essays

 

Nach 10 Jahren erkenne ich mich (2008) kaum noch selbst, ich bin in jedem Punkt Leser:

Das vollständige Inhaltsverzeichnis des Buches mit allen Autoren findet man hier!

Also beim Wolke Verlag, dort unterste Zeile anklicken! (Der folgende Screenshot nur als Schmuckbild: die unterste Zeile „content/Inhaltsübersicht“ funktioniert also erst im Original, wie hier und dort angegeben.)

 Screenshot der Web-Seite

Wichtig ist mir, in Erinnerung zu rufen, dass ich damals das Thema LINIE vor Augen hatte, das Harry Vogt für den 40. Jahrestag der „Wittener Tage für neue Kammermusik“ ausgerufen hatte. Wir haben ja oft, Raum an Raum im Carlton-WDR-Bürohaus, freundschaftlich miteinander Gedanken ausgetauscht, ich habe auch nicht selten seine Musikpassagen moderiert und dabei viel Neues gelernt. (Er gehörte mit Werner Fuhr und Frank Hilberg zu meinen liebsten Kollegen.) Hier Harry Vogts Vorwort für Witten 2008:

Es wäre an der Zeit, einmal die ganze Wittener Reihe zu ordnen und zu sichten, eine gewaltige Fundgrube des Denkens über Musik, nicht nur über die in Witten gebotene „Kammermusik“. Ach du lieber WDR, wo wirbst du mit deinen Riesenprojekten? Wer weiß davon? Und wo ist die weite bunte Welt der ältesten, der immer noch und ebenfalls weiterhin neuen Musikkulturen geblieben?

Die Rolle des Wortes über Musik in der MUSIK! Die Rolle der Wort-Musik-Sendungen im Rundfunk. Ist es Zufall, dass in dem aktuellen Heft Musik & Ästhetik die lesenswerte Besprechung eines lesenswerten Buches über Programmhefte zu lesen ist?

 Musik & Ästhetik Heft 87 Juli 2018

WDR 3 am Sonntagmorgen

Notiz beim Frühstück

Geistliche Musik, sehr inhaltsreiche Ansage zur Bach-Kantate BWV 107. Die Sendung – die Tatsache, dass dieses Programm existiert und überhaupt eine Bach-Kantate gesendet wird – ist mir viel wert. Aber durchaus nicht, weil ich fromm bin, sondern weil diese Musik mich seit meinem sagen wir 12. Lebensjahr interessiert. Ich will auch das, was eben erzählt wurde, nachvollziehen.

Ich suche auf dem Smartphone den Wikipedia-Text (es verzögert sich, weil ich eingebe „Was betrübst du dich, meine Seele“ statt „Was willst du dich betrüben“) und finde schließlich nicht nur den korrekten Titel, sondern auch genau dieselbe Aufnahme (mit Herreweghe). Ich gehe zum Computer, um das ganze Umfeld (Pergolesi z.B.) im WDR3-Programm zu sehen, da unsere Hörzu mal wieder kein Radioprogramm enthält. Es dauert erstaunlich lange, ehe ich im WDR-Internet die richtige (WDR3!) Seite finde. Und dort fesselt mich als erstes das Orgelpfeifen-Outfit, dann aber gleich das fettgedruckte distanzlose Motto. Unglaublich, ist das ernst gemeint, ironisch oder herablassend? Für mich als Hörer ist das gewiss nicht ersonnen. Aber für wen denn – um Gottes willen?!!! Dergleichen denkt sich keine Musikredaktion aus, das kann nur jemand erfinden, der mit solcher Musik nichts zu tun hat, jedoch glaubt, ein entsprechendes Publikum einschätzen und ansprechen zu können. Vermutlich ein Marketing-Unternehmen von außerhalb.

Zuerst bekommt die Seele ihren Balsam – und dann kann der Sonntag beginnen! Die Geistliche Musik auf WDR 3 lässt die Widrigkeiten des Alltags vergessen und lenkt den Blick auf Höheres und Überzeitliches.

Unglaublich. Abgesehen vom Kitschgeschmack, der sich hier mühsam zu maskieren sucht: es klingt auch wie eine Entschuldigung. Der Sonntag beginnt erst nach der (Ein-) Balsamierung der Gläubigen. Danach kann man die Seele baumeln lassen, die Augen nach oben drehen. Mit dem Leben hat diese Musik nichts zu tun. Man stelle sich nur lebhaft den Blick der Leute vor, wenn er sich auf Höheres und Überzeitliches richtet, vielleicht so ähnlich wie den Blick der heiligen Theresa von Bernini. Das schreit nach schonungsloser Aufklärung, nein, nach verschärfter Psycho-Analyse. Natürlich interessiert uns immer, was ausgewiesenen Laien so einfällt, wenn sie sich zu Alter Musik oder allgemein zur Klassik äußern. Man kann sie ja nur für diese an sich indiskutable Musik gewinnen, wenn man weiß, „wo sie abgeholt werden müssen“. Aber ist es deshalb erlaubt, dass sich der Bock zum Gärtner macht?

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Joh. Seb. Bach Was willst du dich betrüben BWV 107 Wikipedia HIER.

Eine ganz andere Geschichte ist es übrigens, wenn man tatsächlich wagt, einen „Bock“, der guten Willens und eines ehrlichen Wortes mächtig ist, herbeizubitten und zu ermutigen, alles zu sagen, was er Bach beim Kantatenschreiben an Absichten und Hemmnissen unterstellt. Und all dies in einem möglichst lockeren Ton, den viele Leute (Geistliche-Musik-Konsumenten) vielleicht gar nicht so witzig finden, aber zumindest herrlich gewagt. Was dem verstaubten Image des sehr alten Meisters doch nicht ernsthaft schaden kann.

Vielleicht zeigt sich daran, welcher Überdruss den heutigen Kabarettschreiber anficht, der zielsicher das Vergnügen anderer berechnen muss. Immer wieder. Da ist es ihm recht, dem eigenen Widerstreben nun gutwillig – vermutlich gegen Honorar – entgegenzuwirken.

Das Erstaunlichste jedoch, welche Wirkung, unabhängig von allen Worten, die Wiederholung der Bachschen Melodiephrasen entfaltet. Es ist genau das, was man in jeder guten Musik beobachten kann. Beim ersten Mal verfehlt der Hörer fast alles; er weiß vor Überfülle nicht, was er greifen soll und begreift fast gar nichts.

Und dieser Nebeneffekt, in allem Geschwätz doch eine Unmenge von motivischen Strohhalmen gereicht zu bekommen, ist auch hier greifbar und bleibt, wenn der süffisante, scheinbar faktenreiche Text längst vergessen ist.

ZITAT Original-Pressetext

Nicht erst bei Cindy & Bert heißt es „Immer wieder sonntags“, sondern bereits zweieinhalb Jahrhunderte zuvor beim Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach. Dann nämlich steht in aller Regel eine neue Kantate für den Gottesdienst an. Manchmal vertonte Bach aber auch weltliche Texte wie im Falle von „Ich bin in mir vergnügt“. Sehr zur Freude von Autor Martin Zingsheim…

Zum Nachhören HIER.