Schlagwort-Archive: Histoires d’arbres (10 Folgen)

Baum Gehirn Musik

Ein Titel als Tentakel

Ich will diesen Film festhalten (wie früher die Bücher über Bäume), abrufbar bis 1.9.2018, jetzt wieder neu bis Juli 2020 —- meine eilige Suche hat neue Links ergeben, oder immer denselben???? s.u.!

https://www.arte.tv/de/videos/065298-001-F/ein-traum-von-baum/ ODER HIER

Korrektur 21.06.2020 die Artefilme jetzt HIER, derselbe HIER, Hier und HIER !!!! oder HIER  

Wikipedia zu Araukarien HIER  /  Wikipedia zur Chilenischen Araukaria Hier

Wikipedia über den Afrikanischen Affenbrotbaum (Baobab) Hier

Über Flughunde als Baobab-Blüten-Bestäuber im Film bei etwa 30:00

Über Animismus und die Griots ab 42:00

In einer Talkshow gestern hörte ich einen betagten Gast über Kindererziehung reden: „…auf jeden Fall soll das Kind Klavier lernen. Das ist gut fürs Gehirn.“ Ich will seinen Namen nicht nennen, es geht nicht um das Persönliche, sondern um den in der Gesellschaft verbreiteten Schwachsinn: wesentlich ist nicht die musikalische Substanz, man wirbt halt nicht mit Kunst, Intensität, Vielfalt, Perspektive, sondern mit Nützlichkeit. Nützlich wofür??? Für irgendwas, an dem auch Gehirn beteiligt ist. Etwas Komplexes zu handhaben oder auseinanderzupflücken. Mit Messer und Gabel essen, per Smartphone einen ganzen Freundeskreis zuzutexten. Es geht nicht um Deutung, um Weltverständnis. Das Innenleben eines Baumriesen jedenfalls hat mit Gehirn im utilitaristischen Sinn nichts zu tun. So wenig wie eine Fuge von Bach mit der akustischen Tapete der Filmmusik, die zur Untermalung von Naturfilmen geschaffen wird.

Der Organismus ist nur die Erfindung einer neuen Möglichkeit, sich mit der Welt zu mischen und es der Welt zu erlauben, sich im Inneren zu mischen. Atmen bedeutet hier unten [in der Umwelt der Wurzeln], sich einen tentakulären Körper zu geben, der sich dort einen Weg bahnen kann, wo er von Gestein versperrt ist, Fortsätze und Arme zu mehren, um so viel Erde wie möglich zu umfassen, sich ihr auszusetzen wie das Blatt dem Himmel.

Quelle Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt (Hanser 2016, Seite 111f)

Vier Baumbücher. So könnte es ewig weitergehen. Bis hierher etwa:

Aber ist es nicht still geworden um diese Pflanzen- oder Baum-Philosophie? Gewiss, es hat ja auch mit Stille zu tun und nicht mit dem Markt der Moden. Nicht einmal mit Förster Wohlleben.

Zitat Fernsehsender ARTE:

Altehrwürdige Bäume, die Leben spenden – die Chilenische Araukarie und der Afrikanische Affenbrotbaum haben eines gemeinsam: Sie sind Teil einer jahrtausendealten Kultur und spielen in den lokalen Traditionen eine wichtige Rolle. Als Refugium für mystische Wesen oder Verkörperung von Geistern sind sie eng mit der animistischen Auffassung von Natur verbunden.

Die Araukarie wächst schon seit Millionen Jahren an den Ausläufern der chilenischen Anden. Die Dokumentation führt in den Nationalpark Villarrica nahe der kleinen Ortschaft Curarrehue. Ihren Spitznamen „Monkey Puzzle Tree“ verdankt die Araukarie dem Kommentar eines Engländers um 1800, der meinte, diesen Baum mit seinen dolchartigen Blättern zu erklimmen, sei selbst für einen Affen eine kaum lösbare Aufgabe. Die Früchte des Baums, die Piñones, sind essbar. Die einheimischen Indiovölker, insbesondere der Mapuche-Stamm der Pehuenche, deren Bezeichnung sich vom Namen des Baumes herleitet, haben durch Ernte und Lagerung dieser Früchte als ihrem praktisch alleinigen Nahrungsmittel die rauen Winter in den Bergen überlebt.
Im Senegal, südlich von Dakar, in einem kleinen Dorf namens Nianing, hat der Affenbrotbaum die Bewohner und ihre Kultur geprägt. Früher dienten die heiligen Bäume mit ihren kegelförmigen Stämmen dazu, die Griots, die traditionellen Geschichtenerzähler, in ihnen zu bestatten. Heute finden zahlreiche Tiere in dem kleinen Ökosystem des ausladenden Baumes Unterschlupf; die Dorfbewohner finden unter den schattigen Baobabs einen Ort der Geselligkeit. Die besondere Aura, die von den bis zu 600 Jahre alten Bäumen auszugehen scheint, hat sie bis heute vor der Rodung bewahrt.
Die Chilenische Araukarie und der Afrikanische Affenbrotbaum spielen in den lokalen Traditionen seit Jahrtausenden eine wichtige Rolle: Als Refugium für mystische Wesen oder Verkörperung von Geistern sind sie eng mit der animistischen Auffassung der Natur und dem Ahnenkult der indigenen Völker verbunden.

Emanuele Coccia:

Bereits Platon verglich unseren Kopf mit einer „Wurzel“: Der Mensch, so schreibt er, sei „ein Gewächs, das nicht in der Erde, sondern im Himmel wurzelt“, die Wurzeln nach oben, eine Art umgekehrte Pflanze. Die kanonisch gewordene Version aber lieferte Aristoteles in seiner Abhandlung De anima: „Oben und Unten sind ja bei allen Wesen und beim Weltall nicht dasselbe, sondern was der Kopf der Lebewesen, das sind die Wurzeln der Pflanzen, wenn man doch die Organe als verschiedene oder gleiche nach ihren Leistungen bezeichnen muß.“

Quelle Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt (Hanser 2016 Seite 102)

Die Welt als Eintauchen zu betrachten, wirkt wie ein surreales kosmologisches Modell, und doch machen wie diese Erfahrungen häufiger, als man meinen möchte. So erfahren wir die Welt des Fischs zum Beispiel jedes Mal, wenn wir Musik hören. Wenn wir das Universum, das uns umgibt, nicht ausgehend von dem Stück Wirklichkeit konstruieren, zu dem der Sehsinn uns Zugang gibt, sondern die Struktur der Welt von unserer Erfahrung ableiten, dann müssen wir die Welt als etwas beschreiben, das nicht aus Objekten besteht, sondern aus Strömungen, die uns durchdringen, aus Wellen unterschiedlicher Intensität und in ständiger Bewegung.

Stellen Sie sich vor. Sie sind aus derselben Substanz gemacht wie die Welt, die Sie umgibt. Sie sind von derselben Natur wie die Musik, eine Folge von Luftschwingungen, so wie eine Qualle nur eine Verdichtung des Wassers ist. Damit hätten Sie ein sehr präzises Bild von dem, was Eintauchen wirklich ist.

Quelle Emanuele Coccia a.a.O. Seite 49f

Bleibt nur noch, den Film von der qualligen Musik zu abstrahieren, die ihn unterläuft, und – den Sehsinn sowie einen vernünftigen Text samt menschlichem Gehirn musikalisch zu nobilitieren.

https://www.arte.tv/de/videos/065298-005-F/ein-traum-von-baum/  HIER

https://www.arte.tv/de/videos/065298-004-F/ein-traum-von-baum/ HIER

https://www.arte.tv/de/videos/065298-003-F/ein-traum-von-baum/ HIER

https://www.arte.tv/de/videos/065298-002-F/ein-traum-von-baum/ HIER

Von all diesen Filmen hatte ich vor 10 Jahren noch nicht den geringsten Schimmer. Andererseits: Neigte ich nicht immer schon dazu, mich selbstbewusst dem mächtigsten verfügbaren Baum zu assimilieren, wie vor genau 10 Jahren auf Teneriffa? Nein, es war nur dem Übermut geschuldet, eine urlaubsbedingte Pose. Heute fühle ich mich eher wie das Röhricht oder der Strandhafer. (Aber auch das ist nicht wahr!)

Der Tiefpunkt im eigenen Garten Dezember 2017

(Fotos: E.Reichow)