Archiv für den Monat: Juni 2015

Unruhe (in Erwartung eines Buches)

Glücklicherweise ist der erwartete Lesestoff schon eingetroffen (vgl. hier). Zudem ist morgen Quartett-Probe, so ist mein Tag eigentlich mit Üben ausgefüllt, Schuberts letztes Streichquartett G-dur steht noch einmal an (den ersten Satz  könnten Sie hier in einer phantastischen Aufnahme hören, leider nur den ersten), und Schuberts ewiges Thema der Wanderschaft passt nicht schlecht zu dem Buch von Konersmann. Ich erinnere mich auch, dass mein Lehrer Franzjosef Maier, Konzertmeister des Collegium Aureum, bei der Einstudierung der großen G-moll-Sinfonie von Mozart auf das Wort wies, das er sich in Großbuchstaben über den ersten Satz geschrieben hatte: „UNRAST“. Das ist nicht nur eine flüchtige Stimmung, die sich mit dem langsamen Satz auflöst, im Gegenteil, – wohin geht denn die Reise im letzten Satz?

Neu wäre, dass man diese Haltung nicht als Ausnahme ansieht (Mozart in der Maske des Tragikers, schon die Krönung der Jupiter-Sinfonie ins Auge fassend), sondern durchaus als eigenes großes Paradigma des abendländischen Menschen.

Aber keine falschen Hoffnungen: das Register des neuen Buches zeigt keinen einzigen Eintrag zur Musik, geschweige denn zu Mozart oder Schubert. Diese Umdeutung bleibt uns selbst überlassen, – wenn es denn sein soll.

Konersmann Unruhe

(Fortsetzung folgt)

Achtung! Kein Missverständnis bitte! (Unruhe, Dynamik, Wechsel um jeden Preis? Im Gegenteil.)

ZITAT (Matthias Burchardt )

Aufschlussreich ist hier vor allem ein Dokument, das man als eine Art Leitfaden von offizieller Stelle entnehmen kann, wie man zögerliche oder widerspenstige Kollegien im Kanton Thurgau auf die Linie des „Lehrplan“ 21 bringen will.

Als erster Schritt der Auftau-Phase wird dabei angeraten, den Leidensdruck unter den Lehrern zu erhöhen – „Ziele so anspruchsvoll setzen, dass sie mit bisherigem Verhalten nicht erreicht werden können.“ – und „Das ‚Schön-Wetter-Gerede‘ (zu) unterbinden (Alles ist doch bestens …)“. Dann soll ein neues Führungsteam entwickelt und installiert werden, eine Koalition der Willigen, wenn man so will: „Zusammenstellen einer Koalition, die den Wandel verwirklichen kann. Die richtigen Leute auswählen, die richtigen Leute für die Zukunft (nicht der Vergangenheit).“ Und in dieser Dynamik aus Druck und Propaganda wird als Zielsetzung ausgegeben: „Lehrerinnen und Lehrer begeistern sich für den Lehrplan 21 und setzen ihn um“, wobei als Konfliktpotential ausgewiesen wird: „Die über 50-jährigen Lehrpersonen gewöhnen sich an nichts Neues.“ Als wäre die Transformation einer Schulkultur eine Sache von Gewöhnung und nicht des politischen Diskurses, der niemanden ausschließen darf.

Die skizzierten Strategien der Organisationsentwicklung durch Change Management dürften vielen Lehrern und Hochschulkollegen bekannt vorkommen. Insbesondere bei der Durchsetzung des Bologna-Prozesses sind auf diese Weise vielfältig Strukturen, Prozeduren und Personen verändert worden. Und viele der Kritiker sind bis heute kaltgestellt als Leute der Vergangenheit.

Quelle: Change, Reform und Wandel. Matthias Burchardt über das Alphabet der politischen Psychotechniken. (TELEPOLIS)

Mein Hunde-Experiment

JR in Cannstatt mit Pri und 150325

Nie hätte ich gedacht, dass es einmal soweit kommen würde: ein Hund an meiner Leine und ich ihm zu Diensten (mit einem Plastiktütchen in der Tasche).

Die Hündin mit Mädchennamen Pri (er stammt aus Rumänien, also: sie, und der richtige Name war ursprünglich viel länger), hatte wohl schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht, jedenfalls hat sie immer wieder versucht, mir beim Vorübergehen  in die Hacken zu beißen oder nach der freundlich ausgestreckten Hand zu schnappen. Im März aber freundeten wir uns an, und das hatte begonnen damit, dass sie – als offenbar geduldetes Privileg – eine Hälfte des Sofas einnahm, während ich mich in die andere Sofaecke setzte, ohne das Tier zu beachten,und dann selbst im Sitzen einschlief.

JR & Pri Stuttgart winzig Das hat die Kleine vielleicht von meiner Ungefährlichkeit überzeugt, jedenfalls kamen danach ihre Annäherungsversuche, die alsbald zu gemeinsamen Spaziergängen im Bad Cannstatter Park, nun zu zweit und auch oberhalb des Kurhauses, führten. (Ich habe das Sofafoto ziemlich verkleinert, um ihm ja nicht bei google wiederzubegegnen!)

JR zu PRI 150325

Wer beschreibt meine Enttäuschung, als sie jetzt, nach wenig mehr als zwei Monaten,  bei uns zu Besuch war und jede Gemeinsamkeit vergessen hatte, außer, dass sie mich nicht mehr in die Hacke biss. Sie behielt mich im Auge und wich mir nicht unbedingt aus, aber anfassen, streicheln, – unmöglich. Und ich schaute zurück, allzeit freundliche Worte murmelnd. Ohne Ergebnis. Und dann fiel mir die Schlafszene ein! Das könnte des Rätsels Lösung sein: sobald sich unsere Blicke trafen, schloss ich also die Augen. Und wenn ich ganz kurz blinzelte, bemerkte ich, wie sehr ich dabei unter Beobachtung stand. Das ist es also, – sie erträgt mein Glotzen nicht, dieses Fixiertwerden ist für sie bedrohlich! Es dauerte keine 5 Minuten, und wir waren wieder ein Herz und eine Seele. Jeder Hundeflüsterer weiß das vielleicht, der frontale Blick geht nur, wenn man sich gut kennt. Mit Flüstern allein läuft gar nichts. Das hätte mir wahrscheinlich schon neulich beim Wildpferd zu einer wahren Flüsterminute verholfen, als es mir so wachsam gegenüberstand: ich hätte die Augen schließen müssen. Die Gefahr (?) hätte sich um 100 % verringert.

Ich werde versuchen, diesen Trick auch in andern brisanten Fällen anzuwenden. Etwa bei einer Polizeikontrolle oder an Grenzübergängen.

Nachtrag 2. Juni 2015

Hier jedoch ein Beispiel aus jüngster Zeit, das meine letzte Überlegung gegenstandslos macht, zumal sie nicht auf postalische Übermittlung zugeschnitten ist. (Mein Briefträger, der von meiner Holland-Reise wissen musste, reagierte zurückhaltend auf mein Mienenspiel.)

Nederlands Knöllchen im Detail

Nachtrag 12. Juni 2015

Knöllchen 2 Holland

A propos Plastiktütchen (siehe Artikelbeginn)

Ich bin ja so froh, dass ich in diesem Sinne nicht für Tiere jeder Größe zuständig bin. Siehe z.B. HIER. In den Zusammenhang jenes Artikels hätte das abschließende Foto aus Pietätgründen nicht gepasst, an dieser Stelle stört es vielleicht weniger. Es ist ja in gewissem Sinne sogar ein Kunstwerk, ein zweifellos vielschichtiges, das auch symbolischer Deutung offensteht.

Texel Highlandrind abwesend

Heidelberg in Farbe

Wie ich es liebe abzuschweifen

(frei und fern nach Joseph Vogl)

Heidelberg Hortus_Palatinus_und_Heidelberger_Schloss_von_Jacques_Fouquiere A 1620

Heidelberger_Schloss_von_Carl_Rottmann_1815 B 1815

Heidelberg_corr neu C 2006

Joseph Vogl beschäftigt sich im dritten Kapitel seines Buches mit „einem recht sprunghaften Gespräch“ am französischen Hofe um 1650, und zwar eine geschlagene Seite lang, um letztlich eine „beiläufig erzählte Anekdote“ (die zudem nicht auf Wahrheit beruht) für eine bestimmte Argumentation einzusetzen, die das Verhältnis der steinreichen Augsburger Fugger-Familie zum kaiserlichen Souverän kennzeichnet. (Man kann die Fakten bei Wikipedia, das Jahr 1519 betreffend, nachlesen.) Ich hake mich fest, weil ein Maler namens Jacques Fouquières erwähnt wird, den ein Gesprächsteilnehmer offenbar für einen Verwandten der reichen deutschen Familie Fugger („Fouckers“) hält, während er in Wirklichkeit einer armen flämischen Familie entstammt. Dies und vieles andere auf der Seite 24 bei Vogel hat nicht viel mit seinem Anliegen zu tun, bringt mich allerdings auf Abwege, die ich hier ansatzweise ausmünzen möchte. Auf dem berühmtesten Bild des genannten Malers  ist das Heidelberger Schloss zu sehen, und vor allem die untergegangenen Renaissance-Gärten… Ist davon bei Bredekamp* die Rede? … und schon lege ich das eine Buch zugusten des anderen beiseite. Die Macht der Kunst!

Quellen

A Hortus Palatinus und Heidelberger Schloss von Jacques Fouquières (1590/1591–1659); Kurpfälzisches Mueseum Heidelberg / Eigenes Werk, Immanuel Giel über Wikimedia Commons

Heidelberger Schloss von Carl Rottmann (1797-1850) 1815 / Immanuel Giel über Wikimedia Commons

C „Heidelberg corr“ von Christian Bienia. – Farbkorrektur von de:Bild:Heidelberg.jpg by Godewind 18:13, 1 January 2006 (UTC). Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons

*Bredekamp … Weshalb mich das alte Heidelberger Bild besonders interessiert? Mit der Garten-Symmetrie, dem geschwungenen Lauf des Flusses, der alterslosen Brücke (assoziierend die Kassettendecke in Schloss Kirchheim, dem Fuggerschloss bei Mindelheim, und danach diejenige der Trostburg im Eisacktal bei Villanders/Südtirol oder diejenige in Jever, die ich noch nicht gesehen habe, aber sehen muss.)

Weil ich etwa 1956 dank Daniela die Herrenhäuser Gärten in Hannover kennengelernt habe, ohne besondere Begeisterung (zugleich mit Haydns Sinfonie Nr. 102, B-dur und einem Wand-Gobelin über die Jagd) und am 21. März 2013 das Buch von Hans Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2012. Und darin das Kapitel über „Die Natürlichkeit der Geometrie“. Und einen Abglanz immer wieder im nahen Schlosspark von Benrath suche.

Bredekamp Inhalt

Philosophie der Blätter?

„Da kein Blatt dem andern gleicht, erkannte [Leibniz] in der scheinbar unendlichen Formenvielfalt des barocken Gartens die zutiefst individuelle Gestalt der Natur und die Freiheit des Individuellen schlechthin. So wird der Garten zum Laboratorium des Erkenntnisgewinns, und der Mensch, der sich darin bewegt, erfährt über die sinnliche Wahrnehmung – man denke an die Muschelformen in Pflanzen, Bauplastik und Wasserspielen – immer neue Denkanstöße.“

Und Bredekamp „sieht den Gedanken der Freiheit nicht wie üblich in den sanft geschwungenen Wegen des Landschaftsgartens verwirklicht, sondern in den komplexen Geometrien des Barockgartens. Hier findet sich die eigentliche Revolution!“

Und der leise Zweifel, der produktiv macht, wenn er mich in der eigenen „gartenähnlichen“ Halbwildnis überkommt.