Was fromme Worte bewirken
Das ist Schubert, und nichts befindet sich zwischen den Worten „qui locutus est per prophetas“ und „Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum“. Was das heißen mag, habe ich vorgestern in der Katholischen Kirche Solingen-Ohligs rekapituliert:
Sie lesen, was da steht, drittletzte Zeile, nach „qui locutus est per prophetas“, auf der nächsten Seite das „Confiteor“; genau so stand es im Programmheft zu Bachs großer Messe, über die Kommata könnte man diskutieren – aber da gäbe es doch in jedem Fall noch einen wichtigen Satz?
„Et unam , sanctum, catholicam et apostolicam Ecclesiam“, danach erst folgt das „Confiteor“. Was ist los? der größte Protestant nach Luther, nein, größer als jener, unser einziger, heiliger, fünfter Evangelist Johann Sebastian Bach zeigt sich katholischer als Schubert, der Schöpfer des allerinbrünstigsten „Ave Maria“-Gesangs, den das Abendland kennt?
Schauen wir zur Sicherheit in Bachs Notentext: es handelt sich nicht um eine Verlegenheit, genau an dieser Stelle wird er notenselig, hier sind in dem Satz erstmalig Sechzehntel zu sehen und davon nicht wenige, der Komponist will uns noch eine Spezialbotschaft übermitteln. Ist sein Sohn nicht in Mailand katholisch geworden, und er selbst, hat er die Messe nicht mit Blick auf den katholischen Hof in Dresden fertiggestellt? Aber das hat nichts zu sagen, ich glaube, der Fall liegt anders.
„Catholicam“ ist mit „katholisch“ missverständlich übersetzt. Korrekter wäre das Wort „allgemein“, es war nicht als Anti-Epitheton gegen das Protestantische erfunden, sondern existierte lange vor Luthers Protestaktion, die eigentlich nicht die „allgemeingültige“ Kirche aufspalten, sondern bessern sollte. Das Wort hatte eher mit „holistisch“ (ganzheitlich) zu tun: „kat‘ holikós“ = das Ganze betreffend.
Bach wusste das, und die Sechzehntelfigur, die er verwendet, ist keine bloße Koloratur, sondern könnte gemäß der Lehre von den musikalischen Figuren eine „circulatio“ meinen, die genau diese „umfassende“ Bedeutung des Katholischen aufgreift: zwei Halbkreise, der eine nach oben geöffnet, der andere nach unten.
Man lese auch den Wikipedia-Artikel über das „Symbolum Nicenum“ , der gerade den Übersetzungsteil „die eine, heilige, katholische (allgemeine)[4] und apostolische Kirche„ mit einer besonderen Anmerkung bedenkt.
Man kann über die Worte endlos disputieren, – was kostete es doch, „filioque“ in den Text einzubauen, wie konnte man es den Arianern am unauffälligsten und am deutlichsten zeigen, was die wahrste Wahrheit ist. Ich bin glücklich, kein Theologe zu sein und mich damit nicht abgeben zu müssen. Es war am vergangenen Samstag vor der Aufführung der H-moll-Messe, in der bis auf den letzten Platz besetzten katholischen Kirche, als der Pastor eine Begrüßung sprach und zwei Sätze einmischte, die irgendwie ökumenisch klangen: schon gab es heftigen Zwischenapplaus. Ach, es sind nicht die Worte, an denen die Zukunft der Kirche mitsamt ihrer großen Kirchenmusik hängt, sondern die unwürdigen Verfehlungen des Fleisches, die alles andere unglaubwürdig machen. Bis auf die Musik.
Bach hat mit diesem Werk, das aus vielen schon fertigen Bestandteilen und deren Ergänzungen geschaffen wurde, am Ende seines Lebens eine unglaubliche integrative Leistung vollbracht. Christoph Wolff schreibt dazu in seinem Bach-Buch aus dem Jahre 2000 folgendes:
Wir wissen, daß Bach sich in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren ausführlicher mit der Messenkomposition befaßte und dabei zahlreiche Werke kopierte, aufführte und studierte, deren Repertoire von Palestrina bis zu Bachs Zeitgenossen reichte. In diesem Zusammenhang führte er etwa die sechsstimmige Missa sine nomine von Palestrina mit hinzugesetzten Cornetti, Posaunen und Basso continuo auf und die Missa sapientiae von Antonio Lotti. Kompositionsstudien mit unmittelbarer Einwirkung auf die h-moll-Messe schlossen ein das „Credo in unum Deum“ BWV 1081 (als Intonation der Messe in F-Dur von Giovanni Battista Bassani eingefügt) und eine kontrapunktisch um zwei Stimmen erweiterte Fassung des „Suscepit Israel“-Satzes BWV 1082 eines Magnificat von Antonio Caldara. In seiner ersten Fassung enthielt das Symbolum Nicenum (Credo-Teil) der h-moll-Messe lediglich acht Sätze, denn das Duett „Et in unum Dominum“ schloß ursprünglich auch den Textabschnitt „et incarnatus est…“ mit ein. Erst nachdem Bach die Arbeit an diesem Duett, wahrscheinlich sogar an der gesamten Partitur des Symbolum beendet hatte, beschloß er, die Textunterlegung des Duetts abzuändern, den „et incarnatus est…“-Abschnitt herauszulösen und für diesen liturgisch wesentlichen Text einen eigenständigen Satz zu schreiben, wie er üblicherweise in der Messentradition hervorgehoben wird. Der Gesamtaufbau entfaltete sich nun in neun Sätzen, das Symbolum erhielt eine zugespitzte Symmetrie: Bach formte die Ausgangslage von 2 + 1 + 2 +1 + 2 Sätzen (Chöre = Fettdruck) um in eine musikalische Architektur von 2 + 1 + 3 + 1 + 2 Sätzen. [Seite 479]
Die Messe bietet das komplette Arsenal der Kompositionskunst in einer Breite und Tiefe, die nicht nur von theoretischem Scharfsinn zeugt, sondern auch von umfassendem Verständnis der Musikgeschichte, vor allem im Gebrauch alter und neuer Stile. Gerade wie sich die altkirchliche theologische Doktrin über die Jahrhunderte hinweg im Messetext überliefert findet, so bewahrt „Die große catholische Messe“ Bachs [Titelangabe im Nachlassverzeichnis von Carl Philipp Emanuel Bach] musikalisch-künstlerisches Credo für die Nachwelt. [Seite 481]
Quelle Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach / S.Fischer Frankfurt am Main 2000
Keine Angst vor dem Konterfei! Dieser Herr hat weder mit Palestrina noch mit Johann Sebastian Bach zu tun. Es geht um Musik, die zu Bachs Zeit als eine sehr alte und ehrwürdige galt und trotzdem für den Gebrauch im „modernen“ Gottesdienst attraktiv klingen sollte, daher die Hinzufügung der Instrumente: cornetti & tromboni plus Generalbass. Cornetti sind aber nicht hornähnlich, es handelt sich um Zinken (Tromboni = Posaunen). Stichworte „stile antico“ und Palestrina.
Dasselbe Video im externen Fenster hier (zum leichteren Hin-und Herschalten)
Palestrinas „Missa sine nomine“ in Bachs Bearbeitung für den praktischen Gebrauch: Ab 2:26 Et Incarnatus 3:05 Crucifixus 5:35 Et in spiritum 6:47 Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam / 7:05 Confiteor unum baptisma“ [die Wort-Artikulation der anglikanischen Kirche (?) lässt zu wünschen übrig…]
BACH H-moll-Messe als Ganzes im Video die oben im Noten-Scan zitierte Stelle findet man bei 1:13:39 (Anfang ab 1:09:34) Extern: hier.
Das Inhaltsverzeichnis des grundlegenden Buches von Christoph Wolff aus dem Jahre 1968:
Quelle Christoph Wolff: Der Stile Antico in der Musik Johann Sebastian Bachs / Studien zu Bachs Spätwerk / Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1968
Aus der Wiedergabe der Missa von Palestrina in Wolffs Werk (Anhang). Es handelt sich um den Anfang des „Kyrie“. Das Musik-Video oben dagegen beginnt mit dem Credo, zuerst die Intonation solistisch „Credo in unum Deum“, dann setzt der Chor fort: „patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium.“ Dieses Notenbeispiel dient uns nur als Information über die Bachsche Instrumentation und den Generalbass. (Der ganze Text zum Mitlesen beim Video hier.)
Noch ein Hinweis zu Varianten des lateinischen Textes, dessen Gebrauch zuweilen fälschlich Anlass gibt, von vornherein an einen „katholischen“ Hintergrund oder Adressaten des Werkes zu glauben. Eine Seite aus dem verdienstvollen Büchlein zur H-moll-Messe von Walter Blankenburg (1974):
Quelle Walter Blankenburg: Einführung in Bachs h-moll-Messe / Bärenreiter Verlag Kassel 1974 [Seite 14]
Wir möchten das geheimnisvolle Dunkel möglichst selten beschwören. In der Aufführung der Bachschen Missa am 16. November fand ich vor allem begeisternd, wie klar, positiv und hinreißend das ganze Werk im realen (nicht abgedunkelten) Kirchenraum wirkt. Ich werde aus Elliott Gardiners Buch „Musik für die Himmelsburg“ ein paar Stellen heraussuchen, die von Bachs Humor handeln und vom hinreißenden Tanz der Engel… diese Aspekte darf man nicht vergessen. Die Musik soll Feuer aus dem Geist schlagen, sie dient nie der Erzeugung von Depression. Auch nicht das Agnus Dei. (Aber das hat Blankenburg ja auch nicht gemeint.)
Eine vielleicht interessante Diskussion über die Worte „mente cordis sui“ im Magnificat habe ich vor ein paar Jahren wiedergegeben, und zwar hier . Im ersten Moment hatte ich nun Sorge, es würde wieder alles aufs neue in Frage gestellt und vor allem: die wirklichen Fachkenner bräuchten diese Aufklärung gar nicht. Sie wissen es längst, und nur ich stelle die überflüssigen Fragen. „Gloria ejus“ oder „Gloria tua“? Wie schön wäre es, wenn hier endlich eine echt konfrontative Lösung winkte: protestantisch = „ejus“, katholisch = „tua“. Da steht es doch! Gottseidank, altissime!
Und dann steht da bei Blankenburg aber auch noch : „In dem an Festtagen gebrauchten lateinischen Sanctus hieß es allerdings auch nach der lutherischen Form ‚gloria tua‘ „. Hilfe! Ich bitte um ein neues Konzil!
Timor Dei – Die Furcht des Herrn wird mich schlimmstenfalls mein Leben lang begleiten. Sehen Sie, wie es in der ersten Schulzeit begann und Jahrzehnte später wieder hervorkroch. HIER. Aber dafür habe ich schließlich Latein gelernt, um auch dem geistlichen Leben gewachsen zu sein, und zwar lebenslang, genaugenommen, – bis ich den Geist aufgebe.