Das notwendige Narrativ
Ich höre das erste Narrativ der Fünften von Schostakowitsch einmal als Französische Ouvertüre, als „Majestät“, aber nur für Momente, dann überwiegt das bedrohliche Sich-Emporrecken aus der Tiefe: „Macht“, obgleich sie eigentlich als „von oben“ erfahren wird. Vielleicht besser: „Gewalt“, die von allen Seiten droht. Überhaupt: das ungeheure Potential des „Anderen“. Und ich lese in der Süddeutschen:
Und ich sehe das Buch von Antunes wartend auf der Fensterbank liegen, – der Tango als Narrativ!
Noch einmal:
Quelle Süddeutsche Zeitung 24./25.08.2019 Seite 49 Immer kurz vor leer Hast du noch Power, oder musst du schon wieder aufladen? Über die seltsamen Parallelen von Akkutechnik und Burn-out-Gesellschaft. Von Max Scharnigg.
Und in derselben Zeitung: das faszinierende Narrativ vom Gehirn als Orchester. Vielleicht zu ergänzen durch den Zusatz, dass es auch verrückt spielen können muss. (Loslassen!) Aber das hat sich separat in meinem Kopf abgespielt, als ich las: „Die Geschichte der Medizin ist reich an Grausamkeiten. Man würde sie gerne vergessen, hätten sie die Medizin nicht vorangebracht.“ Schon läuft mein Narrativ parallel und breitet sich in kleinen Lesepausen aus. Bei der Zwischenüberschrift zum Beispiel: Das Gehirn ist ein Orchester, dessen Instrumente im Idealfall perfekt harmonieren. Und was ist mit der Disharmonie? Es ist nur ein Scheinargument, wenn ich die andere Zwischenüberschrift vorwegnehme: Könnte Elektrostimulation dazu beitragen, besser Klavier zu spielen? Die notwendigen Funktionen der Koordinierung kann ich nicht vorbereiten, indem ich mich alkoholisch „entspanne“. Konzentration ist ja keine Fixierung. Im günstigen Fall geschieht sie einfach… Es fragt sich allerdings, wie ich mit unangenehmen Notwendigkeiten oder Geschehnissen umgehe. Sie gehören zur Geschichte! Oder lieber zurück zur Quelle: Süddeutsche Zeitung 24./25.08.2019 Seite 33 Tief ins Gehirn Die elektrische Stimulation von Nervenzellen gilt neuerdings wieder als Allheilmittel gegen neurologische Erkrankungen. Dabei wissen die Mediziner noch nicht mal genau, was dabei im Kopf passiert. Von Boris Hänssler. ZITAT:
So weiß man, dass das Gehirn durch Wiederholung lernt, Bewegungen besser zu steuern, sei es beim Schreiben oder beim Klavierspiel. In einem Versuch wurden die Teilnehmer deshalb gebeten, immer wieder die gleichen Bewegungen auszuführen, unterbrochen von wenigen Sekunden Pause. „Wir haben genau in diesen Pausen das Gehirn stimuliert, und obgleich es in diesem Moment keine Bewegungen koordiniert, führt die Stimulation zu einer Verfestigung des Gelernten – die Versuchsteilnehmer konnten die gelernten motorischen Sequenzen später besser abrufen“, sagte Hartwigsen. Allerdings sei ein solcher Ansatz bei komplexen Lernprozessen deutlich schwieriger umzusetzen, denn hier seien größere, wenig bekannte Netzwerke beteiligt.
Ich bin zusammengezuckt bei dem Wort „Verfestigung“, das mich unmittelbar zu anderen Narrativen führte. Wie z.B. „vegetativer Distonie“, gerade bei Musikern.
„Wenn Sie auch nur einen Kubikmillimeter stimulieren, sind das trotzdem Millionen von Synapsen. Das ist, als würden Sie versuchen, eine Schweizer Uhr mit Vorschlaghammer zu reparieren.“
Ein wunderschönes Narrativ, das mich in früheste Zeiten katapultiert: ich war zwischen 4 und 5 Jahre alt. Und die silberne Taschenuhr meines Vaters, der im Krieg war, hatte bis dahin immer an der Wand über dem Ehebett gehangen.
Aber das erzähle ich ein anderes Mal. Es hat mit einer Fixierung auf das Wort „Wahrheit“ zu tun. Eine lange und komplizierte Geschichte. Letztlich aber auch privat und beliebig.
Zurück zum Anfang: für die Fünfte von Schostakowitsch bieten sich mehrere Narrative an, so zum Beispiel: „Das Werden der Persönlichkeit“ oder „die Deformation des Menschen durch die Diktatur“, Krieg oder Sieg? … es ist nicht einmal sicher, ob der letzte Satz als Triumphmarsch oder als Todesmarsch zu lesen ist.