Was interessiert uns? Immer noch Adorno…
„Das Verhältnis zwischen dem musikalischen Werk – auch dem sogenannten ›klassischen‹ – und seinen Hörern wie Interpreten – und seinen Hörern ist insgesamt fragwürdig geworden.“ (JR 6.XII.1965)
Die Sendung „Zukunftsmusik“ z.B. war komplett überflüssig, kein Wort über die mangelnde Schulbildung in puncto Klassik heute. Abgesehen von einem Beitrag mit Folkert Uhde, alles beliebig zusammengestoppelt. Ein flüchtiger Google-Blick auf das Angebot zum Thema Besucherzahlen führt weiter. Das informelle Gespräch mit einem Orchestermitglied klärt allerdings schnell darüber auf, dass der Corona-Einbruch wesentliche Spuren beim Publikumsverhalten hinterlassen hat: es hat sich z.B. gezeigt, dass gestreamte Konzerte, auch mit höheren verbalen Anteilen, sehr erfolgreich sind. Dass man damit paradoxerweise – oder selbstverständlich – den Interpreten und der Musik näher ist! Dass eine Oper im Fernsehen mehr zeigt und zuhaus mit mehr Vergnügen verbunden ist, als etwa der enge Theatersaal zulassen würde. Ich zum Beispiel will Salzburg sehen – aber nicht dabeisein.
Verkaufsrekorde, Bestsellerlisten, Echo-Preise sagen nicht viel über die Qualität des Angebots, oder orientieren wir uns etwa beim Essengehen an Testergebnissen von Vapiano, Mac Donald’s und Co.? Ich will nur dort leibhaftig teilnehmen, wo der Raum – das Hier und Jetzt -, die Kombination der Werke und die Zusammensetzung des Publikums eine eigene Rolle spielen. Ich weiß, welcher Society ich aus dem Wege gehe, egal ob sie sich zufällig für dieselbe Musik interessiert. Wesentlich bleibt der Erlebnisraum Erinnerung – im Kopf, – und nicht nur bei alten Leuten (dem sogenannten „Silbersee“ im Konzertsaal).
Auf andere (ähnliche) Ideen treffe ich bei Freund Berthold Seliger:
Endlich ist es wieder soweit: Das Musikfest Berlin kann nach zwei Pandemiejahren wieder aus dem Vollen schöpfen – einige der besten Orchester aus (fast) aller Welt, ein üppiges, elaboriertes Programm mit viel Mahler, mit Raritäten der Moderne, amerikanischer Sinfonik, mit Bela Bartók und Iannis Xenakis, mit einer Menge zeitgenössischer Musik. Und mit aus den Corona-Absagejahren übrig gebliebenen Konzerten, zum Beispiel Beethovens »Missa solemnis« oder Monteverdis »Marienvesper«, wartet auf das Publikum. Und last but not least: In vollem Haus! Wie sehr hat man das vermisst: eine ausverkaufte Philharmonie. Die Möglichkeit, dass Menschen zusammenkommen, miteinander Zeit verbringen und erlebte Musik teilen können.
Weiterlesen hier !
Und – HÖREN: ZUHAUS Berliner Philharmonie HIER ! (bis 3. September)
Mehr mit dem Dirigenten Klaus Mäkelä kürzlich im Blog.
Finales Zitat, – sich klassischer Werke erinnernd („immer neue Orgasmen“ bei 10:18):
https://archive.org/details/beethovensfuenftewalterkempowski1976 HIER
„Seit einigen Monaten habe ich alle möglichen Personen meiner Umgebung nach der fünften Symphonie von Ludwig van Beethoven ausgefragt, sie die Themen auf Band singen, Anekdoten und musiktheoretische Details erzählen lassen. Aus dem sehr umfangreichen Material will ich in freier assoziativer Verknüpfung beethovenscher Motive und deren sprachlicher Reflexion ein Hörspiel entstehen lassen, das im Endeffekt durch die Unzulänglichkeit des Gebotenen die Sehnsucht nach einer klassisch gewordenen Musik neu entfacht. Der Reiz des Hörspiels soll darin liegen, dass der Zuhörer sich mit den anonymen Personen bei dem Versuch identifiziert, die Symphonie wiederherzustellen, und mit ihnen geradezu bangt, daß dies mißlingen könnte.“ Das Stück wurde mit dem Karl-Sczuka-Preis fuer Radiokunst fuer das Jahr 1976 ausgezeichnet. Walter Kempowski
(Dank an JMR)
Und noch einmal: Was ist Klassik? Wie konnte ein Musterbeispiel der Klassik ausgerechnet im zerrissenen Deutschland entstehen?
„Man nannte Weimar das deutsche Athen.“ (Madame de Staël 1804)
Abendgesellschaft bei Herzogin Anna Amalia
Die Köpfe von links nach rechts nach der Beschriftung: 1. Hofrath H. Meyer. 2. Frau v. Fritsch geb. v. Wolffskeel. 3. J.W.v. Goethe. 4. F.v. Einsiedel. 5. Herzogin Anna Amalia. 6. Frl. Elise Gore. 7. Charles Gore. 8. Frl. Emilie Gore. 9. Frl. von Göchhausen. 10. Praes. von Herder
„Die ständeübergreifende Geselligkeit in der dargestellten Szene ist verschwiegen, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Es wird gelesen, gemalt oder sinnierend umhergeschaut. An Gesichtern, Haltungen und Tätigkeiten ist inneres Monologisieren deutlich erkennbar, wobei sich die verschwiegenen Stimmen zu einem Bild kollektiv vollzogener Selbstversenkung addieren. Kraus zeigt eine Versammlung von aktiven Dilettanten, die sich erst bei anderer Gelegenheit über die Motive, Spielarten und Ergebnisse ihres Tuns verständigen werden.“
(Ich verdanke das obige Bild und den Text der Web-Recherche von Michael Mandelartz hier.
Wie kommt es, dass Weimar zu Lebzeiten Goethes und Schillers der kulturelle Mittelpunkt Deutschlands war, dessen Bekanntheitsgrad in ganz Europa seinesgleichen suchte? (…)
Weimar war ein Modell. Zum erstenmal war es möglich geworden, dass ein bürgerlicher Dichter – und überdies ein berühmter und bis dato wenig angepasster – konkret in das politische Geschehen eines Landes eingriff und zusammen mit dem Adel regierte. Bürgertum und Adel in gemeinsamem Bemühen um eine gerechtere Regtierung und darum, Kunst und Literatur neben den Staatsgeschäften zu ihrem Recht kommen zu lassen – das war unerhört nei, und das ganze bürgerliche Europa schaute auf diesen kleinen Staat, um zu sehen, ob hier nicht vielleicht die Keimzelle zu einer ganz neuen Art politischen und gesellschaftlichen Lebens jenseits der bislang so scharf geszogenen Klassenunterschiede liegen könne. Madame de Staël, die sich von Ende 1903 bis März 1804 in Weimar aufhielt, schreibt dazu:
Man nannte Weimar das deutsche Athen, und in der Tat war es der einzige Ort, in dem das Interesse für die schönen Künste sozusagen national war und als verbrüderndes Band zwischen den verschiedenen Ständen diente. Ein aufgeklärter Hof suchte dort die Gesellschaft der Schriftsteller, und die Literatur gewann ungemein durch den Einfluß des guten Geschmacks, der an diesem Hof herrschte. Man konnte nach diesem kleinen Kreis die gute Wirkung beurteilen, die eine solche Mischung in Deutschland hervorbringen würde, wenn sie allgemein gültig wäre.
Quelle Arbeitsheft zur Literaturgeschichte WEIMARER KLASSIK von Reinhard Lindenhahn / Cornelsen Verlag Berlin 1996 (siehe hier)
Daraus auch dies: