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Der Schamane und die Schlange

Wozu Ethnologie?

Koch-Grünberg ARTE Film Schamane Abrufbar HIER

Und der ganze Film HIER (ebenfalls bis 6. Mai, d.h. nur bis Sonntag!).

Andreas Busche:

Der Film handelt aber auch in einem unmittelbaren Sinn von einer Bewusstseinserweiterung: Es werden mehr psychedelische Substanzen konsumiert als in den Acid-Filmen des chilenischen Psychomagikers Alejandro Jodorowsky. Gleichzeitig besitzt die Psychedelik Guerras eine politische Dimension. Der Regisseur bezieht sich auf einen Grundlagentext der Kolonialliteratur, Joseph Conrads Herz der Finsternis, sowie dessen berühmteste Adaption Apocalypse Now von Francis Ford Coppola. Auch die Bilder, die Guerra dem kolonialisierten Unbewussten entreißt, bieten guten Stoff für Albträume.

Auf beiden Zeitebenen werden die Reisenden Zeugen der unmenschlichen Auswüchse des Kolonialregimes: Karamakate, Manduca und Theo sehen in einem spanischen Kloster, wie den befreiten Plantagenkindern mit der Macht der Peitsche ihre „teuflische“ Sprache ausgetrieben wird. Und 40 Jahre später geraten die Männer in ein wahnhaftes Horrorszenario, in dem sich ein an Marlon Brandos Major Kurtz angelehnter Kolonialherr als Jesus-Wiedergänger inszeniert und die Reiseroute von gekreuzigten Indios gesäumt wird.

Quelle DIE ZEIT 21. April 2016 Psychedelischer Trip ins Kolonialzeitalter / In dem oscarnominierten Film des kolumbianischen Filmemachers Ciro Guerra sind die Indigenen verwüstete Kämpfer und die Weißen Dämonen. Von Andreas Busche. HIER.

Ich „glaube“ zwar nicht an bewusstseinserweiternde Substanzen, sondern nur an bewusstseinserweiterndes Denken; kann aber nicht ausschließen, dass dieses auch Substanzen freisetzt, deren Wirkung ich als bewusstseinserweiternd empfinde oder – wahrnehme. Für wahr nehme. Kein Wortspiel jedoch soll mich dazu veranlassen, hinter die Einschätzung des Kant-Erlebnisses zurückzufallen, das sich nicht mehr (wie vielleicht früher uneingestandenermaßen) an Kleists grobem Missverständnis orientiert. (Kleist war kein Denker!)

Warum ich durch diesen Film elektrisiert bin (ohne bereit zu sein, ihn nachher durch – mögliche – Kritik ad acta zu legen) : er hat mit der Realität zu tun, die vielleicht nicht durch Koch-Grünberg, aber durch Alexander von Humboldt umfassend gesehen wurde. Und jetzt durch Emanuele Coccia aktualisiert wurde. Eine Art Lebensphilosophie, die sich nicht am (überholten) Vitalismus orientiert, sondern etwa an der Forschung einer Lynn Margulis. Wobei wiederum Vorsicht geboten ist (siehe Gaia-Theorie), Stichwort „spirituelle Verklärung“…

Kritische Assoziationen: Laienspiel, Erlösungsdrama, Wagner, Winnetou, „Fitzcarraldo“ ohne ironische Distanz, Schöpfungsmythen (incl. klassische Kultursegmente „Chaos“ von Haydn-Schallplatte), Zaubertrank-Motiv. (Auch: das falsche Lachen vgl. im Folgenden).

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Aufs neue thematisieren: Aby Warburg

Warburg Schlange Berlin1988,1995 s.a. Sternglaube , zu beziehen auf diesen Film!

Vor einigen Jahren begann ich mich mit den Aufnahmen von Koch-Grünberg zu beschäftigen und fand im CD-Booklet Stellen bemerkenswert (s.o.), wo vom Lachen die Rede war: auf der einen Seite das Lachen von Indigenen, wenn sie sich selber oder andere in den Tondokumenten wahrnahmen, – verfremdet oder wie fremde Wesen -,  auf der anderen Seite das Lachen von unverständigen europäischen Hörern, die sich über die Simplizität der offenbar ernstgenommenen Forschungsgegenstände lustig machten. Schon der Gelehrte Aby Warburg hatte auf seinen Reisen (seit 1895, beschrieben im berühmten Vortrag aus den 30er Jahren) folgendes notiert:

Als ich den Antilopen-Tanz in San Ildefonso zu sehen bekam, machte er auf mich zunächst einen sehr harmlosen und beinahe komischen Eindruck. Für den Folkloristen, der die Wurzeln der menschlichen Kulturäußerungen biologisch erforschen will, gibt es aber keinen gefährlicheren Augenblick, als wenn er bei volkstümlich-komisch erscheinenden Gebräuchen lacht. Wer über das Komische in der Volkskunde lacht, hat Unrecht, dem verschüttet sich im selben Augenblick die Einsicht in das tragische Element. (…)

Für den primitiven Menschen bedeuten die Maskentänze in dem Verknüpfungsprozeß mit dem Außerpersönlichsten die weitgehendste Unterordnung unter ein fremdes Wesen. Denn indem der Indianer in seinem nachahmenden Maskenkostüm z.B. ein Tier in Äußerungen und Bewegungen nachahmt, schlüpft er in dieses Tier nicht zum Spaß hinein, sondern will durch Verwandlung seiner Persönlichkeit etwas von der Natur magisch erzwingen, was er seiner unerweiterten und unveränderten menschlichen Persönlichkeit zu leisten nicht zutraut.

Die Nachahmung im pantomimischen Tiertanz ist also ein kultischer Akt andächtigsten Selbstverlustes an ein fremdes Wesen. Der Maskentanz bei den sogenannten primitiven Völkern ist seinem ursprünglichen Wesen nach ein Dokument sozialer Frömmigkeit.

Quelle Aby Warburg: Schlangenritual Ein Reisebericht / Verlag Wagenbach Berlin 1988, 1995 ISBN 3 8031 3031 x (s.o.) Seite 24 ff

Vom Schamanen

Material zum Film

Im SPIEGEL wurde darüber berichtet und in der ZEIT. Lesenswert, den Film habe ich mir vorgemerkt. Und ihn zum Anlass genommen, mir eine Veröffentlichung des Berliner Phonogramm-Archivs aus dem Jahr 2006 wieder vorzunehmen. Zu Theodor Koch-Grünberg siehe auch Wikipedia hier. Siehe auch Wikisource hier.

ZITAT aus dem ZEIT-Artikel von Andreas Busche:

Der Film handelt aber auch in einem unmittelbaren Sinn von einer Bewusstseinserweiterung: Es werden mehr psychedelische Substanzen konsumiert als in den Acid-Filmen des chilenischen Psychomagikers Alejandro Jodorowsky. Gleichzeitig besitzt die Psychedelik Guerras eine politische Dimension. Der Regisseur bezieht sich auf einen Grundlagentext der Kolonialliteratur, Joseph Conrads Herz der Finsternis, sowie dessen berühmteste Adaption Apocalypse Now von Francis Ford Coppola. Auch die Bilder, die Guerra dem kolonialisierten Unbewussten entreißt, bieten guten Stoff für Albträume.

ZITAT aus der Süddeutschen Zeitung vom 21. April 2016 Seite 12 (Martina Knoben):

So einen Film hat es noch nicht gegeben. „Der Schamane und die Schlange“ ist Abenteuerkino, spirituelle Reise, ein fiebriger Traum und Dokument einer vergessenen Kultur. Der alte Schamane hat das Wissen seiner Vorfahren vergessen, erst die Begegnung mit Evan hilft ihm, sich zu erinnern. Dies ist auch das Credo des Films, der die Kultur der Amazonas-Indianer bewahren und davon erzählen will – weil die Indianer es nicht mehr können, weil sie ihr Wissen nur mündlich überliefert haben und viele Stämme ausgerottet wurden.

Angeblich sind die beiden Hauptdarsteller zufrieden mit dem Film. Das grundsätzliche Dilemma einer solchen Reise bleibt bestehen: Auch Ciro Guerras Blick ist ein Blick „von außen“, sein Film will eine Kultur auf eine Weise festhalten, die ihr selbst völlig fremd ist. Der Regisseur ist sich dessen sehr bewusst, das beweisen nicht zuletzt seine Anspielungen und Parodien auf andere Dschungelfilme. Einen Ausweg aber gibt es nicht, Guerra simuliert ein Eingeständnis der Indios: Als Théo vom jungen Karamakate ein Foto* macht, empfindet dieser das Bild als „Chullachaqui“, als eine leere Hülle seiner selbst. Aber er erlaubt Théo, es mitzunehmen.

Theodor Koch-Grünberg Theodor Koch-Grünberg Evan Schultes_amazon_1940s s. hier

Zitat Wikipedia zu Koch-Grünberg:

Aus seinen Tagebüchern und Reiseaufzeichnungen Vom Roroima zum Orinoco schöpfte 1927 der brasilianische Autor Mário de Andrade für seinen Roman Macunaíma – Der Held ohne jeden Charakter (Macunaíma: o héroi sem nenhum caráter), eines der Hauptwerke der modernen brasilianischen Literatur. Ebenfalls auf die Aufzeichnungen Koch-Gürnbergs (sic!) über seine Reisen im Amazonasgebiet stützt sich der kolumbianische Film Der Schamane und die Schlange (Originaltitel El abrazo de la serpiente) von RegisseurCiro Guerra, der 2016 für den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert wurde.

Zum Studium eines Werkes: hier  „Zwei Jahre bei den Indianern Nordwest-Brasiliens“ (1921)

Zum Studium der dort aufgenommenen Musik:

Film Schamane Phono

Koch-Grünberg CD Editorial

*Stichwort: Phonographie als Zerstörung des Schamanen-„Zaubers“

Anders war die Situation allerdings bei den Aufzeichnungen der Schamanengesänge (bei Koch-Grünberg: ,Zauberärzte‘). Vor allem der Schamane Katúra blieb misstrauisch und erkundigte sich besorgt, warum der Forscher ,seine Stimme mit sich nehmen wolle‘. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass die Krankenheilung aus indianischer Sicht u.a. Kontaktaufnahme mit der Welt sowohl hilfreicher als auch gefährlicher Geister darstellt, während der der Schamane bzw. seine Seele unter Singen, dem Geräusch des Begleitinstrumentes sowie vor allem über das Trinken von Tabaksaft seinen eigenen Körper verlässt, um in anderen Sphären einen Kampf mit dem Verursacher der Krankheit zu führen, ein Kampf, bei dem es nicht selten um Leben und Tod geht. Nur mit Unterstützung von Häuptling Pitá wie auch dem Versprechen eines großen Messers als Gegenleistung willigte Katúra schließlich in die Tonaufnahmen ein, bestand allerdings darauf, dass diese heimlich vonstatten gingen und anschließend nicht den anderen Dorfbewohnern vorgeführt würden. Mit stark näselnder Stimme sang er sodann in einem verschlossenen, halbdunklen Raum in das Aufnahmegerät, wobei er in der rechten Hand ein Bündel Zweige hielt, mit dem er auf dem Boden den Takt klatschte und in der linken die bei Heilungszeremonien so wichtige Zigarre inhalierte. Als auch diese Aufnahme anschließend in kleinem Kreise – neben Katúra und Koch-Grünberg waren lediglich Häuptling Pitú und der Indianer Pirokaí noch anwesend – vorgespielt wurde, war die Reaktion wie folgt: „Katúra macht ein bestürztes Gesicht, als ihm seine eigene Stimme klar und deutlich entgegen schallt; Pitá schüttelt sich vor Lachen“ (Koch-Grünberg 1917:53, Vgl. auch 1923:119f.).

Quelle CD (s.o.) Bookletbeitrag von Michael Kraus: Theodor Koch-Grünberg: Phonographische Aufnahmen im nördlichen Amazonien. (Seite 21)

(Ergänzungen folgen)