Fortsetzung nach dem Musiktitel mit Rabih Abou-Khalil 9’20“ (Moderation der Sendung “Musik zum Kennenlernen” 24.3.1993).
NAYLA hieß diese Komposition von Rabih Abou-Khalil, der selbst die arabische Laute ‚Ud spielte. Außerdem hörten Sie: SONNY FORTUNE, Alt-Saxophon; Glen Moore, Bass, sowie Glen Velez und Ramesh Shotam, Percussion.
Meine Damen und Herren: Hörer und Hörerinnen dieses Programms – WDR 3 – sind kluge Köpfe, das ist bekannt. Man sagt ihnen aber auch nach, daß sie am liebsten das hören, was sie schon kennen. Es wäre verständlich, weil solches Verhalten Sicherheit vermittelt. Die guten alten Werte! Bach – Beethoven – Brahms! Aber was ist das für eine Sicherheit, die die gegenwärtige, reale Situation ausklammert? Unsere Unsicherheit ist eine ganz andere als die des 19. Jahrhunderts, – und sie ist nicht durch alte Lösungen und Versprechungen zu beheben, – wenn auch wir deren Reiz weiterhin nachzuvollziehen vermögen.
5) CARUS „Strom der Zeit“ 12 / 1’52“
„Der Strom der Zeit“, Friedrich Silcher, gesungen vom Carus-Quintett. Es ist merkwürdig, daß die musikalische Sprache des 19. Jahrhunderts unseren Herzen immer noch am nächsten zu stehen scheint, obwohl die alten Worte des Trostes nicht mehr recht funktionieren, noch weniger die alten optimistischen Ideologien vom Fortschritt der Menschheit. Aber es gibt ein bemerkenswertes Indiz: wir genießen, ja, wir ertragen diese Musik nur noch, wenn sie perfekt dargeboten wird. Bedenken Sie einmal, wie das Beethoven-Violinkonzert geklungen haben mag, als es der Geigen-Virtuose Franz Klement am 23. Dezember 1806 aus einer handgeschriebenen Stimme vom Blatt gespielt hat. Der entscheidende Faktor in einem solchen Konzert war die Phantasie des Zuhörers: er dichtete mit an der Geschichte, die ihm da vorgeführt wurde. So wie Sie freundlicherweise bis zu einem gewissen Grade meine Versprecher ignorieren und den Inhalt wichtiger nehmen.
Schuberts Lieder für Männerquartett haben sicher in seinem Freundeskreis, solistisch für bestimmte Gelegenheiten eingeübt, ihre Wirkung getan. Und erst unter der Pflege durch gewaltige Männerchöre wurden sie rettungslos plattgedrückt. Heute bietet nur noch eine perfekte kammermusikalische Interpretation die Chance, diese Lieder wiederzuentdecken als das, was sie sind, als Kostbarkeiten vom Rang der Sololieder. Das Carus-Quartett aus Stuttgart hat sich dieser Aufgabe angenommen und zeigt neben Schubert auch andere „Chor“-Komponisten in einem neuen Licht. Demnächst – am kommenden Samstag in der Nachtmusik im WDR, live auf WDR 3 von 22-23 Uhr. Konzert im Kölner Funkhaus, Eintrittskarten gratis an der Konzertkasse des WDR, heute nur noch bis 17.30 Uhr und morgen früh wieder ab 11 Uhr bis 13.00 Uhr, nachmittags von 16 – 17.30 Uhr. „Wehmut“, Text von Heinrich Hüttenbrenner, Musik von Franz Schubert.
(6) „Wehmut“ Romantic Vocal Tr.4 4’53“
Das Carus-Quintett, am kommenden Samstagabend 22 Uhr, Nachtmusik im WDR, Funkhaus Köln. „Romantische Lieder a cappella“. Meine Bemerkungen über das 19. Jahrhundert und die „alten guten Werte“ zielten natürlich auf die gegenwärtige Situation, die solche Verse, wenn sie nicht von Schubert vertont wären, nur noch parodistisch verstehen könnte: „dass Auge grambetränet … schließet sich nicht zu.“ Oder „Der Strom, aus Felsen quillend, die Berge lieben nicht. Nur’s arme herz, das fühlend, so leicht vom Kummer bricht.“
Das Terem-Quartett aus St. Petersburg beschäftigt sich tatsächlich eher parodistisch mit der Tradition; es überspitzt zum Virtuosen hin, spielt mit den alten Elementen und macht eine unterhaltsame Show daraus. „St. Petersburger Nächte“ – am Samstag, den 3. April in der Nachtmusik im WDR, 22 Uhr. Hildburg Heider-Zan wird das Konzert moderieren, und sie stellt Ihnen das Quartett in dem folgenden Beitrag vor.
(7) TEREM-Quartett 16’20
Ein Beitrag von Hildburg Heider-Zan über das russische Terem-Quartett, das am 3. April in unserer Nachtmusik zu erleben ist.
Meine Damen und Herren, am kommenden Samstag setzen wir zu später Stunde im Musikatlas auf WDR 5 unsere Sendereihe „Zur Weltgeschichte der Volksmusik“ fort; es geht um die Geschichte der EPEN, also jene großen gesungenen Gedichte, in denen sich die Menschen seit grauer Vorzeit ihrer heroischen Ahnen und somit ihrer eigenen Identität versichern. Man wird sehen: HOMER ist nur einer unter vielen; und wenn man heute mit Erstaunen in der Zeitung liest, daß demnächst die Stadtmauer Trojas ausgegraben wird, um die Achill den Hektor geschleift hat, daß man soeben die Überreste der untergegangenen Legionen des Varus im Wesergebirge freigelegt hat, – es geht nichts verloren – – – außer dem wichtigsten – der Musik …. Und dennoch müßte unser Erstaunen noch viel größer sein, wenn wir erfassen, was uns alles auf diesem Gebiet erhalten geblieben ist – rund um den Globus. Oder … trägt diese globale Erweiterung des Gesichts- und Gehörfeldes nur zur verschärften Wahrnehmung der Krise des modernen Bewußtseins bei?
Es ist kein Zufall, daß die Märzausgabe der Neuen Zeitschrift für Musik ein Sonderheft zu der Frage „Weltsprache Musik?“ mit dem Beitrag eines Komponisten beginnt: Titel „Nähe und Ferne. Die zeitgenössische Musik und die große weite Welt“. Autor: Reinhard Febel. Es ist auch kein Zufall, daß eine der intelligentesten Einführungen in die zeitgenössische Musik, – ein unscheinbares Taschenbuch für 14.80 DM, Titel: „Happy New Ears. Das Abenteuer, Musik zu hören“. Autor: der Dirigent + Komponist Hans Zender, – daß dieses Buch immer wieder die Relation unserer Kultur zu den anderen Kulturen reflektiert.
Ich bringe bis kurz vor Schluß dieser Sendung Beispiele aus der „Weltgeschichte der Volksmusik“ Abteilung: EPEN und Zitate aus Hans Zenders Buch. Ganz zum Schluß möchte ich allerdings dem Carus-Quintett die Aufgabe abvertrauen, eine Brücke zum Radiokonzert zu bauen, das mit Gesängen des kühnen Gesualdo lockt, mit Motetten und geistlichen Konzerten von Monteverdi über Schein und Bach zu Brahms.
Zum Schluß:
a) Strom der Zeit (12) 1’32“
b) Nachtgesang Mendelssohn (14) 3’36“
Absage: Das war unsere Musik zum Kennenlernen, heute mit J.R. Zuletzt sang das Carus-Quintett, das am kommenden Samstag zu Gast ist in der „Nachtmusik im WDR“, Funkhaus Köln, Großer Sendesaal, 22 Uhr; Liveübertragung auf WDR 3.
Dazu stelle man sich eine besonders flinke Musik vor. (Die Veranstaltung war voll!) Wenn ich mich recht erinnere, war es aus dem Bereich Weltmusik die erste Gruppe , die von der Konzertagentur Berthold Seliger betreut wurde. (Es war auch der Beginn einer bis heute währenden Freundschaft…)
Und wie ging’s weiter? Die Planungen in der gleichen Zeit betrafen natürlich das ganze Jahr und aktuell eins der schönsten Konzerte, die ich in Erinnerung habe, am 4. Mai 1993: