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Les Passions

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Anlass heute: die CD von Andreas Gilger, sein flexibles Spiel, die Mikro-Nuancen zwischen zwei Zählzeiten, die traumhaften Tempoabstufungen zwischen den Tanzsätzen, die sensible Verzögerung einzelner Akzente, die bezaubernden Fiorituren, das suggestive Tempo rubato der beiden Préludes (Tr. 1 und 29), die vom Künstler zielsicher intonierte Feinstimmung und überhaupt – der einfach wunderschöne Klang seines Instrumentes: einer Vaudry-Kopie von Matthias Griewisch. All dies hat mich beglückt, seit ich die Aufnahmen auf dem Handy mit Kopfhörern Track für Track verfolgte, ohne irgendetwas sonst darüber zu wissen. Es sollte eigentlich nur eine Hörübung sein. Ein Zeitvertreib, siehe hier. (Dank an JMR!)

Aber abgesehen von der Musik, deren Interpretation fasziniert – höchstes Lob für die konzise Gestaltung des Booklets: es bietet inhaltlich alles, was man an Rüstzeug braucht, auch wenn man noch nicht mit der Musik in Versailles um Ludwig XIV. vertraut ist. Oder auch von Rhetorik und deren Bedeutung für die Musik weniger gehört hat als von weitgespannten Melodiebögen und romantischer Ausdruckskunst. Man muss die Quellen, denen ich oben nachgegangen bin, nicht studiert haben – es genügt fürs erste dieses schmale, schön gegliederte und bebilderte Booklet.

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ZITAT

Diese emotionale Verbindung zum Publikum versuche ich durch das Studium historischer Quellen und Befolgung ihrer Anweisungen aufzubauen. Die meisten musikalisch Kreativen sind keine mystischen Genies, sondern Normalsterbliche mit Emotionen, die sie mit ihrem Publikum kommunizieren wollen. Nicht, indem sie über ihre Gefühle sprechen, sondern sie beim Publikum direkt auslösen. Da Kunstschaffende des 17. Jahrhunderts ihre Werke als Werkzeuge schufen, um Affekte in anderen auszulösen, erscheint es mir nur logisch, herauszufinden, wie sie sich die Verwendung dieser Werkzeuge vorstellten. Offensichtliche Anhaltspunkte dazu sind historische Quellen zum Musizieren. Um dafür ein umfassendes Verständnis zu erlangen, muss allerdings in den Bereich der Rhetorik vorgedrungen werden. „Rhetorik“ ist ein Schlagwort in der Alten Musik, wobei nur wenige eine klare Vorstellung des Begriffs haben, geschweige denn davon, wie der Begriff im Barock verstanden wurde. Ja, den meisten ist klar, dass „Rhetorik“ die Kunst der Überzeugung mittels sorgfältig ausgewählter Wörter bezeichnet. Die Autoren des Barocks gehen allerdings deutlich weiter und beziehen die Ausführung des Texts, also Gestik, Mimik, Stimmmodulation etc. mit ein. Quasi alle Quellen halten die Ausführung sogar für wichtiger, als die tatsächliche Wortwahl. […]

Beim Studium der Quellen zu öffentlichem Reden, Deklamationen und Schauspiel wird schnell klar, dass Gesten üblicherweise viel größer waren, die Stimme flexibler gestaltet wurde, und grundlegende Wandlungen im Charakter innerhalb eines Abschnittes, Monologs, etc., häufiger auftraten als heutzutage. Im ersten Moment scheint solch ein pompöser Stil modernen Geschmäckern hoffnungslos übertrieben. Aber wie man von einem Stummfilm berührt wird, wenn man die erste Konfrontation des fremden Schauspielstils überwunden hat, so bin ich davon überzeugt, dass Barockmusik in einem uns fremden Stil vorgetragen wird. Es mag verziehen werden, wenn man die Übertragung rhetorischer Prinzipien auf Musik zunächst als weit hergeholt empfindet, doch etliche historische Quellen ziehen Parallelen und Vergleiche zwischen Rhetorik und Musik. Damit wird offenkundig die Annahme widerlegt, dass Musik – sogar die, die auf Tanzformen basiert – ausschließlich unter der Tyrannei eines unerbittlichen Metrums aufzuführen sei, oder dass Zurückhaltung das herrschende Prinzip musikalischer Aufführungen des späten 17. Jahrhunderts war. Im Gegenteil: Wenn wir Zeichnungen und Gemälde le Bruns mit den verhaltenen Aufführungen vergleichen, die in der Alten Musik über Jahrzehnte usus waren, entdecken wir eine Inkongruenz, welche die Musizierweise, die ich und etliche Kolleg:innen propagieren, zu beseitigen sucht. Le Brun verlangt, dass die Affekte in all ihrer Schönheit, all ihrer Weichheit, all ihrer Gewalt gemalt werden. […]

Text: Andreas Gilger (aus dem Booklet, rote Markierungen JR)

Es beginnt mit einer erstaunlichen Reise, 13 Sätze in G-dur, deren Strukturen das Ohr angenehm beschäftigen können, wie die geometrische Gartenanlage des Schlossparks draußen das vergnügte Auge. Und es liegt nicht unbedingt auf der Hand, darin nach den Emotionen zu suchen, die von den beigegebenen Portraits aus Le Bruns Feder insinuiert werden: „Haine ou Jalousie“, „Veneration“ und „l’Effroy“, tatsächlich sind dies die Extreme, die der gleichmäßige Klang des Cembalos eher verschleiert als bloßlegt. Ähnlich wie die Etikette der höfischen Konversation, sie walten subkutan und vielleicht ganz offen in den Theateraufführungen, die in höfischen Causerien und Plaudereien von ferne reflektiert wurden. Man fühle nur den Übergang von G-dur nach D-moll (Track 13 nach 14), um zu ahnen, was eine Tonart bedeutet, in deren Rahmen all diese Nuancen eingebettet sind. (Man lese auch den interessanten Lebenslauf des Komponisten Henry Dumont oder du Mont, der – aus Lüttich und Maastricht stammend – den „Generalbass“ in die französische Musik eingeführt haben soll).

Vielleicht greift man sich auch mal die Chaconne Tr. 21 (Jean-Nicolas Geoffroy) heraus, um sie wie das Mienenspiel einer erzählenden Person zu studieren. Um sich danach dem rührenden Gesicht der „Allemande la Rare“ zuzuwenden (Tr.22), anschließend auch der koketten Courante usw. – man wird sich den Namen Jacques Champion de Chambonnières merken wollen, des Cembalisten, den man seinerzeit lobte  für „…die Schönheit seiner Werke, den schönen Anschlag, die Leichtigkeit und Geläufigkeit der Hände zusammen mit einem sehr feinen Ohr, so dass man sagen kann, dass dieses Instrument seinen letzten (größten) Meister gefunden hat.“ (Mersenne). Nein, nicht den letzten…

Hervorzuheben ist auch das viersätzige Kleinod von Louis Couperin,Tr. 29 bis 33 mit dem phantastischen Prélude, den resoluten „Rückungen“ am Ende der Allemande und der ebenso wild entschlossenen Passacaille, Zielpunkt der langen, bilderreichen Reise dieser CD.

Wer aber war Le Brun? Siehe Wikipedia HIER

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Eher speziell für mich als vielleicht für andere, die vorwiegend mit dem bloßen Gehör arbeiten oder überhaupt die Musik nicht als Arbeitsfeld betrachten, füge ich zwei Seiten aus einem musikanalytischen Werk bei, das mich mit meinen Schwächen konfrontiert hat, – denke ich jedenfalls. Sie beziehen sich hier noch nicht so auf Beethoven, wie die Seiten-Überschrift ankündigt. Und mich bewegt unterschwellig beim Hören dieser CD ohnehin die (kaum fühlbare) Nähe zu Bach (Französische Suiten), bzw. ihre Position zwischen Monteverdi und Bach:

Quelle Folker Froebe: Motivisch-thematische Analyse – Ludwig van Beethovens Klaviersonate op. 10 Nr. 1 / ins: Musikalische Analyse / Begriffe, Geschichten, Methoden / Herausgegeben von Felix Diergarten / Laaber-Verlag 2014 (S.95-140)

EILT  Mehr aus der Welt der französischen Rhetorik: Molière  EILT

HIER („eilt“ , weil nur noch bis  3. Mai 2022 abrufbar) Stop: HIER allerdings noch bis 1. Juni 2022

Anlässlich des 400. Jahrestages von Molières Taufe zeigt der Film einen Autor, Ensembleleiter und Schauspieler, der treu ergeben die Vergnügungen Ludwigs XIV. organisierte und gleichzeitig in seinen Stücken große Radikalität an den Tag legte, der sich auf der Bühne ebenso wohlfühlte wie in den Salons, der strategisch dachte und dabei frei war, der durch sein Genie und seine Komplexität fasziniert. Molière erweist sich als Erfinder eines Theaters, das seit beinahe vier Jahrhunderten eine unerschöpfliche Quelle von Inspiration und Bewunderung ist. (aus dem ARTE Pressetext)

ab 28:00 Le Brun, Le Vau, Le Nôtre, Schloss Vaux-le-Vicomte 1661

Unvergessen der Film „Molière“ (1978) von Ariane Mnouchkine

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