Ein leicht verständlicher Beitrag
Er hätte eigentlich noch zum Zimmermann-Artikel gehört, der aber schon ins Ungemessene gewachsen war, weil er ungehörigerweise (rein privat orientiert) mit zwei Eintrittskarten begann, die nicht zusammenpassten und am Ende nach einer zumindest formalen Abrundung verlangten. Aber inhaltlich fehlte etwas sehr Wichtiges – jedenfalls aus meiner privaten Sicht : es war nämlich inzwischen ein zweites Buch eingetroffen, das ich zwar noch nicht gelesen hatte, das aber wie die Faust aufs Auge oder der Ball vor den Fuß passte: zum Fußball also und insbesondere zu dem höchst unglücklich verlorenen oder vielmehr trotz des Siegs peinlich verspielten Spiel gegen Hannover (BayArena 12.5.), über das ich kein Wort mehr verlieren will. Wohl aber über das Buch, das ich zum Zeitpunkt des Spiels noch nicht gelesen hatte. Nicht einmal die eine Seite 37, die mit dem Satz „Aber wie liest man den Plot des Spiels, wenn man es nicht gesehen hat?“, wo dann vom xG-Faktor die Rede ist. Dies aber bedeutet nichts anderes als: Expected Goals.
Davon also will ich reden, damit man ein unglückliches Spiel, das man wirklich gesehen hat, doch wenigstens nachträglich besser lesen lernt. Oder wenigstens die Chance dafür bekommt, nachdem der folgende Text seine Wirkung getan hat:
Also: Die Expected Goals sind eine mathematische Näherung, die einem Algorithmus entspringen. Algorithmus ist eines dieser geheimnisvollen Wörter des Digitalzeitalters, die irgendetwas schwer Fassbares beschwören. Was mit Daten und Computern, beeindruckend und beängstigend zugleich. Dabei sind Algorithmen nichts anderes als Handlungsanweisungen, was getan werden soll, um ein Problem zu lösen. Ein Algorithmus wird von einem Menschen entwickelt, der etwa wissen will, von wo auf dem Fußballfeld man in welcher Spielsituation mit welcher Wahrscheinlichkeit ins Tor trifft. Wie gut dieser Algorithmus das kann, hängt davon ab, wie gut derjenige, der ihn geschrieben hat, das Problem vorher durchdrungen hat. Oder wie gut oder umfangreich seine Daten sind. So gibt es unterschiedliche Algorithmen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wenn auch nicht zu eklatant unterschiedlichen. Vermutlich wird es etwas dauern, bis wir wissen, welcher Algorithmus der Sache am nächsten kommt.
Die xGs sind also nicht das „wahre“ Ergebnis, aber sie schärfen den Blick aufs Spiel deutlich. Wir alle wissen schließlich, dass gar nicht so selten die bessere Mannschaft verliert. Darin unterscheidet Fußball sich von allen anderen Ballsportarten. Dieser Umstand erklärt sich ganz einfach daraus, dass im Fußball vergleichsweise wenige Tore fallen. In der Bundesligasaison 2016/17 waren es 2,86 Tore pro Spiel, in den meisten Profiligen liegt der Wert um drei Tore. In einem Basketballspiel hingegen landen oft mehr als hundert Würfe im Korb oder bei einem Handballspiel 50 Würfe im Tor, sodass der einzelne Treffer weniger wichtig ist. Im Fußball gehen Spiele nicht selten seltsame Wege, wenn etwa eine hochfavorisierte Mannschaft gegen einen Außenseiter trotz Dauerbelagerung des Tores nicht trifft und der Underdog mit einem seiner wenigen Vorstöße den entscheidenden Treffer macht. Das sind Momente, die vom Schicksal erzählen und eine fast poetische Qualität haben. manchmal scheint der Fußballgott auf Mannschaften zu deuten und zu beschließen, es gut mit ihnen zu meinen – und manchmal bitterböse. Das hat vermutlich sogar viel zur Popularität des Fußballs beigetragen, aber ganz nüchtern heißt es auch: Leistung und Ergebnis sind im Fußball weniger eng miteinander verbunden als beim Basketball oder Handball.
Quelle Christoph Biermann: Matchplan – Die neue Fußball-Matrix / Kiepenheuer & Witsch Köln 2018 ISBN 978-3-462-05100-1
Dank an Berthold!