Schlagwort-Archive: Eleonore Büning

Schwarzer Freitag mit Tristan

Ich habe mir den kommenden Freitag frei gehalten: Ich will das aktuelle Bayreuther Angebot „Tristan und Isolde“ vorurteilsfrei auf mich wirken lassen. Die Situation ist günstig, ich habe Zeit mich wenigstens einen vollen Tag vorzubereiten. Denn eins steht fest: Tristan ist für mich wahnsinnig aktuell.

Und damit habe ich unversehens das intelligenteste Statement der Wagner-Ur-Enkelin Katharina zitiert. Man lese die Überschrift HIER.

Tristan Klavierauszug

Dies sei der Beginn meiner heutigen Übung. Ich werde auch wieder stundenlang aus dem Klavierauszug spielen, wie damals, ja, wie einst im Mai. Da musste sich meine Freundin das endlos anhören. Ich bin ja auch nicht völlig unbedarft (wenn ich das mal hervorheben darf): Im Jahre 1964 habe ich meine sogenannte Staatsarbeit über den Tristan geschrieben und kann die heutige Gelegenheit gerne benutzen, mich ein wenig von ihr zu distanzieren: ich habe mich zwangsläufig weiterentwickelt, während die aktuellste Nachfahrin des Komponisten damals noch mehr als 10 Jahre warten musste, um überhaupt geboren zu werden. Inzwischen lernte ich allerdings Friedelind Wagner kennen, – flüchtig muss ich zugeben -, sie protegierte intensiv den amerikanischen Cellisten George Neikrug, und in diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass ich ihr und ihm auch mal den Anfangsteil des Konzertstücks „Tzigane“ von Ravel auf der Geige vorgespielt habe. Aber das ist eine Geschichte für sich; in diesem Zusammenhang ging auch meine Freundschaft mit Dietmar Mantel in die Brüche, der in Neikrugs Biographie vorkommt, während ich die große Gönnerin darin vermisse. Gut, ich schrieb damals an der hagiographischen Arbeit „Die literarischen und philosophischen Anregungen zu Wagners ‚Tristan‘ und ihre Wiedergabe bzw. Umbildung in diesem Werk“ (Juli 1964), und dies waren meine inhaltlichen Punkte:

Tristan JR

Ich habe dann die Ferienkurse in Darmstadt besucht, bei Siegfried Palm das frühe Trio (Kammersonate 1948) von Henze und das Klavier-Trio von Charles Ives studiert (mit Edith Frieser und Christian de Bruyn), wir haben im Zeltcafé den schweigsamen Carl Dahlhaus kennengelernt und den freundlich-gesprächigen Rudolf Stephan; ihn habe ich gefragt, was er von Curt von Westernhagen hält, dessen Wagner-Buch ich gründlich studiert hatte, und er sagte: „Das ist ein Troglodyt!“ Auf Nachfrage erfuhren wir, dass dieses Wort „Höhlenbewohner“ bedeutet, was ich mit Wagners Lindwurm assoziierte. In der Tat gilt der Autor als „einer der übelsten Rassefanatiker, die Wagners Werk im Dienste der Ideologie der Nazis auf Kurs schrieben“. (Davon wusste ich nichts, mich hatte nur das gehässige Kapitel über Nietzsche gestört.)

ZITAT

BR-KLASSIK: Welche Kenntnisse – beispielsweise philosophischer Art – setzt das Verstehen Ihrer „Tristan“-Inszenierung voraus?

Katharina Wagner: Ich hoffe, dass man keine Kenntnisse haben muss, um die Inszenierung zu verstehen. Das ist sowieso immer so eine Frage: Muss man eine Inszenierung verstehen? Man nimmt sie wahr und empfindet sie hoffentlich. Es gibt da ja auch keinen Beipackzettel, wo man sagt: So gehört es sich. Man hofft immer als Regisseur, dass man Bilder gefunden hat, die die Leute bewegen. Und das ist hoffentlich gelungen.

BR-KLASSIK: Und sich auch durch sich selbst eigentlich vermittelt – ohne dass man etwas wissen muss über den philosophischen Hintergrund, den es ja beim „Tristan“ auch gibt?

Katharina Wagner: Richtig, den gibt es. Den haben wir auch nicht außer Acht gelassen. Aber ich glaube, man braucht ihn nicht. Ich hoffe sehr, dass man ihn nicht braucht, um diese Inszenierung empfinden zu können. Das ist der andere Punkt. Natürlich gibt es viel philosophischen Hintergrund – auch zu dieser Inszenierung. Es ist schön, wenn man den sieht. Aber ich hoffe, die Inszenierung vermittelt sich auch ohne den Hintergrund.

Quelle: siehe BR nochmals HIER.

Was sagt die Kritik? Ich wähle aus Pflicht und Neigung die FAZ:

Katharina Wagner, ab dieser Spielzeit Alleinherrscherin auf dem Hügel, hat ihre gepflegten Krallen eingezogen. Nach den streitbaren (und bis zum Schluss auch beim Bayreuther Publikum heiß umstrittenen) „Meistersingern“, darin sie erstmals in der Geschichte der Festspiele (noch vor Stefan Herheims „Parsifal“) auch die nationalsozialistische Verstrickung der Wagnerfamilie mitinszeniert und eine Festwiesen-Bücherverbrennung gezeigt hatte, zelebriert sie jetzt einen unpolitischen, zeit- und zahnlosen „Tristan“. Sie wurde mit einhelligem Jubel am Premierenabend belohnt. Das Beste, was man über diese Inszenierung sagen kann, ist: Sie ist mehrheitsfähig. Kein Sofa in dieser Republik, von der aus man sich diesen früh-müden „Tristan“ am 8. August, wenn 3Sat landesweit live aus dem Festspielhaus überträgt, nicht gemütlich reinziehen könnte.

Quelle Frankfurter Allgemeine 27.7.2015 „Diese Leidenschaft braucht keinen Liebestrank“ Von Eleonore Büning.

Kleine Korrektur: „Kein Sofa in dieser Republik, von dem aus …“ Ich nehme das so genau, weil auch meines daheim gemeint sein könnte.

Und zitiere eine andere Passage, die spezifischer die Regieleistung betrifft:

Nach Heiner Müller und Christoph Marthaler ist Katharina Wagner nun schon die dritte Regisseurin, die in Bayreuth einen geometrisch-abstrakten Symbol-„Tristan“ zelebriert, mit Tableaux, darin sich wenig oder nichts mehr bewegt. Hoffen wir, dass damit keine Tradition begründet wird! Was die Personenregie anbelangt, schwankt die Regisseurin zwischen statischem Rampensingen à la Müller oder sinnfreiem Aktionismus à la Marthaler. Beides kommt vor. Zumal Isolde tut manchmal seltsam aufgescheuchte Dinge. Einmal, im Raumschiff-Kerker, baut sie aus etwas Schrott und einer Decke eine Art Zelt, das sie mit Glühbirnchen schmückt und dann wieder einreißt. Falls dies die Liebesnacht illuminieren sollte, so war es zweifellos eine traurige.

Aber es ist nicht diese Liebesnacht, die mich vorweg betroffen macht, sondern die Diffamierung des betrogenen, freilich vom Ur-Richard vielleicht allzu edel konzipierten Freundes Marke:

Doch leider, am Ende, als Isolde sich ausgesungen hat, reicht König Marke ihr den Arm und führt sie heim, als sein angetrautes Weib, das sie nun mal ist.

Da hatte ich mir doch damals, als ich meine Tristan-Arbeit beendete, einen mystischeren Ausblick erhofft. Andererseits – mit Blick aufs Bayreuther Publikum – auch wieder nicht.

Tristan Ende JR

Ob nun „Tristan“ oder „Ring“: Eines gelobe ich – beim Castorf -, bis Freitag will ich endlich klarer sehen, was ich von den dramaturgischen Gegenentwürfen des Regietheaters halten soll. Der entsprechende Aufsatz liegt bereit und enthält schon viele Unterstreichungen:

Die Krokodile sagen alles Frank Castorfs Bayreuther Ring und die „Dynamisierung des Originals“ Von Stephan Mösch. In: Musik & Ästhetik, 19. Jahrgang, Heft 75, Juli 2015, Klett-Cotta Stuttgart (Seite 77-88).

Nachtrag 8. August 2015

Zur Frage „Was geschieht nach dem „Liebestod?“ siehe screenshots HIER.