Vom Elend der Musikkritik
Man muss kein Verehrer der Künstlerin Anne-Sophie Mutter sein, um festzustellen, dass die Bewunderer sich an ihr die Zähne ausbeißen, – möchte ich anmerken, um ebenfalls mal mit einem schrägen Bild zu brillieren. Ist sie wirklich eine Vertreterin der musikalischen Molekularküche? Ist es nicht eine Beleidigung, wenn man feststellt, dass sie in Frühlingsgarderobe wie ein schillernder Zitronenfalter aussieht? Warum heißt es, Andris Nelsons inspiriere die Musiker „mit den Handbewegungen eines Hypnotiseurs“, – gibt es denn in seinem Fall nichts Ehrenrühriges, etwa die Gestik eines Brezelbäckers?
Klar, dass beim Violinkonzert von Sibelius zuerst die Atmosphäre der finnischen Wälder assoziiert wird („ein herbes, geheimnisvoll vernebeltes Werk“), dann die teure Stradivari. Aber dann sehr bald die Mutter in der Küche:
Beim leisen Beginn lässt sie die ersten Geigenklänge wie aus dem Nichts auftauchen, um daraufhin hohe Töne hell glänzen zu lassen. Brillanz und Schattierungsreichtum sind enorm. Aber es wirkt auch alles etwas unnatürlich – wie in der Molekularküche, wo nichts mehr so schmeckt und aussieht, wie die Natur es einst schuf. Auf der Bühne macht Anne-Sophie Mutter derweil einen ungemein kostbaren Eindruck – mit perfekt frisierter Mähne und einem hellgelben Frühlingskleid mit großer Schleife auf dem Rücken. Damit wirkte sie wie ein schillernder Zitronenfalter. Mit einem schnellen Bach-Solo bedankte sich die Geigerin, die schon unter Herbert Karajan spielte, für den begeisterten Beifall.
Quelle WAZ (via Solinger Tageblatt) 10.03.2015 (Lars Wallerang)
Verräterisch, dass nach dem „schnellen Bach-Solo“ (eine kurze Nachfrage bei einem beliebigen Orchestergeiger hätte wohl eine Spezifizierung mit „E-dur“ ergeben) noch der ungalante Hinweis auf einen vor vielen Jahren im hohen Alter verstorbenen Dirigenten folgen muss.
Erbarmen mit den klassischen Stars!