Nachhaltiges aus der Popwelt

In der Wochenendausgabe der SZ lese ich ein Interview mit Fred Kogel. Da springt kein Funke über, muss ich sagen. Obwohl es ein paar winzige Gemeinsamkeiten gibt. („Delilah“ Ende der 60 Jahre, „Prince“ Ende der 80er Jahre). Daran waren vielleicht die Kinder oder die Kindheit schuld. Aber was jetzt hängen bleibt, ist die volle Dröhnung, die sein vierjähriges Kind bekommt:

Absolut, ich wollte ihn ja eigentlich unbedingt schon zum AC/DC-Konzert in München mitnehmen. Meine Frau hatte aber Bedenken: die Lautstärke! Jeden Morgen auf dem Weg ins Büro nehme ich den Leo ja mit in den Kindergarten im Auto, das ist unsere Musikzeit. Ich glaube, er ist der einzige Vierjährige, der sich komplett auskennt in der Armada zwischen Rod Steward, Led Zeppelin und Mark Ronson. „Uptown-Funk“, das liebt er. Genauso wie Prince, da ist er voll drin, zumindest Luftgitarre beherrscht er.

Ich fürchte, seine Frau hat recht, – der Instinkt, sich die Ohren zuzuhalten, wenn sie Schaden nehmen, wird dem Vater zuliebe („unsere Musikzeit“!) desensibilisiert. In 40 Jahren wird sich der Kleine womöglich nicht mal mehr beim Vater bedanken können …

Und wie war’s in dessen Kinderzeit?

Ich komme ja aus einem musikalischen Elternhaus. Mein Vater war Opernsänger, meine Mutter Ballettmeisterin und Solotänzerin in Frankfurt. Ich kann heute noch 50, 60 Opernpartien auswendig singen, weil ich als Kind oft zehn Mal in den Inszenierungen am Gärtnerplatz war, in denen mein Vater auftrat. Meist saß ich in der Intendantenloge gleich neben der Bühne. Meine Lieblings-Spielopern sind die Opern meiner Kindheit, „Der Barbier von Sevilla“, „Hoffmanns Erzählungen“ oder „Zar und Zimmermann“.

Das ist schön und gut, aber die Frage, wie sich diese frühkindliche Prägung ausgewirkt hat, bekommt eine Antwort, die dringend einer Korrektur bedarf:

Bei mir war es ein wenig wie bei Obelix, der in den Zaubertrank gefallen ist: Ich habe die komplette Ladung Klassik abbekommen. Kein Wunder, dass irgendwann die Gegenreaktion kommen musste. Ich bin zum Rocker mutiert, auch aus dem Gefühl heraus, gegen den Musikgeschmack meiner Eltern revoltieren zu müssen.

Falsch! Das war keine komplette Ladung Klassik, sondern eine komplette Ladung Spielopern! Und das ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Man könnte ja sogar behaupten, dass das typische Opernpublikum ein komplett anderes ist als das Publikum der klassischen Sinfonie- oder gar der Kammerkonzerte. Und wenn man dann noch der Ansicht ist, dass man damals das falsche Instrument gelernt hat, nämlich Klavier, und nie erfahren hat, dass dieser schwarze Kasten einem – dank realer Imaginationsfähigkeit –  die ganze Welt der Musik zu erschließen vermag, dann bezieht man eben seine Weisheit aus dem „Pullacher Supermarkt, die hatten dort immer einen Plattenständer“…

Natürlich kann diese Musik ein Leben lang neue und neueste und noch neuere Erfahrungen produzieren, die allerdings niemals tiefer in das hineinführen, was Musik im „eigentlichen“ Sinne ausmacht. Woher sollen es die Jugendlichen auch wissen? Die Frage lautet ja nur: Ist Musik für die heutigen Jugendlichen noch ein Statement? Und Fred Kogels Antwort ist entsprechend dürftig:

Ich glaube schon, vor allem im Hip-Hop und im Rap. Da gibt es eine enge Verbundenheit der Fans zu ihren Musikern. Das typische Produkt in den Charts hat aber einen starken Marketing-Charakter. (…)

Ich habe früher noch auf den Erscheinungstag einer Platte gewartet. In der Bravo hatte ich meist schon davon gelesen, es gab ja nicht so viele Informationsquellen. Man musste sparen, um sich die Platte leisten zu können, man war froh, sie in den Händen zu haben. So etwas schafft Emotionen. Der größte Unterschied zu früher ist, dass Teenager heute meist nur für eine kurze Zeitspanne eine enge Beziehung zu einzelnen Musikern oder Bands aufbauen. (…)

Ja, man muss sich nur die Facebook- und Youtube-Erscheinungen ansehen. Sängerinnen wir Rihanna oder Taylor Swift, die über riesige Fankreise weltweit verfügen, haben die digitale Verfügbarkeit perfektioniert. Diese Phänomene leben mehr vom Lifestyle und vom Look als von der Nachhaltigkeit der Musik. (…) Aber die Flüchtigkeit ist kein neues Phänomen, auch bei uns gab es früher Bands wie [xyz]. Haben die nachhaltige Musik gemacht? Nein.

Quelle Süddeutsche Zeitung 1./2. August 2015 (Seite 54) Fred Kogel über MUSIK.

(Fortsetzung folgt)

Nachtrag 3. August (Aspektwechsel anstelle einer Fortsetzung)

Aus dem Blog von Berthold Seliger (Hier):

31.07.2015 – 13:54

In der „FAS“ schreibt die formidable Klassik-Expertin Eleonore Büning einen interessanten kleinen Aufsatz zum Thema „Warum schreiben Popkritiker über alles, nur nicht über die Musik?“ (steht leider nicht online, kann/will die FAZ/FAS nicht…)
Frau Büning weist darauf hin, daß Popmusik musikalisch sozusagen einfallslos ist, daß sie sich der musikalischen Bausteine, die seit dem 17. Jahrhundert vorhanden und bekannt sind, mehr oder minder ohne Verfeinerung oder gar Weiterentwicklung bedient: „Die Bausteine für eine Rockballade oder einen Schlager unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen für ein Schubertlied oder eine Gluckarie oder ein Monteverdimadrigal oder ein neapolitanisches Volkslied oder ein jiddisches Wiegenlied: Kadenzformel, Dreiklang, Terzfall, Sextsprung, Lamentosekunde, Auftakt und Synkope – was halt die gute, alte Musikrhetorik so an emotionalen Stimulantien hergibt. Das funktioniert seit Jahrhunderten tadellos…“
Mal abgesehen davon, daß ich bezweifle, daß die meisten Popmusiker und Popkritiker auch nur eine Ahnung von Kadenzformeln, Terzfall, Sextsprung oder Lamentosekunden haben (und damit meine ich nicht, daß sie nicht wissen, wie das heißt, sondern, daß sie diese Stilmittel weder kennen noch bewußt einsetzen…), hat Frau Büning völlig Recht, wenn sie sagt: „Das Wesentliche am Pop ist nicht die Musik, es ist die mit musikalischen Mitteln geweckte große Emotion, es sind die dadurch transportierten mehrheitsfähigen Bekenntnisse, Identifikationsmodelle, Lebenswelten, Selbstdarstellungskonzepte.“
Und daß sie von einem Popkritiker erwartet, daß er uns solche sozialen und politischen Phänomene, eben: das Gesellschaftliche an der Popmusik erklärt. In der Realität (und wenn ich über die Musikkritik nöle, dann immer in dem Wissen, daß es da draußen auch ein paar wirklich hervorragende PopkritikerInnen gibt, die BalzerBruckmaierWalter und wie sie alle heißen – eben die geliebten und bewunderten Ausnahmen, die die Regel bestätigen…), in der Realität also passiert leider das Gegenteil: Endloses Zitieren von Songtexten und das noch endlosere Name-Dropping sind die Regel. Nochmal Eleonore Büning:
„Was nützt es, zu wissen, in welcher inzwischen aufgelösten Band Y oder Z der Rhythmusgitarrist der Gruppe O, P oder Q schon mal vorher gespielt hat, wenn schon die Gruppen A oder B nur den Leuten bekannt sind, die neben dem Kritiker in der Fankurve saßen? Manchmal denke ich, diese hochnäsigen Kollegen von der Popmusikfraktion, die schon so jung so verknöchert herumschwadronieren, verstecken sich und ihre Meinung hinter Gebirgen von Namen aus demselben Grund, aus dem sich die klassischen Musikkritiker früher hinter Wällen aus Adornozitaten versteckt haben: Es handelt sich um Verteidigungswälle. Adorno nannte solche sich abkapselnden Gruppen von Musikliebhabern, die mit ihrem exklusiven Musikgeschmack unter sich bleiben wollten: ‚Ressentimenthörer’.“