Mozarts Formel

Eine Entdeckung

Zuerst die Kleinigkeit: sie steht im Anhang eines instruktiven CD-Booklets von Florence Badol-Bertrand. Und da ich eigentlich auf die Doppel-CD der großen Drei hinweisen möchte, in der dieser Text mit der Überschrift „Hin zur Katharsis“ sich befindet, lichte ich ihn gleich im Original ab:

Ich war verblüfft, dass die Formel auch in der Sinfonie stecken soll, die ich am frühesten von allen Mozart-Sinfonien im Notentext studiert habe: in der „großen g-moll“. Selbst als wir sie Jahrzehnte später für die deutsche harmonia mundi aufgenommen haben, ist mir entgangen, dass die Formel, die man sofort der großen in C-dur zuordnet, hier ebenfalls real zu hören ist, wenn auch minimal verrätselt. Ich kennzeichne sie jetzt in rot, die bis dato unentdeckt gebliebene.

 

Die Pionier-Zeit des Collegium Aureum mit Franzjosef Maier seit 1965 (parallel zum Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt). Ich erinnere mich allerdings gut, dass wir (dem Flegelalter noch nicht ganz entwachsen) das Thema zuweilen heimlich verunstaltet haben, während die anderen Streicher begannen, – indem wir an den hinteren Pulten leise spottend mitsangen: „Ich kann das nicht sauber, ich kann das nicht sauber“.

Ich habe die G-moll-Sinfonie als LP nicht mehr zur Hand, aber ich glaube, mit der „Linzer“ 1980 hat unsere Serie der Sinfonien überhaupt angefangen:

   

Zur neuen Aufnahme der Mozart-Sinfonien durch das Ensemble Resonanz

Was mich überrascht und begeistert, ist die Flexibilität im Tempo. Der Mut zur Besinnung, oder die Zeit stillstehen zu lassen, beklommen zu verweilen, nur für den Bruchteil eines Momentes, ohne dass jemand sagen könnte: das Stück fällt auseinander. Ganz auffällig und großartig am Ende der Durchführung der G-moll-Sinfonie, das Festfressen des Getriebes, die Rückkehr zum Haupttempo. Die „Anteilnahme“, die dann wiederum dem zweiten (chromatischen) Thema gilt, – nur ein Beispiel, man merkt es erst, wenn man den Fokus darauf richtet. Es ist wie beim Streichquartett, so organisch (auch das Nicht-Organische) -, dass es einem erst auffällt, wenn man – einfältig genug – am Lautsprecher mitspielen will. Es lebt wirklich, es ist keine Vorführung neuer Lesarten. Natürlich: so schnell habe ich den letzten Satz noch nie gehört, aber wenn es nach dem ersten Abschnitt minimal verhaltener wird und dann wieder zum „Original-Tempo“ zurückführt, die leicht extra gesetzten Akkordakzente, – nie entsteht der Eindruck, dass es wackelt. Es ist eine völlig einleuchtende Verzweiflungsrhetorik (gibt es so etwas?). Fast „absurd“ die scheinbar atonal in den Raum gesetzten Schläge zu Beginn der Durchführung, sozusagen außerhalb jedes metronomischen Zeitflusses. Das ist doch nicht mehr Mozart? Doch, genau das!

Dirigent: Riccardo Minasi.

Harnoncourt über die Trias der drei Sinfonien: „Das ist ein Großwerk, das auch in drei Stücken [hintereinander] gespielt werden kann!“ (Vimeo 2014 735):

ZITAT Website des Ensembles Resonanz zu K.551 Jupiter hier

Im Mittelteil [des Menuetto] – dem Trio – lässt der Komponist schon mal einen Blick auf den Finalsatz erhaschen. Eine Vorform des 1. Themas des letzten Satzes blitzt auf – darüber hinaus ist es eine musikalische Signatur wie die Tonfolge b-a-c-h bei Bach. Mozart verwendet das Thema in zwölf weiteren Werken. Es beginnt mit der berühmten Viertonfolge c-d-f-e. Sie gehört zum Urbestand der Kontrapunktlehre und dient Mozart als markante Kernzelle seines genialen fugenhaften Werkens, die diesen Satz durchzieht und in der Coda mit der Verarbeitung von fünf unabhängigen Themen geradezu unerhört endet. Das eigentlich Wunderliche daran: Dass Mozart die Strenge und Konzentration mit Anmut und Leichtigkeit durchbricht. Nicht versöhnend, sondern parallel bestehend, ständig weiter fließend. Der Satz endet strahlend. Ein Fest des Lebens mit all seinen Facetten. Perfekt in Balance trotz unüberschaubarer Gleichzeitigkeit der Dinge. Die goldene Mitte, der Nabel der Welt. Das Finale der C-Dur-Sinfonie ist ein prächtiges Beispiel dafür, wie kunstvoll Mozart Kunstfertigkeit verbergen konnte. Das Schwere wird bei Mozart leicht, das Alte neu, das Strenge witzig, der Schalk ehrlich. (Text: Maria Gnann)

Das, was mich jetzt überrascht, ist doch nicht ganz neu; ich hätte es leicht in meiner Mozart-Literatur finden können. So in der Taschen-Partitur mit Analyse von Manfred Wagner:

Auf der nächsten Seite weitere Hinweise wie diesen:

Quelle Mozart Sinfonie C-dur KV 551 „Jupitersinfonie“ Einführung und Analyse von Manfred Wagner / Taschen-Partitur mit Erläuterung / Goldmann Schott Mainz 1979

Neu ist wahrscheinlich nur Harnoncourts Idee, die drei Sinfonien als ein Tryptichon zu sehen (und hören zu wollen: so vor allem durch René Jacobs), man vergisst das nie: vom Schlussakkord der Es-dur- nahtlos in den Anfang der g-moll-Sinfonie, zumal  diese ja gar kein richtiges Thema habe…. (siehe hier „H. probt Mozart„). Die motivischen Zusammenhänge zumindest in der Jupiter-Sinfonie hat man schon seit Simon Sechter ständig nachgewiesen. Ich hätte es wissen können seit der Lektüre der Schriften von Johann Nepomuk David, der mir allerdings bei Bach viel zu weit ging: schließlich kann man fast alle nur möglichen Themen auf Tonleiterausschnitte und somit auf nahe Verwandtschaften reduzieren. (So auch der Versuch Helga Thönes, in Bachs Ciaccona lauter Choral-Zitate aneinandergereiht zu hören.)

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Quelle Johann Nepomuk David: Die Jupiter-Symphonie / Eine Studie über die thematisch-melodischen Zusammenhänge / Vandenhoeck & Rupprecht Göttingen 1953

Nochmals und noch neuer in großartiger Einheit:  (Die großen drei) MOZART SYMPHONIES 2020 unter der Leitung von Riccardo Minasi.