Zu Hegel

Nichts Neues

Als ich kürzlich in der Wochenzeitung DIE ZEIT auf eine HEGEL gewidmete Doppelseite stieß, wunderte ich mich, eine Frau zu erleben, die sich mit dem zentralen Paradigma „Herr und Knecht“ abgab, ohne ein paar Worte darüber zu verlieren, dass dieses Narrativ auch mit dem Gespann Herrin und Zofe funktionieren würde. Aber daran habe ich gemerkt, dass sie es ernst meinte, obwohl sie überhaupt nicht von diesem Gespann spricht, gleich ob männlich oder weiblichen Geschlechts. Denkbar wäre ja auch eine männlich/weiblich-Konstruktion, genannt Ehe. Kurz und gut, hier könnte sich die Chance bieten, Zugang zu Hegel zu bekommen und einmal sagen zu können, es sind Frauen, die mir in puncto Hegel weitergeholfen haben, ohne einen hochfahrenden Ton anzuschlagen. Und ein Wunder geschieht: Ich verstehe jeden Satz! Fast möchte ich sagen: als ob ich es selbst so hätte sagen können. Aber es war nun einmal jemand anders, eine andere.

Sie sagte:

Mit Hegels Hilfe möchte ich zeigen, wie wir Sozialität und Gewaltlosigkeit als Potenziale der heutigen Zeit verstehen können, die uns möglicherweise in die Lage versetzen, auch andere Potenziale zu bejahen, die unsere historische Gegenwart bereithält. 

Die Phänomenologie des Geistes beginnt mit der sogenannten „sinnlichen Gewissheit“, denn Hegel will die Erfahrung des Lesens mit dem einsetzen lassen, was scheinbar am unzweifelhaftesten ist – mit der sinnlichen Wahrnehmung. Die von den Sinnen gelieferten Gewissheiten erweisen sich zwar als unzureichendes Fundament der Erkenntnis, aber als ebenso unerlässlich für jede zukünftige Form des Wissens. In dem Maße, wie der Text voranschreitet und unsere Erfahrung des Lesens zu dem Ort wird, an dem jedes Argument zugleich entfaltet und demonstriert wird, entdecken wir, dass es eine Unnachgiebigkeit der sinnlichen Welt gibt, die sich ebenso wenig überwinden lässt, wie sich die Beharrlichkeit und Unnachgiebigkeit des Körpers in Hegels frühen theologischen Schriften überwinden ließ, es sei denn in Form von Selbstzerstörung und Tod.

In der Phänomenologie gewinnt der Tod eine zentralere Stellung im Verhältnis von Herr und Knecht, in dem zwei beseelte, lebendige und bewusste Gestalten ihrer Ähnlichkeit innewerden. Diese Anerkennung des eigenen Selbst als eines anderen oder des anderen als des Eigenen wird zum Ausgangspunkt dessen, was man Selbstbewusstsein nennt. Das heißt nichts anderes, als dass Selbsterkenntnis, verstanden als ein Zustand, in dem man sich selbst zum Gegenstand des Wissens macht (und wir sollten im Sinne Hegels hinzufügen: zu einem lebendigen Gegenstand des Wissens), gesellschaftlich ist. Selbstbewusstsein ist niemals vollkommen einsam; es ist abhängig von einer anderen Verleiblichung des Bewusstseins, was bedeutet, dass ich nur als soziales Wesen beginnen kann, über mich selbst nachzudenken. Es ist die Begegnung, die Selbstbewusstsein artikuliert, weshalb das Selbstbewusstsein per definitionem gesellschaftlich ist.

Anmerkung zum Absatz vorher: man könnte meinen, im vorletzten Satz liege ein Druckfehler vor (weil er auch auf „gesellschaftlich ist“ endet), – nein, verkürzt lautet er: Das heißt nichts anderes, als dass Selbsterkenntnis, verstanden als ein Zustand, in dem man sich selbst zum Gegenstand des Wissens macht (…), gesellschaftlich ist.

Merkwürdigerweise höre ich einstweilen gar nichts weiter über das Gespann „Herr und Knecht“ – vielleicht genügt es zum Verständnis des Problems, dass es ZWEI sind, – der Eine und der Andre? Ich zitiere aus einem anderen Text:

Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) braucht die Ausbildung des Selbstbewusstseins notwendig die Anerkennung durch ein anderes Selbstbewusstsein. In seiner „Phänomenologie des Geistes“ stellt er diesen Gedanken vor. Das Selbstbewusstsein ist dialektisch – es besteht aus zwei entgegengesetzten Komponenten: dem Herrn und dem Knecht. Der Herr ist dabei „für sich“, er genügt sich selbst und will diesen Zustand um jeden Preis erhalten. Der Knecht hingegen begehrt die Gegenstände der Sinnenwelt (zu denen der Herr keinen Zugang hat), weil er nicht körperlich arbeiten muss) und lebt in Furcht vor dem eigenen Tod. Vereinfacht könnte man sagen, der Herr steht für das absolute, der Knecht für das partielle, abhängige Selbst. Beide brauchen sich gegenseitig, da ihnen ohne den anderen etwas fehlt. Hegel beschreibt die Beziehung von Herr und Knecht als Prozess, stellenweise sogar als Kampf, in dem sich das Selbstbewusstsein in gegenseitiger Anerkennung der beiden Parteien formt. 

Was in Bezug auf die Bildung des Selbstbewusstseins noch sehr abstrakt klingt, wird anschaulicher, wenn man es auf die zwischenmenschliche Ebene überträgt. Wie Johann Gottlieb Fichte (1762-1840) darlegt, muss der Einzelne seinen Totalanspruch aufgeben, um in ein soziales Miteinander zu treten.

Nach einer kurzen Erfahrung der Wut und Enteignung scheint in der Begegnung aber leider der Entschluss zu fallen, den anderen zu zerstören. Und es gibt eigentlich nicht die Möglichkeit, zu sagen, dass der eine beschließt, den anderen zu zerstören, während der andere beschließt, sich zu verteidigen. Was mit dem einen geschieht, geschieht auch mit dem anderen. In diesem Augenblick befinden sich die beiden Subjekte in einem Kampf auf Leben und Tod, denn sie sind schockiert, auf ein anderes leibhaftiges Bewusstsein zu treffen, und müssen dieses andere zerstören, um das zurückzugewinnen, was Hegel „Selbstgewissheit“ nennt. Es stellt sich aber heraus: Wenn das andere zerstört werden kann, so kann dies auch dem einen widerfahren. Ihre Leben sind in diesem Sinne miteinander verflochten; die Strategie der Zerstörung bedroht unweigerlich beide. Anerkennung selbst ist immer eine gegenseitige und somit Kennzeichen einer sozialen Beziehung. Mein Leben ist nie allein mein Leben, weil mein Leben a) zu Lebensprozessen gehört, die mich übersteigen und erhalten, und b) zu anderen Leben gehört, gewissermaßen zu all den anderen beseelten und bewussten Gestalten.

Wenn ich das Leben eines anderen zerstöre, zerstöre ich, kurz gesagt, mein eigenes, was nicht heißen soll, ich sei der einzige Akteur des Geschehens. Es heißt vielmehr, dass ich als Lebewesen keine Möglichkeit habe, mich vollständig von anderen Lebewesen zu individuieren. Diese Idee eines lebendigen Gefährten ist ein mögliches Argument für Gewaltfreiheit, das sich Hegels Text entnehmen lässt, auch wenn Hegel selbst diese Argumentationslinie nicht verfolgt.

Nachtrag zur Orientierung: rote Farbe = Judith Butler / blaue Farbe: Thomas Vašek / grüne Farbe (folgt — genaue Quellenangabe erst gegen Ende)

Nur wer den anderen als gleichwertiges, selbstständiges Individuum anerkennt, wird bereits sein, sich moralisch zu verhalten. Somit ist die gegenseitige Anerkennung, die wir heute vielleicht eher als Respekt vor der Integrität des anderen beschreiben würden, die gesellschaftliche Basis, auf der Rechte, Gesetze und Normen entstehen können. Zwischen uns selbst und dem anderen vollzieht sich ein Wechselspiel. Wir können unser Gegenüber darum anerkennen und respektvoll behandeln, weil wir uns selbst in ihm erkennen und auch er uns als Person anerkennt. Ohne den anderen, den Gegenspieler bleibt uns also auch ein Teil von uns selbst verborgen.

Das Subjekt der Phänomenologie des Geistes weiß nicht von vornherein, dass es ein soziales Wesen ist, doch diese Erkenntnis stellt sich infolge des Kampfes auf Leben und Tod ein. Tatsächlich ist es die Abkehr von der Gewalt, durch die das gesellschaftliche Band zum ersten Mal in Erscheinung tritt. Gewalt taucht als konkrete Möglichkeit auf, doch die Erkenntnis, dass Gewalt nicht funktionieren wird, begründet den Sinn des ethischen Gebotes, einen Weg zu finden, wie ich mich selbst und den anderen, ungeachtet des Konfliktes zwischen uns, am Leben lassen kann. In dem Moment, in dem die Zerstörung des anderen als Möglichkeit ausgeschlossen ist, erkenne ich, dass ich an diesen anderen gebunden bin und dass mein Leben irgendwie mit seinem Leben verquickt ist. So wie ich Hegel lese, ist diese Erkenntnis, dass ich an den anderen gebunden bin, a) eine Einsicht in die physische Abhängigkeit voneinander und b) eine wechselseitige ethische Pflicht.

Die beiden Subjekte, die einander begegnen, verändern einander nicht nur wechselseitig, sie entstehen auch aus dem jeweils anderen. Mit anderen Worten: Wenn wir uns fragen, wie ein Subjekt wird, dann sehen wir, dass sich jedes Subjekt aus einer Abhängigkeit heraus entwickelt, aus einem anhaltenden Kampf um Differenzierung. Man kann nicht von Anfang an auf eigenen Beinen stehen; man kann nicht ohne die Hilfe anderer existieren, sicher auch nicht ohne das soziale und ökonomische Netzwerk, auf das die Pflegeperson baut. Jedes Subjekt entwickelt sich zu einem eigenständigen denkenden und sprechenden Wesen kraft einer Formation, die unauflösbar mit Abhängigkeit verbunden ist. Manchmal besitzt diese Abhängigkeit durchaus lustvolle Qualität, doch manchmal ist sie psychisch nicht zu ertragen. Abhängigkeit steckt also voller Ambivalenz.

Mit Axel Honneth und anderen Hegelianern bin ich der Überzeugung, dass wir die Art von Wesen sind, die Anerkennung begehren und durch sie zu einem Selbstverständnis finden. Doch was uns über die erste Szene potenziellen und gegenseitigen Mords hinausgelangen lässt, ist nicht nur die Erkenntnis, dass der andere mir gleicht und mir gleichgestellt ist, dass ihm auf dieselbe Weise Achtung gebührt wie mir. Wenn wir uns als soziale Wesen verstehen lernen, erkennen wir auch, dass wir schon längst auf diejenigen bezogen sind, mit denen wir die Modalitäten der Anerkennung aushandeln, und dass diese Bezüglichkeit jeden von uns definiert. Wir gehören schon vor dem Akt der Anerkennung zueinander – auch wenn es in der von Hegel beschriebenen Szene so aussieht, als stünden sich hier uneingeschränkt erwachsene Individuen gegenüber, die im Laufe einer seltsamen Reise ganz zufällig über eine weitere lebendige Form gestolpert wären.

Der ethische Imperativ, nicht zu töten, erwächst aus der Erkenntnis, dass das, was dem anderen widerfährt, auch mir widerfahren kann. Das soziale Band zwischen uns beruht auf dieser gegenseitigen Anerkennung unserer lebendigen Abhängigkeit. Natürlich sind Abhängigkeit und Unabhängigkeit nicht immer schöne Erfahrungen. Die Abhängigkeit des Arbeiters von einem Brotherrn, der seine Menschlichkeit nicht anerkennt, ist letztlich nicht hinnehmbar. Bei Hegel zeichnet sich hier eine psychoanalytische Einsicht ab, dass Abhängigkeit sowohl notwendig als auch zuzeiten unerträglich ist. Für Freud ist es das Baby, das sich von denen abzugrenzen versucht, auf die es angewiesen ist, obwohl die Abgrenzung nie vollständig gelingt. Mit Freud glaube ich nicht, dass Aggression gänzlich zum Verschwinden gebracht werden kann.

Ich unterbreche, um mein früheres Scheitern an Hegel in Erinnerung zu bringen: hier . Und fahre nachher fort mit einem dritten (oder vierten) Autor (einer Autorin vielleicht?). Wenn Sie fragen: kann man diese Einsichten denn nicht in klare einfache Worte fassen? Solche, die man mit gutem Willen und „gesundem Menschenverstand“ begreifen kann?  Wie man einen Stuhl, eine Pflanze, ein Instrument – mit Händen begreift. Natürlich kann man nicht verlangen, dass sich im Gehirn, das unsere Gedanken bildet, – ja, unsere Spekulationen ermöglicht  -, sich ein Korrelat unserer Hände befindet. Aber…  Ich gebe zwei Buchseiten wieder, die mich überzeugt haben, dass „Spekulation“ in der Philosophie eine andere Sache ist:

 … Aufgabe nichts vorhanden als das Wissen, im allgemeinen die Synthese des Subjektiven und Objektiven, oder das absolute Denken.

Vieles von dem, was mir Schwierigkeiten bereitet, ist übrigens bewundernswert dargestellt in Sahra Wagenknechts Buch „Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx“ (1996), ich ziehe es immer wieder zu Rate:

Gegenstand der „Phänomenologie“ ist [also] nicht die natürliche oder gesellschaftliche Geschichte im allgemeinen, sondern Die Geschichte des menschlichen Bewusstseins in seiner Auseinandersetzung mit der natürlichen und gesellschaftlichen Außenwelt. Die „Phänomenologie“ ist die universelle Darstellung der verschiedenen erkenntnistheoretischen Einstellungen als jeweils spezifische Versuche, die Realität gedanklich zu bewältigen und das Verhältnis des menschlichen Denkens zu ihr zu bestimmen; sie weist die all diesen Versuchen immanente Dialektik und Widersprüchlichkeit nach, die sie schließlich zur Selbstaufhebung und zum Übergang in die nächsthöhere Bewusstseinsform führen. Und sie deckt die den verschiedenen erkenntnistheoretischen Haltungen impliziten Ontologien auf, d.h. die in jeder Bestimmung des menschlichen Denkens zum Sein untrennbar enthaltene Bestimmung des Seins selbst. Jede Veränderung der Bewusstseinsform zieht daher – für das Bewusstsein, nicht an sich! – eine Veränderung des Gegenstandes des Bewusstseins – nach sich. Beide Seiten – Bewusstsein und Gegenstand – Erkenntnistheorie und Ontologie – bilden insofern von Beginn an eine Einheit; sie unterliegen einer gemeinsamen dialektischen Entwicklung, in deren Resultat – im absoluten Wissen – sich ihre vorausgesetzte Unabhängigkeit voneinander schließlich auch explizit aufhebt. (Seite 32f)

[Hegel:] „Das Selbstbewusstsein ist zunächst einfaches Fürsichsein, sichselbstgleich durch das Ausschließen aller anderen aus sich; sein Wesen und absoluter Gegenstand ist ihm Ich; und es ist in dieser Unmittelbarkeit oder in diesem Sein seines Fürsichseins Einzelnes…“ Die Gegenstände der Außenwelt ebenso wie die der anderen Selbstbewusstseine haben für das einzelne Selbstbewusstsein keine Selbständigkeit und Wahrheit; es ist auf ihre Vernichtung gerichtet. Bezogen auf die Naturdinge verhält es sich so als Begierde. Bezogen auf die anderen Individuen geht es zunächst auf deren Tod, sodann auf ihre Unterwerfung. Im Verhältnis von Herr und Knecht treten die zwei Momente, die das Selbstbewusstsein als einzelnes notwendig an sich hat – Fürsichsein und Sein-für-Anderes -, als zwei Gestalten des Bewusstseins auseinander. Im Prozess der Arbeit erfährt das knechtische Bewusstsein allerdings den Gegenstand gleichermaßen als selbständigen wie auch als rational erkenn- und somit beherrschbaren; durch Einschub des Mittels im Arbeitsprozess wird die Begierde gehemmt; die Auseinandersetzung mit der Außenwelt erhält gegenständliche Form und damit ein Bleiben, das sich über die Befriedigung der unmittelbaren Begierde hinaus erhält; der schlechthin unendliche Progress des organischen Seins, das in seiner Auseinandersetzung mit der Umwelt immer wieder beim gleichen Ausgangspunkt beginnt und daher nie über das einzelne Lebewesen als unmittelbar einzelnes hinauskommt, verwandelt sich damit in den konkreten Prozess fortschreitender Natureinsicht und -bewältigung. In den Produkten seiner Arbeit findet das arbeitende Bewusstsein sich selbst wieder; es kommt zur Anschauung des selbständigen Seins als seiner selbst, bzw. seiner selbst im Anderen. [Seite 41]

Ich vermute, dass es bei jedem neuen Versuch, Hegel zu verstehen, genau so geht wie mir hier bei dieser Abschreibearbeit: Man braucht immer wieder neue Überredungskünste um einzusehen, dass man so lange bei „Präliminarien“ stehen bleiben muss, ehe das Denken überhaupt beginnt, bei den „Prämissen“. Denn man weigert sich unterschwellig einzusehen, dass die Gegenstände des Denkens nicht einfach „zuhanden“ sind. Und so glaubt man, wenn man sich immer wieder dieser Arbeit unterzieht, dass man wieder einmal „stecken geblieben“ ist. Aber genau dies ist die Bewegungsart des allmählichen Verstehens. Sie geschieht nicht umsonst!

Die Aufhebung des Gegensatzes von Bewusstsein und Gegenstand und die Ableitung der wissenschaftlichen  Methode vollzieht sich in der Hegelschen „Phänomenologie“ über mehrere Hauptschritte, die im folgenden skizziert werden sollen. Das, worauf es Hegel ankommt, wird bereits im ersten Abschnitt – „A. Das Bewusstsein“ – sehr deutlich. (Nebenbei bemerkt, enthält dieses Kapitel eine bis heute unübertroffene Widerlegung der Prämissen sämtlicher empiristischer und positivistischer Philosophien, deren Selbstanspruch, jenseits von Materialismus und Idealismus zu stehen und schlechthin objektiv zu sein, Hegel überzeugend ad absurdum führt.)  [Seite 51]

Eine wesentliche Erläuterung dessen, was Hegel im Zusammenhang des spekulativen Satzes den „Gegenstoß“ nennt, finden wir in seiner Lehre von der bestimmten Negation, von der von vornherein festzuhalten ist, daß auch sie nur auf dem spekulativen Niveau plausibel ist. Ihr Grundgedanke ist, daß wenn etwas die Negation von etwas Anderem ist, es selbst durch das bestimmt wird, was es negiert, denn als Negation des Anderen ist es selbst Negation des Anderen. Daraus ergibt sich bei Hegel der berühmte Mehrfachsinn von „Aufheben“: In der Negation i.S. von „vernichtet“ und „bewahrt“, und eine dritte Bedeutung kommt hinzu, wenn man Hegels These hinzufügt, daß durch die bestimmte Negation das Negierte und das Negierende zu einer höheren, konkreten, genauer bestimmten Einheit hinaufgehoben werden. Bei alltäglichen Beispielen macht das alles freilich wenig Sinn: Wie könnte man behaupten, der Mörder von J. F. Kennedy sei als dessen Negation nun selber auch irgendwie Kennedy, und Kennedy und sein Mörder lebten nun in einer höheren, konkreteren Gestalt weiter. Bei spekulativen Sätzen, die die Totalität betreffen, ist das aber ganz anders; hier ist die Negation eine Teilbestimmung der Antinomie oder des Widerspruchs, der sich nach Hegel notwendig ergibt, wenn der Verstand versucht, die Totalität zu denken. Erst hier gilt, „daß  das Negative ebensosehr positiv ist oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besonderen Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist; daß also im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert“ (5,49).

Dies kann man unmöglich im alltäglich Sinn verstanden haben, hier wird der Sprung notwendig, ohne den es nicht weitergeht, in das Hegelsche Original (und wieder zurück in die Deutungen).

Hier folgt ein Sprung in meiner Kopie gemäß der obigen Anmerkung S. 68, die sich auf S. 81 bezieht:

Quellen 

DIE ZEIT online „Phänomenologie des Geistes: Warum jetzt Hegel lesen? Dieser Denker der Moderne ist hilfreich. Auch er lebte am Ende einer Epoche. Wie wir. Ein Gastbeitrag von Judith Butler 12. Februar 2020, 16:52 Uhr Editiert am 18. Februar 2020, 14:48 Uhr DIE ZEIT Nr. 8/2020

Thomas Vašek: Philosophie! die 101 wichtigsten Fragen THEIS HOHE LUFT WBG Darmstadt 2017 / Seite 146 Anerkennung Wozu brauchen wir den andern?

Sahra Wagenknecht: Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx / Aurora-Verlag Berlin1996 Seite 32, 41 und 51

Herbert Schnädelbach: Georg Wilhelm Friedrich Hegel / zur Einführung / Junius Verlag Hamburg 1999 (2007) Seite 24 f

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes / Herausgegeben von Georg Lasson / Zweite Auflage / Der Philosophischen Bibliothek Band 114 Leipzig 1921 / Verlag von Felix Meiner

Nachfrage Und was war nun das Anliegen des Artikels von Judith Butler in der ZEIT vom 12. Februar 2020? Folgen Sie dem Link HIER.