Zur allgemeinen Orientierung sei vorweg empfohlen: Wikipedia-Artikel zur „Phänomenologie des Geistes“ hier
Hegel an Schelling
Jena 3 Jan. 1807.
Bei meiner Rückkunft aus Bamberg, wo ich einige Wochen zugebracht habe, fand ich – vor etwa 14 Tagen, – Deine Schrift, das Verhältnis der Naturphilosophie zur neuverbesserten Fichte’schen betreffend, hier vor. Ich habe Dir sowohl für dieses Geschenk selbst meinen Dank anzustatten, als Dir zu sagen, daß mich die freundschaftliche und ehrenvolle Weise, mit der Du meines Aufsatzes über die Fichte’sche Philosophie im Kritischen Journal erwähnt hast, gefreut hat. Außerdem ist es mir eine angenehme Veranlassung, Dich um Nachrichten von Dir zu bitten und Dir von meinem Zustande zugleich zu geben. Daß ich deren schon mehrere vernachlässigt, darüber habe ich mich ohnehin bei Dir zu entschuldigen, besonders noch jetzt darüber, daß ich auf Deine freundschaftliche Einladung zur Teilnahme an den „Annalen der Medizin“ nicht geantwortet; der Grund lag in dem Wunsche, Dir meine Bereitwilligkeit zu Beiträgen, soweit deren von mir zu erwarten sind, zugleich durch die Tat zu beweisen, aber ich konnte nicht dazu kommen, ihn auszuführen, und so unterblieb auch das, was ich wenigstens hätte erwidern sollen.
Daß ich mich an Deiner Auseinandersetzung des neuerlichen Fichte’schen Synkretismus, „der alten Härte mit dieser neuen Liebe“, und seine steifsinnigen Originalität mit dem stillschweigenden Auflesen neuer Ideen, recht ergötzt habe, brauche ich Dir nicht zu sagen. Ebensosehr hat es mich gefreut, daß Deine so kräftige als gemäßigte Weise seine persönlichen Anfälle zu Schanden gemacht hat. Daß er sich sonst, davon haben wir Beispiele genug, aber ich meine, dies sei das erste, wo er bis zu Niederträchtigkeiten fortgeschritten ist, welche zugleich auch platt, auch nachgeschwatzt sind. – Der Zweck der Schrift, der außer der notwendigen Erklärung über die letztere Seits sich auf das eigentliche Philosophische einschränkt, macht, daß Du dies neuerliche Auftreten Fichte’s noch schonend behandelt hast; denn wenigstens das Eine dieser Popularitäten, der Geist der Zeiten, das ich allein gesehen, enthält Lächerlichkeiten genug, die eine ebenso populäre Handhabung zulassen und fast dazu einladen. Dergleichen Zeug mit solchem Eigendünkel vorzubringen, – ohne ihn aber würde es ganz unmöglich sein, – kann allein durch sein Publikum begreiflich sein, das wie sonst aus Leuten bestand, die noch gar nicht orientiert waren, so jetzt aus solchen, die ganz desorientiert sind und alle Substanz verloren haben, wie sich auch vor kurzem auf einem andern Felde hinreichend gezeigt.
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Schelling an Hegel
München 11. Jan. 1807
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Auf Dein endlich erscheinendes Werk bin ich voll gespannter Erwartung. Was muß entstehen, wenn Deine Reife sich noch Zeit nimmt, ihre Früchte zu reifen! Ich wünsche Dir nur ferner die ruhige Lage und Muße zur Ausführung so gediegener und gleichsam zeitloser Werke.
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Hegel an Schelling
Bamberg, den 1 May 1807.
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Meine Schrift ist endlich fertig geworden, aber auch bei der Abgabe von Exemplaren an meine Freunde tritt dieselbe unselige Verwirrung ein, die den ganzen buchhändler- und druckerischen Verlauf, so wie zum Teil die Komposition sogar selbst beherrschte. Aud diesem Grunde hast Du noch kein Exemplar von mir in Händen; ich hoffe es aber soweit doch noch bringen zu können, daß Du bald eines erhältst. Ich bin neugierig, was Du zur Idee dieses 1sten Teils, der eigentlich die Einleitung ist – denn über das Einleiten hinaus, in mediam rem, bin ich noch nicht gekommen, sagst. – Das Hineinarbeiten in das Detail hat, wie ich fühle, dem Ueberblick des Ganzen geschadet; dieses aber selbst ist, seiner Natur nach, ein so verschränktes Herüber- und Hinübergehen, daß es selbst, wenn es besser herausgehoben wäre, mich noch viele Zeit kosten würde, bis es klarer und fertiger dastünde. – Daß auch einzelne Partien noch mannigfaltiger Unterarbeitung, um sie unterzukriegen, bedürften, brauche ich nicht zu sagen, Du wirst es selbst nur zu sehr finden. – Die größere Unform der letztern Partien [betreffend] halte Deine Nachsicht auch dem zugute, daß ich die Redaktion überhaupt in der Mitternacht vor der Schlacht bei Jena geendigt habe. – In der Vorrede wirst Du nicht finden, daß ich der Plattheit, die besonders mit Deinen Formen soviel Unfug und Deine Wissenschaft zu einem kahlen Formalismus herabtreibt, zu viel getan habe. – Uebrigens brauche ich Dir nicht zu sagen, daß, wenn Du einige Seiten des Ganzen billigst, dies mir mehr gilt, als wenn andre mit dem Ganzen zufrieden oder unzufrieden sind. So wie ich auch niemand wüßte, von dem ich diese Schrift lieber ins Publikum eingeführt und mir selbst ein Urteil darüber gegeben werden wünschen könnte.
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Schelling an Hegel
München, den 2. Nov. 1807
Ich schicke Dir hier eine Rede, die vor einiger Zeit von mir gehalten worden. Du wirst sie beurteilen, wie solche Gelegenheitsreden, die für ein größeres Publikum berechnet sind, beurteilt sein wollen.
Du hast lange keinen Brief von mir erhalten. In Deinem letzten versprachst Du mir Dein Buch. Nachdem ich dieses erhalten, wollt‘ ich es lesen, eh ich Dir wiederschriebe. Allein die mancherlei Abhaltungen und Zerstreuungen dieses Sommers ließen mir weder die Zeit noch die Ruhe, die zum Studium eines solchen Werkes erforderlich sind. Ich habe also bis jetzt nur die Vorrede gelesen. Inwiefern Du selbst des polemischen Teils derselben erwähnst, so müßte ich, bei dem gerechten Maß der eignen Meinung von mir selbst, doch zu gering von mir denken, um diese Polemik auf mich selbst zu beziehen. Sie mag also, wie Du in dem Briefe an mich geäußert, nur immer auf den Mißbrauch und die Nachschwätzer fallen, obgleich in dieser Schrift selbst dieser Unterschied nicht gemacht ist. Du kannst leicht denken, wie froh ich wäre, diese einmal vom Hals zu bekommen. – Das, worin wir wirklich verschiedner Ueberzeugung oder Ansicht sein mögen, würde sich zwischen uns ohne Aussöhnung kurz und klar ausfindig machen und entscheiden lassen; denn versöhnen läßt sich freilich Alles, Eines ausgenommen. So bekenne ich, bis jetzt Deinen Sinn nicht zu begreifen, indem Du den Begriff der Anschauung opponierst. Du kannst unter jenem doch nichts anderes meinen, als was Du und ich Idee genannt haben, deren Natur es eben ist, eine Seite zu haben, von der sie Begriff, und eine, von der sie Anschauung ist.²
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JR : Ich habe in meiner Wiedergabe kleine Korrekturen des Herausgebers, die auf der Hand liegen, nicht vermerkt, und aus den erläuternden Anmerkungen zitiere ich jetzt nur die nach dem letzten Satz (s.o.):
²) Von einigem Interesse ist Schellings Bemerkung an Windischmann (30. VII. 1808), den späteren Rezensenten der „Phänomenologie des Geistes“ in der J.A.L.Z. (….) über Hegels Werk: „Ich bin neugierig, was Sie mit H e g e l anfangen. Mich verlangt zu sehen, wie Sie den Weichselzopf entwirrt haben; hoffentlich haben Sie diesen nicht von der gottesfürchtigen Seite genommen, so unrecht es wäre, ihm andernteils die Art hingehen zu lassen, womit er, was seiner individuellen Natur gemäß und vergönnt ist, zum allgemeinen Maß aufrichten will.“
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Quelle Briefe von und an Hegel Band I: 1785-1812 / Herausgegeben von Johannes Hoffmeister / Philosophische Bibliothek Band 225 Dritte, durchgesehene Auflage 1969 / Felix Meiner Hamburg 1952 / Lizenzausgabe Franz A. Taubert Bad Harzburg 1991
Näheres zum Hintergrund bei Klaus Vieweg (Hegel C.H.Beck München 2019) Seite 248 ff „Die Wege von Hegel und Schelling trennen sich“.
ZITAT
Die Differenz zwischen dem Schellingschen und dem Hegelschen Idealismus treten allmählich hervor, Risse sind entstanden. Der mit der Phänomenologie des Geistes vollzogene ‚immerwährende Abschied von der philosophischen Denkweise Schellings‘ (Eduard Gans) kündigt sich an. Schelling hatte den Ausbau eines zusammenhängenden Systems auf logischer Grundlage nicht konsequent verfolgt; er verharrt beim intellektuellen Anschauen und verwirft die Erkenntnis des Absoluten auf logischem Wege, obschon er durch Hegel Bausteine einer anderen als der traditionellen, formalen Logik kennengelernt hatte. Hegel strebt eine logisch gestützte Architektur seiner Philosophie an. Die Zeit verlangt eine neue Logik als Metaphysik, das Absolute kann allein in der Philosophie, im begreifenden Denken ausgesprochen und zureichend dargestellt werden (GW 5, 370 ff.).
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ZITAT aus dem zu Anfang angegebenen Wikipedia-Artikel, damit ein geheimer Zusammenhang mit unserem nächsten Beitrag gewahrt sei:
Die Vorrede beginnt mit Hegels manchen Leser sicher überraschenden Enttäuschung der üblichen Erwartung an eine Vorrede, dass sie nämlich Absichten und Ergebnisse der Forschungsarbeit des Autors skizziere und sich von allen früheren falschen Darstellungen anderer abgrenze und distanziere. Seine darüber hinausgehende Vorstellung von philosophischer Wissenschaft macht Hegel zunächst bildlich durch den Vergleich mit dem Wachstum einer Pflanze deutlich und lässt damit zugleich erfahren, was er in seiner Vorrede beabsichtigt, nämlich die schrittweise Hinführung des Lesers zu seiner ungewohnten dialektischen Denkweise, ohne die seine Wissenschaft nicht verstanden werden kann:
„Die Knospe verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird, ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.“
Im ORIGINAL: