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Nachlese zum „Universalismus“

Bezogen auf den Versuch hier (und vielleicht hier)

Dank einer Anregung durch Daniel Martin Feige auf Facebook komme ich auf diesen lesenwerten Essay:

Der Universalismus der Aufklärung trotz postkolonialer Abgesänge von Arnd Pollmann

(…) Auf Seiten vieler politisch „links“ stehender Menschen herrscht seit den schockierenden Massakern vom 7. Oktober nicht bloß unschlüssiges oder betretenes Schweigen. Spätestens seit der letzten Documenta drängt sich der ungute und in diesen Tage dann auch heftig diskutierte Verdacht auf, nicht wenige Befürworter:innen postkolonialer Herrschaftskritik könnten ein allzu sympathetisches Verhältnis zu israelkritischen oder sogar direkt antisemitischen Organisationen hegen. Und bisweilen ist gar so etwas wie ein postkoloniales Liebäugeln mit dem palästinensischen Terror zu vernehmen. Zugleich richtet sich Sarasins Kritik ( siehe hier JR) gegen einen israelisch-deutschen Kantianer, der selbst nicht recht in die üblichen Schubladen passt. Als „Universalist“ ist Boehm (siehe hier JR) nicht nur ein erklärter Gegner postkolonialer Relativierungen. Eben dieser Universalismus führt ihn auch zu einer vehementen Kritik der israelischen Besatzung; was ihn in der Öffentlichkeit beinahe allseitig zur Zielscheibe macht.

Die Würde aller Menschen

In Boehms zuvor erschienen Buch Israel – eine Utopie (2020) hat dieser sich sowohl gegen die sogenannte Zwei-Staaten-Lösung als auch gegen die Idee eines jüdischen Einheitsstaates gewendet und stattdessen für die Utopie einer „Republik Haifa“ argumentiert; für eine föderale, binationale Demokratie, die insofern auf der Idee „universeller Menschenwürde“ fußen würde, als dort die prinzipielle Gleichberechtigung aller Menschen – in diesem Fall: Juden wir (wie) Araber – garantiert wäre. Ein solcher Staat käme laut Boehm allerdings erst dann in Sicht, wenn die jüdische Besatzung als Besatzung ein Ende hätte: „Wo der Begriff des Rechts von der Würde und Gleichheit aller Menschen abgeschnitten wurde, ist sein Anspruch auf Autorität von innen heraus zersetzt“.

(weiterlesen hier)

Exkurse zu den Universalien: s.a. hier und z.B. in der Ethnologie bei Kohl und Antweiler

Quelle: Christoph Antweiler: Mensch und Weltkultur / Für einen realistischen Kosmopolitismus im Zeitalter der Globalisierung / [transkript] Bielefeld 2011

Nachschrift nach dem 17. November

Jetzt bezogen auf den Artikel von Omri Boehm in der Süddeutschen Zeitung, Thema: ein wirklich universalistischer Humanismus, allerdings mit Gedankengängen, die Widerspruch herausfordern können. Sollen wir wirklich einem bedeutsamen Antagonismus der „Weimarer Zeit“ nachgehen, der sich in Gestalt einer jüdischen Bibelübersetzung und dem Nachwirken Nietzsches mit dem Lobpreis des griechischen Polytheismus manifestiere? Ich denke, weder das eine noch das andere war zu jener Zeit von Bedeutung, – so wenig wie heute die sehr menschliche des von Omri Boehm herausgehobenen Navid Kermani, der eine israelische Freundin zitiert. Einzelne Thesen in einem gewaltigen Stimmengewirr…

 

Mich überrascht das Narrativ, die Propheten könnten eine beschwichtigende Rolle innerhalb des Monotheismus spielen, für dessen Beurteilung in unserer Zeit wohl eher Jan Assmann paradigmatisch geworden ist. Für die Sicht der Propheten aber würde ich weniger deren Stellungnahme für die „Bewährten“ in Sodom und Gomorra sehen, als den Ablauf des Isaak-Opfers mit der Willkürentscheidung zugunsten des unschuldigen Opfers. Wo bleibt die Gerechtigkeit als universales Prinzip?

(Fortsetzung folgt)

Medien Misstrauen Durchblick

„Was sehe ich?“ oder „Was höre ich?“

„Wokeness“

Ich habe dieses Wort gegoogelt, um Weiteres über den Bedeutungsumfang zu erfahren, und war im Nu bei „Cancel Culture“ und einer Web-Seite, deren Impressum ich untersuchte, nachdem ich mit dem lehrreichen Inhalt fast fertig war. Pragmaticus-Verlag usw., Liechtenstein. Bedeutet das: Unabhängigkeit?

Doch zurück zu besagtem Web-Artikel: HIER. „Das Ende der Vernunft“ von Konrad Paul Liessmann. Im Vorübergehen habe ich gelesen: Österreichs Vorzeigephilosoph… das schürt Misstrauen. Zwei Klicks weiter bin ich bei den Salzburger Nachrichten-Zeilen: Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz hat gemeinsam mit Prinz Michael von und zu Liechtenstein ein neues Medienprojekt aus der Taufe gehoben: „Der Pragmaticus“ startet ab sofort als Onlineplattform.

Noch ein Klick weiter: hier (Wikipedia): Laut Bloombergs Billionaires Index  belegte er im Februar 2022 und einem geschätzten Vermögen von 15,4 Milliarden US-Dollar den 132. Platz auf der Rangliste der reichsten Menschen der Welt.

Bin ich kuriert? Oder ganz ins Reich der Vorurteile abgedriftet? Wo steht nun Konrad Paul Liessmann? Aber warum habe ich mich nicht von vornherein an Wikipedia gehalten? Der Artikel „WOKE“ klärt weitgehend auf. Sogar speziel über den Gebrauch des Wortes in Deutschland und Österreich.

Ich werde zurückkehren zum ersten Medium meines Vertrauens (das selbst die Gründe des möglichen Misstrauens reflektiert). DIE ZEIT 19.05.2022 N° 21 .

1 Das Ende der Globalisierung / Die Überlegenheit des westlichen Lebensstils hat sich als Illusion erwiesen. Wie konnten wir nur daran glauben? Von Jens Jessen

Was man politisch missbilligte, nahm man zugleich als Konsument in Kauf.

2 Verteidiger des Anstößigen / Der österreichische Philosoph Robert Pfaller kämpfte schon gegen Wokeness, als es den Begriff noch gar nicht gab. Mit seinem neuen Buch über die Scham bringt er die intellektuellen Verhältnisse erneut zum Tanzen. Ein Besuch in Wien. / Von Ijoma Mangold

Scham ist zu einem allgegenwärtigen Affekt geworden. Man schämt sich für sein eigenes Verhalten (Flugscham), aber noch häufiger findet man, andere müssten sich schämen für ihr Verhalten, oder man schämt sich gar in der Form der Fremdscham anstelle der anderen.

3 Die große Seelenschau / Die Deutschen erkunden ihr Inneres wie nie zuvor. Das ist gut für den Einzelnen. Doch hilft es auch der Gesellschaft in schwierigen Zeiten? / Von Stefanie Kara und Rudi Novotny

Wo kommt das alles her? Macht es die Gesellschaft als Ganzes besser? Und ist es überhaupt noch angemessen in einer Zeit, in der plötzlich Härte so wichtig zu sein scheint: gegenüber Putin, gegenüber den Zumutungen des Krieges und seiner wirtschaftlichen Folgen? Sollte eine Gesellschaft, die sich wehren muss gegen einen Aggressor, sich lieber nicht so sehr mit sich selbst beschäftigen – oder gebraucht gerade sie die psychische Stärkung, um alles durchzustehen?

3 Der gute Ton in schlechten Zeiten Muss man russische Musik derzeit boykottieren, um ukrainische zu würdigen? Über die Politisierung der Künste in Zeiten des Krieges / Von Florian Eichel

das zweite und problematischere Argument gegen russische Musik: Man hadert mit der symbolpolitischen Wirkung, die es entfaltet, der russischen Kultur eine Plattform zu geben, wenn gerade die ukrainische schutz- und aufführungsbedürftig ist. Doch rücken solche Überlegungen in den Vordergrund, die man eigentlich überwunden zu haben hoffte.

(…) Wie viel politischen Ballast hält antipropagandistische Kunst aus, bevor sie unter einem solchen Gewicht selbst zu bloßer Propaganda wird? Jenseits der Hochkultur stellte sich diese Frage beim jüngst ausgetragenen Eurovision Song Contest.

4 Warum so wütend, Herr Snyder? Der Historiker und Ost-Europa-Experte Timothy Snyder wirft den Deutschen vor, ständig »Nie wieder Faschismus« zu sagen – aber ihn nicht zu bekämpfen, wenn er sich zeigt. Ein Gespräch über Kolonialismus, unterlassene Hilfe in der Ukraine und den Rohstoff Schuld

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Als Voraussetzung oder wesentliche Ergänzung zu 1 gilt aus meiner (stark persönlich bedingten) Sicht:  Zur Dialektik der postkolonialen Kritik von Daniel Martin Feige, der auf der vierten Seite die Kaluli erwähnt. Immerhin. Und die Musikästhetik von Christian Grüny und vor allem eine analytische Arbeit von Simone Mahrenholz. Ein Neuanfang. (Publikationen dieser Autorin hier.)

Aber die eigene Suche danach erspare vorläufig niemandem. Meine Bezugsthematik findet sich in einem Buch, das mich vor 10 Jahren beeindruckt hat:

Inhaltliches bei socialnet hier

Was ich so hervorragend finde an der „Musikbeschreibung“ von Simone Mahrenholz, lässt sich schwer „in eigene Worte“ fassen, vor allem, wenn es solche sein sollen, die jemand anderen nicht veranlassen, sofort zu sagen: das kenne ich schon, das ist doch nicht neu! Das findet man doch ebenso deutlich bei Victor Zuckerkandl oder bei Adorno, nur anders formuliert. Und wenn man triumphierend auf Susanne K. Langer weist, hätte man sogar völlig recht, ja, – aber mit größtem Unbehagen würde ich mich daran erinnern lassen, dass ich vor vielen Jahren einen Disput mit Joachim E. Berendt hatte: Er schien mir auf eine absurd unwissenschaftliche Weise ein neues Zeitalter des Hörens ausrufen zu wollen, das sich im Einklang mit einer mystisch verstandenen Physik wähnte, kombiniert mit einem starken Schuss indisch-exotischer Philosophie, kondensiert in der Formel „Nada Brahma“. Lauter Worte, die sich einer heiligen Naivität verdankten, Worte, die auch heute wieder auftauchen könnten und immer irgendwie wahr sind: z.B. „Wendezeit“ (Frithjof Capra). Wahrscheinlich hat es angefangen mit Jean Gebser, Anfang der 60er Jahre, und seiner Vision einer großen Abendländischen Wandlung. Ich will das alles gar nicht beschwören, diese Themen waren ja innerhalb weniger Jahre kontaminiert. Schwärmertum, mehr oder weniger  dilettantische Weltentwürfe. Immer das große Ganze. Nicht umsonst begegnet man bei Simone Mahrenholz des öfteren der Warnung vor Mystizismus. Auch modisch-elegante Philosophen wie Peter Sloterdijk haben sich  ein Weile von der Nada-Brahma-Welt des „Jazz-Papstes“ aus Baden-Baden becircen lassen und wortreich wieder hinausmanövriert. Unter dem Deckmantel des universalen Klangs ließ sich alles verkaufen. Die Doppelgestalt des Tones – wie schön das klingt, wie zauberisch -, und Berendt selbst hat sich erst vollständig lächerlich gemacht, als er die großen klassischen Werke in seinen Aktionismus einbezog, möglichst letzte, allerletzte Werke, mit direktem Draht zum Jenseits: „Hinübergehen“ hieß sein letztes Buch.

Ich erwähne dies nur, um ganz deutlich zu machen: diese Zeiten sind vorbei und werden nicht wiederkommen. Und wenn nicht längst deutlich wäre, dass die Esoterik der Rudolf-Steiner-Welt nach wie vor mit Wissenschaft nichts zu tun hat, – das ist halt „Geheimwissenschaft“, die durchaus absolut „geheim“ bleiben darf -, so wäre jede neue Musikphilosophie, die nur entfernt danach klingt, auch nur leeres Gerede. Nonsens.

Die von Simone Mahrenholz aufgestellte These lautet, „dass ein gemeinsamer Nenner für alle existierenden Musikformen in der Funktion einer (anvisierten) Transformation der Wahrnehmung liegt. Diese impliziert Bewusstseinsveränderung. Alle im Text angesprochenen Musikformen haben diesen Effekt (oder dieses Ziel) – mit unterschiedlicher Intensität und Stoßrichtung.“ Und sie fragt dann: „Wie ist Wahrnehmungsveränderung durch Musik konkret möglich? Worin ist sie situiert?“

Es ist die Wortwahl oder die Blickrichtung, die ein Phänomen plötzlich in ein neues Licht setzen und die Augen weit öffnet: das große Staunen ist da, welches nach Plato der Anfang jeder Philosophie ist. Hör ich das Licht? (Tristan). Was sieht man? (Ich verkürze:) Ein Mehr an Realität. Bei Mahrenholz folgen dann die Sätze, die das Interesse und die Phantasie befeuern:

Eine Antwort hierauf liegt in der musikalischen Materialität. Wie entstehen Töne, sound, noise, Klang. (Anmerkung !) Bekanntlich durch in Bewegung [(in)] versetzte Materie, vor allem Musikinstrumente und dadurch ausgelöste Luftschwingungen, die sich über das Resonanz-Prinzip im Raum fortbewegen. Nach welchen Gesetzen produzieren diese ausgelösten Oszillationen Töne? Hier liegt der Schlüssel für das Weitere. Musikinstrumente und bewegte Körper produzieren streng genommen keine Töne. Sie produzieren Schwingungen, Schwingungsfrequezen. Da deren Geschwindigkeit gewöhnlich viel zu hoch ist für direkte Wahrnehmung, wandelt die menschliche Hörphysiologie sie in Tonhöhen um. 440 Schwingungen pro Sekunde ergeben den Kammerton a. Das heißt, Musikinstrumente und Hörphysiologie zusammen produzieren Töne. Verschiedene Tonhöhen und verscieden schnelle Oszillationen.

Das ist so bekannt, dass manch eine(r) mit Hochmut reagieren mag. Gerade auch, wenn als nächstes das Phänomen der Obertöne erläutert wird; man denkt an den Obertongesang, der uns in den 80iger Jahren vielleicht in eine Sackgasse befördert hat. Was mich heute fasziniert, ist die völlig andere Stoßrichtung der verwendeten Begriffe.

Simone Mahrenholz verbalisiert vorsorglich auch die Hemmung, „das ideologisch aufgeladene Wort ›Obertöne‹ in den Mund zu nehmen“, bevor sie formuliert, dass „das Wahrnehmen von Musik als eines sinnhaften Gebildes (…) dem hörenden Individuum zugleich etwas über die physiologischen Gesetze des Seins mitteilt.“ Dazu gehört Mut, und man sollte solche Sätze nicht aus dem Kontext isolieren, mit Pathos aufladen und weitergeben.

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„Wunderbarer als die Erscheinung des Regenbogens“ – Werbetext für eine WDR-Veranstaltung am 22.07.1982 mit dem Harmonic Choir unter David Hykes :