Mosaik-Fragmente nach Hamburg 18. März 2017
Was ist aus dem Ensemble Al Kindi geworden? In den 80er Jahren sind wir uns mehrfach begegnet. Konzerte im WDR, Produktionen, die CD bei Network kam 1994 heraus. Ich weiß, dass Julien Weiss in Damaskus lebte, ich hätte ihn dort besuchen dürfen. Er ist 2015 gestorben, der Flötist Abd al Safar Salam schon 1999 †, Sheikh Hamza Shakkûr 2008 †. Vorsicht, ist das Kreuz erlaubt? Nichts von allem, was kam, habe ich geahnt…
Heute noch auffindbar: HIER
Das folgende Interview fand offenbar 2 Jahre vor Julien Weiss‘ Tod (Krebs) im Jahre 2013. Zum Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien siehe HIER. Das Wort Hamah beruht auf einem Hörfehler, gemeint ist Amman. (Genau diese Strecke von Amman nach Damaskus sind wir – ein studentisvches Kammerorchester der Kölner Hochschule, Ltg. Günter Kehr, 1967 mit mehreren Taxis gefahren, irgendwo in der Steppe – Sabratha hieß eine Zwischenstation – haben wir an einer Kreuzung ein Hinweisschild in alle Richtungen gesehen, darunter neben unserem Zielort auch Bagdad. Einer von uns, der Kontrabassist Johannes Köhler, erzählte, dass er dort einige Jahre im Sinfonie-Orchester gespielt habe. Wir diskutierten heftig über Monotheismus. Ich dachte, seine Ursache sei diese gewaltige Sonne.)
Heute wartet auf mich in der Buchhandlung Jahn das Buch über Syriens Geschichte der letzten Jahrzehnte. Ich bin – nach Hamburg – fast mehr politisiert als musikalisiert… Soll doch Wolfgang Hamm an dieser Stelle kompetent über das Ereignis in der Elbphilharmonie sprechen: „Der Krieg hat die Musiklandschaft Syriens zerstört und die Musikschaffenden ins Ausland getrieben“. HIER !
Natürlich ist dies auch eher ein Stimmungsbericht über die Lage der Musik und der Musiker im Exil und lebt von diesem einen Lamento nach dem barocken Modell, das schon Johann Sebastian Bach für sein „Crucifixus“ in der H-Moll-Messe verwendet hat und hundertfach nachklingt, wenn man will, sogar in der Melancholie des Concierto d’Aranjuez.
Ich habe im Grunde nur eine Sache miterlebt, die ich nun rein optisch zu meinen Gunsten vergrößere:
Meine Einführung galt einer alten syrischen Musik, die ich mir etwas anders vorgestellt hatte, vielleicht näher an dem, was ich vom Al-Kindi-Ensemble und zahllosen Aufnahmen klassischer arabischer Musik kannte. An deren Stelle stand die virtuos-konzertante Musik des Trios Ney-Kanun-Darbuka im ersten Teil des Konzertes, im zweiten dagegen der kurdisch-armenisch-syrische Sänger Ibrahim Keivo (mit seinen verschiedenen Lauteninstrumenten), der das Publikum zu faszinieren versteht mit religösen oder ethnischen Liedern aus yesidischer, syriakischer, aramäischer Überlieferung u.a.; zweifellos verfügt er zugleich über ein enormes Entertainmentpotential, das auch vor westlichem Publikum den Funken überspringen lässt. Jeder versteht seine Ausdrucksmittel. Und auch das Trio spart nicht mit Allusionen uns vertrauter Stilelemente (Terzläufe, Chromatizismen) neben brillanten Percussionseinlagen und altsyrischer Melodik.
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Nein, der oben genannte Rastplatz in der syrischen Wüste hieß nicht „Sabratha“ – diese altrömische Stätte hatten wir vielmehr in Libyen besucht. (Wir befanden uns auf einer Tournee, die das studentische Kammerorchester der Kölner Musikhochschule für das Goethe-Institut durchführte, Start in Casablanca, Ende in Kabul). Hier aber ist das Erinnerungsbild aus der syrischen Idylle (der junge Mann im Hintergrund ist der Bratscher Rainer Moog.)
Die syrische Landkarte, die uns begleitete
Und nun wieder HEUTE!!! Wie konnte es dazu kommen??? Ich muss viel mehr wissen und irgendwo anfangen. Merkwürdigerweise entdecke ich, dass genau mein Schlüsseljahr 1967 eine entscheidende Rolle spielt: Es ist „die traumatische Zäsur von 1967“, die zur „zur Geburtsstunde des politischen Islam als neuem Hoffnungsträger der Massen“ wurde, zunächst nur im arabischen Raum, später, nach der Revolution im Iran 1979, auch in der übrigen islamischen Welt.“ (Lüders Seite 45). Hier liegt ein Buch, – mir ist bekannt, dass der Autor Gegner und sogar Feinde hat, angeblich versteht er die israelische Position nicht. Soll ich etwa eine ausgewogene Darstellung suchen? Was ist denn das? Warum soll ich nicht zwei unausgewogene Darstellungen gegeneinander lesen? Wer es wagt, soll es bitte selber abwägen…
(Seite 75) Ausgehend von einem Schlüsselsatz von Paul Wolfowitz 1991 schreibt Lüders:
„Ich denke mal, dass wir noch fünf bis zehn Jahre Zeit haben, um unter den alten sowjetischen Klientelregimen aufzuräumen – Syrien, Iran, Irak. Bis dann die nächste Supermacht auf den Plan tritt und uns Grenzen setzt.“
Weder Syrien noch der Irak, geschweige denn der Iran waren jemals sowjetische „Klientelregime“. Doch Wolfowitz erkennt das Machtvakuum nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Untergang der Sowjetunion, dem Fall der Berliner Mauer. Wie gedenkt er damit umzugehen? Kooperativ, freundschaftlich gegenüber Russland? Im Gegenteil. Er will Beute machen, Claims abstecken. Bevor „die nächste Supermacht auf den Plan tritt und uns Grenzen setzt“. Und genau das ist spätestens in Syrien geschehen. Dort erleben die USA die Grenzen ihrer Macht, weil Russland Syrien niemals aufgeben wird, ebenso wenig wie der Iran oder China. (…)
Dass nicht sieben Regime in fünf Jahren, wohl aber drei in 15 Jahren plus Afghanistan ins Visier genommen wurden, entwertet nicht seine Aussage. Absichten und Pläne können sich ändern, im Verlauf ihrer Ausführung. Eine militärische Intervention im Iran ist 2012 übrigens um Haaresbreite abgewendet worden, weil Präsident Obama zu Recht erkannte: In dem Fall explodiert die ganze Region.
Zitat aus dem oben bezeichneten Buch „Die den Sturm ernten“ Seite 75 f
Geht es denn nicht um „das westliche Wertesystem“?
Dem Buch ist u.a. ein Satz von Egon Bahr vorangestellt:
Wenn ein Politiker anfängt, über ‚Werte‘ zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.
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In eine andere Welt entrückt
„Das Erste Jahr“ © 2017 by Peter Hundert Photography
Mit Dank an Peter Hundert (JR)