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Syrien-Skandal

„Ein unglaublich schmutziges geopolitisches Spiel“

Giftgasanschlag laut Huffington Post hier

Der Journalist Michael Lüders, dessen Buch in diesem Blog kürzlich hervorgehoben wurde (hier), war gestern Nacht Gesprächspartner bei Markus Lanz, in der ZDF-Mediathek abzurufen wie folgt:

HIER bei 10:05 (abrufbar bis 6.7.2017)

Michael Lüders, Nahostexperte
Dutzende Menschen, darunter viele Kinder, wurden gestern bei einem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien getötet. Der Poltik- und Islamwissenschaftler gibt seine Einschätzung.

Niederschrift nach Gehör (JR) 

LANZ: Sie sagen, diese Deutung, der wir da sehr häufig und schnell auf den Leim gehen, wie Sie sagen, die lässt sich so bei genauer Betrachtung nicht halten. Wir sind da zu voreilig. Wir sind da viel zu schnell mit unseren Schlüssen. Warum? [Im folgenden Text sind die Einwürfe von Lanz in runde Klammern gesetzt, Zusätze von mir mit dem Kürzel JR in eckige.]

Lüders: Zuerst mal müssen wir uns vor Augen führen: dieser Krieg in Syrien ist blutig, er ist schmutzig, und es gibt viele Akteure, die einwirken auf diesen Krieg. Es ist nicht nur ein Bürgerkrieg, es ist zuerst einmal ein Stellvertreterkrieg, in dem sich, vereinfacht gesagt, zwei große Seiten gegenüberstehen, auf der einen Seite die USA, die Europäische Union, die Türkei und die Golfstaaten, sie alle wollen den Sturz des Regimes von Bashar al-Assad, und Russland, der Iran und China wollen genau diesen Sturz nicht, weil sie nicht wollen, dass der Westen sich Syrien gewissermaßen einverleibt. Also halten sie an Bashar el-Assad um jeden Preis fest, und den Preis, den zahlt natürlich die syrische Bevölkerung. Denn jetzt beginnt ein Stellvertreterkrieg, der äußerst brutal geführt wird. In der westlichen Wahrnehmung ist uns von Anfang an suggeriert worden, es gebe hier das syrische Volk, das gegen den Diktator Assad aufstehe (richtig!) und wir im Westen müssten, um unsere Werte zu verteidigen, an der Seite des syrischen Volkes gegen die Unterdrücker unsere Stimme erheben und sie auch mit Waffen unterstützen. Das mag menschlich verständlich sein, diese Sichtweise, aber das hat mit der Realität relativ wenig zu tun, es war immer nur ein Teil der syrischen Bevölkerung, die sich gegen das Regime von Bashar al-Assad erhoben hat, nie die gesamte syrische Bevölkerung, vor allem nicht die syrischen Minderheiten, denn die sind entweder vom Schlage der Nusrat-Front oder des Islamischen Staates, (die sehr Al-Kaida-nah) das ist der Al-Kaida-Ableger, und jetzt führen alle Seiten einen sehr schmutzigen, widerwärtigen Krieg, in dem die Kriegsparteien, die um jeden Preis wollen, dass das Regime gestürzt wird, in der Vergangenheit wirklich zum Äußersten gegriffen haben. Es gab ja die berühmte rote Linie, die Präsident Obama im August 2012 gezogen hatte: Wenn die Syrer Chemiewaffen einsetzen, das Regime, dann werden wir, die Amerikaner, handeln, und ein Jahr später, am August 2013 gab es einen furchtbaren Giftgaseinsatz, noch viel schlimmer als dieser hier, (mit Hunderten von Toten in dem Fall), genau, weit über tausend Toten, die genaue Zahl kennen wir nicht, und es war in der Region Ghuta, ein südöstlicher Vorort der Hauptstadt Damaskus, und sofort dieses „na, das ist doch völlig klar, das war das Regime, und jetzt muss Obama handeln, er hat ja gesagt rote Linie„, und ich erinnere mich noch an die Leitartikel von FAZ bis New York Times, alle waren sich einig, auch ohne den Sachverhalt genau zu kennen: Jetzt muss der Westen handeln (richtig) zwischen Volk (was war die Forderung damals? dass man sagt, da müssen wir jetzt mal rein, das können wir jetzt so nicht einfach geschehen lassen, da kann die Weltöffentlichkeit nicht wegschauen), das war genau die Situation, und es sah ja auch so aus, als würde Obama jetzt den Angriffsbefehl geben, und über Tage hin haben die Amerikaner immer mehr Waffen in die Region verbracht, es standen schon die schlimmsten Bomberflotten und Raketen einsatzbereit, aber im letzten Moment hat Obama Ende August 2013 nicht den Angriffsbefehl gegeben, sondern er hat die Sache gewissermaßen vertagt, er hat gesagt „Assad ist schuld, aber es soll doch der Kongress über diesen Einsatz abstimmen“. Warum hat er diesen Einsatz nicht befohlen? Weil seine eigenen Geheimdienste ihm gesagt haben: Lieber Präsident, – vorsichtig! Die eigenen Geheimdienste, nämlich die Briten und Amerikaner, haben nämlich das Giftgas, das in Ghuta eingesetzt worden ist, untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, Moment mal, dieses Sarin, das dort eingesetzt worden ist, das befindet sich nicht in den Beständen der syrischen Armee. Und daraufhin wurden die Amerikaner sehr vorsichtig, die Geheimdienste wohlgemerkt, und haben Obama gewarnt. [JR: siehe hier]. Mittlerweise wissen wir, dass es mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit nicht das Regime war, das für den Giftgasangriff verantwortlich war – nicht dass es ihm nicht zuzutrauen wäre, aber es war eben ein Verdacht, noch kein Beweis, (kein Fakt) kein Fakt, und heute gehen eigentlich die Indizien in die Richtung, dass dieser Angriff, ein Giftgasangriff, ein sogenannter Angriff unter falscher Flagge war. Nach allem, was wir bislang vermuten dürfen und was als gesichert wohl zu gelten hat, war dies eine Zusammenarbeit der Nusra-Front, also eine der übelsten djihadistischen Gruppierungen, also der Al-Kaida-Ableger in Syrien, mit dem türkischen Geheimdienst MIT [JR s. hier] (das heißt: da haben zwei zusammengearbeitet, die man da in dem Zusammenhang gar nicht auf dem Radar hatte) – würde man gar nicht denken, wieso jetzt der türkische Geheimdienst, wieso arbeiten die zusammen mit der Nusra-Front? Weil die türkische Regierung, Erdogan und der Geheimdienst, früh erkannt haben, wir können diesen Krieg in Syrien für unsere Zwecke nutzen, wir benutzen die radikalen Djihadisten, um mit ihnen die Kurden zu bekämpfen, die im Norden Syriens, die wiederum mit der PKK sehr eng sind, alles hängt mit allem zusammen in diesem Konflikt, das macht ihn ja auch so kompliziert. Ja, und die Türkei hat ganz offenkundig diese Nusra-Front bewaffnet mit Sarin-Gas. Also es gibt erste Untersuchungen der amerikanischen Geheimdienste, die man auch nachlesen kann, schon vom 20. Juni 2013, da ist ganz klar benannt: Wir wissen, dass die Türkei die Nusra-Front und andere Gruppierungen mit Sarin-Gas ausgestattet hat, denn sie stellen Sarin-Gas selber her, und die ersten, die darüber berichtet haben, waren türkische Journalisten, darunter auch Can Dündal, den wir in Deutschland kennen, er musste fliehen vor Erdogan, er lebt jetzt in Deutschland im Exil, er war Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“ (der hat darüber berichtet!) der hat darüber berichtet über diese Waffenlieferungen der türkischen Geheimdienste, des türkischen Geheimdienstes in Richtung Nusra-Front und anderer, und dann hat ja Erdogan persönlich gegen ihn Anklage erhoben wegen Hochverrat. [15:36] Das Ergebnis war: alle Journalisten in der Türkei, die darüber berichtet haben in der Türkei, sind entweder im Gefängnis oder im Exil. Und was mich wundert, ist, wenn man diese Dinge recherchiert, – und man kann es recherchieren, wenn man es denn recherchieren will, aber dann brechen natürlich die Feindbilder zusammen -, dann kann man nicht mehr sagen: hier sind die Guten, und zu den Guten rechnen wir, und da sind die Bösen, wir unterstützen die Guten im Kampf gegen das Böse und dann kommen die Vertreter der Zivilgesellschaft in Syrien an der Macht – das ist ja so, vereinfacht gesagt, der Glaube, der hier vorherrschend ist – der hat aber mit der Realität nichts zu tun. Wir haben dort Oppositionelle unterstützt, die zu 90% aus Djihadisten bestehen, eben aus Leuten, die, wenn sie nach Deutschland kämen, sofort sämtliche Sicherheitsorgane auf den Plan rufen würden. Es ist also nicht schwarz und weiß, was hier passiert, wir erleben ein unglaublich schmutziges geopolitisches Spiel! [16:20]

(Alles minutiös nachzulesen in Ihrem aktuellen Buch etc. Pflichtlektüre, genau dies Kapitel über den Giftgasangriff dort, wirklich mal zu lesen und zu verstehen, was dort im Hintergrund passiert ist, und wer hier im Hintergrund welche Interessen hat. Andere Beispiele? Auch ein Krieg der Bilder, der hier geführt wird. Da sind wir manipuliert worden. Es gibt dieses berühmte Foto dieses kleinen Jungen, der immer wieder als Symbol dafür dient, das Bild dieses kleinen verstörten Kindes, das ist ein Symbolbild geworden für den Zynismus dieses Krieges. Was ist die Geschichte hinter diesem Foto?)

Syrien Lanz Foto kleiner Junge Screenshot 2017-04-06 09.31.13

Dieses Bild ist in der Tat eine Ikone des syrischen Krieges, es wurde aufgenommen im August letzten Jahres und ist eigentlich weltweit von allen Zeitungen veröffentlicht worden, verbunden natürlich mit einer moralischen Anklage: Seht her, was dieses furchtbare Assad-Regime (wenn man das sieht, muss niemand mehr irgendwas erklären) dann muss man doch den armen Menschen helfen. Natürlich muss man den armen Menschen helfen, den Menschen in Syrien helfen, aber nicht so, wie sich das diejenigen, die diesen Krieg befeuern, wahrscheinlich vorstellen. Die Geschichte von Omram (Omram ist der kleine Junge) … dieser kleine Omram, den man in den Arm nehmen möchte und trösten möchte für das, was ihm da widerfahren ist, er wurde fotografiert von einem Mann namens Mohammed Assan, der damals für das Aleppo Media Centrum gearbeitet hat. Dieses Aleppo Media Centrum diente fast allen westlichen Journalisten und Medien als Informationsquelle, dieses Mediencenter wurde und wird finanziert vom französischen Außenministerium, von anderen EU-Einrichtungen und aus den USA. Das Unangenehme, Peinliche oder wie auch immer daran ist, dass Mohammed Assan, der auch viel interviewt wurde nach dem Motto: wie toll von dir, dass du das Foto gemacht hast, ist eng verbunden mit den Djihadisten gewesen im Osten von Aleppo und hat sich selber, wenige Tage bevor er dieses Foto gemacht hat, gezeigt, posierend mit Terroristen, muss man sagen, einer ominösen Djihadisten-Miliz, die, nachweislich zwei Leute auf diesem Foto, nachweislich ein zwölfjähriges Kind geköpft hatten für ihr Propaganda-Video. Also derjenige, der dieses Foto geschossen hat, ist eng verbunden mit den Djihadisten. (Der diese Anklage sozusagen mit Hilfe dieses Fotos formuliert hat und der diesen Jungen auf diese Art und Weise sogar missbraucht hat.) Absolut! Ich meine, das was dem Kind widerfahren ist, und was den Kindern in Syrien passiert, den Menschen in Syrien passiert, das ist grauenvoll. Aber es ist natürlich auch perfide zu sehen, wie solche dubiosen Medien-Center finanziert von uns, dem Steuerzahler in Europa, im Westen, instrumentalisiert werden von djihadistischen Gruppierungen, die uns wiederum verkauft werden als Freiheitskämpfer. Und was mich ehrlich gesagt sehr verwundert, ist, dass es keine deutsche Zeitung gibt, die diese Zusammenhänge mal darstellt. Ich lese darüber nichts in der ZEIT, ich lese darüber nichts im SPIEGEL, man müsste doch denken, dass alle an Recherche interessierten Journalisten ein Interesse daran haben, diese Dinge aufzugreifen, das tun sie aber nicht, und ich habe den Eindruck, dass es nicht darum geht, Aufklärung zu leisten, sondern es geht darum, Feindbilder am Leben zu halten, (zu bedienen), zu bedienen, ein Schwarz-Weiß-Bild am Leben zu erhalten, „Wir sind die Guten“ auf der Seite derer, die die Freiheit wollen, und die andern sind die Bösen, vor allem natürlich Russland und der Iran. (Das ist natürlich ein kerniger schwerwiegender Vorwurf. Würden Sie so weit gehen, also: zu sagen, es sollen Feindbilder aufrecht erhalten werden, oder geht es eher um die Frage: wie kommst du eigentlich heute noch in dieser Zeit, wo alles getriggert ist von Geschwindigkeit vor allen Dingen, der es darum geht, ob du bei Facebook oder Twigger der erste bist, der da irgend ne halbe Schlagzeile in die Welt rausposaunt, dass du gar keine Zeit mehr hast, ernsthaft in die Tiefe zu gehen einerseits, und andererseits so schwer an gesicherte Informationen kommst?) Es ist schwer, an gesicherte Informationen heranzukommen, vor allem, wenn es von jetzt auf gleich gehen muss, aber diese Erfahrungen des Angriffes von Ghuta vom August 2013 müssten doch eigentlich bei jedem verantwortungsbewussten Medienmacher den Eindruck erwecken: wir müssen sehr vorsichtig sein bei Schuldzuweisungen. Grundsätzlich ist jedem in diesem Krieg in Syrien, einschließlich dem Regime, zuzutrauen, dass … (Sie schließen nicht aus, dass die das waren, aber Sie sagen: wir können heute zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht wissen, dass die das wirklich waren!) das ist genau der Punkt, aber wenn ich mir zum Beispiel die Nachrichtenlage heute anschaue oder die Leitartikel, die erschienen sind heute, dann ist doch die Richtung der Berichte sehr eindeutig (die Stoßrichtung ist klar), die Stoßrichtung ist klar: Assad einmal mehr am Pranger, warum haben die nicht gehandelt, warum (ja, da kommt .. ist ja auch so n Muster, was man da erkennt, da kommt immer sehr schnell die russische Seite mit einer ganz anderen Erklärung um die Ecke, so nach dem Motto: lass uns einfach irgendetwas anderes in die Welt setzen, und dann wird das seinen Weg irgendwie finden, dann ist es erstmal da, und dann hast du plötzlich erstmal keine Gewissheiten mehr, auf die du dich wirklich verlassen kannst. Zum Schluss und mit der Bitte um eine relativ kurze Antwort, Herr Lüders, was ist denn Ihre These, oder sagen wir’s mal so: was könnte denn da noch passiert sein? Gestern. Ihrer Meinung nach.) [21:25]

Darüber kann man nur spekulieren (versuchen Sie’s mal) wir wissen es nicht, Idlib ist eine Provinz in Syrien, wo dieser Angriff stattgefunden hat, unweit der türkischen Grenze, das ist die letzte Hochburg der Rebellen, im westlichen Teil Syriens, und das ist der entscheidende Teil, denn hier befinden sich die Bevölkerungszentren, und hier befindet sich das Machtzentrum des Regimes, hier entscheidet sich also die unmittelbare Zukunft: das Regime hat erst einmal den Krieg gewonnen, die Amerikaner haben ihn verloren, es ist ihnen nicht gelungen, zusammen mit den Türken, den Saudis, dieses Regime von Assad zu stürzen. Und es sah ja zunächst so aus, als hätten die Amerikaner unter Trump  einen Kurswechsel vorgenommen, nach dem Motto: wir wollen nicht mehr den Sturz von Assad, wir wollen nur noch den Islamischen Staat bekämpfen, was schon schwierig genug ist, aber nun hören wir, – das war der Stand noch vor drei Tagen -, ein Kurswechsel um 180 Grad, jetzt ist schon der Gedanke da, man könnte doch idealerweise auch Assad wieder ins Visier nehmen … Dahinter steckt immer der Gedanke: wie können wir den Iran schwächen? denn Iran, Syrien und die Hisbollah-Miliz im Libanon, das ist ne Dreiheit, die man gern geschwächt sehen möchte, im Westen, und die Tragik ist, dass diese ganzen zynischen Machtspiele, die von  allen Beteiligten, den Amerikanern, den Russen, dem Iraner, wem auch immer, ohne Rücksicht auf Verluste in der Zivilbevölkerung in Syrien, gespielt wird [werden]. Die Syrer zahlen den Preis, wir bekommen die Kehrseite in Form von Flüchtlingsbewegung und in Form eines verstärkten Terrors, aber die entscheidenden Fragen werden ungern gestellt, wir diskutieren über völlige Nebensächlichkeiten, aber nicht über die Frage: Wie sinnvoll ist es, um jeden Preis einen Regimewechsel herbeizuführen zu wollen? Ist es nicht sinnvoll, sich mit den Russen – egal, wie wir ihre Politik jetzt einschätzen – ins Benehmen zu setzen – sie werden Syrien nicht aufgeben, sie werden Assad nicht aufgeben – wollen wir wirklich jetzt wegen Assad riskieren, dass in Syrien die Fronten sich so verhärten, dass es richtig gefährlich werden kann. Denn wenn die Amerikaner jetzt wirklich in großem Umfang dort reingehen sollten, dann werden die Russen und Iraner darauf reagieren, und dann? Was dann? [23:13] (Was dann, wollen wir uns eigentlich nicht ausmalen. Dieser Konflikt ist, sagen Sie, militärisch überhaupt nicht mehr zu gewinnen?!) Nein, militärisch ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Er ist viel zu komplex. Er ist wie eine riesige Metastase, und es geht jetzt darum, die Sache zumindest vor Ort zu befrieden, und vor allem ein neues Denken zu entwickeln, wo es nicht darum geht, den eigenen Willen den anderen um jeden Preis aufzuzwingen, sondern eine Politik des Dialoges zu finden, nach dem Motto: Lasst uns einen Deal machen, denn die optimale Lösung finden wir nicht, und es ist leider die traurige Wahrheit für die Syrer: sie werden noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, mit diesem Chaos leben müssen. [23:47]

ZDF Lanz Lüders Screenshot 2017-04-06 11.17.11 Michael Lüders bei Lanz

Quelle ZDF Markus Lanz 5. April 2017 (Abschrift JR, ohne Gewähr)

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Ich habe bemerkt, dass die authentische Erzählung (auch beim Wiederlesen hier im Blog) doch eine ganz andere Wirkung tut als bloß Geschriebenes und mich das Buch von Lüders mit neuem Elan lesen lässt. Es gibt etwas Ermüdendes darin, vielleicht weil viele Zwischen-Überschriften nicht so präzise sind, wie in dem unten angehängten Ausschnitt (von Seite 113), der einigermaßen deutlich sagt, worum es geht. Während andere eher suggerieren, es handele sich um Improvisationen: „Pipeline-Pläne“ – „Klare Worte“ – „Hammer und Nagel“ – „Die Achse des Bösen“ – „Ein Diplomat und was er im Schilde führt“ oder „Teile und herrsche“, – als handle es sich um beliebig aneinandergereihte Bruchstücke eines Romans. Eine Zettelsammlung. Mir jedenfalls ist es erst nach der kohärenten „Erzählung“ nachts in der Talkshow aufgegangen (mit den engagierten Zwischenfragen, Vorwegnahmen oder echoartigen Reaktionen von Markus Lanz) , wie stringent das alles zusammenhängt, und erst jetzt lese ich die zweite Hälfte des Buches so gebannt wie die erste, in der mich auch schon ein Titel wie dieser gestört hat: „Vorsicht, fette Katzen: Araber und Syrer suchen die Freiheit und finden sie nicht“. Mir scheint, solche Schlagzeilen stammen nicht vom Autor, sondern vom Verlag, der den widerständigen Stoff „flüssiger“ herrichten wollte. Jetzt lese ich all dies als Spiegel der Realität, als Recherche, die überprüfbar, auch falsifizierbar ist, und den Regeln journalistischer Sorgfalt gehorcht. Ein Musterfall dafür, was eine zusammenhängende mündliche Rede faszinierend macht, und was eine (scheinbar) lockere Schreibweise defizitär macht. Jetzt weiß ich auch an jeder Stelle des Buches, wo ich mich befinde. So schlimm das alles ist, ich bin froh, es quasi aus erster Hand zu erfahren.

Lüders Seite 130 Seite 113

Syrien Sturm Lüders Cover

Nachwort (ein Blick in die SZ)

Ich weiß, dass jede am stillen Schreibtisch gebildete Theorie über dramatische politische Umwälzungen in fernen Ländern falsch sein können. Darum liest man ja Berichte und Nachrichten von Leuten, die mutmaßlich näher am Geschehen und an authentischen Einschätzungen der Lage sind. Es kann nur willkommen sein, anderslautende Auskünfte zu finden und die Darstellungen abzuwägen. – Also: ich habe im Laufe des Tages in der Süddeutschen und in der neuen ZEIT danach gesucht. Bleiben wir bei der SZ (6. April 2017 Seite 4), Hubert Wetzel schreibt:

Eine Wahrheit wird nicht unwahr, nur weil der Lügner Trump sie ausspricht. Deswegen: Trump hat recht. Dass der syrische Diktator Baschar al-Assad immer noch die eigene Bevölkerung ermorden, dass er immer noch Frauen und Kinder mit Giftgas töten kann, hat auch mit der „Schwäche und Unentschlossenheit“ des früheren US-Präsidenten Barack Obama zu tun, wie Trump es ausgedrückt hat. Obama warnte Assad 2013 vor dem Einsatz von Chemiewaffen, er zog eine „rote Linie“, er drohte mit militärischer Vergeltung – und tat dann nichts, als Hunderte Zivilisten im Sarin-Nebel starben.

Es ist unerheblich, dass Trump selbst – damals nur ein twitterwütiger Fernsehmensch und Hotelier – ebenfalls gegen ein amerikanisches Eingreifen in Syrien war. Trump war Privatmann, Obama war Präsident. Ein Privatmann kann daherschwätzen, was er will. Ein US-Präsident jedoch, der Drohungen ausstößte, auf die nichts folgt, beschädigt die Glaubwürdigkeit Amerikas.  Und er trägt zumindest ein gewisses Maß an Mitverantwortung für die Verbrechen, die durch seine Tatenlosigkeit ermöglicht werden. (…)

In Trumps kruder „America first“-Doktrin spielt das Leben syrischer Kinder keine Rolle. Und vielleicht glaubt er ja tatsächlich noch daran, mit Russland – Kriegspartei in Syrien – einen Friedensschluss aushandeln zu können. All das mag für jene, die sich schon immer über Amerikas angebliche Kriegstreiberei in der Welt aufgeregt haben, erfreulich realistisch klingen. Den Preis für diese Illusion bezahlten am Dienstag Dutzende syrische Zivilisten.

Quelle Süddeutsche Zeitung Donnerstag 6. April 2017 (Seite 4) USA UND SYRIEN Jetzt ist es Trumps Krieg Von Hubert Wetzel.

Halten wir Lüders dagegen: Das Kapitel „Chemiewaffen in Syrien“ in seinem Buch endet mit dem Absatz:

Die genannten Indizien legen den Schluss nahe, dass nicht das Assad-Regimne für den Giftgas-Angriff auf Ghouta verantwortlich war, sondern die Nusra-Front, unter Regie der türkischen Regierung. Sollte das der Fall sein, wären die Ereignisse vom August 2013 ein mahnendes Beispiel für die Leichtfertigkeit, mit der Politik und Medien um beinahe jeden Preis an ihrer einmal eingeschlagenen Linie festhalten – und sei es um den Preis eines Kriegseinsatzes, der ohne weiteres auch einen Weltenbrand hätte auslösen können. Es ist allein der Umsicht Obamas zu verdanken, dass es nicht zum Äußersten gekommen ist.

Quelle Lüders a.a.O. Seite 125

In der ZDF-Sendung Maybritt Illner 6. April 2017 geht es zunächst auch um den Giftgasangriff in Syrien, und Sahra Wagenknecht ist die einzige in der Runde, die rückhaltlose Aufklärung verlangt, ehe dem Assad-Regime umstandslos die Schuld zugewiesen wird. Sie verweist dabei auf das Buch von Michael Lüders (im folgenden Link bei 9:32). Siehe HIER ab 6:00 (Illner: „…weil Russland ja noch komplett anzweifelt, dass dieser Giftgasanschlag überhaupt Assad und seinen Truppen zuzuschreiben ist…“) bis ca. 10:00. Elmar Theveßen verweist auf UN-Quellen zur Beurteilung des Anschlags.

FAZ hier 9. April 2017 Ist inzwischen mehr bekannt? Aus einem Gastbeitrag von Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam

Mit begrenztem Einsatz wird nun gezockt und geblufft. Wichtigster Partner sind dabei die Medien. Fox News meldete einen vollen militärischen Erfolg, Russia Today hingegen zahlreiche Treffer in umliegenden Dörfern und zivile Opfer. Auch in Deutschland waren die Reaktionen erwartbar: Merkel stärkt dem Allianzpartner den Rücken, die SPD pocht auf eine friedliche Konfliktlösung, und bei der Linken liest sich manches Statement, als ob es von Russia Today abgeschrieben wäre. Aber es gab auch Kommentare, die weniger der Parteilinie als einer Sachlogik folgten. So forderte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter, dass die Vereinigten Staaten die Beweise für den Giftgaseinsatz Assads herausrücken sollten. Wohl wahr!

Nachdem sich am Freitagmorgen die Kunde vom Militärschlag in Windeseile verbreitete, machte sich eine Heerschar von Kommentatoren sogleich daran, über Clausewitz’ magischen Dreiklang zu reflektieren. Was waren wohl Zweck, Ziel und Mittel gewesen? Von den 59 Tomahawks gab es bloß einige verschwommene Bilder. Der Rest blieb im Nebel. Reflexartig versuchen wir uns die dürren Nachrichten rational zu erklären. Doch was Trump mit seinen Marschflugkörpern wirklich erreichen will, wissen wir nicht. Vielleicht weiß er es selber nicht.

Neuer Stand 1. Mai 2017

ttt Sendung Titel-Thesen-Temperamente Sendung 30.04.2017 Was ist in Syrien wirklich los? 30.04.2017 | 9 Min. | Verfügbar bis 30.04.2018 | Quelle: Das Erste

Abzurufen in der Mediathek HIER  

„Nahost-Experte Michael Lüders ist umstritten. Er beschreibt die Geschichte Syriens als Ort eines Stellvertreter-Krieges. Und macht die Destabilisierungspolitik der USA und die Unterstützung der vermeintlichen Opposition verantwortlich.“

Zu der umstrittenen Verursacherfrage betr. Giftgasanschlag 2013 siehe im Video ab 7:15. (Beteiligung des türkischen Geheimdienstes?).

Die Anne-Will-Sendung (9.4.2017), in der die Korrektheit der Lüders-Ausführungen in Zweifel gezogen wurden, kann man ebenfalls in der Mediathek abrufen, nämlich HIER.

(Ich habe auch den Blog der „Propagandaschau“ studiert, in dem gerade diese Sendung Gegenstand scharfer Polemik geworden ist, habe ihn aber nicht verlinkt, da es sich um eine anonyme Publikation handelt.)

Neuer Stand 7. September 2017

Inzwischen sind Monate ins Land gegangen. Wenn man sich dieses Themas erinnert, wird es möglicherweise mit einem Zweifel behaftet sein, ob nicht doch … dieser Lüders damals …. seine Berichte mit Mutmaßungen ergänzt habe. Es ist eine kleine Meldung, die darüber Auskunft gibt, auch ein kleiner Kommentar auf Seite 3, der mich erst darauf aufmerksam gemacht hat. Hut ab vor der Hartnäckigkeit in der Berichterstattung!  Süddeutsche Zeitung!

SZ Giftgas Syrien Bitte anklicken!

Syrien im Sinn

Mosaik-Fragmente nach Hamburg 18. März 2017

Was ist aus dem Ensemble Al Kindi geworden? In den 80er Jahren sind wir uns mehrfach begegnet. Konzerte im WDR, Produktionen, die CD bei Network kam 1994 heraus. Ich weiß, dass Julien Weiss in Damaskus lebte, ich hätte ihn dort besuchen dürfen. Er ist 2015 gestorben, der Flötist Abd al Safar Salam schon 1999 †, Sheikh Hamza Shakkûr 2008 †.  Vorsicht, ist das Kreuz erlaubt? Nichts von allem, was kam, habe ich geahnt…

Syrien Ensemble Al Kindi

Syrien CD Al Kindi Heute noch auffindbar: HIERSyrien CD Al Kindi Front

Das folgende Interview fand offenbar 2 Jahre vor Julien Weiss‘ Tod (Krebs) im Jahre 2013. Zum Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien siehe HIER. Das Wort Hamah beruht auf einem Hörfehler, gemeint ist Amman. (Genau diese Strecke von Amman nach Damaskus sind wir – ein studentisvches Kammerorchester der Kölner Hochschule, Ltg. Günter Kehr, 1967 mit mehreren Taxis gefahren, irgendwo in der Steppe – Sabratha hieß eine Zwischenstation – haben wir an einer Kreuzung ein Hinweisschild in alle Richtungen gesehen, darunter neben unserem Zielort auch Bagdad. Einer von uns, der Kontrabassist Johannes Köhler, erzählte, dass er dort einige Jahre im Sinfonie-Orchester gespielt habe. Wir diskutierten heftig über Monotheismus. Ich dachte, seine Ursache sei diese gewaltige Sonne.)

Heute wartet auf mich in der Buchhandlung Jahn das Buch über Syriens Geschichte der letzten Jahrzehnte. Ich bin – nach Hamburg – fast mehr politisiert als musikalisiert… Soll doch Wolfgang Hamm an dieser Stelle kompetent über das Ereignis in der Elbphilharmonie sprechen: „Der Krieg hat die Musiklandschaft Syriens zerstört und die Musikschaffenden ins Ausland getrieben“. HIER !

Natürlich ist dies auch eher ein Stimmungsbericht über die Lage der Musik und der Musiker im Exil und lebt von diesem einen Lamento nach dem barocken Modell, das schon Johann Sebastian Bach für sein „Crucifixus“ in der H-Moll-Messe verwendet hat und hundertfach nachklingt, wenn man will, sogar in der Melancholie des Concierto d’Aranjuez.

Ich habe im Grunde nur eine Sache miterlebt, die ich nun rein optisch zu meinen Gunsten vergrößere:

Syria Keivo + Einführung Erinnerung an Syrien…

JR in HH 170318 …nicht ohne Geige.

Meine Einführung galt einer alten syrischen Musik, die ich mir etwas anders vorgestellt hatte, vielleicht näher an dem, was ich vom Al-Kindi-Ensemble und zahllosen Aufnahmen klassischer arabischer Musik kannte. An deren Stelle stand die virtuos-konzertante Musik des Trios Ney-Kanun-Darbuka im ersten Teil des Konzertes, im zweiten dagegen der kurdisch-armenisch-syrische Sänger Ibrahim Keivo (mit seinen verschiedenen Lauteninstrumenten), der das Publikum zu faszinieren versteht mit religösen oder ethnischen Liedern aus yesidischer, syriakischer, aramäischer Überlieferung u.a.; zweifellos verfügt er zugleich über ein enormes Entertainmentpotential, das auch vor westlichem Publikum den Funken überspringen lässt. Jeder versteht seine Ausdrucksmittel. Und auch das Trio spart nicht mit Allusionen uns vertrauter Stilelemente (Terzläufe, Chromatizismen) neben brillanten Percussionseinlagen und altsyrischer Melodik.

***

Nein, der oben genannte Rastplatz in der syrischen Wüste hieß nicht „Sabratha“ – diese altrömische Stätte hatten wir vielmehr in Libyen besucht. (Wir befanden uns auf einer Tournee, die das studentische Kammerorchester der Kölner Musikhochschule für das Goethe-Institut durchführte, Start in Casablanca, Ende in Kabul). Hier aber ist das Erinnerungsbild aus der syrischen Idylle (der junge Mann im Hintergrund ist der Bratscher Rainer Moog.)

Syrien WüstenStation 1967 Syrische Idylle 12.4.1967

Syrien Prospekt 1967 Rückseite unserer Landkarte

Syrien Landkarte 1967 Die syrische Landkarte, die uns begleitete

Und nun wieder HEUTE!!! Wie konnte es dazu kommen??? Ich muss viel mehr wissen und irgendwo anfangen. Merkwürdigerweise entdecke ich, dass genau mein Schlüsseljahr 1967 eine entscheidende Rolle spielt: Es ist „die traumatische Zäsur von 1967“, die zur „zur Geburtsstunde des politischen Islam als neuem Hoffnungsträger der Massen“ wurde, zunächst nur im arabischen Raum, später, nach der Revolution im Iran 1979, auch in der übrigen islamischen Welt.“ (Lüders Seite 45). Hier liegt ein Buch, – mir ist bekannt, dass der Autor Gegner und sogar Feinde hat, angeblich versteht er die israelische Position nicht. Soll ich etwa eine ausgewogene Darstellung suchen? Was ist denn das? Warum soll ich nicht zwei unausgewogene Darstellungen gegeneinander lesen? Wer es wagt, soll es bitte selber abwägen…

Syrien Sturm Lüders Cover

(Seite 75) Ausgehend von einem Schlüsselsatz von Paul Wolfowitz 1991 schreibt Lüders:

„Ich denke mal, dass wir noch fünf bis zehn Jahre Zeit haben, um unter den alten sowjetischen Klientelregimen aufzuräumen – Syrien, Iran, Irak. Bis dann die nächste Supermacht auf den Plan tritt und uns Grenzen setzt.“

 Weder Syrien noch der Irak, geschweige denn der Iran waren jemals sowjetische „Klientelregime“. Doch Wolfowitz erkennt das Machtvakuum nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Untergang der Sowjetunion, dem Fall der Berliner Mauer. Wie gedenkt er damit umzugehen? Kooperativ, freundschaftlich gegenüber Russland? Im Gegenteil. Er will Beute machen, Claims abstecken. Bevor „die nächste Supermacht auf den Plan tritt und uns Grenzen setzt“. Und genau das ist spätestens in Syrien geschehen. Dort erleben die USA die Grenzen ihrer Macht, weil Russland Syrien niemals aufgeben wird, ebenso wenig wie der Iran oder China. (…)

Dass nicht sieben Regime in fünf Jahren, wohl aber drei in 15 Jahren plus Afghanistan ins Visier genommen wurden, entwertet nicht seine Aussage. Absichten und Pläne können sich ändern, im Verlauf ihrer Ausführung. Eine militärische Intervention im Iran ist 2012 übrigens um Haaresbreite abgewendet worden, weil Präsident Obama zu Recht erkannte: In dem Fall explodiert die ganze Region.

Zitat aus dem oben bezeichneten Buch „Die den Sturm ernten“ Seite 75 f

Geht es denn nicht um „das westliche Wertesystem“?

Dem Buch ist u.a. ein Satz von Egon Bahr vorangestellt:

Wenn ein Politiker anfängt, über ‚Werte‘ zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.

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In eine andere Welt entrückt

„Das Erste Jahr“ © 2017 by Peter Hundert Photography

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Hundert 5 Ibrahim Keivo

Mit Dank an Peter Hundert (JR)