Im Jahresausschuss 2015 arbeiteten mit (v.l.n.r): Jan Reichow (Jury Traditionelle ethnische Musik, WDR, freier Autor), Jörg Wachsmuth (Jury Black Music, freier Musikjournalist, rap2soul), Werner Stiefele (Jury Jazz I, Fachjournalist für Jazz), Matthias Inhoffen (beratend), Sabine Fallenstein (Jury Cembalo & Orgel, SWR), Eleonore Büning (Jury Kammermusik, F.A.Z.), Torsten Fuchs (Jury Black Music, freier Musikjournalist, rap2soul), Norbert Hornig (Jury Konzerte, freier Musikjournalist, Fono Forum, Deutschlandfunk), Michael Kube (Jury Orchestermusik, Neue Schubert-Ausgabe), sitzend Albrecht Thiemann (Jury Lied, Opernwelt) und Wolfgang Schiffer (Jury Hörbuch, WDR, Hörspieldramaturg, Buchautor). Nicht auf dem Foto: Susanne Benda (Jury Chormusik, Stuttgarter Nachrichten)
Einmal jährlich verleiht der „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ bis zu 14 Jahrespreise aus verschiedenen Musikrichtungen für die besten Produktionen des zurückliegenden Jahres, die von einem juryübergreifenden Gremium ausgewählt werden. Die 12 Jahrespreise 2015 werden im Rahmen öffentlicher Konzertauftritte oder Literaturlesungen (im Bereich Hörbuch) in Deutschland, Österreich und der Schweiz an die Preisträger verliehen.
Es ist kein Zufall, dass das scheinbar natürliche menschliche Zusammenleben nur dank künstlichster Konstruktionen katastrophenfrei funktioniert. Wenn überhaupt … (die Grundgedanken lassen sich genauso in einer alten Solinger Hofschaft wie in einem Berliner Plattenbau, in einem Dorf auf Sri Lanka oder einer Metropole der Antike nachvollziehen. Ich denke zum Beispiel an die Gruppe der Häuser 6 bis 34 unmittelbar neben oder vor mir, die durch eine eigene Verwaltung zusammengefasst sind).
Ich erlaube mir, etwas weiter auszuholen: einmal bei unseren Vorfahren vor drei Millionen Jahren, dann bei Immanuel Kant im Jahre 1795. (Siehe auch hier). Beides beruht nicht auf meinen eigenen Recherchen, der eine Punkt auf dem neuen Buch des Evolutionsforschers E.O. Wilson, der andere auf dem großen ZEIT-Artikel von Thomas Assheuer (vor zwei Wochen). Mein Eigenanteil besteht nur darin, diese beiden Punkte gegen- oder miteinander abzuwägen. keinesfalls will ich behaupten, dass mir das Problem seit 60 Jahren sonnenklar ist. Es dämmert erst.
ZITAT (2015)
Bis vor drei Millionen Jahren waren die Vorfahren des Homo sapiens überwiegend Pflanzenfresser; wahrscheinlich zogen sie in Gruppen von Ort zu Ort, wo sie Früchte, Wurzeln und andere pflanzliche Nahrung sammeln konnten. Ihre Gehirne waren unwesentlich größer als die des modernen Schimpansen. Erst vor einer halben Million Jahre unterhielten Gruppen der vormenschlichen Art Homo erectus Lagerstätten mit kontrolliertem Feuer – also einen „Nistplatz“ -, von denen aus sie auf Futtersuche auszogen und mit Nahrung zurückkamen, darunter ein erheblicher Fleischanteil. Ihr Gehirn war auf eine mittlere Größe zwischen dem des Schimpansen und dem des modernen Homo sapiens angewachsen. Begonnen hatte dieser Trend wohl ein oder zwei Millionen Jahre zuvor, als der frühe vormenschliche Vorfahre Homo habilis in seiner Ernährung mehr und mehr auf Fleisch setzte. Als sich dann Gruppen auf einer gemeinsamen Lagerstätte zusammenfanden und ein zusätzlicher Vorteil aus kooperativem Nestbau und gemeinsamer Jagd entstand, nahm die soziale Intelligenz zu, und zugleich wuchsen die Zentren für Gedächtnis und logisches Denken im präfrontalen Cortex an.
Wahrscheinlich kam es zu diesem Zeitpunkt in der Ära des Homo habilis zu einem Konflikt zwischen der Selektion auf individueller Ebene, bei der Individuen mit anderen Individuen derselben Gruppe konkurrieren, und der Selektion auf Gruppenebene, bei der verschiedene Gruppen miteinander konkurrieren. Die Gruppenselektion förderte Altruismus und Kooperation unter den Mitgliedern derselben Gruppe; es entwickelte sich ein in der gesamten Gruppe angeborenes Moralempfinden, ein Sinn für Gewissen und Ehre. Der Wettstreit zwischen diesen beiden Selektionskräften lässt sich in etwa so darstellen: Innerhalb der Gruppe gewinnen Egoisten gegen Altruisten, aber Gruppen von Altruisten gewinnen gegen Gruppen von Egoisten. Oder sehr stark vereinfacht: Die Individualselektion förderte die Sünde, die Gruppenselektion dagegen die Tugend.
Das führte schließlich zu dem ewigen Konflikt des Menschen, eine Folge aus der vorgeschichtlichen Multilevel-Selektion. Wir schwanken in wenig stabilen, sich ständig verändernden Positionen zwischen beiden Extremkräften, die uns erschaffen haben. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass wir uns einer davon ganz unterstellen und damit die Ideallösung für unseren politisch-sozialen Grabenkampf finden. Würden wir ganz den instinktiven Bedürfnissen nachgeben, die sich aus der Individualselektion ergeben, so hätte das die Auflösung der Gesellschaft zur Folge. Überlassen wir uns dagegen der Gruppenselektion, so würden wir zu engelsgleichen Robotern – einer Art übergroßer Ameisen.
Der ewige Konflikt ist keine Versuchung, mit der Gott die Menschheit auf die Probe stellt, und genauso wenig das Machwerk des Teufels. Es ist einfach nur eine Entwicklung, die sich so ergeben hat. Vielleicht war es nur mit diesem Konflikt möglich, dass sich im Universum Intelligenz auf der Höhe des menschlichen Verstands und spziale Gefüge überhaupt herausbilden konnten. Irgendwann werden wir einen weg finden, mit unserem angeborenen Konflikt zu leben, und vielleicht erfreuen wir uns sogar daran, weil wir ihn als Urquell unserer Kreativität erkennen.
Quelle E.O. Wilson: Der Sinn des menschlichen Lebens / Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke / Verlag C.H. Beck München 2015 / ISBN 978 3 406 681707 (Zitat Seite 31 ff)
Und nun – nach dem Naturwissenschaftler und (nicht zu vergessen:) Ameisenforscher Wilson – der Philosoph Immanuel Kant, in der Darstellung von Thomas Assheuer:
Kant war Aufkärer, aber kein Träumer. Schwärmer mochte er nicht. „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Torheit, Eitelkeit, Herrschsucht und Zerstörungslust gehörten zum Menschen dazu, dieser habe nun einmal einen „hang zum Bösen“, später sprach Kant gar vom „radikal Bösen“. Eine tiefe „Unvertragsamkeit“ präge den Menschen, eine „ungesellige Geselligkeit“.
Diese „ungesellige Geselligkeit“ bedeutete: Die Menschen können einander nicht leiden und mögen doch nicht voneinander lassen. Sie ziehen sich in die „Vereinzelung“ zurück – und spüren zugleich ein Ungenügen an ihr. Deshalb suchen sie Gesellschaft und geben sich eine gemeinsame Ordnung, genauer: eine Rechtsordnung, in der alle Mitglieder ihre schöpferischen Anlagen in Freiheit entfalten können. Die dialektische Pointe lautete also: Es ist die soziale „Unvertragsamkeit“, die die Menschen dazu bringt, sich eine republikanische Verfassung zu geben. Dabei sind die Bürger der Kantschen Republik zugleich Urheber wie auch Adressaten ihrer Gesetze, einen König von Gottes Gnaden brauchte es nun nicht mehr. Der König konnte gehen, die Bürger machten das jetzt selbst.
„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür der anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann.“
Das war Kants berühmte republikanische Verfassung, seine genial einfach demokratische Idee. 1795 schießt ihm dann dieser atemberaubende Gedanke durch den Kopf: Wenn sich die einzelnen Bürger durch den freine Gebrauch ihrer Vernunft eine rechtliche Ordnung geben können – warum soll das den „unvertragsamen“ Nationen untereinander nicht auch gelingen? Gewiss, noch befinden sich die Völker im wilden Naturzustand und führen Krieg gegeneinander, doch das dürfe nicht das letzte Wort der Geschichte sein.
Eines Tages, so prophezeit er in seiner Altersschrift unter dem ironisch gemeinten Titel Zum ewigen Frieden , würden die Völker ihres Leides überdrüssig, gäben „ihre wilde (gesetzlose) Freiheit auf“ und fänden weltweit zu einem „Föderalismus freier Staaten“ zusammen. Und wieder befördert der Antagonismus der Menschen den Frieden des Rechts: „Die Natur hat also die Unvertragsamkeit des Menschen, selbst der großen Gesellschaften und Staatskörper (…), wieder zu einem Mittel gebraucht, um in dem unvermeidlichen Antagonismus derselben einen Zustand der Ruhe und Sicherheit auszufinden (…): aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinaus zu gehen, und in einen Völkerbund zu treten: wo jeder, auch der kleinste, Staat seine Sicherheit und Rechte (…) erwarten könnte.“
Quelle DIE ZEIT 3. Dezember 2015 Seite 49 f Was nun Herr Kant? Er war der Philosoph der Vernunft und des Friedens. Warum er gerade in Kriegszeiten aktuell ist. Von Thomas Assheuer.
(Fortsetzung folgt)
Hinzuzufügen wäre, dass heute offenbar in Paris der Durchbruch eines ersten weltweiten Konsenses – also unter Beteiligung aller Völker – gefeiert werden darf. Man kann es kaum glauben, aber es wäre ein historischer Tag. Nicht den Frieden betreffend, aber immerhin eine gemeinsame Zukunft: das Weltklima.
Nachtrag 15.12.2015
Und dem wiederum wäre heute z.B. hinzuzufügen, was ich soeben in der SZ las:
Eigenwillig erscheint, dass Schellnhuber gerade die wachstumsbegeisterte Angela Merkel von seiner ständigen Politikerschelte ausnimmt. Schließlich ist Deutschland von den Pro-Kopf-Emissionen her alles andere als ein Klimavorreiter. Und auch die angeblichen Emissionsreduktionen seit 1990 sind in Wahrheit Emissionsverlagerungen, weil unsere Konsumgüter eben zunehmend aus den Schwellenländern stammen. Trotz aller technischen Alternativen zu Kohle und Öl könnte darum außer Technik auch ein genügsamerer Lebensstil nötig sein.
Quelle Süddeutsche Zeitung 15.12.2015 Seite 15 Die Klima-Welt aus Forschersicht Hans Joachim Schellnhubers Buch zum Pakt von Paris. / Von Felix Ekardt
Falls Sie diesem letzten Link nachgegangen sind und Ihnen ein Wikipedia-Banner aufgedrängt wurde: auch dazu gibt es heute einen SZ-Artikel (Seite 20), dessen Überschrift schon einiges aussagt:
Wikipedia erzürnt die Basis Ein Banner auf der Webseite wirbt jährlich mit immer höheren Spendenzielen – dabei hat das Online-Lexikon keine Geldsorgen. Im Grundsatz geht es um die Frage, wie viel Geld eine Freiwilligen-Organisation einnehmen darf. Von Angela Gruber.
Das Wort „absolut“ wird heute inflationär gebraucht (so häufig wie „genau“ oder „definitiv“, als Antwort genau dort, wo ein schlichtes „ja“ definitiv genügen würde), daher meint man häufig, ein absolutes Gehör sei ein besonders gutes Gehör, eine hervorragende Hörfähigkeit im musikalischen Sinn. In Wahrheit bezeichnet es nur die Fähigkeit, einen Ton auf Anhieb mit dem richtigen Namen zu benennen. Oder ihn ohne Überlegung mit der richtigen Klaviertaste zu assoziieren.
Wenn ich eine Weile keine Musik gehört habe und den Ton einer Kirchenglocke benennen möchte, stell ich mir kurz vor, wie ich die Geige anspiele, höre innerlich die beiden Saiten d‘ und a‘ als Quinte. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Oboist den Ton a‘ angibt, also den Kammerton, mit dem das Ensemble einstimmt. Und dann kann ich sagen: die Kirchenglocke hat den Ton G oder E. Ich vergewissere mich aber gern mit einer Stimmgabel, – unfehlbar bin ich durchaus nicht. Wenn ich am Schreibtisch sitze, überprüfe ich mich, indem ich den Telefonhörer abnehme und den Freiton höre, – es ist das eingestrichene a‘.
Ich habe also ein relatives Gehör; ich bestimme also bei Bedarf die Töne relativ zu einem mir bekannten Ton. Wenn ich weiß, dass ich Schuberts „Unvollendete“ aufgelegt habe, sehe ich natürlich die Töne im Notenbild vor meinem geistigen Auge: den Anfangston H, ich weiß ja, dass sie in h-moll steht und so beginnt. Ich weiß auch im voraus, dass der zweite Satz in E-dur steht und höre ihn so im voraus. Aber die Tonarten (die Bezugstöne) wechseln während des Ablaufs der Musik, und ich konzentriere mich keinesfalls darauf, den Wechsel fortwährend benennen zu können. Musik ist kein Quiz. Vieles geht allerdings intuitiv „von selbst“, ich weiß z.B. wie die leeren Saiten der Streichinstrumente klingen und nehme sie wahr, ohne das wichtig zu finden.
Absolutes Gehör ist anders. Ich habe in einem Interview einmal die Violaspielerin Tabea Zimmermann gefragt, was sie als erstes denkt, wenn sie sich die „Concertante“ von Mozart vorstellt. Da sang sie, ohne eine Sekunde zu überlegen, sehr bestimmt den Ton es‘, – „diesen Ton, bzw. den Es-dur-Akkord, mit dem das Orchester einsetzt“, sagte sie. Das ist absolutes Gehör.
Es kann ein Problem beim Hören und Benennen geben, wenn der Kammerton in der alten Musik einen halben Ton tiefer gesetzt ist. Oder sagen wir, man würde von einer historischen Orgel begleitet, die einen dreiviertel Ton tiefer eingestimmt ist: man müsste diese Stimmung natürlich genau übernehmen und hätte möglicherweise fortwährend mit einer gravierenden Irritation zu kämpfen.
In den „Wissenschaftsgesprächen“ des ZEIT-Magazins sprach Stefan Klein mit der Psychologin Diana Deutsch über das Phänomen des absoluten Gehörs, das nur ein Mensch unter 10 000 besitze. Und sie relativierte, das sei nur in unserer Kultur so:
Aber wo die Menschen eine tonale Sprache wie Mandarin sprechen, ist das anders. Ich bemerkte das zufällig, als ich versuchte, chinesische Wörter nachzusprechen. Mein Gegenüber wusste nicht, was ich meine. Da versuchte ich es in einer anderen Tonlage. Plötzlich verstand er mich. So kam ich auf die Idee, zu untersuchen, wie häufig das absolute Gehör unter chinesischen und amerikanischen Musikern ist. Zwei Jahre lang fragte ich bei Konservatorien an, ob sie an der Studie teilnehmen wollten. Aber es war zum Verzweifeln: Hier in Amerika sagte man mir, dass die Erhebung unmöglich sei, weil selbst unter hochbegabten Studenten so gut wie niemand Tonhöhen auf Anhieb erkenne. Die Chinesen fanden mein Vorhaben unsinnig: Man wisse doch, dass Musiker diese Fähigkeit hätten! Schließlich fanden sich zwei Hochschulen. Heraus kam, was die Leute an den Konservatorien mir vorausgesagt hatten: In den USA hatte fast niemand das absolute Gehör, in China hatten es sehr viele.
(Stefan Klein: Man könnte genetische Gründe vermuten.)
Wir haben uns chinesischstämmige Amerikaner angesehen. Nur diejenigen, in deren Elternhaus Chinesisch gesprochen wurde, schnitten gut ab in unserem Test.
(Stefan Klein: Dann wäre das absolute Gehör also nicht angeboren, sondern erlernt.)
Es ist auch angeboren – und zwar jedem Menschen, wie mir scheint. Nur müssen Sie rechtzeitig im Leben Gebrauch davon machen, sonst geht es verloren. Und das heißt während der Sprachentwicklung. Je früher in Ihrer Kindheit die Chinesen übrigens mit dem Musikunterricht angefangen hatten, um so genauer hörten sie auch.
Quelle ZEIT MAGAZIN Nr. 50, 10. Dezember 2015 Stefan Kleins Wissenschaftsgespräche (27) Mit der Psychologin Diana Deutsch über die Geheimnisse der Musik (Seite 20)
Sehr interessant auch der Rest des Gespräches z.B. über Links-Rechts-Vertauschung, akustische Täuschungen etc. siehe auch im 2 Zeilen höher gegebenen Link zu Wikipedia. Auch über frühe Sprachen und Gesang. Vögel, die Duett singen, siehe auch xxx, aber neu: wenn einer der beiden Vögel stirbt, kann der Überlebende sogar den Part des anderen übernehmen.
Was der Laie nicht lernen kann, das Kind aber sehr wohl, – fast ohne es zu wollen
Ich will einmal in aller Kürze sagen, wie sich in der Musik ein Profi vom Laien unterscheidet: er weiß, was Üben bedeutet und er „probt“ besser. Ich sage nicht: er spielt besser, das versteht sich eigentlich von selber. Zuweilen gibt es den Fall, dass ein Laie sehr gut spielt, weil ihm in der Kindheit alles schnell zugefallen ist; wobei ihm entgangen ist, dass in der Musik etwas zu vertiefen ist. Es bleibt ihm ein Spiel, – ohne Herausforderung. Also wieder: er mag nicht proben, nichts wiederholen, nichts überprüfen, nichts langsam spielen. „Warum denn? Es ging doch!“
Nicht besser läuft es, wenn jemand erst als Erwachsener mit Klavierspielen beginnt, ohne zu ahnen, was ihm bevorsteht: mit bestimmten Lebenserfahrungen aus anderen Bereichen, Erfolgserlebnissen im Hinterkopf, also vielleicht in der Annahme, mit Energie lasse sich jede Aufgabe „packen“. Genau diesen Reflex des Zupackens soll ja z.B. die Hand verlieren und die Finger freigeben.
So habe ich auch das Klavierbuch von Alan Rusbridger eingeschätzt: ein Laie, der sich darauf versteift, eins der für ihn zu schweren Stücke von Chopin spielen zu lernen, der es verabsolutiert und der sich für die Realisierung dieser fixen Idee prominente Lehrmeister leisten kann, die ihm Tipps geben. Und da er als Journalist behende mit Worten und Informationen umgeht, schreibt er alles auf und macht eine große Story daraus.
Auf der zweiten Seite der Einleitung habe ich das Vorurteil erstmal ad acta gelegt: der Mann ist vielleicht von Haus aus … der geborene Musiker … gewesen?
Ich war der archetypische Amateur, der sich im mittleren Alter wieder ans Klavier setzte. Meine musikalische Erziehung hatte im Kirchenchor begonnen, als ich sechs Jahre alt war. Mit acht lernte ich Klavierspielen. Mit zehn nahm ich noch Klarinettenunterricht und trat dann in den Domchor von Guildfort ein. Die folgenden drei Jahre tauchte ich außergewöhnlich tief in die Musik ein, mit strengem Tagesplan für Klavier- und Klarinettenstunden, daneben Chorproben und liturgische Pflichten.
Mit dreizehn wechselte ich auf die Cranleigh-School in Surrey, damals noch eine ganz durchschnittliche Privatschule, wo in den folgenden fünf Jahren dasingen und Klavierspielen zugunsten einer ernsthaften Konzentration auf die Klarinette in den Hintergrund traten. Wenn, wie es derzeit der wissenschaftliche Konsens ist, 10 000 Übungsstunden bis zum Alter von achtzehn Jahren notwendig sind, um ein wirklich guter Klavierspieler zu werden, dann hatte ich diese Marke um gut 8 000 Stunden verfehlt. Ich vertändelte viel Zeit am Klavier – spielte mit Freunden Duos -, auch noch in meiner Zeit als Nachwuchsreporter bei den Cambridge Evening News. Wo immer ich gerade lebte, meldete ich mich als Klarinettist im örtlichen Laienorchester an und suchte nach Partnern für Klavierduos. In Cambridge lieh ich mir während der ersten Studentenzeit immer ein Klavier. Doch ich kann wohl mit Sicherheit sagen, dass ich während meiner drei Jahre dort kein einziges Stück ernsthaft geübt habe. Gewiss spielte ich viel, war aber im besten Fall ein Pianist, der seine seit Schulzeiten bekannten Stücke wieder und wieder runterspielte.
Wenn ich solche Zeilen gelesen habe, vermute ich, dass man diesen Mann mit seinen Musikerfahrungen durchaus ernstnehmen kann oder muss: Er hat schon als Kind üben gelernt und weiß, dass man auch die Stücke, die man seit früher Zeit „in den Fingern hat“, nicht immer wieder einfach so runterspielt.
Man kann also wohl dem Klappentext vertrauen (siehe unten).
Quelle Alan Rusbridger „:PLAY IT AGAIN:“ Ein Jahr zwischen Noten und Nachrichten / Secession Verlag für Literatur, Zürich 2015 (Zitat oben: Seite 7)
(bitte anklicken)
Im Zentrum (und am Ende des Buches) steht die Ballade G-moll von Chopin. Er kennt sie, liebt sie und fürchtet sie. Warum in aller Welt muss er sie spielen können?
Er lässt sich nicht einschüchtern, scheint ohnehin nicht gerade von Selbstzweifeln gepeinigt, das erkennt man sofort. Nein, ein Pianist im emphatischen Sinne ist er – Alan Rusbridger – nun mal nicht. Man muss ihn nur mit einem einzigen Lauf erleben: man kann ihn ja beobachten, ihn live erzählen hören, aber auch etwas spielen hören. Ein Musiker weiß dann schon genug. Man gehe in den folgenden Link und klicke darin das erste Video an:
Die Frage ist nur, für wen eine solches Projekt künstlerische Bedeutung hat? Kann man dem intelligenten Adepten nicht zubilligen, dass er mitteilenswerte Erfahrungen gemacht hat? Solche, die anderen beruflich gestressten Menschen einen neuen Zugang zur großen Musik vermitteln? Ist es nicht so, dass der Berufsmusiker oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennt? Dass die Unbefangenheit des Laien also Perspektiven eröffnet, die dem gehorsamen Hochschul-Absolventen mit rigider Methodik ausgetrieben wurden?
***
Ein anderer „Selbstbiograph“ erzählt eine ganz andere Geschichte über die Musik, die er liebt; und er glaubt im Ernst, es sei die Wahrheit:
Ein Lied ist eine kurze Geschichte. ich glaube, es war mein alter Kumpel Harlan Howard, ein Nashville-Songwriter aus den Sechziger-Jahren, der meinte, ein Song bräuchte nicht mehr als drei Akkorde und die Wahrheit.
Songs zu schreiben fällt mir leicht. Ich habe Hunderte geschrieben. Für mich sind sie einfach kleine Geschichten, die dem Leben oder der Phantasie entsprungen sind. Sobald ich mit einem Song nicht weiterkomme, lasse ich lieber die Finger davon. Ich denke mir, wenn es nicht von selbst fließt, dann soll es wohl nicht sein.
Die Wahrheit sollte einem leichtfallen. Das gilt auch für Lieder und Geschichten. Muss man erst übermäßig analysieren oder sich quälen, um sie zum Leben zu erwecken, ist irgendetwas faul. So wie frisches Quellwasser aus den Bergen sprudelt, so müssen auch Geschichten frei und ungehindert fließen können. Das Wasser ist – wie die Lieder – ein Geschenk des Himmels. Etwas ganz Natürliches. Etwas Schönes.
Quelle WILLIE NELSON mit David Ritz “Mein Leben: Eine lange Geschichte” / Wilhelm Heyne Verlag München 2015 (Zitat oben: Seite 9)
Veränderung der Einschätzung bei fortschreitender Lektüre
Stichworte: Der Klugschwätzer (Buch 1) und die ehrliche Haut (Buch 2)
Nach 100 Seiten Lektüre mit deutlich abflauender Tendenz und anschließenden „Probebohrungen“ quer durchs Papier (500 Seiten!) geht meine Geduld zuende und weicht zunehmendem Widerstand. Ich will nicht ausschließen, dass ich auch weiterhin darin blättere, um goldene Aussagen der wirklichen Musiker zu sammeln, die zweifellos vorkommen, aber ein Rätsel bleibt, weshalb sie sich darauf einlassen. Es kann nur die Prominenz des Journalisten sein, die eine Rolle spielt, Gespräche mit ihm über ganz andere Themen, die mich im Kontext dieses Buches kaum noch interessieren. Die möglichen Einwände gegen sein unmusikalisches Vorgehen stehen sämtlich schon im Buch, aber trotz weitgehender Beratung, nach der er verlangt, gehört er zum Typus des beratungsresistenten Laien. 20 Minuten Übezeit am Tag kann er investieren? Und in einem Jahr will er eine pianistisch respektable Leistung vorweisen? Der erste Schritt wäre: Balladenverbot. Zweiter Schritt: Auswahl geeigneter täglicher Übungen. Dazu Tonleitern und Akkorde. Und fertig! Das ist keine Musik? Gut, ab dem dritten Monat nehmen wir das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach hinzu und vielleicht ausgewählte Praeludien aus dem Wohltemperierten Clavier. Aber nur, wenn aus den 20 mindestens 30 Minuten werden, an Wochenenden mindestens das Doppelte oder Dreifache. Und langfristige Beendigung jeglichen Palaverns über Probleme am Klavier. Und ein Teil der auferlegten Übezeit diene der Buße für Abklebung von schwer spielbaren Tönen und Passagen in Beethovens op. 110 (weil deren Fehlen von den Zuhörern doch nicht bemerkt werde).
Seite 110 reagiert der Autor auf „eine spöttische kleine Zeitungsnotiz“ über ihn und sein Klavierspiel: „Scheinbar dürfen sich Chefredakteure nur für ihre Arbeit interessieren und schon gar nicht für Kultur.“
Abgesehen von dem Gebrauch des Wortes „scheinbar“ für „anscheinend“, der wohl der Übersetzung zuzuschreiben ist: Klavierspiel ist nicht gleich Kultur. (Man muss nur einen Tag beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ zugehört haben, so weiß man, wie weit sich der Vortrag einer Beethovensonate von Kultur entfernen kann. So früh fängt das schon an! Eine Kuhlau-Sonatine wäre perfekt…) Zum Ausgleich mockiert sich der Autor – scheinbar bewundernd – über den Sport, den Kollegen als Ausgleich wählen. Und dann:
Nebenbei gesagt sind erfolgreiche Chefredakteure meistens obsessiv. Nur wenigen gelingt es einigermaßen normal zu bleiben und einen Sinn für die Verhältnismäßigkeit ihrer eigenen Arbeit zu behalten und für das, was sie von anderen verlangen. Die meisten landen schnell beim Burn-out oder schaffen es nicht, die obsessiven Aspekte des Jobs in Schach zu halten.
Auch in der musikalischen Arbeit geht es um die Verhältnismäßigkeit: Man übt die G-moll-Tonleiter nicht erst, wenn sie in der G-moll-Ballade von Chopin vorkommt (siehe Seite 90). Und die an sich richtige Einsicht in gewisse Gefahren könnte auf absurden Gedankengängen beruhen (Seite 3f):
Das viele Üben macht deutlich, dass Klavierspielen eine anstrengende körperliche Tätigkeit ist, bei der sich schon zahllose Leute ernsthafte Schäden zugezogen haben, weil sie es übertrieben oder mit falscher Technik gespielt haben. Ich schiebe es schon eine Weile vor mir her, die gebrochenen Akkorde in Takt 166 zu wiederholen, weil die dort benötigte Spannweite der linken Hand ziemlich schmerzhaft ist. Wenn es in dem Stück einen Abschnitt gibt, bei dem ich durch Überlastung Beschwerden bekomme, dann wird es dieser sein. Tatsächlich verspüre ich schon jetzt ein Brennen in der Armmuskeln – vermutlich die erste Warnung nicht zu viel oder zu hastig zu üben.
Mein Gott, schauen Sie sich nur die gebrochenen Akkorde an:
Kein Mensch, der mit dem Klavier einigermaßen vertraut ist, kommt auf die Idee, die linke Hand zu einer „Spannweite“ zu zwingen, die diese Figuren bewältigt. „Ein Brennen in den Armmuskeln“? Das tut einem ja beim Lesen schon weh! Chopin selbst hatte eine kleine Hand, wusste aber, was eine „imaginäre große Hand“ ist, die über solche Spannweiten durch minimale Zusatzbewegungen leichtfingrig hinweghilft, zudem wusste er natürlich das Pedal zu bedienen. Aber das ist nicht etwa Chopins Geheimnis, jeder Pianist weiß das heute. Ärgerlich, wenn das als Pianistenproblem verkauft wird. Ein scheinbar aufklärerisches Buch, das quasi nebenbei zahllose Vorurteile über das Künstlerdasein reproduziert. Vor allem über das, was angeblich zum Allerschwierigsten gehört (diese Ballade) und das, was durch Üben leicht zu schaffen ist. Logischerweise treten dabei ganz absurde Selbsteinschätzungen zutage: als habe er etwa den Schlüssel entdeckt, wie man Schumanns „Kind im Einschlummern“ zu interpretieren habe, nämlich als etwas Stilles und Zartes, wie es offenbar nur ein Vater wie er zu spielen vermag. Barenboim und Horowitz dagegen „spielen den Satz sehr schneidig – im klaren Zweiertakt – und keineswegs behutsam. Bei ihnen schlummert das Kind nicht, es liegt wach, wehrt sich gegen das Einschlafen“. (a.a.O. Seite 88)
Danke, ich brauche nichts weiter.
***
Man könnte vielleicht sagen: sei nicht so streng, es ist doch nur ein Buch, es ist von einem Laien für Laien geschrieben. Es soll Mut machen zur Musik, indem die tapfere tägliche Kleinarbeit gezeigt wird, die am Ende zu einem respektablen Ziel führt. Nichts da: es ist Wichtigtuerei! Pfuscherei! Eitle Selbstbespiegelung! Es führt gerade Laien in die Irre, da es in mancher Hinsicht den Eindruck von Fachkundigkeit erregt und auch wirkliche Meister-Pianisten zitiert, als handele es sich insgesamt um ein ernstzunehmendes Projekt.
Zudem suggeriert es, dass die von Musikern so genannten „Schlachtrösser“ zugleich die wichtigsten Stücke klassischer Musik sind. (Nach der lächerlich mystifizierten Ballade wird alsbald die Ungarische Rhapsodie von Liszt avisiert.) Ich würde aber gar nicht von Musik sprechen, sondern von den Mitteln, die zur Darstellung der Musik gehören: also von der Technik. Das ist nichts Äußerliches. Mangelnde Technik, angewandt auf Meisterwerke, hat Ähnlichkeit mit fahrlässiger Körperverletzung.
Was sollte die Überschrift mit dem Kind? Es lernt fürs Leben, dass falsche Töne keine Lappalie sind. Der Unterschied, ob man sie den Meistern verzeiht oder den Kindern von vornherein konzediert, entspricht dem Unterschied von Tag und Nacht. Sie spielen gern, wollen aber beim Fahrradfahren auch lieber im Sattel bleiben als an der Wand entlangschrammen.
Oder als Gleichnis:
Ein erfolgreicher Jurist erinnert sich, dass er in seiner Kindheit einmal ganz leidlich mit zwei Bällen jonglieren konnte. Aber mehr hat er nie versucht, weil er auch schnell die Geduld verlor. Mit 50 Jahren sieht er im Fernsehen einen zweiten Rastelli, der imstande war, 10 Bälle in der Luft kreisen zu lassen, endlos lange und ohne die geringste Schwäche zu zeigen. Er ist begeistert und fragt sich: Warum soll ich das nicht auch lernen können? Schon als Kind habe ich mit zwei Bällen ordentlich umgehen können, warum soll ich es heute nicht weiterbringen? Mit zehn Bällen ist es offensichtlich leichter. Die Wette gilt: in einem Jahr trete ich an. Und fortan übt er täglich 20 Minuten mit 10 Bällen. Leider hat er frühzeitig aufgegeben, so dass er nach einem Jahr doch nicht antreten konnte.
Im Fall des Klavierspielens sollte es ähnlich laufen: die nicht gelungenen Töne müssten sichtbar vor dem Flügel landen, aber so, dass sie auch beiseitegekehrt werden müssten. Klappernde und scheppernde Tonhäufchen, die sich allenthalben auf dem Podium ansammeln, bis man den Pianisten nicht mehr sieht. Aber da es nicht so ist, und die Musik ohne Ansehen von gut und böse einfach verklingt und verschwindet, kann der Spieler aufstehen, davongehen und zuhaus sogar noch ein langes Buch über die unbändige Lust am Klavierspiel schreiben. Er ist ein Künstler. Wir alle sind Künstler! Wir wissen jetzt, wie das funktioniert.
Oder? (Eine Art Abbitte) 15.12.2015
Das Buch liest sich ganz anders, wenn ich es nicht als Musiker lese, der die Musik irreführend behandelt sieht. Sondern zum Beispiel als Journalist. Alle anderen Themen finde ich interessant und kurzweilig dargestellt, vermute auch, dass die Sachverhalte völlig korrekt wiedergegeben sind. Ein Beispiel: der Abschnitt (Seite 145 bis 156) „Montag, 6. Dezember“, der das Gedächtnis behandelt und ein hoch-informatives Gespräch mit dem Neurologen Ray Dolan wiedergibt, der ein ausgewiesener Fachmann ist. Gleich da nach geht es weiter mit der journalistischen Routine-Arbeit über die Wikileaks-Veröffentlichungen, interessant, nein, er weicht aus und spricht wieder mit einem Pianisten über die Chopin-Ballade, und wieder stellt sich meine Ungeduld ein.
Ich wollte nur nachtragen: es gibt viel Gutes in dem Buch… Und mein Vorhaben über Volksmusik und Willie Nelson anzuschließen, verschiebe ich auf ein andermal. Ausschlaggebend war übrigens die Erinnerung an einen Kabarettisten, der sehr gut Klavier spielt und beiläufig bemerkte: „Woher ich das kann? Ich habe nie etwas anderes gespielt als das, was ich kann.“
Eine mit Superlativ versehene Bemerkung in der Süddeutschen Zeitung zum Thema Song veranlasst mich zum kleinen Nachhilfeselbstunterricht. Ich war irgendwo zu Besuch und las und notierte:
Holly Woodlawn wurde dann selbst eine Ikone, ihre Ankunft im rauschhaften New York war zumindest ein kleiner Urknall. Der große Lou Reed sang darüber, in einem der schönsten Songs überhaupt – „Walk On The Wild Side“: Holly come from Miami, FLA / Hitch-hiked her way across the USA.“ Der Tramp aus Florida mit den gezupften Augenbrauen … (etc.etc.)
Quelle Süddeutsche Zeitung 8.12.2015 Autor: David Steinitz
Holly Woodlawn hatte jedenfalls mit Andy Warhol zu tun, eine Google-Suche ergibt jede Menge Nachrufe. Zur Orientierung zunächst nur dies. Ich erinnere mich an einen Warhol-Film mit Joe Dallesandro, den ich damals gesehen habe, in der Zeit, als man in Konzertsälen „Happenings“ erlebte, z.B. mit Charlotte Moorman am Cello, halbnackt, in Cellophan gehüllt.
Vor allem aber will ich hören, was da melodisch „in einem der schönsten Songs überhaupt“ passiert, also nicht einem der schönsten von Lou Reed, sondern „überhaupt“. Youtube ergibt ausreichend Treffer, ich werde den Song nicht nur einmal hören, sondern – wie üblich – mehrmals. Zunächst mehr als Bilderfolge, einfach so, dann auf den ebenfalls wiedergegebenen Text konzentriert. Auch die Song-Infos bei Wikipedia führen weiter, eine Insider-Übersetzung ist ebenso leicht zu finden. Und noch eine Bilderfolge hier.
Was will ich mehr? Ich suchte ja einen „der schönsten Songs überhaupt“. Soll ich die Melodie notieren? Gibt es eine? Eins ist sicher: Ich werde bei diesem Autor Steinitz (Namen können verpflichtend sein!) nicht um Nachhilfe bitten. Sonst erwischt mich auch noch ein Urknall.
Nachtrag (Um doch noch etwas ins Detail zu gehen: der Text zum Mitlesen)
Walk On The Wild Side
Holly came from Miami, F.L.A.
Hitch-hiked her way across the U.S.A.
Plucked her eyebrows on the way
Shaved her legs and then he was a she
She says, ‚Hey babe, take a walk on the wild side‘
He said, ‚Hey honey, take a walk on the wild side‘
Candy came from out on the island
In the backroom she was everybody’s darlin‘
But she never lost her head
Even when she was giving head
She says, ‚Hey babe, take a walk on the wild side‘
He said, ‚Hey babe, take a walk on the wild side‘
And the colored girls go
Doo do doo, doo do doo, doo do doo
Little Joe never once gave it away
Everybody had to pay and pay
A hustle here and a hustle there
New York City’s the place where they said
‚Hey babe, take a walk on the wild side‘
I said, ‚Hey Joe, take a walk on the wild side‘
Sugar plum fairy came and hit the streets
Lookin‘ for soul food and a place to eat
Went to the Apollo, you should’ve seen ‚em go go go
They said, ‚Hey sugar, take a walk on the wild side‘
I said, ‚Hey babe, take a walk on the wild side‘
Alright, huh
Jackie is just speeding away
Thought she was James Dean for a day
Then I guess she had to crash
Valium would have helped that bash
She said, ‚Hey babe, take a walk on the wild side‘
I said, ‚Hey honey, take a walk on the wild side‘
And the colored girls say
Doo do doo, doo do doo, doo do doo
(Fazit: als lyrischer Text abgrundtief schlecht. Aber steckt irgendetwas an ‚Wahrheit‘ darin? Etwas, das in diesem Milieu als Wahrheit empfunden wird und eine andere Assoziationskette heraufbeschwört als bei mir? Was tun, wenn ich den Text Zeile für Zeile sympathetisch interpretieren müsste? Jede Strophe bezieht sich auf einen anderenMenschen. Lies zur Vorsicht mal eine deutsche Übersetzung, z.B. hier.)
Nachbemerkung 26. Dezember 2015
Zu diesem Beitrag erreicht mich per Mail eine vehemente Gegenposition … bedenkenswert. Ich werde in der Tat – wie in der Klammer angedeutet – dieser Sache noch des öfteren nachgehen. Es ist nicht zulässig, einer „Volksmusik“ mit den Kriterien der „Hochkultur“ zu begegnen. Aus einer ethnologischeren Sicht ist ALLES Volksmusik, auch die, die in einer geschützten Enklave ihre Entwicklung nach eigenen Gesetzen ausdifferenzieren und in jedem Detail durchdenken konnte. Anders als Musik, die „unmittelbar“ von der Bühne aus funktionieren muss, und sinnvollerweise mit Klischees arbeitet, die z.B. flexibel werden, bis hin zur Vieldeutigkeit, also ihren Klischee-Charakter verlieren können.
Nachhilfe 7. Juli 2016
1) Der mehrfach falsch geschriebene Name „Warhol“ wurde korrigiert.
2) Der Satz „Namen können verpflichtend sein!“ bezieht sich auf den Volksliedforscher Wolfgang Steinitz.
3) Der Artikel mag „konfus gestaltet“ sein. Er darf für Nachbearbeitung offen bleiben. Ich verstehe ihn gut.
Wie sich die Lektüre von selbst vereinfacht: sie geht mich an, – oder nicht; sie bildet Zweiergruppen, die sich ergänzen oder widersprechen; sie begleitet mich eine Weile, – oder verschwindet in der Warteschleife.
(Texte bitte anklicken)
Hätte ich den Klappentext gelesen, hätte ich mir das Buch vielleicht nicht gekauft. Ausschlaggebend war tatsächlich der Titel mit dem Zusatz „menschlichen“, denn Bücher mit dem Titel „Der Sinn des Lebens“ habe ich schon in ausreichender Zahl (z.B. Christoph Fehige u.a., Julian Baggini, Terry Eagleton). Man könnte mich einen Spezialisten für den Sinn des Lebens halten, wenn man nicht wüsste, dass ich sowieso gleich zur Musik übergehe. In Sachen Religion, von beiden Großmüttern mehr oder weniger intensiv bearbeitet, bin ich allerdings – mit Sigmund Freud zu sprechen – ziemlich unmusikalisch, der Sinn für Bach und – sagen wir – Monteverdi ist davon völlig unbeeinträchtigt. Aber unter meinen neueren Büchern ist keins, das den Lebenssinn von biologischer Seite angeht. Das kann ja auch nicht gutgehen, meine ich, Leben will einfach leben, das ist alles. Leider. Selbst wenn es sehr komplex dabei zugeht. Siehe Ameisen. Damit gibt sich Ameisenforscher Wilson offenbar nicht zufrieden. Will der kluge, alte Mann auch noch Philosoph sein? Plötzlich sehe ich eine Verbindung zu dem, was gerade in der ZEIT von Thomas Assheuer an KANT exemplifiziert wurde. Übrigens auch einen polemischen Bezug des Neodarwinisten Wilson auf den Naturwissenschaftler Richard Dawkins, darüberhinaus sehe ich den Vorsatz, die alte Kontroverse zwischen Natur- und Geisteswissenschaften beizulegen, die ich kürzlich von Thomas Nagel so glänzend bestätigt gefunden hatte, in dem Buche:
„Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist.“
Ein eher humoristisch formulierter Gedanke, aber sehr erhellend ausgeführt. Siehe auch den stellvertretenden Gegensatz in der Frage, was zur Bildung gehört: hier am Beispiel Schwanitz / Fischer.
(Fortsetzung folgt)
Paarweise die anderen derzeit (für mich) aktuellen Bücher:
Alan Rusbridger „:PLAY IT AGAIN:“ Ein Jahr zwischen Noten und Nachrichten / Secession Verlag für Literatur, Zürich 2015
WILLIE NELSON mit David Ritz „Mein Leben: Eine lange Geschichte“ / Wilhelm Heyne Verlag München 2015
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„Man braucht ein ganzes Leben, um jung zu werden“ Ausgewählt von Ursula Gräfe / Insel Verlag Berlin 2010 / 2013
Hannelore Schlaffer: Das Alter. Ein Traum von Jugend. Bibliothek der Lebenskunst. Suhrkamp Frankfurt am Main 2003
Man bedenke: das Weihnachtsoratorium 1958 gab es als Rabatt.
Nur auf der Rückseite: ein Oratiorium (sic) mit Tomanerchor (sic). Die Aufnahme selbst aus heutiger Sicht: alles in Zeitlupe. Aber immer ’schön‘. Haben wir tatsächlich so gelebt?
Enttäuschend finde ich Friedrich Gulda 1957 mit Beethovens Klavierkonzert C-moll Op.37. Das hat 1964 Roswitha Gediga in ihrem Kölner Examen überzeugender gespielt (als ich im Hochschulorchester saß; den langsamen Satz vergesse ich im Leben nicht).
Wunderbar nuanciert: Walter Gieseking 1953 mit Beethovens Klavierkonzert G-dur Op.58. Auch das Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester klingt hier unter Joseph Keilberth homogener als in Guldas Aufnahme, die Mario Rossi dirigiert.
Und heute? Wie leben wir heute? – Für diesen Moment … in diesem Augenblick … (und mit den CDs, die oben auf der Rechnung stehen). / Zweifellos doch nicht ganz am Ende der Welt, wie die Bilder suggerieren könnten. Ein bestimmtes Buch gehört auch dazu, aber darüber später einmal mehr…
Geburtstagsreise nach Texel 4. – 7. Dezember
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(Fotos: E.Reichow)
Und heute, am Abend des 6. Dezembers, dem Geburtstag von Nikolaus Harnoncourt, erfahre ich, dass er seine Laufbahn beendet. Man lese seinen Abschiedsbrief HIER.
Ich spare mir alle Zusammenhang stiftenden Worte. Ausgangspunkt jedenfalls war – zu Anfang dieses Beitrags – die DVD des von Harnoncourt geleiteten Bachschen Magnificats, die ich vor meiner Abreise gehört und gesehen hatte und nach meiner Rückkehr von der Insel Texel rekapitulieren wollte.
Und so endet mein Geburtstag 2015, den ich partout als einen nicht endenwollenden Neubeginn sehen wollte.