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Sprech- und Sprachverwirrung

Koinzidenz beim Lernen ohne Ende

Arabisch lernen SZ 160221 Süddeutsche Zeitung 20./21.Febr.2016 Seite 16

Mit der Notiz in der SZ begann es: dann die Koinzidenz, dass der junge Mann, der uns Arabisch beibringen will, auch die Dialekte einbezieht (sind es Dialekte?).

Vor allem aber, dass zuweilen auch der Anfang in beiden Sprachen frappierend übereinstimmt: „Isch vermisse disch“. „Isch-taa-ti-laak“ – Isch also alles Arabisch, wie der Stuttgarter sagt. Oder wie jetz gleisch: Syrisch.

Screenshot Ichtaatilak

Es wäre aber billig zu fragen – wie sollen wir das in einer Minute lernen? – wenn gerade Ihr nun dafür sorgt, dass sich das deutsche „Isch“ allüberall durchsetzt. Hatten wir nicht schon mit dem Sächsischen genug? Im Kölner Raum bleibt es wenigstens in die Mundart eingehegt („Schakal Fööß“ = „Ich habe kalte Füße“). Solingen ist durch die Benrather Sprachlinie geschützt. Oder vielmehr durch die Uerdinger Linie! Aber bittebitte: Helft uns doch, das weiche deutsche CH zu retten, – wie in „Lächeln“ oder – jetzt ist es heraus – wie in „Reichow“ (auch das O lang und das W nicht mitsprechen). Wenn ich das in Köln jemandem buchstabiere, versteht der mich sofort: „Ach, also Reeischoff“?

Ich bleibe mal in meiner engeren Umgebung (Heimat? Ja, aber frühestens seit 1966) . Was sagt mein alter Ratgeber?

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Der Solinger sagt also Schemie (wenn er Chemie meint): das muss aus Richtung Köln kommen, aus Leverkusen gar… Aber was sagt er, wenn er Weihnacht meint? Chreßdag , gewiss, aber das Ch – nicht wie K? Ich weiß es nicht. (Doch! Wird von Mundartsprecher bestätigt: Chr wie Kr!) Statt streichen sagt er strieken, statt reichen rieken. Aber wie ist es bei „richtig“?

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Wir sind Problemen auf der Spur. Irgendwo beginnt das Werturteil, – wagen wir von „Reinheit der Sprache“ zu reden oder lieber nicht? Die folgende Liste ist hier nicht vollständig wiedergegeben. Unten folgt die genaue Quellenangabe.

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Dieses Buch ist für traditionsbewusste Solinger eine Kostbarkeit:

Rudolf Picard: Solinger Sprachschatz Wörterbuch und sprachwissenschaftliche Beiträge zur Solinger Mundart / Walter Braun Verlag Duisburg 1974 ISBN 3-87096-121-X

Zurück zum Arabischen! Ich bin auf Grund meiner Recherchen zum vorhergehenden Artikel, auf einen hervorragenden Aufsatz von Otto Jastrow gestoßen. Er behandelt die „Situation der Diglossie, d.h. des funktional geregelten Nebeneinanders von zwei historischen Entwicklungsstufen der gleichen Sprache.“

ZITAT

Das Moderne Hocharabisch ist eine konservierte Form des Klassischen Arabisch. Es genießt hohes Ansehen und dient als Schriftsprache, wird aber nicht muttersprachlich erworben, sondern durch Unterricht erlernt. Im mündlichen und informellen Bereich werden die jeweiligen Dialekte verwendet; sie sind die natürliche Muttersprache der Bevölkerung, genießen jedoch keinerlei Ansehen. Da die Hochsprache in ihrer äußeren Form nicht verändert werden darf, aber auch die Dialekte sich nicht zu modernen geschriebenen Volkssprachen entwickeln dürfen, scheint die Diglossiesituation für alle Zeit festgeschrieben. Dadurch ist das Überleben der Dialekte gesichert, obgleich sie sich untereinander stärker annähern.

Was sich nicht verändert ist aber die Geringschätzung der Dialekte, derer man sich gleichwohl bedient. In seiner Untersuchung zur arabischen Diglossie bezieht sich Jastrow auf die Arbeit des amerikanischen Linguisten und Arabisten Charles A. Ferguson, der auch den Fachbegriff geprägt hat. Besonders hervorzuheben sind die Varietäten des „High“- und „Low“-Sprachgebrauchs. Man kann das insgesamt im Netz nachlesen (s.u.), und es bieten sich interessante Verbindungen in viele Richtungen an (Clifford Geertz). Man stelle sich vor, bei uns wäre das Luther-Deutsch, so wichtig es für die deutsche Hochsprache wurde, verabsolutiert worden. – Ich beschränke mich hier auf eine Dichotomie, die Jastrow entwickelt, um die Geschichte des romanischen Abendlandes von der des arabischen Sprachraums abzugrenzen. (Hervorhebungen durch Fettdruck oder Farbe von mir. JR)

ZITAT

Am ehesten versteht man die soziolinguistische Dynamik, wenn man einen vergleichenden Blick auf die Entstehung der romanischen Sprachen wirft. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches blieb das Lateinische zwar weiterhin die Sprache von Literatur und Wissenschaft, ja durch das Christentum erwuchs ihm noch ein zusätzlicher Prestigegewinn, doch in der Alltagssprache der Bevölkerung in den lateinisch-sprachigen Gebieten setzten sich regionale Varianten durch, die schon bald ein eigenständiges sprachliches Profil entwickelten. Schon nach wenigen Jahrhunderten hatten sich die Frühformen der heutigen romanischen Sprachen herausgebildet. Die frühesten Zeugnisse etwa des Altfranzösischen, Altitalienischen und Altspanischen weisen bereits die Mehrzahl der sprachlichen Züge auf, die diese Sprachen noch heute charakterisieren. Einige Jahrhunderte lang blieben diese frühen Volkssprachen auf den mündlichen Gebrauch beschränkt, während das Lateinische nach wie vor die Sprache von Bildung, Wissenschaft und Kultur war. So kann man wohl für eine längere Zeitspanne eine Situation der Diglossie annehmen, mit Latein als H(igh variety) und den entstehenden Volkssprachen als L(ow variety). Doch spätestens mit der Renaissance vollzog sich der Ausbau der romanischen Volkssprachen zu großen Literatursprachen, die neben der Dichtung nach und nach auch alle Bereiche der Wissenschaft für sich eroberten, sich in der Verwaltung, Rechtsprechung und schließlich sogar in der Kirche durchsetzen. So entstanden die romanischen Nationalsprachen, voll ausgebaute Schriftsprachen von großem Prestige und kultureller Ausstrahlung. Man kann die langsame Zurückdrängung des Lateinischen in Europa bedauern, doch wie reich wurde dieser Kontinent und die gesamte Menschheit durch die romanischen Sprachen beschenkt!

Auch die Geschichte des Arabischen verläuft in vergleichbaren Bahnen, doch nur bis zu einem gewissen Punkt. Das heutige Sprachgebiet des Arabischen, in das sich mehr als zwanzig unabhängige arabische Staaten teilen, ist das Ergebnis der frühen muslimischen Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts. Nach dem Zusammenbruch der politischen Einheit und der Herausbildung zahlreicher lokaler Regimes entwickelte das gesprochene Arabisch eine Vielzahl von regionalen Varianten, die sich hinsichtlich ihrer Verschiedenheit wie auch des Abstands von der klassisch-arabischen Schriftsprache durchaus mit den frühen romanischen Volkssprachen vergleichen lassen. Zu der gleichen Zeit, als die romanischen Sprachen am Horizont auftauchten, hätten sich auch die regionalen Formen des Arabischen zu Schriftsprachen und Nationalsprachen entwickeln können. Dies geschah jedoch nicht, weil die Regionalsprachen niemals eine geschriebene Literatur entwickelten, sondern bis heute im Zustand rein mündlicher Dialekte verharrten. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte weitgehender Analphabetismus, und die zahlenmäßig kleine Gruppe von traditionell Gebildeten, die lesen und schreiben konnten, bediente sich wie selbstverständlich des Klassisch-Arabischen. Diese Sprachform genoss und genießt das höchste Prestige, weil sie die Sprache der altarabischen Dichtung ist, vor allem aber weil in ihr der Koran niedergeschrieben wurde. Das gibt dem Klassisch-Arabischen ein größeres Prestige als jeder anderen Sprache. Für viele Muslime gilt das Klassisch-Arabische als eine vollendete Sprachform, die sich nicht ändert, sondern sich im Laufe der Zeit immer gleich bleibt. Deshalb darf sich auch niemand erlauben, an der klassischen Sprachform irgend etwas ändern zu wollen. Natürlich mussten sich große Probleme ergeben, wenn man das Klassische Arabisch – eine im 8. und 9. Jahrhundert kodifizierte Sprachform – als moderne Hochsprache für die Gegenwart nutzen wollte, ohne seine äußere Form anzutasten. So verdeckt die äußere Kontinuität von Orthographie und Morphologie die Tatsache, daß sich das moderne Hocharabisch stilistisch und phraseologisch, aber auch syntaktisch sehr stark vom Klassisch-Arabischen entfernt hat. Der notwendige Ausbau des Lexikons wurde weitgehend durch Ausschöpfung der spracheigenen Wortbildungsmöglichkeiten erreicht – Klassisch-Arabisch sträubt sich aus morphologischen, aber auch aus ideologischen Gründen gegen die Entlehnung fremden Wortguts –, doch schimmert häufig das europäische Vorbild durch. Die Sprache der Medien ist auch syntaktisch an die europäischen Vorbilder angepasst, so dass sich die Nachrichten oft wie eine Übersetzung aus dem Englischen lesen. Nach wie vor schleppt das Moderne Hocharabisch jedoch eine Menge von morphologischem Ballast mit sich herum, so z.B. ein obsoletes System der Nominalflexion, die seinem unbefangenen Gebrauch als moderne Hochsprache entgegenstehen. Auf der anderen Seite ist es aber nach wie vor undenkbar, die gesprochenen Regionalsprachen zu Schriftsprachen zu entwickeln, denn das würde als direkter Angriff auf die Vorherrschaft des Hocharabischen verstanden. Deshalb müssen die lebendigen Volkssprachen für immer im Zustand schriftloser Dialekte verharren, denen eine sterile und innerlich ausgehöhlte Schriftsprache gegenübersteht.

Quelle Otto Jastrow: Das Spannungsfeld von Hochsprache und Dialekt im arabischen Raum / In:  Munske, Horst Haider (Hrsg.): Sterben die Dialekte aus? Vorträge am Interdisziplinären Zentrum für Dialektforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 22.10.-10.12.2007.

Aus dem Vorwort von Horst Haider Munske:

Was waren die Ziele der Vorlesungsreihe ‚Sterben die Dialekte aus?‘ ? Die Frage des Titels nimmt die Sorge vieler Menschen auf. Würde im deutschen Sprachgebiet nur noch Hochdeutsch gesprochen, dann wäre das eine spürbare Einbuße im menschlichen Miteinander, der Verlust eines wesentlichen Merkmals regionaler Identität. Zwei Beobachtungen begründen diese Sorge: der Rückgang des Dialektgebrauchs im Alltag und der Dialektverfall bei vielen jüngeren Sprechern. Das eine ist Ausdruck eines Sprachwechsel vieler Dialektsprecher zur prestigeträchtigeren Hochsprache. Das andere ist eine Folge des selteneren Dialektgebrauchs und des Konflikts zwischen Dialekt und Standardsprache. Daraus resultiert vielerorts die Entstehung regionaler Umgangssprachen, die vielleicht die Dialekte von morgen sind.

Aufzufinden im Netz über den Link HIER.  http://www.dialektforschung.phil.uni-erlangen.de/publikationen/dialektliteratur-heute.shtml

Siehe auch den als Fortsetzung gedachten Blogbeitrag Marokko und Java HIER 

Nachtrag zur Solinger Mundart (24.08.20169

Mundart-Geschichte

Solinger Tageblatt 20. August 2016

Wiedergabe hier mit freundlicher Erlaubnis des Autors Kurt Picard

(K.P. ist nicht unmittelbar verwandt mit dem Lexikon-Verfasser Rudolf Picard)

DER SPIEGEL 20.8.2016 

Video „Eine Lektion Arabisch“ HIER. Artikel Seite 105: Gewürgtes A Linguistik Durch die Flüchtlingskrise ist Arabisch zur Modesprache geworden. Doch viele Anfänger wissen nicht, worauf sie sich einlassen. (Autorin: Katrin Elger).

Zitiert ist auch Otto Jastrow. Hocharabisch sei eine „sterile und innerlich ausgehöhlte Schriftsprache:“ (Siehe auch oben, am Ende meines Jastrow-Zitates, in roter Farbe. JR)  Wie siamesische Zwillinge seien Fusha und die Umgangssprachen aneinandergekettet. „Allein sind sie hilflos“.