Zur Erinnerung (wie es bis Ende 2015 war)
Dies sind nur Screenshots. An Ort und Stelle kann man immer noch die Broschüren mit dem Verzeichnis aller Sendungen aufrufen. Also etwa (Stand 4. Februar 2016) HIER
Es gibt nach wie vor Sendungen zum Nachhören, wie hier die von Barbara Wrenger, gesendet am 31.05.2015: „Himalaya und Köln – Klänge hohen Glücks“.
Man weiß offenbar, was man daran hatte.
Auf diesem kleinen Sendeplatz, dem freundlich geduldeten Reservat der Musikkulturen (sonntags ab 16.05 Uhr), gibt es nun ab 2016 etwas ganz anderes: Klassische Musik in einer neuen Form der Präsentation. Lauter Einzelstücke als Klangteppich ohne Moderation, kunstvoll aneinandergefügt und mit Übergängen versehen von DJs, die uns aufgrund des Club-Charakters dieser Darbietung eine Erschließung neuer, mutmaßlich junger Publikumsschichten versprechen.
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Die Sendungen sind für den einmaligen Gebrauch, nachhören kann man sie nicht, klar, sie verstehen sich von selbst, jedoch kann man die ebenfalls recht wortkargen Musik-Ablaufpläne anklicken. Und Informationen über die DJs findet man in ausreichendem Maße hier.
Ich enthalte mich jeder Bewertung dieser Sendeform im Rahmen klassischer Musikvermittlung, erinnere nur daran, dass diese Präsentation, – die Idee, jeglichen historischen und narrativen Ballast abzuwerfen -, nicht neu ist. Die Frage bleibt, ob die Musik nun auch leichter wird und ihren (lästigen) Anspruch verliert. Ob nicht im Gegenteil die Gefahr wächst, dass sie in Bruchstücke der Beliebigkeit zerfällt. Während Klassik im emphatischem Sinn von Vertiefung lebt, nicht vom Vorrüberrauschen.
Die Soundscapes der 70er und 80er Jahre wären in Erinnerung zu rufen, Klarenz Barlows gigantische Klangwelt Calcutta, die anspruchsvollen „Reisen des Ohres“ (s.u.), selbst die Matinee Couleurs, in denen World-Music-Fragmente aneinandergehängt und überblendet wurden, ohne dass es weh tat, aber auch ohne dass es lange nachwirkte. Ich weiß nicht, ob ich wirklich die ganzen Diskussionen, Widersprüche, Improvisationen und Experimente wieder revue passieren lassen soll.
Nein, ich sehe doch: – heute überlegt man auch sehr genau, wie man mit der Musik umgeht, wenn schon mal entschieden ist, dass sie im Prinzip aus den etwas unhandlichen klassischen Bausteinen bestehen soll. Aus dem Umgang mit ihnen lässt sich in jedem Fall etwas lernen. Wenn nicht über ihren Geist, so über unseren Zeitgeist.
Aus einzelnen Werken formt der „WDR 3 Klassik Klub“ ein neues und ganzes Hörerlebnis mit eigener Dramaturgie. So kommt ein Stück Club-Kultur ins Radio.
Viele Vorgaben macht WDR 3-Redakteur Michael Breugst den DJs nicht. Außer, dass die Mischung abwechslungsreich und spannend sein soll: nicht zu viel aus dem gleichen Jahrhundert, nicht nur leicht, sondern auch mit dem Mut zum Bruch innerhalb eines Mixes. Der Sonntag soll ein Tag auf WDR 3 sein, der sich auch für klassikaffine Einsteiger eignet. Und da muss die Mischung stimmen.
„Ich hatte einen Versuch gemacht, das ganz konventionell anzugehen, (…) nämlich Stücke zu suchen, die von der Tonart und der Stimmung gut zueinander passen und diese auch durchaus mit einer kleinen Pause hintereinander zu spielen. das erschien mir aber dann etwas ermüdend.“
„Ich habe wirklich Übergänge gemacht, teilweise auch Überlappungen, Überblendungen, wo sich das anbietet. Und ich habe dazu produziert, mit Effekten gearbeitet, ganz unterschiedlich von Stück zu Stück.“
… [er kann nämlich] Sampler einsetzen und – wenn nötig – mit seinen analogen Synthesizern Übergänge basteln.
Eine aufwändige Denk- und Bastelarbeit, die sich gelohnt hat. Die Sendung wirkt wie aus einem Guss und nimmt den Hörer mit auf eine musikalische Reise. Dabei stammt die Musik aus allen Epochen. Brahms, Ravel, Strawinsky, Prokofjew, Chopin und Mozart tauchen in der Playlist auf, ein traditioneller marokkanischer Tanz mit Streichquartett und Minimal Music von Komponist Philip Glass.
Dennoch: Blume würde nie ein komplettes Stück einen Ganzton höher pitchen, damit die Tonart passt. Für vier Takte am Anfang erlaubt er sich diesen Trick aber schon. Er schneidet auch niemals Takte am Anfang oder Ende eines Stückes weg. Aber er produziert aus Elementen der Musik ein bisschen was dazu, um Übergänge zu bauen, verwendet dabei sogar gelegentlich Vogelzwitschern. Aber gering dosiert, fast unauffällig.
„Es ist ein schmaler Grat, (…), die Stücke sollen sich in der Sendung zu einem neuen funktionierenden Ganzen zusammenfügen, man muss aber auch sehr respektvoll mit dem Material umgehen.“
Auch sein Kollege Jürgen Grözinger will „sehr sensibel herangehen, da ich vor einem Radiopublikum bin. Ich würde nicht wagen, die Stücke hinsichtlich Geschwindigkeit oder mit Effekten zu verändern.“
Auf jeden Fall sei die Sendung „eine sehr schöne Spielwiese“, so Blume.
Quelle print Das Magazin des WDR Februar 2016 Seite 37 ff „Einmal KLASSIK am Stück, bitte“ (Christian Gottschalk)
P.S. Ich habe den marokkanischen Tanz rot hervorgehoben, weil er hier vielleicht als kühnes Element gilt. Ein Mini-Mahnmal dessen, was an dieser Stelle und in diesem Programm einmal möglich war.
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Zurück in die Zukunft! Hiermit soll keine Priorität beansprucht werden. Sicher ist nur: Das Radio ist selten ganz neu erfunden worden, erst recht nicht in jüngster Zeit. Insofern hilft ein Blick in die Geschichte:
„In der folgenden Sendung und an den nächsten beiden Sonnabenden zur selben Zeit geht es um Musikwelten und musikalische Welterfahrung, Sendungen, in denen kein Wort der Erklärung gesprochen wird. Gewiß, jedes akustische Zitat hat etwas zu bedeuten, d.h. der Autor hat sich etwas gedacht bei der Auswahl und Aneinanderreihung dieser Hörstücke aus dem Wald, dem Wasser, Dörfern des Balkan, aus Orient und Okzident: er versuchte nämlich Natur und Kunst voneinander zu unterscheiden und bemerkte, daß das Ohr daran nicht interessiert ist. Da´ß es gern und ständig mit diesen verschiedenen Schichten der Wirklichkeit umgeht; in der Natur wie in der Kunst. Wollen Sie Ihrem Ohr diese einstündige Reise zwischen Abend und Morgen erlauben? Idee und Zusammenstellung: Jan Reichow“.
Geplant waren folgende drei Sendungen, die allerdings so erfolgreich waren, dass eine ganze Sendereihe daraus wurde.
Der Plan der ersten Sendung, wie ihn der „DJ“ damals, lange vor der Einführung der Digitalisierung ausgearbeitet hatte:
Für einen späteren Zeitpunkt habe ich mir vorgenommen, alle Sendungen dieser Reihe aufzulisten und zu dokumentieren. Vielleicht werde ich damit endlich berühmt. Und habe nur zuviel geredet. Ich habe sogar noch eine schöne wortlose Sendung in Erinnerung, in der Iranische Tar- und Santur-Fantasien sich mit Bachschen Cembalo-Toccaten nahtlos zusammenfügten. In der Tat, es ging um wechselseitige Beleuchtungen, und zumindest ich war hin- und hergerissen von den erhellenden Wirkungen der bloßen Musik.
P.S.
Was ich jetzt noch nicht erzählt habe? Weshalb ich eines Tages völlig damit aufgehört habe. Es war die Furcht vor der Beliebigkeit. Die Sorge, Meisterwerke oder Meisterleistungen zu „verheizen“, ohne dem falschen Einverständnis wenigstens verbale Stolpersteine in den Weg gelegt zu haben…
Gute Musik braucht guten Kontext.
(Deshalb konnte ich mich auch nie mit der Sendung „WDR 3.pm“ anfreunden. Stichworte: Beliebigkeit + zu wenig Respekt gegenüber hochrangigen Bestandteilen + unangemessen ironischer Blick von weit oben )
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Ein gutes Beispiel verbaler und physischer Klassik-Vereinnahmung kommt gerade aus dem – was auch immer das ist – „clubzwei“ in München:
Die Goldberg-Variationen wurden geschrieben, um in eine tiefere Entspannung zu gelangen. Sie tragen eine wirkmächtige, hypnotische Kraft in sich. Jacques Palminger wird diese Energie freisetzen. In einer konzertanten Séance macht er die heilenden Frequenzen, die magisch reale Schönheit und die alles durchdringende Wahrhaftigkeit der Goldberg-Variationen zu einer bewusstseinserweiternden Erfahrung. In einem luftigen, sich immer weiter verdichtenden Netz aus Einflüsterungen, Wachträumen und assoziativen Gedichten aktiviert er das suggestive Potential dieser Jahrhundert-Komposition. Nach dem Vorbild der jamaikanischen Dub-Musik werden die Variationen in Echtzeit verlangsamt und mit psychoakustischen Effekten belegt, um so ihre Wirkung voll zu entfalten. Unterstützt wird Palminger durch den Jazz-Musiker, Bach-Intimus und Multi-Instrumentalisten Lieven Brunckhorst.
„Erwarten Sie nichts weniger als eine mental-positivistische Gruppenhypnose mit surrealistischem Mehrwert und maximalem Glücksversprechen. Diese musikalische Lesung hat den Anspruch, der zauberhafteste Abend des Jahres zu werden. Die Fallhöhe ist enorm, die Chancen stehen gut. Lernen Sie, Ihre innere Katze zu streicheln und Ihre Leber zur Sonne zu drehen! Kommen Sie mit auf den Goldberg!“ (Jacques Palminger)
Kann es überhaupt bessere Worte geben, um das Elend der Musik heute zu beschreiben?