Schlagwort-Archive: Ormatan Tarawangsa

Das „Andere“ der Melodie

Vom Reis und seinem Ritual (West Java)

Java Sunda 2 Musiker

Java Sunda Cover

Java Sunda 2 Figuren

Was mich zwingt, die unendlichen Melodien zu erkunden, sind die rätselhaften Blicke dieser Puppen und der Ernst, den die geheimnisvollen Tonfolgen mit ihren Bebungen und Haltetönen zum gleichmäßigen Skandieren der begleitenden Zither ausstrahlen. Verstehe ich, was mir die Töne sagen wollen? Mir? Wollen sie überhaupt etwas sagen? Glücklicherweise gibt es einen ausführlichen Kommentar, der auch in die Details geht. Aber schon stehe ich vor weiteren Fragen. Etwa zum Track 1, einer durchgehenden, scheinbar gleichförmigen Musik, – ich beschränke mich auf das, was ich höre, ohne mich zunächst um das Ritual und alles, was es da zu wissen oder zu betrachten gibt, zu kümmern. Diese Musik dauert fast 26 Minuten, ruhig, non stop, ab etwa 3:20 gibt es eine leichte Beschleunigung, aber keinesfalls eine kontinuierliche Steigerung bis zum Schluss. Erst wenn ich vom Schluss wieder auf den Anfang zurückspringe, wird klar, wie unmerklich ich in das  bewegtere Tempo gelangt bin, der vorwiegende Eindruck ist Ruhe und eine latente Spannung, von der sie erfüllt ist. Oder irre ich mich? Ich kann es nicht beurteilen, ich erkenne nicht einmal, von wo bis wo sich jede der drei Melodien erstreckt, aus denen das Kontinuum bestehen soll. Soll ich mir Notizen machen, den Gang der Melodie nachzeichnen? Soll ich dem Medium der fremden Musik meine Kriterien aufzwingen? Soll ich mich allein auf mein Ohr und mein Gedächtnis verlassen? Wie lange dauert es, bis sich dergleichen eingräbt? Es kann in jedem Fall nur darum gehen, dass ich Wiederholungen, die Wiederkehr bestimmter Tonfolgen, die Wechsel der Tonräume, als solche wahrnehme. Was da geschieht, kann keineswegs nach Zufallsprinzipien ablaufen, die Melodien haben Namen, man weiß, dass für diese Art Musik ein Repertoire von 42 verschiedenen Melodien existiert. Sie sind geheiligt, es geht um die Göttin der Grundnahrung aller Menschen: Reis. Und es geht um Allah, was eigentlich das Gleiche ist, wie auch immer dieses doppelt Gleiche koexistieren soll.

1) Pangapungan, Pamapag Ibu, Badud Rengkong. Es sind drei, daran geht kein Weg vorbei.

Zwischenüberlegung

Das Streichinstrument Tarawangsa klingt – im westlichen Sinne – so schön (wenn ich es etwa mit der herberen, näselnden javanischen Rebab vergleiche), dass ich meine, nicht ganz fehlzugehen, wenn ich auch den Melodiegang probeweise ebenfalls nach westlichem Empfinden beurteile, etwa die dynamischen Abstufungen, die nachdenkliche Anmutung der verklingenden langen Töne und ähnliches. Mir scheint ein erster Abschnitt vom ersten Zitherschlag oder auch dem Anfangston der Tarawangsa, dem A der kleinen Oktave bis zum eingestrichenen A zu gehen, also 0:00 bis 1:26, wir behalten die aufsteigende Skala und die Gewichtung der Töne im Sinn (Überspringen der Töne d‘ und g‘). Ein neues Motiv höre ich mit dem zweigestrichenen C auf 1:27, das entwickelt wird, aber zum H strebt (h‘), letztlich noch einen Ton tiefer, zum A (a‘), wo es verweilt, bis bei 2:08 der Ton B (b‘) rückgewonnen wird, der eine weitere Abwärtsbewegung ermöglicht (?), nämlich – das g‘ überspringend – über f‘ nach e‘ (2:16), gesichert erst ab 2:25, sogar mit einer Andeutung des Wechseltons d‘ (2:39), ein Moment des Verweilens auf A (a‘). Neuansatz wieder auf dem angeschliffenen zweigestrichenen C (c“) bei 2:47, jetzt könnte eine Wiederholung des gleichen Melodiegangs folgen…

In der Tat, so könnte man es deuten, sogar bis zu dem Moment, in dem – wie vorher – der Ton B (b‘) „rückgewonnen“ wird, bei 3:23 also. Die Rückkehr nach E (e‘) erfolgt in sanften Wellen, aber dann – bei 3:45 – wird dem Ton D (d‘), bei 3:51 dem Ton G (g‘), also den beiden bisher gemiedenen Tönen Referenz erwiesen, was immer das bedeuten mag. Auf dem Ton E läuft es aus wie beim ersten Durchgang, und wieder beginnt ein neuer Ansatz (der dritte „Durchgang“?) auf dem angeschliffenen zweigestrichenen C (c“) bei 4:03.

Wir ahnen, wie es weitergehen wird: nach dem Auskosten des Terzraumes C-H-A (4:03 bis 4:29) wird irgendwann das B wiederkehren (jawohl: 4:30) und den allmähliche Abstieg zum E „einläuten“. Aber es kommt anders: die Melodie kann sich von dem neuen Schwerpunkt der Terz A-F-A nicht lösen, berührt das E nur einen winzigen Moment in der Umspielung bei 4:43, verweilt bei F-A (noch zweimal blitzt das E auf), ab 5:04 haben wir fußgefasst in einer neuen Sphäre, beachtlich: das C in der Zither, gleich danach ein erstaunliches Dis in der Melodie (5:09). Die kleine Pause bei 5:14 markiert einen Neuansatz auf B; es wird mehr als je zuvor ausgekostet, und wenn der Entschluss zum Abstieg nach E erfolgt ist, wird dieses sogleich (bei 5:30) mit Glissando abgesenkt in Richtung C, kehrt zurück zum ornamentierten E, zurück zur Terz F-A, aber nur kurz, Triller auf E, die Terz bleibt bestimmend. 5:59 – das B kehrt zurück, bleibt vorrangig, bei Wendung in die Terz plus Ton E mischt sich für einen Moment ein C ein (6:19), als Absprung zu E, noch einmal und prononcierter bei 6:22. Folgt bogentechnische „Spielerei“ und Neuansatz auf B, überraschenderweise abgelöst von einem C (6:43), Rückkehr über Terzraum A-F zum E, mit Aufblitzen des Tones C (6:53), bis 7:09 bekanntes Gelände, – aber dann, bei 7:16 tiefes A, eine Region, die seit dem Anfang des Stückes nicht mehr berührt wurde.

***

Haben wir damit einen Zugang gewonnen? Wer weiß… Günstigstenfalls haben wir das genaue Hinhören gelernt.

(Fortsetzung folgt)